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Jahren, als Zolltarif und Handelsverträge noch nicht verab schiedet »oorden waren, drängte dieses Blatt ganz besonders auf den früheren Zusammentritt; aber jetzt stehen nicht min- der wichtige Fragen zur Diskussion. Dieser Satz ist aber um so befremdlicher, als jede Schmälerung der Rechte des Reichstages nicht nur eine Schmälerung der Volksrechte be deutet. sondern, auch eine Stärkung des anderen Faktors der Gesetzgebung. In der „Germania" war bemerkt »oorden, daß es sich empfehle, in der Stellung von Initiativanträgen Maß zu halten, da die meisten unerledigt liegen bleiben. Die „Nat.-Ztg." benützt diesen Vorscl>lag, uni zu sagen, daß tvn den 100 Anträgen das Zentrum „mit etlichen 60 Proz. beteiligt" »var; das ist eine Unwahrheit I Das Zentrum hat als Initiativanträge nur 16 gestellt und dann kamen bei der Beratung des Etats noch Etatsresolutionen dazu. Das Zentrum k)at als führende Partei die Verpflichtung, die Wünsche des Volkes in seiner Gesamtheit vorzutragen und es kann dies tun durch Initiativanträge, Interpellationen und Resolutionen. Daß der Reichstag schließlich nur aus arbeiten soll, was ihm der Bundesrat vorlegt, entspricht nicht unserer AnscLxuuing von der Stellung des Parlaments. Dieser Ratschlag der „Germania" scheint uns mich von einer falschen Voraussetzung auSzugehen; von sämtlichen Jnitia- tivauträgen und Resolutionen, welche das Zentrum in den Jahren 1006, 1004 und 1005 gestellt hat, ist nur ein ein ziger nicht zur Beratung gelangt, es ist der Antrag auf Auf hebung des Jesnitengesetzes. Aber nachdem durch Gesetz vom 8. März 1004 Artikel 2 dieses Gesetzes aufgehoben wurde, und das Zentrum auf die Beratung des Toleranz antrages allen Wert legen mußte, ergab es sich durch die ge schlossene politische Situation ganz von selbst, daß dieser An trag etivas znrückgestellt wurde. Ferner ist formell nicht zur Beratung gelangt der Antrag Müller- Fulda be treffend Uebernabme der Fleischbescl>aunngsgebühren auf den Staat, jedoch) ist dieser Gegenstand im Februar 1004 sehr eingehend behandelt worden. Alle anderen Initiativanträge des Zentrums aber sind durchberaten r e s p. erledigt worden; nahezu alle (mit Ausnahme von 3) sind angenommen worden. Nun muß der BundeSrat hierzu Stellung nehmen. Auf Grund dieser Anträge sind z. B. bereits 2 sehr bedeutsame Bundes ratsverordnungen ergangen zum Schutze der Arbeiter in den Bleihütten und der Arbeiter bei der Bleivertoendung; ge mäß diesen Zentrnmsanträgen ist die Sonntagsruhe im Postdienst ausgedehnt und die Arbeitszeit der Postbeamten eingeschränkt worden. Wie eS diese Z"ntrumsanträge for dern, »verdcn über andere Fragen (Syndikate, Hausier- Handel usw.) Denkschriften ausgearbeitet. Die Annahme eines ZentrumSantrages zum Schutze des kaufmännischen Mittelstandes <unlauterer Wettbewerb, Ausverkäufe, Ab- zahlungsgescliäfte, Beamtenkonsumvercine) hat der Bundcs- rat bereits veranlaßt, sich durch Umfragen an die inter essierten kreise zu wenden. So mögen wir die Zentrnms- anträge überblicken wie »vir »vollen; keiir einziger derselben wird überflüssig und hätte zurückgestellt werden können. Wenn ihre Zahl sehr groß ist, so liegt es eben daran, daß die Wünsche des Volkes und der einzelnen Stände eben auch eine lange Liste darstellcn und »vir sehen dies gerade als einen großen Vorzug des Zentrums an, daß es sich aller dieser berechtigten Wünsche angenommen hat. Unseres Erachtens muß es dies auch in Zukunft tun. An ein „Wettrennen" mit der Sozialdemokratie denkt kein Mensch in der Zen trumsfraktion: das Zentrum macht seine eigene Politik in den Initiativanträgen. Gerade bei den übrige»» Frage»», wie sie durch den Bundesrat dem Reichstage unterbreitet werden, kann das Zentrum nicket seine Grundsätze stets un gehindert durchführen: es muß, »in eine Mehrheit zu er zielen, ans die anderen Parteien Rücksicht nehmen, bei den Initiativanträge»» aber kann es sei»» gesamtes Arbeits programm vorlegen. Mai» hat es deshalb auch allerorts mit großem Beifall begrüßt, daß die bayrische Zen trum s s r a kt i o n ebenso vorgegangen ist und sofort zu Beginn der Session ihr gesamtes parlan»entariscl>es Arbeits programm anfstellte. Eine solche Taktik hat ferner den Vor zug, daß sie andere, minder sozialdemokratische Parteien M'ranlaßt, nun auch mit ihren Anträge»» hervorzutretei»; dadurch wird eher »ine Mehrheit für solche Wünsche ge schaffen. Ter Aerger der „Nat.-Ztg." ist in dieser Hinsicht ja sehr lehrreich. Tie Zentrunissraktion des Reichstages aber hat gezeigt, daß sie nicht nur die Anträge stellt, son dern, daß sie dieselben auch zur Beratung zu bringen weiß. Die Zeit wird hierdurch dem Reichstage nur gespart; denn geredet wird über die verschiedenen Volkswünsche doch und da ist es viel besser, der Reichstag faßt seine Ansicht ii» einem Anträge zusammen, zu dem der Bundesrat Stellung nehmen m u ß. Das Zentrum, als die höchste Par tei des Reichstages hat unseres Erachtens die Pflicht, hier ! führend aufzutreten. Gerade der Vorgang der letzten ! Session hat gezeigt, daß alle AnK'äge erledigt werd.n können; »vir würde» es deshalb bedauern, »venu die Zen- trumüfraktiou von dieser bereits erprobte»» Taktik zuriick- treten würde. — Der Bundesrat nahm am 2. d. M. den Gesetzent wurf über den Versicherungsvertrag an. — Ter Vorstand des dcutschci» Städtetages hat ii» Aus- siclff genommen, den Städtetag Ende November nach Berlin znsanimenznbernfen. Hoffentlich wird da»»»» die Versamm lung über die Fleischteueruna nichts mehr zu beschließen haben. — Der preußische Landtag soll llir den 21. November einberufen werden. — In der badischen Kammer besteht nunmehr folgen des Stimmenverhältnis.' Liberaler Block (24 Nationallibe rale, ein Freisinniger, 5 Temokraten) 30; Zentrum 28; Konservative 3; Sozialdemokraten 12. — Bei der Ncichstagsersatzlvabl im Kreise Preußisch- Hollnnd-Mohrungen wurden bis Donnerstag 10 Uhr abends gezählt für Rittergutsbesitzer Glür-Gergehnen (kons.) 8508, Brann-Königsberg (Soz.) 117, Hermenau-Allcnstein (freis.) 113 und für Krebs-Liebstadt (Zcntr.) 18 Stimmen. Aus Mohrungcn liegen noch keine Nachrichten vor. — Die Siebenerkommission des Ruhrreviers »varnt in einem Aufruf die Bergleute, die neue Arbeitsordnung zu unterschreiben, da sie den gesetzlichen Bestimmungen in ein zelnen Punkten widerspräche und die Abändcrungsanträgc -er Verbände bisher nicht berücksichtigt seien. Auch wandte sie sich in einer Eingabe an den Reichskanzler und ersucht, die Bergbehörden anzuweisen, der von den» Bergbau-Verein veröffentlichten und von den Zechenverwaltungen akzep tierten NormalarbcitSordnung nur dann ihre Zustimmung zu geben, wenn die Umgehungen und Widersprüche gegen die Gesetzesnovelle, die im einzelnen ausgeführt werden, aus der Normalarbeitsordnung beseitigt sind. Sie beklagt sich weiter über das Vorgehen der Zechen. Diese stellen einen Arbeiter, der von einer Zeche abgekehrt ist und bei einer anderen Arbeit sucht, nicht an, wenn er nicht einen Ueber- »veisnngssck-ein vorzeigen kann. Der alte Arbeitsort aber verweigert die Ausstellung solcher Scheine an abkehrende Arbeiter. Ein solche Handlungsweise verstoße sowohl gegen die guten Sitten als auch gegen das Gesetz über die Frei- zügigkeit, ja hebt für die Bergarbeiter letzteres geradezu auf. Die Kommission verlangt Remedur eventuell durch eine Vorlage zur Abänderung der Reichsgewerbeordnung. — Das Ergebnis der badischen Stichwahlen hat nie- wanden überrascht. Die konservative „Kreuzztg." meint: „Die badischen Nationalliberalen haben sich durch dieses Bündnis mit der revolutionären Partei von den norddeut schen Nationalliberalen schon manches bittere Wort sagen lassen müssen. Sogar die „Köln. Ztg.", die doch in vielen Punkten mit den Jungliberalen durchaus übereinstimnit, mißbilligt diese Taktik. Doch ist es ja die Eigentümlichkeit der nationalliberalen Partei, daß sie die größten Wider sprüche vereinigt: mittelparteiliche und freisinnige Elemente stehen hier noch unter derselben Parteifahne. Man wird trotzdem die ganze Partei dafür verantwortlich machen müssen, daß sie ii» das Parlament eines Bundesstaates sechs Sozialdemokraten gewählt und damit die revolutionäre Par tei in den Stand gesetzt hat, der Gesetzgebung dieses Landes ihren Steinpel aufzudrücken. So kraß antinational war das Zentrum in Bayern nicht; es hatte auch ohne die So zialdemokraten die Mehrheit, richtete also objektiv mit seiner Taktik wenig Schaden an." Die Vorgänge in Bayern lassen sich niit den in Baden gar nicht in eine Linie stellen, denn sie sind ganz anders geartet. Die „Nat.-Ztg." aber spricht von einer Niederlage des Zentrums. Komisch! Die Natio nalliberalen haben Mandate verloren, das Zentrum gewann deren fünf. Solche Niederlage kann man sich schon gefalle»» lassen. — Eine Fahrknrtensteuer soll nach der „D. Tagesztg." in den Kranz der Neichsfinanzreforin eingeflochten sein. Wäre es so, so »väre eine solche unsoziale Maßregel zur Be lastung des Verkehrs ganz gegen den sozialpolitischen Geist, den die Reichsfinanzreforn» im übrigen atinet. Aber glück licherweise bedarf es keiner Polemik. Wir können vielleicht erklären, wie die ganz unzutreffende Nachricht entstanden ist. Zur Vorbereitung einer solchen umfassenden Reform werden die verschiedensten Pläne an zuständiger Stelle dnrchgearbeitet. Wir leugnen keineswegs, daß sich in» Reichs schatzamte eii» Aktenstück „Fahrkartensteuer" befindet. Aber damit ist doch nicht gesagt, daß dies Projekt in die hervor stehende Finanzreform ausgenommen ist. — D»r Hochschulkouslikt in Eharlottenburg hat sich verschärft. Die Student-nischaft hat beschlossen, nicht nach- zugeben und als letztes Mittel, ihren Willen durchzusetzen, den Streik augekündigt. Als Grund, warum sie sich weigern, nichtkonfessioneller Ausschuß zu heißen, gab ein Redner au, daß die Zentrumspresse sie zun» antikatholischen Ausschuß stempeln würde. Als ob das nicht zutreffend »väre! Ein anderer Redner »nachte der Studentenschaft den Vorwurf, gegen Windmühlen zu fechten; früher habe auch eine Vertretung ohne eii» Mitglied der katholischen Korpo rationen bestanden. Die Folgen eines zu hitzigen Vor- geheus seien schiverwiegende: das Zentrum würde im Landtage niemals einen Pfennig für unsere Hochschule be willigen, wenn hier ein Ausschuß gegen die konfessionellen Korporationei» genehmigt würde. Es wurde beschlossen, die Professoren gegen den Senat »nobil zu machen und ^ sie in einen» Schreiben darum zu ersuchen. Wir erwarten, i daß die Hochschulbehörden nach wie vor die in ihre» Rechten bedrohte Minderheit vor der Anmaßung der übrigen Ltudenteuschast schützen und den Herrchen, die nach sozial- demokratischem Muster mit Streik und Boykott drohen, zeigen werden, wer Herr ist. — Das Schuluntcrhaltungsgesetz soll, wie die Kreuz- Zeitung erfährt, den» preußischen Landtage, der voraus- sichtlich in der zweiten Hälfte des November (etwa am 21. d. M ) zusarnmentreten wird, sofort zugehen. Die Vorlage wird sich der Hauptsache nach innerhalb der Grenzen des sogen. Koinpromißantrages halten. Der Landtag hat durch wiederholte Beschlüsse gefordert, daß die Vorlage zur Beseitigung .der bestehenden Härten der äußeren Verhältnisse der Volksschule insbesondere deren UnterhaltuugSlast in gerechter Weise regeln, aber zugleich den koufessiouellen Charakter der Volksschule, sowie die Rechte der Eltern und Geineiuden aufrecht erhalten und sichern müsse. Durch eine»» weiteren Beschluß des Hauses der Abgeordneten vorn 16. Mai d. I. endlich hat die Mehrheit des Hauses sich damit einverstanden erklärt, daß in dem Gesetzentwürfe keine Vorschriften über die Lehrer- besoldung aufgenonimen und die Revision des Lehrer- besolduugsgesehes hiuauSgeschoben werde, bis durch ein Gesetz über die Schulunterhaltungspflicht eine gleichmäßige Grundlage für die Verteilung der Schullasten gelegt sei. — Die Dresdner Nachrichten melden als den Inhalt des offenen Briefes, den der „Führer des Evangelische« Bundes, Kirchenrat I). Meyer-Zwickau", an den Kardinal Fischer gerichtet hat: Gegen Jesuitismus und Ultramon- tanismus käinpfen, heiße weder die Konfession verhetzen, noch die Regierung anfeinden; man werde doch wohl die letztere noch darauf aufmerksam machen können, wenn sie die beiden ersteren auf Kosten des Reiches und der Kultur begünstige. Gegen den Kaiser habe sich nicht eine der Hainburger Reden gewendet. Der Evangelische Bund habe es lebhaft begrüßt, als der Kardinal in seinem ersten Hirtenbriefe sich ein deutscher Bischof genannt und es als ein Verbrechen bezeichnet habe, konfessionellen Haß zu schüren, aber an demselben Tage habe der Erzbischof in einem Pastoralschreiben dem Klerus als Norm seiner Tätigkeit den SyllabuS PiuS IX. bezeichnet, der die schroffste Unduldsamkeit gegen den Protestantismus als Richtschnur aufstelle. Der Brief schließt: »Sie werden, Herr Erzbischof, die Ruhe Ihrer Diözese in die kommenden Zetten tragen, wenn sie energisch im Sinne Ihrer offi- zielten Kundgebung tätig sind. Halten Sie Ihre Geistlich- keil von dem politischen UltramonlaniSmus zurück, sorgen Sie dafür, daß iu der klerikalen Presse die Schmähungen Luther« und der Reformation aufhören Treten Sie dafür ein. daß die katholische Partei wirklich vom nationalen Seifte geleitet werde, unzugänglich dem Jesui- tiSmuS, und die Zukunft wird Ihren Namen segnen Sie können versichert sein, daß aufrichtige Versöhnung-- versuche von Ihrer Seite zu allererst im Evangelischen Bunde freundliche Erwiderung "finden werden." — Mit anderen Worten stellt Herr Ktrchenrat v. Mcyer folgende Friedensbedingungen: Das Zentrum darf von der katho- lischen Geistlichkeit nicht unterstützt werden, denn es ist der „politische UltramontanismuS". Die katholische Presse muß die Geschichtslügen, welche zur Verherrlichung des „Reformators" kolportiert werden, ruhig hinnehmen und darf nichts dagegen schreiben, wenn die „Reformation" die größte Heldentat in der Geschichte genannt wird. Die „katholische Partei" muß SyllabuS, Unsehlbarkeitsdogma. den Einfluß von Roin verwerfen, denn nur so wird sie für den „Jesuitismus" unzugänglich. Wenn der Kardinal das tut. wird der Evangelische Bund ihn als lieben Bruder in seinen Schoß aufnehmen und als Oberhaupt einer Nationalkirche sogar verehren. Ob Herr O. Mcyer den Syllabus jemals gelesen hat? Wir bezweifeln es. Er nenne uns gefälligst die Stelle, wo der Syllabus die „schroffste Unduldsamkeit als Richtschnur gegen den Pro testantismus aufstelle. Wenn er das nicht beweisen kann, so darf er den konfessionellen Frieden und den SyllabuS nicht als Gegensätze aufstellen. Wir werden uns mit dem Briefe näher beschäftigen, sobald der vollständige Wortlaut uns bekannt sein wird. — Eine Konferenz von Vertretern des Staatsmini- sterinms mit den Landräten und Bürgermeistern des Her- zogtums Koburg-Gotha erörterte, wie ohne Jnanspruch»- nähme der Neichsorgane die Beschaffung von billigerem Fleisch möglich sei. Das Ministerium hat im Jnlande und Auslande (Dänemark) Erkundigungen über die Bezugs preise angestellt und ist bereit, unter gewissen Bedingungen einen Teil der Unkosten auf die Staatskasse zu übernehmen. Die Gemeindebehörden hätten zu erwägen, ob sie durch Be zug von Schlachtvieh nnd Fleisch für Rechnung der Gemeinde »»nd dnrch zeitweise»» Verzicht auf gewisse Gebühren auf die Verbilligung hinwirken wollten. Die Gemeindevertreter waren der Ansicht, daß von der Uebernahme der gedachten Unkosten ans Staats- und Gemeindekasse nur dann die Rede sein könne, wenn die übernommenen Kosten den Konsumen ten voll zu gute kämen. Sie versprachen zu untersuchen, ob Fleischer oder Kaufleule durch Vermittelung der Gemeinde behörden den Ankauf von Schlachtvieh und Fleisch über nehmen und zu entsprechend billigeren Sätzen abgeben »vollen. Ueber den Erfolg soll berichtet und dann über die etwa zu übernehmenden Kosten auf die Staatskasse Beschluß gefaßt werden. Oefterreich-Nngarn — Ter Verlauf des am Mittwoch geschlossenen sozial- demokratischen Parteitages beweist aus das nachdrücklichste, daß die ganze Wahlrechtsbegeisterung der sozialdemokra tischen Führer nur ein Notauskunftsmittel ist, um eine Ver- legenheitssitnation zu beenden. Die gärende Mißstimmung in der Sozialdeinokratie gegen die Wiener Parteileitung läßt sich nicht mehr vertuschen. Am Dienstag ist es auf dein Parteitage zu Auseinandersetzungen gekommen, wie sie noch nicht da »varen. Die Opposition stammte aus Böhmen und Mähren, und sie betonte ausdrücklich, daß sie dem Wider willen gegen die Taktik der Wiener Parteioberhäupter ent sprungen sei. Man beschinipfte sich, nannte sich gegenseitig „haßerfüllt, feindselig und verbissen": man führte, »vie der Genosse Beer es nannte, „einen Krieg der persönlichsten Art". Der Parteileitung schwante noch Schlimmeres und suchte »»ach einem Blitzableiter für die drohende Entladung. Da kan» zur guten Stunde die Nachricht von dem Erfolge der russischen Revolution und glückselig drehte man nun die ganze Aufmerksamkeit von dem ausbrechenden Konflikte ab und lenkte sie in den Lärm einer sozialdemokratischen Schlachtenbegeisterung. Die Notwendigkeit eines künftigen Massenstreiks und eines kriegerischen Auszuges der Sozial demokratie für das allgemeine, gleiche Wahlrecht wurde nur erfunden, nin die Gefahr eines Krieges gegen die Wiener Parteileitung zu beseitigen. Das ist der nüchterne Inhalt des Wahlrechtsenthusiasinus der sozialdemokratischen Führer. — Das Exekutivkomitee der Koalition hat das Regie- rniigsprograinn» direkt abgelehnt. Minister Kristoffy greift in» „Magyar Neinzet" den Führer der liberalen Partei, Grafen Tisza, an, ans dessen Antrag am 30. d. M. die libe- rale Partei einmütig die Ablehnung des Regierungspro gramnies beschlossen hat. — Ans der liberalen Partei sind bisher infolge des oppositionellen Beschlusses fünf Abge ordnete ausgetreten. — Die Schlußverhandlung in dem Prozesse gegen den Verfasser und den Uebersetzer der soge nannten Zeysig-Broschüre dürfte am 24. November durchgeführt werden. Nsrwegeir. — Die Regierung erließ eine von allen Mitgliedern der Negierung Unterzeichnete Proklamation an das Volk, »vorin sie dringend das Volk auffordert, sich dein Standpunkte des Storthings und der Regierung anzuschließen. Es sei der ei»,stimmig gefaßte bestimmte Rat der Regierung an das Volk, an der jetzigen Verfassung.Mzuhalten, die ihren Bür- gern inehr Freiheiten biete, als irgend eine Republik. Die Verfassung dürfe nicht zu gunsten nicht erprobter Neubil dungen und unklarer Experimente aufgegeben werden. — Auch Frankreich «nd Dänemark haben die Anerken nung Norwegens ausgesprochen. — Wie „Morgenbladet" mitteilt, sind alle als norwegische Untertanen geborenen Konsuln jetzt als schtvcdisch-norwegische Konsuln verab schiedet worden. Die schwedische und die norwegische Regie rung sind in dem Wunsche einig, sich gegenseitig zu unter stützen, um dem lästigen Interregnum zu entgehen, so daß ihre Konsuln die Geschäfte des anderen Landes zeitweilig mitbesorgen. Die norwegischen Konsuln werden sofort an ihren bisherigen Amtssitzen beglaubigt und erhallen die Er-