Volltext Seite (XML)
Erscheint tiiglich nachm, mit Ausnahme der Sonn«». Festtage. Bezugspreis r Vierteljahr!. 1 Mk. SV Pf. (ohne Bestellgeld). Post-Bestellnummer 6858. Bei autzerdeutschen Postanstalten laut Zeitungs-Preisliste. Einzelnummer 1V Pfermige. Anabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht nnd Freiheit. vuebUrrrclterel. HetlMlon uns Sereftättrrteller Presden, Pillnitzer Straße 43. Inserate werden die 6gespaltene Petitzeile oder deren Raum mit LS Pf. berechnet, bei Wiederholung bedeutender Rabatt. Redaktions-Sprechstunde: LL—1 Nhr. Fernsprecher: Amt l. Nr. LS 66. Nr. ÄVO. Katholiken, Birgilins. Freitag, den 27. November 1903. Protestanten:LimconMctaph. 2. Jahrgang. Ein Staatsbeamter gegen die konfessionellen Schulen. Bei dem Nektoratsessen in Bonn hat der dortige Universitäts-Knrator Herr v. Nottenburg es für taktvoll gehalten, in der Tischrede, welche in das Hoch auf die Universität ausklang, eine scharfe Polemik gegen die kon fessionelle Schule einzuflechten. Die Anwesenheit des Prinzen Eitel Fritz hat ihn nicht abgehalten, das Wort» das ihm zu einem gemütlichen Trinkspruch überlassen war, zu einer ungemütlichen Streitrede anszunutzen. Wir wissen nicht, welche Herren im einzelnen an der Tafel gesessen haben; aber wohl wissen wir, daß zu der Universität Bonn auch Professoren und Kommilitonen gehören, die für die kon fessionelle Schule sind, und zwar nicht bloß Katholiken, sondern auch positive Protestanten. Herr v. Nottenburg meinte u. a.: „Nur in der Simnltanschnle läßt sich Gehorsam gegen das ideale Gebot der Nächstenliebe anerziehen." Wenn man „Nächstenliebe" in dem weiteren Sinne der Rücksichtnahme auf die Gefühle und Interessen der anders denkenden Mitmenschen auffaßt, so würde Herr v. Nottenburg durch seine Rede den Beweis geliefert haben, das; er nicht die angeblichen Wohltaten der Simnltan-Erziehuug genossen hat. Sein deplazierter Allsfall auf die Konfessionsschule ist aber nicht blos; eine Rücksichtslosigkeit, sondern auch eine verzweifelt unwissenschaftliche Leistung. Der Herr Universitäts-Kurator macht einen tendenziösen Trug schluss der in die Handbücher der Logik als abschrecken des Exempel ausgenommen werden kann. Die Freunde der konfessionellen Schule, sagte er, behaupten, das; nur die Religion der Verdrängung des Idealismus durch den Materialismus Einhalt tun könnte. Also, so fährt der Redner fort, muß der Katholik den spezifisch katho- li scheu Dogmen die erzieherische Wirkung in der Richtung des Idealismus zuschreiben nnd der Pro testant muß von den spezifisch protestantischen Dogmen dasselbe aussagen. Diese Schlußfolgerung ist ganz willkürlich und grundfalsch. Wenn ich z. B. gegen einen Zuknnftsstaats-Nedner bemerken würde: „Ich will meine Kinder in meinein eigenen Hause erziehen, weil ich die elterliche Zucht für die allerbeste halte" — so liegt darin durchaus nicht die Behauptung, daß gerade die Eigentüm lichkeiten meines Hauses einzig und allein eine gute Er ziehung herbeiführen, und daß in anderen Häusern keine vernünftigen Kinder aufwachsen könnte». Ebenso steht es bei der Befürwortung der nationalen Erziehung; der Deutsche fordert die national-deutsche Erziehung, der Fran zose die national-französische, jeder hält seine Art für seinen Bereich für die beste, aber es fällt ihm nicht ein, zu be haupten, daß der erzieherische Wert nur in den spezifischen Eigenarten liege, und daß nicht auch in dem andern Lande tüchtige Bürger erzogen werden könnten. Was aber jeder einsichtige Patriot hüben und drüben verurteilen wird, ist die neutrale Erziehung in nationaler Hinsicht, die Heran- bildnng von neutralen Jünglingen, die nicht recht deutsch und auch nicht recht französisch sind und selbst nicht wissen, zu welcher Nation sie gehören sollen nnd wollen. Der Herr Kurator verwechselt bei seinem Trugschluß die Unterscheidungslehren mit der triebkräftigen Eigenart. Das Wesentliche ist die Durchdringung der ganzen Er ziehung von einer konkreten Religion, das Hineinwachsen des Kindes in das Bekenntnis und die Uebnng seiner Konfession. Darin steckt das allgemeine Heilmittel gegen Materialismus und Unsittlichkeit, wenn auch die religiösen Systeme unter sich Abweichungen ausweisen. Wir halten die katholische Erziehung für das allerbeste Heilmittel; aber wir lassen den evangelischen Eltern das Recht, ihre Kinder in ihrer Religion erziehen zu lassen, und erkennen zugleich an, daß ein Kind, welches zu einem vollbewußten, treuen Mitgliede der evangelischen Religionsgemeinschaft erzogen worden ist, an Idealismus und Tugend viel eher festhalten kann, als ei» im Unglauben oder religiöser Gleich gültigkeit erzogenes Kind. Falsch ist ferner die Behauptung des Herrn Kurators, daß die konfessionelle Schule Vorurteile und Unverträglich keit zeitige, während die Simultanschule die Pflanzstätte der idealen Nächstenliebe sei. Die Erfahrung hat das Gegen teil gelehrt: die unnatürliche Vermengung führt zu Rei bungen, während die konfessionelle Schule das Motto be tätigt: schiedlich — friedlich! Der Herr Kurator findet nichts „Abnormes" darin, daß wir seit 1870 materialistischer geworden. Jedenfalls ist das aber bedauerlich und auch «vergl. die Sozial demokratie!) gefährlich. Die Simnltanschnle mit ihrer „konfessionslosen Moral", eine Moral ohne überzeugende Grundlagen und ohne praktische Triebkraft, würde das Wachstum der Sozialdemokratie noch fördern. Es ist be- bäuerlich, wenn ein Universitäts-Kurator sogar in Trink sprüchen mit diesem gefährlichen Feuer spielt. Er ist auch Preußischer Staatsbeamter. In der preußischen Verfassung ist die konfessionelle Schule begründet; wenn ein preußischer Staatsbeamter gegen die konfessionelle Schule agitiert, so agitiert er gegen die Staatsverfassung, und das ist doch wirklich nicht seines Amtes. Der Prozeß Kwilecka. Nach LOtägiger Verhandlung wurde das Urteil im Prozeß Kwilecka wegen Kiudesunterschiebung von den Berliner Geschworenen gesprochen. Wie nicht anders von der Oeffentlichkeit erwartet wurde, welche den Verlauf des Prozesses mit Spannung verfolgte, wurde gegen die An geklagten Graf und Gräfin Kwilecki und die als mitschuldig angeklagten Frauen Knoska und Ehwiatkowska, der volle Freispruch gefällt. — Der 18., 1',). u. LO. Tag wurde mit Reden der Staatsanwälte und der Verteidiger ausgefüllt. Hierbei kam es zu höchst bedeutsamen Momenten, welche geeignet sind, von den Gesetzgebern gründlich studiert zu werden. Wir werden noch ausführlich darauf entgehen; für heute möge der interessante Verlaus der Verhandlungen folgen. Der Staatsanwalt De. Müller entrollt in seiner Rede noch einmal die ganze Anklageschrift. Es gelingt ihn: nicht, ein nettes Glied in die Jndizienkette einzusügen. Die Hauptzeugiu Hedwig AudrnSzewska sucht er gegen die ab sprechenden Aussagen zu schützen; das Schnüfflertalent des „Windhundes" Hechelski wird hervorgehoben. Es sei er wiesen, daß die Eäcilie Meyer in Warschau ein Kind in der kritischen Zeit um lOO Fl. verkauft habe, und daß dieses nach Berlin geschafft worden sei. Die Kette der Beweise, die hier nicht schließen will, da nicht bewiesen werden kann, daß Gräfin Kwilecka das Kind gekauft hat, noch weniger, das; sie nicht einen Knaben entbunden hat, füllte der Staatsanwalt mit dem Appell an die Ge schworenen aus: „Wenn Sie dieser meiner Ansicht folgen nnd das verdächtige Verhalte» der Gräfin vor und nach der angeblichen Entbindung, das durch nichts zu beschönigen ist, berücksichtigen, ferner die ehe lichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und den mysteriösen Aufent halt der Gräfin in Paris, so können Sie sich der zwiugenden Be weiskraft solcher Tatsachen unmöglich entziehen. Die Beweise sind so zwingend und überzeugend, das; man sich eigentlich an den tropf fassen und sich fragen müs;, warum cs erst noch der Entrollung eines so kolossalen Beweismatcrials bedurfte. Wer logisch denken kan», der mus; sich zu der Ueberzeuguug bekennen, das; die Gräfin das Verbrechen begangen hat. Wenn ^ie »och mehr Beweise ver langen sollten, dann würden Sie dem viel angefeindeten Schwurgerichtsverfahren direkt das Todesurteil spreche». «Unruhe auf der Geschworenenbank.) Tie Gräfin ist schuldig und zwar schuldig der.Üindesuntcrschiebung, um dadurch Vermögens vorteile zu erlangen. Um nichts und wieder nichts wird diese Gräfin sicher nicht ein fremdes Bankert anuehmen und ihr eigenes Recht behaupten." Der Staatsanwalt »tag diese Emphase für sich ent schuldigen können vor Gericht; jedoch kehrt sich die schärfste Waffe gegen den eigenen Leib, wenn sie lächerlich wird. Folgende Sätze verdienen die entschiedene Zurückweisung, die ihnen später durch die Verteidigung wurde. Der Staats anwalt sagte: „Zeigen Sie durch ihren Spruch, das; der alte Latz noch immer Wahrheit hat: „Es gibt »och Richter in Berlin!" Za, zeigen Sie, das; es noch Richter in Berlin gibt, die sich nicht auf der Nase herumlauze» lassen von finsteren Scheinmächte» nnd van Acuten, die vermeinen, Meineid auf Meineid schwören zu können, und die nachher bei ihrem Geistlichen beichten. Sic vollsühren ein Knltnrivert erste» Ranges, wein; sie die Leute, die sich in trotzigen; Solidaritätsgesühl gegen unsere Staatsordnung auflehncu, unschädlich machen." Die Rede des Verteidigers. Jnstizrat 1),-. Wronker, ist ein Meisterwerk; wir lassen sie hier im Auszug folgen: Herr Staatsanwalt I»r. Müller bat gestern mit Emphase be tont, das; es den Kampf ums Recht gelte. Aber die Königliche An- tlagebehörde hat nicht allein das Vorrecht, das Recht zu finden, gepachtet, auch wir nehmen es in Anspruch für uns. Das vbjellive Recht hier zu finden, wird Ihre Aufgabe sein. Tie Art, wie der Blei in, Herzen. Erzählung von I. R. von der Lans. Aus dem Holländischen übersetzt von L. van Heemstede. «tis». Fortsetzung.) «Nachdruck Verbote».) Und innig drückte er ihre kleine, weiche Hand. „Dann darf ich gewiß auch hoffen, daß Du mir Deine Zustimmung geben wirst zu dem, was ich heute früh von Dir verlangt habe?" „Thne, liebes Kind, was Dein Herz Dir eingibt! Wenn Du im Kloster Dein Glück zu finden glaubst, so will ich Dich daran nicht hindern!" Sie dankte ihm mit einer kindlichen Umarmung. Und obschon der Gedanke, diese liebevolle Tochter entbehren zu müssen, ihm das Herz mit neuer Wehmut erfüllte, empfand er doch zugleich die süße Freude, schon eine -seele glücklich gemacht zu haben. 17. Die alte Frau Merks saß. mit der Katze im Schoß, vor der Türe ihres Hauses auf der grünen Holzbank und Uetz, während sie das Tier streichelte, ihre Blicke achtlos über die hohen Georginen nnd Sonnenblumen ihres Gärtchens schweifen. Plötzlich fiel ihr Auge auf einen Spaziergänger, den sie jenseits der nickenden Blumenkrone und der grünen Hecke gewahrte. Es war ein städtisch gekleideter Herr, wie man sie in dem stillen Dorfe selten zu sehen bekam, und da er seinen Hnt wegen der Wärme in der Hand trug, fiel es ihr sofort auf, daß er ein ganz graues Haupt hatte. In der Nähe ihres Hauses schien der Wanderer seine Schritte etwas zu mäßigen; er schaute sich auch nach allen Seiten um, wie Jemand, der eine Stelle wiederzuerkennen sucht, die er schon seit langen Jahren nicht mehr betreten hat. Er näherte sich der Hecke, und schaute hinüber zwischen den Blumen durch, sodatz Frau Merks für sich hin sagte: „Was mag der Herr hier wollen?" Gerade wollte sie aufstehen, um nach seinem Begehr zu fragen, und hatte die Katze schon verjagt, als der Herr den schmalen Pfad betrat, der zu der Türe ihrer Wohnung führte. Frau Merks ging ihm entgegen, wahrscheinlich wollte er nur nach dem Weg fragen. Einige Schritte von ihr entfernt, blieb der alte Herr aber Plötzlich stehen, nnd indem er die gute Frau scharf fixierte, fragte er lächelnd: „Kennt ihr mich denn nicht mehr, Fron Merks?" Sie machte große Augen, und diese Augen sprachen ein deutliches Nein. „Es ist auch schon sehr lange her, Frau Merks — es mögen wohl dreißig Jahre darüber vergangen sein, als ich Euch zuletzt gesehen habe, aber ich habe Euch doch sofort erkannt." „Wirklich?" fragte die gute Frau erstaunt und noch immer in ihrem Gedächtnis kramend. „Ja, es kann wohl sein, das; ich in diesen dreißig Jahren inehr gealtert bin, wie Ihr, Frau Merks. Ihr seht noch sehr rüstig aus!" Der Alten schien inzwischen ein Licht anfgegangen zu sein. „Doktor de Vries!" rief sie, „richtig, da Hab' ich's heraus! Ei. sieh da. Doktor, sind Sie es wirklich? Ich hätte Sie wirklich kaum erkannt, so alt sind Sie geworden!" „Ja, Frau Merks, in dreißig Jahren erlebt man so manches, das einem tiefer wie an die Haut geht. Ihr werdet Euer Teil auch wohl mitbekommen haben. Und mm erzählt mir einmal, wie es Euch geht?" Sic hatten sich nebeneinander auf die Bank gesetzt. „Es geht mir gut. Doktor!" entgegnete die Frau, „Gott sei Dank! Meine Kinder sind sämtlich versorgt. Hannes wohnt hier bei mir auf dem Hof und wirtschaftet ausgezeichnet. Ich kann dem lieben Gott nicht genug danken ..." „Euren guten Manu habt Ihr wohl schon lange ver- loren?" „Ja, Gott Hab' ihn selig!" entgegnete die Frau mit einem Seufzer. „Allerheiligen werden es schon siebenzehn Jahr ... Ich habe ihn sehr entbehrt, besonders in der ersten Zeit, als die Kinder alle noch klein waren ... es war keine geringe Ausgabe für eine Wittfran. Aber der liebe Gott hat sich meiner angenoinmen »nd Alles zum guten gelenkt. Ich darf nicht klagen ..." „So, so, ist er schon so lange tot?" sagte der Doktor nachdenklich, „das war ein harter Verlust für Euch, Frau Merks." „Und Ihre Frau, Herr Doktor, die lebt gewiß noch?" fragte die gute Seele teilnehmend. „Was soll ich darauf antworten?" entgegnete dieser zögernd, ihr wehmütig-ernst in die treuherzigen Angen schauend, die verwundert zu ihm aufblickten, „sie lebt allerdings noch, aber sie ist leider tot für mich und meine Kinder. Sie ist im Jrrenhause." „Gütiger Gott, dann ist es doch eingetrosscn, was man hier im Dorf immer von Fräulein Jettchen, der Tochter des Notars, gesagt hat." „Was hat man denn gesagt?" „Die wird vor Stolz gewiß noch einmal überschnappen, sagten die Leute immer," brachte die Bäuerin zögernd, her vor, indem sie den Doktor, den sie durch diese Bemerkung verletzt zu haben fürchtete, verlegen ansah. Aber dieser schaute trübe vor sich hin. „So sagten die Leute das?" mnrinelte er in Gedanken. In seinem Innern mußte er dem Scharfsinn der einfachen Dorfbewohner Anerkennung zollen, den» die Großmanns sucht war wirklich ihr Unglück gewesen, laut aber sagte er: „Vom Stolz hat sie es dock) nicht bekommen, sondern vom Schrecken!" Und er erzählte in kurzen Worten den traurigen Hergang, der ihre hoffnungslose Geistesumnachtung herbei geführt hatte. Tie gute Frau schlug die Hände zusammen lind schüttelte mitleidig den Kopf. „Da haben Sie aber wirklich schreckliche Dinge erlebt, Herr Doktor! Kein Wunder, daß Sie graue Haare davon bekomme» haben; dergleichen Dinge setzen dem Menschen zu. . . Und haben Sie noch mehr Kinder?" „Noch zwei Töchter. Die ältere — sie heißt Henriette wie ihre Mutter — ist glücklich verheiratet mit Doktor Weever, den werden Sie vielleicht kennen?" «Forts. folgt.)