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ZilchMeUolksMlung Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht and Freiheit mit Unterhaltungsbeilage Die illustrierte Zeit und Sonntagsbeilage Feierabend Anzeige», Annahme von BeichältSanzetgen bi» I« Uhr, von FLmilien- anzeigcn dir IS Uhr, > Preis sür die Peiil-Spaltzcile SO z, im RcNameleii SV ^ s Für undeuilich geichricbene. iowie durch Ferniprechcr auf- 1 gegebene Anzeigen können wir die Verantwortlichkeit für die 1 Richtigkeit de« Textes nicht übernehmen, Geichöf'Ssielle und Redaktion Dresden. Holbeinstrake 1« Nr. 276 Fernsprecher 1368 Mittwoch, de» 4. Dezember 1912 F-mspr-ch-r ,»«« 11. Jahrg. porrellan UNll KrislsII Oedrauctl»- unci Utucus- xereastLnäe Küaixl. Nokliekeraat ^nkäuser Dresden, Könl>c»1ot»nrl»8tr. koraspr. 5979 s?sl2W9,r6N voll» villtkcodstsll b!s svillkbvL 6o»rv 8PS2IS.1- nuä ^lü^su^osotlLkt vroLävll-^.., 26 rurvvvit. Loks Viktorilr8l.r»»üs, SlLn6»8vilvQ äor RspLradursn unä ^suLukordi^un^sn kalthoff über die Jesuiten Die liberale uird besonders die Bundesprcsse liebt es. ihre Dauerreden wider die Jesuiten durch Urteile aus dem Munde geschichtlicher Größen zu würzen. Dabei gilt als erste Regel: Nur, wer gegen den Orden der Gesellschaft Jesu spricht, kommt zu Worte. Die Verlagsbuchhandlung Friedrich Pustet-Regensburg hat 1891 eine Sammlung von Zeugnissen berühmter Männer, die für die Jesuiten reden, herausgegeben. Das Vuch ist 332 Seiten stark, sorgfältig und mit genauem Quellennachweis gearbeitet, aber bei wei> tcnr nicht erschöpfend. Selbstverständlich ist die WissensclM des Liberalismus über so etwas erhaben. In neuerer Zeit haben der verstorbene Pastor v. Bodelschwingh, Pastor Grell- Posen, Exzellenz v. Bezzcl-München, Baron v. Wrangel. Maximilian Harden und andere dem Jesuitenorden Ge- rechtigkeit widerfahren lassen. Heute möchten wir unseren Lesern einige Gedanken aus einer protestantischen Predigt vortragen, die den verstorbenen Pastor von Martini in Bremen, Albert Kalthoff, zum Verfasser haben. Friedrich Steudcl hat nach Kalthoffs Tode „nachge. lassene Predigten" des freisinnigen Theologen herausgegeben unter dem Titel: „Das Zeitalter der Reformation." (Jena 1907.) Pastor Steudel weist in einem kurzen Vorwort auf die Vorzüge der Kalthoffschen Predigten hin: „Radikale Emanzipation vom theologischen Vorurteil", „Geist der Duldung" und „Gefühl der Verantwortlichkeit". Der Her ausgeber charakterisiert Kalthoff als einen Historiker, der vcn keinerlei parteilicher Voreingenommenheit befangen ist. Da wir uns nicht entsinnen können, die Ansichten Kott hoffs über die Jesuiten in der katholisckM Presse gefunden zu haben, dürfte es angezeigt sein, sie ausführlich zu bringen. Kalthoff gibt den Katholiken recht, die keinen Unterschied machen zwischen Jesuitismus und Katholizismus. Der Je- suitenorden sei die reifste Frucht am Baume katholischen Kirchenwesens, ein notwendiges Ziel katholischer Kirchenent- Wickelung, konzentrierter Katholizismus. Der Literatur gegen den Jesuitenorden steht er skep tisch gegenüber. Er läßt seine Ansicht von einer Mache deutlich durchscheinen. „Um den Pnotestantea, namentlich den protestantischen Negierungen, die Gemeingefährlichkeit der Jesuiten und die Verwerflichkeit ihrer moralischen Maximen darzutun . . ." Ebenso skeptisch sieht er auf die sittliche Entrüstung der Jesuitengegner hinab. „Nur daß diese-Empörung echt fei! Daß sie nicht den Splitter in des Bruders Auge sehe und den Balken im eigenen Auge nicht gewahr werde!" Die Wahrheit, meint Kalthoff, ist nicht bei der her kömmlichen protestantischen Auffassung des Jesuitenordens, Man beurteilt ihn nicht nach dem Grundsätze geschichtlicher Gerechtigkeit. Wörtlich schreibt der vorurteilsfreie Prediger: „Eine unbefangene, nur der Wahrheit gehorchende Geschichtsforschung hat längst anerkannt, daß der Name deS Ignaz von Loyola in der Geschichte der Menschheit immer zu den Großen und Größten gerechnet werden muß. sofern eine hohe und reine Begeisterung den Adel echter Menschengrötze zu verleihen imstande ist . . ." Bei der Entwickelung des Ordens müsse man den Grundgedanken im Auge behalten, der nicht nur Schatten, sondern auch helleuchtendes Licht in sich getragen. Weiter kreißt es im Text der Predigt: „Und wenn später einmal eine von frommen und großen Gesichtspunkten ausgehende Kulturgeschichte der reformatorischen Zeit geschrieben werden wird, dann bin ich sicher, daß in diesem Buche Namen von Jesuiten als kräftige Förderer des geistigen Lebens, als bahnbrechende Forscher der Wissenschaft, als mutige Pioniere eines poli tischen und sozialen Fortschrittes genannt werden." Die iKeuersecle" des heil. Ignatius zeichnet er folgen dem: ahew:», „In dem Vater der Gesellschaft . . . vereinigen sich noch einmal alle großen >nd gewaltigen Eharakterzüge des mittelalterlichen Lebens: die ritterliche Treue des Lehnsmannes, die schwärmerische Glut religiöser Be geisterung." Kalthoff ist ein Feind des „Jesuitismus", des „katholi schen kirchlichen" und des „Protestantischen weltlichen". Es ist nicht notwendig, auf diese Ansicht näher einzugehen. Uns genügt die Tatsache, daß ein protestantischer Prediger dem Orden der Gesellschaft Jesu eine Beurteilung gewidmet hat, deren Gercchtigkeits- und Wahrheitsliebe turmhoch dastehl. In einer protestantischen Kirche hat jemand den Mut ge funden, von der Kanzel ins Volk zu rufen: „Ia, laßtdie Jesuiten nur kommen, laßt sie ins Land hinein mit offenem Visier!" Professor Heiner hat darauf aufmerksam gemacht, daß in den größeren Bibliotheken Deutschlands die gesamte Lite- ratur gegen die katholische Kirche vielfach nicht einen Platz einnimmt, wie allein die gegen den Jesuitenorden. Man hat gleichsam die Quellen verschüttet. Vis zu ihnen ist ein weiter, schwieriger Weg, dem nur versönlickwr Mut und heißer Durst nach Wahrheit gewachsen ist. Auch Kalthoff ist es nicht ganz gelungen, sich zur Quelle niederzubengen und zu trinken. Der „blinde", der „Kadavergehorsam" spukt selbst in seinem sonst so klaren Kopfe. Leopold v. Ranke hat in seinem Werke „Die römischen Päpste" den gleichen Fehler gemacht. Eine spätere Auflage korrigierte das Ver sehen. Es ist als sicher anzunehmen, daß Kalthoff nicht minder schnell der Wahrheit, die sein „Allerheiligstes" war, die Ehre gegeben Härte, wenn er länger gelebt hätte. Ist Kalthoff ein Gegner der Jesuiten, ist er doch ein ehrlicher. Bon ihm und seiner Predigt gleitet der Blick un willkürlich auf jene unehrlichen und unwissenden Gegner, auf ihre fanatischen Schriften und haßtriefenden Reden. Wenn später einmal eine van frommen und großen Gesichts punkten ausgehende Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts geschrieben wird, welches Urteil wird d>>r Historiker über jene „Patrioten" fällen, die „Raum für Negationen aller Art, für Monismus und Tbeosophismus, für Okkultismus und Anarchismus" gewähren, „aber für die Männer, die nach Jesu sich nennen und ihn ehren wollen . . ., keine Her berge haben? Deutscher Reichstag Berlin, den 2, Dezember 1912. Die auswärtige Lage — Stimmungsbild aus dem Reichstag Ter Reichskanzler spricht über die auswärtige Lage. Das mit Spannung erwartete Ereignis ist zur Tatsache ge worden. Die Umgebung und das Innere des Reichstags- gcbäudes weisen das bei solchen Anlässen gewohnte Bild auf: dichte Fülle auf den Tribünen, in der Wandelhalle und den Waudelgängcn. Nur das Plenum selbst ist nicht so stark besetzt, als man eS hätte erwarten sollen. Herr Bethmann ist in Begleitung sämtlicher Staatssekretäre schon geraume Zeit vor Beginn der Sitzung im Saale anwesend. Man hat sich schon darin ergeben, eine Geduldsprobe über sich ergehen lasten zu müssen. In der Regel wird die erste Etatslesnng durch eine recht nüchterne Etatsrede des Schatzsckretärs ein geleitet und es heißt zunächst, daß auch diesmal von dem hergebrachten Gebrauch nicht abgewichen werden soll. Herr v. Bethmann ergreift sofort das Wort. Unter lautloser Stille gibt der Kanzler seine Erklärungen ab, die er zum Teil vom Blatt liest. Nur hin und wieder erntet er schwachen Beifall, der sich nur einmal verstärkt, als er die Bundestrene gegenüber Oesterreich betont. Mit Entschieden heit stellt der Kanzler in Abrede, daß von irgend einer Deutsche Politik*) Bon Germanus I. Daß die deutsche Frage gelöst und Deutschland „wieder hergestellt" sei, ist nach 1866 und 1870/71 so oft und so nach drücklich gesagt worden, daß es nicht verwunderlich erscheinen darf, wenn die große Masse unseres Volkes und selbst das Ausland diesen Lehrsatz als eine feststehende Wahrheit hin nehmen. Aber alle Schönrederei,.aller irregeführte Patrio tismus und alle Nützlichkeitspolitik vermögen die Mißstände im neuen Deutschland nicht zu beseitigen und die Unzuläng lichkeit der 66cr Gewaltschöpfung nicht zu verdecken. Je länger das Reich besteht und je mehr seine Einrich tungen wirksam werden, um so deutlicher zeigt es sich, daß dasselbe keine Lösung der deutschen Frage bedeutet, sondern eine fast unlösbare Verwirrung derselben. Daher die täglich zunehmende tiefgehende Unzufrieden heit und Verdrossenheit der Menge, die einerseits die Reihen des roten Umsturzes füllen und anderseits eine fata- listische Gleichgültigkeit oder ein Grauen vor der Zukunft erzeugen, Stimmungen, die zu den an der Wiege des Reick)es gesungenen Zukunftsliedern im schreiendsten Gegen- s a h stehen. Wir haben cs hier mit Zuständen zu tun. die sich entwickelt haben und naturgemäß entwickeln mußten infolge der Mißachtung der realen Tatsachen. Fassen wir das alte geographische und historische Deutschland inS Auge und Veraleichen wir damit das Gebiet des heutigen Reiches: Jenes reichte vom Belt bis an die Adria, eS war durch Schleswig-Holstein mit Skandinavien, durch Luxemburg und Limburg mit den Niederlanden der- » ObwoU unstte «»sichten l» manche» Punkten mit de» de» Herr» Verfasser» nicht übereivstimme», glaube» wir doch s^e tni«,sia»teu «»«sÄhrmige, unsere» Lesern nicht vor- «ha»« ,, falle». Die Redaktion. knüpft; Oesterreich verlieh ihm die Herrschaft über Ober- Italien, und die unteren Donauländer und dieses Länder gebiet hatte obendrein die Möglichkeit und auch Wahrschein lichkeit der weiteren naturgemäßen Ausdehnung. Das jetzige Reich ist ein auf zwei Drittel der alten Aus dehnung zusammengeschrumPftcS, wirtschaftlich und mili tärisch unhaltbares Staatengebilde, von der Mündung des Rheins und der Donau — seinen eigentlichen Lebensadern I — abgedrängt und vor die Unmöglichkeit gestellt, seinen Bevölkerungszuwachs in einer naturgemäßen und nützlichen Weise unterzubringsn. Die deutsche Gesamtbevölkerung Mitteleuropas beläuft sich auf rund 81 Millionen. Davon bewohnen das Deutsche Reich etwa 64 Millionen. Die übrigen 27 Millionen leben in den angrenzenden Ländern, d. h. nach dem heutigen staatspolitischen Kauderivelsch außerhalb Deutschlands. Da für leben aber auch im heutigen Reiche 4 Millionen Nicht deutsche: Polen, Wenden, Dänen, Franzosen, Tschechen und Letten. Dieses Bild der Verteilung des deutschen Volkes ist, soweit es den Osten mit seinem Durcheinander von Deutsck-en und Nichtdeutschen anlangt, der feste Niederschlag siner länger als ein Jahrtausend andauernden Geschichtsepoche: jener Zeit, in der dis deutschen Stämme mit den von Osten her vordringenden Slaven und Magyaren rangen, diese niederwarfen und den größten Teil der von ihnen besetzten, einst germanisch gewesenen Länder zurückerobertcn, wodurch den Deutschen in Mitteleuropa die .Herrschaft gesichert wurde. Dieser Kampf der Deutschen mit den Völkern Im Osten und Südosten hatte eine elementare Ursache: die Deutschen konnten, zusammengepfercht auf das Gebiet westlich der Elbe und Saale, als ein gesundes, aufwärtsstrebendes Volk nickit bestehen; ihnen blieb nur die Wahl zwischen Unter gang oder kräftigem, zeitweilig sogar rücksichtslosem Vor- wärtSschreiten und sie wählten naturgemäß den letzteren Weg. Tic Ergänzung zu diesen Kämpfen gegen Slaven und Magyaren und eine nicht minder wichtige Epoche der deutschen Geschichte bildete der gleichfalls Jahrhunderte andauernde Kampf Habsburg-Oesterreichs gegen das nach der Weltherrschaft strebende Frankreich. Die österreichischen Kämpfe in Italien sind schließlich auch deutsche Kämpfe gewesen, und das Wart von der Ver teidigung des Rheins am Po war keine bloße Rederei. Diese eigen- und einzigartige Entwicklung soll nun ab geschlossen sein, indem man an Stelle des heiligen Römi- jchen Reiches deutscher Nation und des deutschen Bundes daS Reich preußischer Nation, den sogenannten deutschen - N a t i o n a l st a a t gestellt hat. Und der unerreichte Staats- mann, der die deutsche Geschichte zum Stillstand gezwungen, dem der „gallische Sprung" gelungen ist, war Bismarck! Als Bismarck im Jahre 1863 die preußische Minister- Präsidentschaft übernahm, war er schon kein unbeschriebenes Blatt mehr. Während des Krimkrieges hatte er sich als Anwalt Rußlands und einer im Schlepptau Rußlands gehenden preußischen Politik hervorgetan. Als preußischer Bundestagsvertretcr in Frankfurt wußte er es zu verhin dern, daß der Bund den Anschluß der Tonanfürstentümer gut hieß. 1859 vereitelte er das Eintreten Gesamtdeutsch lands für das von Frankreich überfallene Oesterreich und die Rücknahme Elsaß-Lothringens, weil cr damals bereits die Lösung der deutschen Frage „karra et ixna" plante und eS keinesfalls hierzu paßte, ^aß das Gesamtdeutschland diese Lösung in die Hand nahm: Eine jede positive Tat in dieser Richtung mußte verhindert werden. Auch der Abschluß des unheilvollen preußisch-franzö sischen Handelsvertrages ist auf Bismarck zurückzuführen. Dieser Vertrag stellte sich lediglich die Aufgabe, Oesterreich dauernd aus dem deutschen Zollverein auszuschließen, und cr machte Deutschland für immer zu einem wirtscliaftlickien Krüppel . (Forts, folgt.)