Menge der Farbencrsoheinungen in der Natur ist insbesondere für uns eine unendlich grössere als diejenige der Phänomene des Tones oder des Schalles. Die Natur ist wesentlich für uns ein Gemälde gegenüber dem Auge, aus welchem nur in sehr beschränktem Umfange auch einzelne Wahrnehmungen des Tones an unser Ohr heranzutreten pflegen. Der Ton überhaupt entfaltet, sich erst in der Sphäre des Menschen tlieils als Sprache, tlicils als Musik zu seiner höheren künstlerisich gegliederten Vollkommenheit, während der blosse Naturlaut im Allgemeinen noch jedes höheren Reizes oder jeder geordneten Vollkommenheit entbehrt. Auf dem Gebiete der Farbe aber ist umgekehrt die Natur uns oder dem Menschen in unbedingter Weise überlegen, indem alle künstlichen Farben des Malers weit hinter der Reichhaltigkeit und Pracht der Farben in der Natur Zurückbleiben. Es liegt im Wesen des Tones, dass er nicht in der gleichen Reichhaltigkeit und Fülle seiner Erscheinungen von uns aufgenommen werden kann als die Farbe. Es wäre unerträglich für uns, wenn zu derselben Zeit ebenso viele verschiedene Tonwahrnchmungen an unser Ohr herantreten wollten als Farbenwahrnehmungeu an unser Auge. Die einzelne Farbe ist für uns ein Mittel der Wahrnehmung nur insofern, als sie sich zugleich mit gewissen anderen Farben berührt und begrenzt. Jeder einzelne Ton dagegen will rein und unver- mischt mit anderen Tönen von uns wahrgenommen werden. Eine Mehrheit gleichzeitiger verschiedener Töne ist an sich schlechthin unerträglich für unser Ohr. Die einzelne Farbe verlangt andere Farben neben sich, während der einzelne Ton au sich jeden anderen Ton neben sich ausschliesst oder ganz allein au unser Ohr heran zutreten verlangt. Wir würden nichts sehen, wenn Alles um uns her ganz die gleiche Farbe trüge. Es liegt im Wesen der Farbe, neben einander zu erscheinen, im Wesen des Tones aber, einzeln und nach einander von uns vernommen zu werden. Auch ist jeder Ton im Gaiizen nur eine schnell vorübergehende, die Farbe dagegen « eine dauernde und bleibende Erscheinung in den Dingen. Es ist überhaupt eine weise Einrichtung der Natur, dass sie uns mit Wahr nehmungen des Tones nicht in dem gleichen Maasse überschüttet hat als mit solchen der Farbe. Es bedarf im Allgemeinen der Mensch der Stille um ihn her und es nimmt der einzelne auf uns eindringende Ton das Leben und die Aufmerksamkeit unserer Seele an und für sich in einer ganz anderen und schwerer fern zu