Suche löschen...
Sächsische Volkszeitung : 13.04.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-04-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192204136
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19220413
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19220413
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-04
- Tag 1922-04-13
-
Monat
1922-04
-
Jahr
1922
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 13.04.1922
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
, Donnerstag den 13. Nprtl 1822 Nr. S7, Sette L Dritter Sächsischer (Fortsetzung der Rede Marx)^ Meine Verehrten! Was in dem Augenblicke ein Mann wie Wirth geian hat — spätere Jahrzehnte werde» dies erst zu wür digen wissen — das war das Veste eines Mannes, der ganz durch- drunscn war von der Liebe zu seinem Volke und Vatcrlande, der in d.cicr denkbar gesäbrlicken Zeit erklärte: Dann trele ich in den Nitz, und wenn alle Parteien uns im Stiche lauen, ich halte das Schisslein des Vaterlandes in der richtigen Vabn und ver suche wenigstens gegen den Sturm zu kämpsen. (Bravo!) Vckanntl'ch spricht man seit jeher so viel davon, das; der Ehr geiz der Antrieb zu so mancher Tat sei. Wer aber glaubt, das; Wirth hier von Ehrgeiz getrieben sei, der kennt ihn schlecht. Es ni»s; rin merkwürdiger Ehrgeiz sein, der solche Opscr brinat. Wir haben auf diese Weise weiter gearbeitet. Da kam die grotze Frage des EiseulmbnerstreikS. Wieder drohte die Krisis. Wir Halm» verhandelt und stets die Deutsche Volkspartei und auch d>e Demokraten zngezogen. soweit sie es wollten. Meine Verehrten! Ich sage das. um Ihnen einmal z» zeige», wie weit die Frie densliebe gebt. Sie in ns; weiter gehen, sie was; außerordentlich weit gehe», denn mit irgend welcher Verdrossenheit, mit irgend welchem Beleidigtst!» gewinnt man in der Politik nichts. D'e Deutsche Volkc-parlei versagte abermals. Sie verstand sich, als das Verlranensvotnm für die Regierung verlangt wurde, nur dazu sich der Stimme zu entba'ten »nd brachte dadurch immerhin die Zahl der dem Votum znsliinmendcn Personen ans eine ge wisse Höbe. Wir haben weiter verhandelt und ietzt bei der Be» «tnlworliing der N-'naraiionsnote waren wir end'ich so weit, datz das Ministerin», Wirth von sich sagen konnte: Es ist die grötzie Zahl von »»stimmenden Stimmen erreicht, seitdem ein Mini sterium Wirth an der Arbeit ist. Eine Koalition ist nicht zustande gekommen. Es ist eigentümlich, datz die Deutsche Volks-Partei damals den Wunsch äntzerle: Wir werden unsere Zn- st nintiina nur geben, wen» die Zenlrnmsparlei ihre Zustimmung gibt. Ich habe selbstverständlich mit allen Parteien verhandeln müssen, um nicht ein Genchl der Bitterkeit anflommen zu lassen. So ist ein Vertre>"ensvo'um zustande gekommen, was wenigstens den bei weitem grösiten Teil des Reichstages nmfasit. Wir waren glücklich darüber, das; wir so weit waren. Nun sehen wir unsere Beanftranlcn mit verhältnismässig gutem Erfolg nach Genna geben, nun steht die Tatsache fest, das; hinter dieser Negierung doch der grötzte Teil des Reichstage? steht. Hier folge auch noch ein Wort über unsere Verhält nis zu den Dcntschnationalen. Wenn mich je etwas gesckmer.P hat. so ist es das Versiahren der Dentschnationalen seit Beginn des IlinstnrzeS. Ich habe als prenstttckier Abgeordneter jahrelang mit den damaliaen Konservativen znsammengearbeitct. Ich habe stets in persönlich outen Vorsehungen mit einer grotzen Reibe von denschnat'onalen Herren gestanden, die auch seht noch im Neichs- taoe sind. Da kann mich nur ein Gest", bl unendlichen Schmerzes beschleichen, wenn icb'sebc, wie die Herren eine tatsächlich ganz blinde, absolut zur llnsruchtbarkeit führende Politik verfolgen. Die Herr-'n meinen vielleicht, es sei so richtig, aber mutz ihnen nicht der Gedanke kommen, wir sind auf falschem Wege, wenn sich die Fälle immer mebr mcbren, in denen die Herren von der Dentschnationalen Vnrtci allein mit der Kommunistischen Partei znsammenstcben? (Sehr richtig!) Zwei so entgeaengcsehte Par teien kann nicht allein die Opposition miteinander verbinden, llnd dann, haben die Herren wirklich eiäma! etwas- Positives ge leistet? Nein! Es ist das ein Vorwurf, de» ich den Herren nicht ersparen kann. Sie haben bedeutende Leute bei sich, Saebver- stnndiae ersten RanaeS, und wenn man diese um ihre Ansicht in kritischen Anoenblicken fragte, erklärten sie, sie seien nicht dazu da, mit Ratschlägen zu Helsen. (Hört, hört!) Wir sind in dec Opposition, da? mögen andere tun. lind das waren Herren erster Sachkunde, gerade in wirtschaftlichen Fragen, in Fragen der Finanz, in Fragen des Bankwesens. In, meine Verehrten! Ich will ans dem Parteitage gerade mich hüten, schark zn werden, aber ich miisi d°e -Herren, die doch auf christlichem Boden z» sieben behanvten, immer und immer wieder instand gst b tte», fragt euer G--wiffen, ob encki das d'rscn Zustand nnf die Dauer innekinlten läsit. (Sehr richtig!) Fragt ener Gewissen, ob eS gilt, misilicbige Leute zu beseitigen oder ob r8 gilt, »nser deutsches Volk und unser deutsches Vaterland zu retten. Es war sehr charakteristisch, datz kurz vor der Abstim mung b-si der Reparationssraae über den Antrag, den wir von anderer Seite als Vertrauensvotum gestellt batten, ein Herr von der Bäuerischen Volkspartei zu den Dentschnationalen herüber» gina und ihnen saate, das; das Vorgehen nur dazu diene, Zwie tracht zu säen zwischen den Parteien, die vor Genna die Regie- rnng stürzen wollen. Da brach ein Lärm los. Da haben sich Herren, die sich zn den bessere» Gesellschaftsklassen rechnen, in einer Weise benommen, meine Verebrten. ich will heute wirklich nicht boc-bast sein, aber eS liegt nabe, zu sagen, die Herren um Höllein können es nicht besser. Es war ein Lärm und dies war wieder so ck-arakicristiseb. datz eS doch den Herren zeigen mutzte, wobin cs fübrt. ES rückte gerade die Kommunistische Partei in geschlossenem Zuge vor mir bar ans die Deiitichnationaie Volks- Partei zu. Das waren die Herren, die sie durch ihre Haltung am meisten stärkten. Ist das nicht beschämend, das; es soweit kom- Zeiltrunrsz>arteitag men muß? Ich will demgegenüber nur die Politik der Zentrum». Partei dorstellen, indem ich sage, wir handeln darnach, was uns unser Gewitzen vorschreibt und wenn irgendwie Zweifel bestehen möchten und uns voraehaltcn werden möchte, eS ist nicht richtig, so muh ich sagen, datz innerhalb der Fraktion jeder Schritt und jedes llnlernebmcn gründlich überlegt wird. Ich glaube, nian macht sich in den Kreisen der eigenen Wählerschaft nicht klar, m't weicher ernsten Entschiedenheit alle Fragen durch die Fraktion be sprochen werden. Um nur ein Beispiel zu erklären: Die Frage der Einheitsschule. Als sie vor einem Jahre im preußischen Abgeordnetenhaus aufgeworfen wurde, haben wir uns aufs schärfste gestritten und haben darüber gesprochen, um selbst klar zu werden, was wir wollten. Wie lange haben wir darüber verhandelt, wie haben wir unsere Zeit geopfert! Das zeigt, datz wir uns ernsthaft mit den Fragen beschäftigten. Und wenn ich des weiteren erinnern darf, wie wir über den Fricdensvertrag von Versailles berieien in Weimar, sg glaube ich. eine solche Parte, kann sagen, sie Hab? ibre Beschlüsse mit gutem Gewissen gefaßt. Ob wir recht babcn. ist eine andtre Frage. Wir sind jederzeit bereit, uns kritisieren zu lassen, dafür ist der Parlamentarismus da, nur darf man uns nicht den Vorwurf machen, datz wir gewissenlose Leute wären, sondern wir müssen in Anspruch nehmen, datz wir als Grundlage unseres grotzen Strebens die christliche Weltanschauung nehmen und das; wir Ehristcntnm und Ebr'stentnmsidecn in das öffent liche Leben einznführcn allezeit bestrebt sind. Und datz wir auch in dem Zusammenschluß mit Andersdenkenden und einer anderen Welianschaiiiing angcbörenden Parteien niemals iracndwje unse- ren Standpunkt aufgeben und niemals die Grundsätze der Parte, verlassen, was »nS gerade so oft vorgeworfen wird. Aber trotz aller Anffo:der»ngen wird uns niemals etwas initgetcilt. Man spricht immer nur von Verletzungen des Christentums, von der Verletzung christlicher Parteiorundlätze, die allein dahinliefcn, datz wir mit der sozialdemokratischen Partei znsammengehen. ES ist eben w-lter nichts als eine Arbeilsnemcinlibaft, die «nS hier znlamnienbült, »nd ich glaube ittcht, aus wohlerwogenen, t efliegrnden Gründen, das? vielleicht jevt noch einer sagen kann, das) man zurzeit noch r'nc Politik machen kann mit irgendwelcher Aussicht auf Erfolg ohne die Sozialdemokratie. (Seh rrichtigl) War das nicht der große Fehler der früheren Negierung vor der Revolution, daß man glaubte, durch Gewalt, durch gesetzgeberische Matznabmen diele Massen einfach auSzusck'alten? (Sehr richtig!) Gerade dieses zielbewusste Hcranbringcn einer gro tzen Zahl unserer deutschen Staatsbürger zur politischen Mit- arbeit, sie dazu zn bringen, endlich von der öden Kritiiicrnng zu lassen, das- ist meines Erachtens- die Ehre und der Ruhm der Zenlrnmspartei und Zentrnmsvolitik und wir haben das fertig gebracht. Tie Mebrheits-sozialdemokratie arbeitet mit zu ibrem Heil und zum Heile unseres ganzen Volkes, und wir wären Narren, meine Verehrten, und würden verräterisch an unjeren, ganzen Volke handeln, wenn wir die Hilfe dieser weiten Kreist unseres Volkes von uns stoben wollten. (Sehr richtig!l Wir kön nen nun einmal die Mentalität gewisser VolkSkrcise nicht ändern. Wir müssen unser Volk nehmen, wie eS ist. Wenn man ernst haft auch mit Leuten der Rechten darüber spricht und sagt: Glaubt ihr, heute ohne die Sozialdemokratie fertig zn werden? So erklären diese selbst: ESwird nickt gehen. Welchen an deren Weg sollen wir also einlchlaaen? Glauben Sie, die Sozial, dcmokralie würde nicht mit Handkntz jede Gelegenheit benutzen, sich von uns zn trennen? Die Herren bringen auch Opfer, große und schwere Opfer. doS gebe ich offen zu. Sie tun es. weil sie erkenne», daß die Zentrumspartei auch von ihrer Seite nicht zu entbehren ist. Wir müssen schwere Vorwürfe in den Kauf nehmen. Ich will bei dieser Gelegenheit auf eine Broschüre Hinweisen, die in den letzten Wcck-en noch erschienen ist und die. was mich mit tiefem Schmerze erfüllt, von einem Geistlichen, Dr. theol. Häus ler in der Nähe von Augsburg, verfaßt ist. Die Schrift heißt: „Die deutschen Katholiken und die deutsche Ne tz o l n t i o n S b e w e g u n g." In Vieser Broscbüre sind Vorwürfe gegen die Zentrumspartei. Es wird mit einer gewitzen Schärfe in dem Buche von gewissen Parlamentariern gesprochen, aber es wird nie vom Zentrum geredet. Wenn man 23 Jahre im öffentlichen Leben siebt, erregt man sich weniger leicht über etwas. Ich sage, daß ich nur dann erregt werde, wenn man mir vorwirft, ich hätte als Zentrnmsabaeordneter meine christlichen Grnndsäh; vcrlengnrt oder es sei etwas an meiner katholischen Ileberzen- gung miSznsctzen. Dann saae ich: Das spreche ich scdem ab, mag er Doktor der Tbeoloaie ans der Nabe von Augsburg sein; da« bat nur meine kirchlich Vorgesetzte Behörde zu entscheiden, das überlaste ich meinem Bischof. Wenn nun gesagt wird: „Das Zentrum hat sich einfach auf den Boden der Tat sachen gestellt »nd darnach wird die ganze Politik eingerichtet schon seit Benin» der Nationalversammlung. Es sind z»in Schaden und Nachteil »vßrer Kirche nicht wenige, welche gleich bei Ausbruch der Revolution und noch ietzt den feigen, unge- unden, törichte», geistlosen, unersprießlichen Grundsatz ver achten haben und noch verfechten, man müsse sich ans den Boden dec Tatsachen stellen." Karolas Leid und Liebe Roman von E. Grabowski (8. Fortsetzung.) So in Gedanken versunken, fuhr sie dahin in der dunklen Nacht, die Menschen vergessend, die mit ihr waren. Sie schliefe»: ihr regelmäßiges Atmen verklang in dem Geräusch der rollenden Räder. Langsam trotteten die Pferde vorwärts auf dem bekann ten Wege, lässig hielt Kurt die Peitsche. Auf cinnial zuckte Ka- rola zusammen; eine i'nbebaaliche Empfindung ging durch ihr Blut, ihr war cs, als kröche Gewürm über ihr Haar bis hinunter zu de», Nackengrübchcn. — Da, wieder... sie griff danach, und fühlte ibre.Hand sestachaltcn von einer anderen. Widerwillig schleuderte sie die Hand von sich ab. Vom Bock herunter kan« das breite Lackst» Kurts: Dieses Lachen, das ihr seine Frc-ude zeigte ülvr den gelungenen Streich. Wie unerträglich war es ihr! Er flüsterte zärtlich zu ibr herunter: „Tu doch nicht so, du bist wir doch ein bitzel gut. Nicht, Karola?" Wieder küblte sic das Finoerspicl in ihrem Haar. Da sprang sic nnf, unbekümmert »in die Folaen, und schlug nach der Hand, die ihr io lästig war. In seiner Verblüffung ließ Kurt die Zügel los. Die Pferde, scheu geworden, bnnmten; Frau Emma und Lotte fnlrcii e-sichrocken ans: „Mas ist denn loS?I" fragte Frau Emma. Lotte schrie weinerlich: „Kurt, wirf nicht nm . . . mein junges Leben? . . . O, was würde Julius sagen, wenn ihr mich tot hciinbrächtctl . . ." Kurl lachte. Er hatte die Pferde schon wieder in der Gewalt. „To rasch geht? mit dem Sterben nicht; aber, frag! die Zigeunerin, warum die Pferde scheu geworden sind." Karola hatte sich schon wieder ans ihren Platz gesetzt. Ans Fra» Eininas heftige Franc sagte sie: „Es krochen Spinnen über mein Haar, das war so eklig." „Du bast immer was." rief Tante Emma unwirsch. ''„Du kannst lange warten, ebe ich dich wieder wobin mitncbmc!" Karola stieg da« Blut zn Kopfe, aber sie zwang sich zur Rübe. S'e batte cs länast ausgegeben, sich gegen ungerechte Vor- würfe ;n verteidigen. Geduldig ertrug sie, was- sic nicht ändern konnte, auch nicht ändern wollte. Hatte sie früher immer den Augenblick ersehnt, der ihr die Freiheit brinaen sollte, die Frei heit ihres Handelns, so fürchtete sie sich setzt davor, denn eine solch? Freiheit mußte ihr die Trennung von Johannes bringen. Ilm seinetwillen ertrua sie jede Schmähung, wie sie sie einst er tragen hatte nm der Mutter willen. „Die Liebe ist das Höchste auf der Wclt,^ hatte ihr die Mutter einst gciagt; daran dachte sie, wenn Leid und Kummer sie erdrücken wollten. Kurt fing seine verliebte Tändelei von neuem an, die fin stere Nacktt ermutigte ihn dazu. Es mach'' ik>m Spaß, das; Ka rola beständig ihre .Haltung änderte, den Kopf bald nach rechts, bald nach links drehte. Ja, sie wagte keine laute Abwehr mehr, nm Tante Emma nicht noch mehr zu reizen. Befreit atmete sie auf, als- der Wagen endlich hielt. Kurt sprang zuerst vom Bock. Seine Absicht, Karola ans dem Wagen zu helfen, kam nicht zur Ai'ssühvung; sie war rascher gewesen als er. Aber sie konnte nicht weiter, sie mußte warten, bis er die Schlenscntür aufge schlossen hatte. Tante Emma und Lotte ginnen ihr voran über das Webr, sie wollte auch Kurt an sich vorüber lasten, aber er trat zurück. „Halst du mich für so bülslig, daß ich eine Dame hinter niir hergeben lasse? Nein, nein, Karola, seit heute weiß ich, daß du kein Kind mehr bist." Da tat sie ihm den Willen, obwohl es ihr unangenehm war, ibn hinter sich zu wissen. Unsicher ging sie vorwärts, ihr Fuß glitt öfter ans, sie batte Muhe, sich zn halten. War es die Nähe Kurts, die so unheimlich auf sie wirkte, oder die dunkle, schwere Nacht? Die Oder war voll bis zum Rande, sie warf ihre Wellen über die Platten, daß sie gleich gierigen Ungeheuern tosten und kchrien. Undendlich erschien der Strom in der düsteren Nacht, die jeglickie Grenze verwischte. Die Wasser spielten mit den Nadel i des Wehrs, warfen sie gegen die Platten, daß sie hin- und her- schivankten. Nur sachte kam Karola vorwärts. Ein scharfer Wind stieß über da? Wehr, blähte ihren Mantel wie ein Segel ans. Sie hatte den mittleren Pfeiler erreicht und hemmte ihre Schritte. Sie zog den Mantel fester an sich, wartete den Anprall des Windes ab, ein paar Sekunden nur, aver Kure nützte sie. Er stand plötzlich ganz dicht neben ihr, legte den Arm um sie und flüsterte ihr zu: „Ietzt bist du in meiner Gewalt . . . ohne Lösegcld gebe ich dich nicht frei . . ." Sei» heißer Atem ning über sie bin, streifte ihre Wange, in ^jeiner Stimme zitterte die Gier des Blutes. Sie stieß ibn zornig zurück, aber fest umklammerte sie sein Arm. In das Rauschen und Toten des Walsers schrie er, un besorgt darum, von anderen gehört zu werden: „Sei nicht töricht, Mädchen^ ein Fehltritt — und du bist verloren." Sie wand sich energisch aus seinen; Arm: „Lieber liege ich da unten, als datz ich deine Zärtlichkeiten dulde!" ries sie empört. Da gab er sie frei, betroffen und grollend: „So sehr bin ich dir zuwider... gib acht, das; du dies? Stunde nicbt einmal bereust!" Sie gab ihm keine Antwort, stand mit zitternden Atem da, Nn anderer Stelle wird gesagt: „Es bestehen gewisse Parlamentskreise nur aus Oppor tunisten. Unter Opportunisten — so heißt eS ans Seite 34 der Broschüre — sind jene zu versieben, welche nicht nach höheren Grundsätzen handeln, sondern stets nur das tun. was ihrer Person oder einer Partei, der sie angchörcn, von Nutzen ist oder Mühe und Opfer erspart." Mit solche» Leuten ist nicht viel zu dispnticrcn. Nichts kann der protzen Volksmasie mehr imponieren, nichts kann sie mebr zu der Ueberzenanng bringen: Das ist e:n Kerl, der bat eS der Negierung einmal gesagt. Mit der Faust auf den Tisch schlagen und Grundsätze bekennen, das ist sehr leicht. Aber wenn es lieh darum handelt, die Grundsätze dnrchzufübren. wenn man an verantwarttiibe Stelle berufen wird: Nein, dann ist eS besser zu» rückblciben. Das ist meines Erachtens Opportunismus. ES wird gcsaat, ein Windlborst hätte ganz andere Reden ge. halten. Die Zeiten Windtborsts waren aber durchaus andere. Ich habe im preußischen Abgeordnetenhaus«: noch Herren gekannt, die mit ikun znsammengearbcitet haben und mir gesagt haben: Was ist die Zeit dech jetzt schwerer als damals. Was war eS damals für eine schöne Zeit! Fraktionsberatungcn gab es nicbt. Wir waren vor der Sitznna im Fover, dann kam die alte Exzel lenz, von dem wir voraiisietzten, das; er das Gesetz gelesen hat, und der sagte dann: ES bleibt dabei, wie wir eS immer getan haben, wir lagen einfach Nein. Dann zooen wir in den Sitzungs saal. Windlborst hielt eine grotze Rede, lehnte alles ab und wir gingen befriedigt nach Hanse. Das konnte die Partei tun, sie befand sich damals- noch in Opposition. Aber schon damals bat Windlborst se'bst betont, datz da? Zentrum, wenn es gerufen wird, bereit ist. mitzuarbeiten. Die Otmasition, wie sie von der Rechten betrieben wird, ist mir unverständlich. Die Opposition bei den Kommunisten versiebe ich, da? ist Grundsatz. Die Herren wollen dos Parlament lächerlich machen, waS können sie anders tun als aus dem Neick'Stan ein Theater zw machen. Es ist nicht gerade der intelligenteste Volksschlag, der hinter ibnen siebt, aber denen imponiert das. Ein Mann, der einen kommunistischen Stimmzettel abgibt, den freut eS. wenn den Kerlen, die in d?r Negierung sind, die Wabrbeit aelaot wird. Wie man aber auf der rechten Seite eine solche Opposition betreiben kann, verstehe ich nicht Ilnd dann wagt ein Dr. theal. Hänker von AugSk>"rg, uuS Pflichlvcreessevhcit und Opportunismus vorzuwersen. Ich will, um den Standpunkt des Herrn vollkommen darznleaen, verglei chen. was er am Schluffe sagt. Er wirft uns da vor, datz wir keine nationale Gesinnung an den Tag geleat Hallen und sagt, was national isi, das beißt, das man sich auf den Bo^cn der In teressen des eigenen Vaterlandes stellt und daun folgert er dar aus, daß nationale Gcsinnuna aanz selbsivcrsiänd'ich dazu führt, daß inan mit den anderen Ländern in der tätlichsten Feind^aft lebt und dann lernt er. diele ganze FriedenSdulclei. diese Id-'e vom Völkerbund, das isi alles eine Atopie. Er lebrt »ns dir Gegensätze, die unter den einzelnen MerE-ben besieben, bestehen auch unter den Völkern, so lange diele Welt beliebt. Ilnd dir verschiedenen Völker werden bis znm Anleraanae nicksi zn einem dpneruden Frieden einig werden. Nach Häuler beißt es: Wer national arbeitet, muß dafür loraen. daß das Volk in vernünfti ger Weise für ieden Kriea aernsiet isi. Es muß nach dem Grund satz bandeln: Si vl? vaeem vara besinn,, mit untt-maler Arbeit, nationaler Geschlossenheit und Notwendigkeit ergibt sich dieser Ge danke. Ilnd nun kommt der grobe Pvranndale Satz des Dr. theol. Häuler von AuoSbnrg: Den Krieg müffen wir binne'l'men wie die Erbsünde. (Beweanna.) Wer so etwos schreibt als Dr. theol., den kann ich wsiklieb nicht als Richter über eine Zentrumspartei anerkennen. (Sebr richtig!) lind wenn ich einmal Opportunist bin und laoe. eS kommt auf den Erlolg an. dann scben wir uns doch einmal nn, was un sere Versaffnrie, für aus a-bracht bat. dann seben w'r »ns doch einmal an. was die Verlaffuust, die wir gerade durch das Zn- saiumenoeben mit deu Sozialdemokraten »nd den Demokraten er reicht haben, beute für uuS bedeutet. Da? bab-n wir niemals erreicht bei uus in Preußen, als wir mit den Herren von der koulerva'iv'-n Pn-sti die ause-r-raoaebeude Krall im Land'aeie be saßen. (Sehr richtla!) Das bat mich olt in den fri'cheren Jahre» in Preußen außerordentlich schwer bedrückt, wen» ich selbst die konservativen Mitglieder nicht dazu brinaen kannst, Erleichterun gen zn schassen, wenn es hieß, nebt unserer katholischen Kirche die Gleichheit und Freibelt. W'r haben nicht die Freiheit für unsere Kirche im Preußischen Abgeordnetenhaus erstritten, ob- astich w>r die Mebrbeit batten. Ich bin bereit, jederzeit darüber Rechenschaft z» geben, worum wir unu so voraeggug.-n sind. Aber ich will «"ich nur ans einige kurze Fragen einsaffen. Es sind traurige Debatten gewesen in den letzten Tagen im Reichstage. An einem dieser Tage wurde die Frnne der Zuziehung der Frauen zn den Schössen« und Geschworeneuaeriebton verhandelt. Ich habe schon zn dem Gesetze seit langer Keit. als die Frage anf- tauchte. erklärt, ich wurde eS für einen Vorteil der Rechtspflege halten »nd eS im Interesse des Anlebens der Rechtspflege für zweckmasug erachten, wen» Frauen bei den Laienoerichten sind. Die Zentrumspartei hat dem znnesiimmt. So werden ,,i abseh barer Zeit, vielleicht im nächsten Jahre. Frauen als Schöffen und Geschworene herauaezogen werden. Man kann über diese Frage verschiedener Meinung sein. Ebenso über die Frage des Ableh, nnngsrechtcS der Frauen. Nmrietc, bis er vorüber war, dann atmete sie tief aus, ließ den feinen Sprühregen, den die Wellen über das Wehr warfen, über ihr Gesicht wehen und ging langsam weiter auf den schwanken Platten. Als sie in die hell erleuchtete Hans'nr trat, streckte ihr Mischa bittend die Hände entgegen, stammelte mit seiner ge fesselten Zunge: ...Kn—kn—chen . . Da entsann sie sich ihres Versprechen? und holte ans dem Handtäschchen den Kuchen, den sie für ihn erbeten hatte, dann lief sie ohne Gutenachtgruß hinauf in ihre Kammer. „Immer unleidlicher wird sie," brummte Tante Emma hin ter ihr her. «So dankt sie mir den schönen Tag . . . Karola!" Schneidend durchgellte ihr Ruf das Hans. Karola, die schon die Kammertür geöffnet hatte, kam noch einmal, freilich widerwillig, zurück. Sie blieb auf der Schiwelle der Küchentür stehen und fragte trotzig: „Was wollt ihr noch von mir?" Frau Emma gab nicht gleich Antwort. Betroffen starrte sie das Mädchen an; in schlanker Schönheit stand eS da, die schma len Wangen leick't gerötet, das krause Gclock umflatterte unge hemmt das liebliche Gesicht. Der Leimpcnschein hob goldene Lich ter aus dem gelösten Haar. DaS alles sah Frau Elnma, und eS kam ihr da? Bewußtsein, datz die Nichte der schönen toten Mutter immer ähnlicher wurde. Karola hob den Blick und sab mit ihren dunkelblauen Au gen fragend z» Frau Emma auf. Da besann diese sich, und nör gelnd brach sie los: „Warum gehst du ohne Grnß von unk- weg? Schickt sich solch ein Benehmen setr einen anständigen Menschen, nach solch einem Tage? llnd wie wirr ist dein Haar. Wo hast du denn das Band gelaffen? Hast» wohl doch nach heimlich den Wind beutel gegeben? Hüte dich, Kind... ich werde Liebeleien nie mals dulden, so lange du deine Fuß? unter meinen Tisch steckst. Merk dir das »nd nun geh." Wortlos ging Karola zurück in ihre Kammer. Tie suchte nach dem Bande und bemerkte es voll Trauer: Es war fort . . . vielleicht verloren während der Fahrt, öder auf dem Wehre > . . Es war dies sicher kein Grund zum Weinen, »nd doch flössen die Tränen leise ans ihren Augen. „Der Fratz wird immer unleidlicher," brummte Frau Emma erregt, während sie Hut und Mantel ablegte. Kurt balf ihr da bei. Er konnte reckt liebenswürdig sei» gegen Mutter und Schwester, wenn er wollte. Er hing den Mantel weg »nd warf, auf der Mutter Rede eingehend, ein: „Ja. uns gegenüber ist sie unartig und trotzig, aber dev Trottel, de» füttert sie mit Kuchen." (Fortsetzung folgt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)