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Str. 141 — 11 Jahrgang. T-nnabend den L«. J«ui 1V1» 4- ">-!chel^t täglich noch« m>i Ru«na-v« «er S«mi- und Festtage X mit »Die Zeit in Wort und Bild' ittertsIMrlich S it» 4». An Dresden durch Buten 2,4« Xt. In gim» Deutschland sret HauS S,8S 4»: tn Oesterreich 4,4» L >!»»,«»« » ohne illustriert« Beilage vierteljährlich t,8v 4» ! Dresden durch Boten S.I« In ganz Deutschland frei ..... .. Linzel-Nr. 4« 4 v<r au» ».»» 4»; in Oesterreich 4.< Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit nsr»a«« werden die «gespaltene Petitzeile oder deren Raum »tS l» 4, Reklamen mit«« 4 die Zeile berechnet, bet Wiederholung«« entsprechenden Rabatt. Buchdruikeret, Redaktion und Geschäftsstelle, Dresden, Pillnttzer Strafte 4». — Fernsprecher IS«« 8ür Rückgabe unverlangt. S«hrtststückek«tne!yerbst>»»tch8»r RedaktionS-SbreMliunde: I I biK 12 Ubr. vis ksstsu ^ririscliunAS-konbonZ V« ?lunä 15 unä SO unvotdoltrlillii nuk Rsissii uvä ^usllügso, srliultsn 8>o dsi: ^eriiag 8i Zocicslrost, Dioden. I^isäsrlsASQ in nllon Ltullttvilsn. >»zz Rückblicke. Nacljdenr eine Liuudgebung der päpstlichen Nunziatur in München dis Einstellung der „verdrießlichen und schäd lichen Polejmik bezüglich der Arbeiterorganisationen" in Deutschland gefordert hat, ist nun mit Sicherheit zu erwar ten, daß der sogenannte „Gewerkschaftsstreit" und die leidige Debatte, die sich daran in der Presse knüpfte, ihr Ende gefunden haben. „Es soll dem Heiligen Stuhle über lassen sein, die Frage im Einverständnisse mit den Bischöfen zu prüfen und dann angemessene Verhaltungsmaßregeln zu geben," heißt es in der Kundgebung. Es unterliegt kei nem Zweifel, daß alle in Betracht kommenden Faktoren diesem Wunsche des Heiligen Vaters Rechnung tragen werden und daß damit der Ausweg aus dem verderblichen Streike gefunden ist, dessen längere Fortsetzung der Einig keit nnd der Kraft der deutschen Katholiken nur ge schadet hätte. Die N e i ch s p o st v e r w a I t u n g ist in dieser Woche einmal von der Schablone abgewichen, sie hat das lenkbare Luftschiff und das Flugzeug in ihren Dienst genommen. Allerdings nur für einen besonderen Fall im Interesse der Wohltätigkeit. Ein Anfang, an den große Hoffnungen zu knüpfeil jedoch verfehlt wäre. Zweifellos ist die Unsicher heit im Luftverkehr trotz der gewaltigen Fortschritte, die namentlich mit den Lenkballons gemacht worden sind, noch zu groß, als daß er zur Grundlage eines auf Regelmäßig keit nnd Stetigkeit angewiesenen Betriebes gemacht werden könnte. Aber seine Zeit wird noch konimen. Wir werden dann vielleicht enien neuen Stephan haben. Der alte Ste phan, der bedeutendste Mann, der je an der Spitze dev Post verwaltung gestanden, hat es vorausgesehen, als sonst nöch niemand an so weittragende Pläne zu denken wagte, er hat seine Gedanken darüber bereits im Jahre 1873 niedergelegt in seiner Schrift: „Weltpost und Lnftschiffahrt." Die Meldung, daß Kaiser Wilhelm in der ersten Hälfte des Juli mit denr russischen Zaren eine Zusammenkunft haben wird, hat durch die „Nordd. Allgem. Zeitg." ihre Be stätigung erfahren. Der Zusammenkunft der beiden Kaiser ist erhöhtes Interesse beizumesscn, da außer dem deutschen Kaiser auch der König von Dänemark und der französische Ministerpräsident Poincarü dem Zaren Nikolaus einen Be such abslalten werden. Daß es sich bei der Kaiserzusammen- knnft nicht um einen bloßen Höflichkeitsakt handelt, dar auf deutet die Begleitung der beiden Kaiser durch den Reichskanzler von Bethmann Hollweg bczw. durch den Mi nisterpräsidenten Kokowzew. Es ist natürlich damit keines wegs gesagt, daß die Zusammenkunft einen besonderen politischen Zweck verfolgt. In erster Linie kommt der Zu sammenkunft insofern politische Bedeutung zu, als sie als ein weiteres Symptom der freundschaftlichen Beziehung der beiden Kaiserreiche aufgefaßt werden muß, wie sie bereits im vorigen Jahre in Potsdam zum Ausdruck gekommen sind. Die Zusammenkunft darf als ein neuer Beweis dafür angesehen werden, daß die traditionelle Freundschaft zwi schen Deutschland und Rußland aufrecht erhalten werden ioll, trotz der beiderseitigen Bündnisverhältnisse. Auch hat sich das Verhältnis Rußlands zu Oesterreich-Ungarn be kanntlich in der letzten Zeit bedeutend gebessert, wogegen man in Petersburg Frankreich und England gegenüber nicht mehr dieselben heißen Sympathien hegt wie etwa vor einem Jahre. In Oesterreich-Ungarn herrscht wieder einmal Krisenlnst. Tie tschechischen Minister Trnka und Dr. Braf waren unzufrieden mit der regierungsfeindlichen Haltung des Tschcchenklnbs in der Abstimmung über die Beratung -er Wehrvorlagen: sie drohten deshalb mit ihrer Demission. Die Palen ihrerseits fühlten sich vom Vertreter des Mini sterpräsidenten, Baron Heinold, gekränkt und verlangen dessen Rücktritt. Doch wird auch dieses Krisen-Jntermezzo keine schwerwiegenden Folgen haben. An allerhöchster Stelle besteht gegenwärtig keine Geneigtheit, eine Aenderung ein- treten zu lassen, und die Herren werden sich wieder be ruhigen! Die Spannung zwischen England und Deutsch land, die dem vorigen Sommer noch mehr als der Ma- rokkostrcit das eigentliche Signum gab, ist in diesem Jahre nicht gewichen, aber doch etwas gelockert und verhüllt. Allerdings hat England bisher noch nichts von besonderen! guten Willen merken lassen. Wir wissen durchaus nicht zum Beispiel, ob die Engländer sich der Abrundung, unseres kolonialen Gebietes in Afrika nicht hemmend entgegen« stellen werden. Auch ist eine Pachtung Angolas, zu der Portugal zu gewinnen wäre, bis heute von England ver hindert worden. Immerhin sind die Aussichten für eine an nehmbare Verständigung günstiger geworden, wozu nicht am wenigsten die mit imponierender Einstimmigkeit er folgte Annahme unserer Heer- und Flottenvorlage durch den Reichstag beigetragen hat. Auf dem italienisch-türkischen Kriegs schauplätze rührt cs sich wieder. Freilich muß man ab- warten, ob nicht die italienischen Siegesnachrichten von heute ebenso übertrieben sind, wie die in den ersten Monaten des Krieges es waren. Im Aegäischen Meere rücken die Italiener langsam, aber unaufhaltsam vor. Eine entschei dende Wendung ist allerdings nach wie vor nicht eingetreten, und die Friedensgerüchte, die von verschiedenen Seiten lan ciert wurden, fanden keine Bestätigung. Inzwischen macht sich in der Türkei eine steigende Besorgnis bemerkbar, daß die Italiener einen Angriff auf die Dardanellen vorberei ten, und eventuell auch eine Truppenlandung in Kleinasien und zwar bei Smyrna einlciten. Die türkische Negie rung hat entsprechende Vorbereitungen getroffen, um sol chen Eventualitäten gerüstet gegenübertreten zu können. In England steht zurzeit eine Wahlreform für das llnterhaus auf der Tagesordnung. Die Reform, die erst im Jahre 1914 in Kraft treten soll, ist eine ziemlich ein schneidende. Sie enthält das allgemeine und gleiche Wahl recht, und räumt mit allen bisherigen Privilegien des Ge setzes auf. Die Vorlage dürfte jedenfalls zu schweren par lamentarischen Kämpfen Anlaß geben, da sie ganz offenbar 'darauf hinausläuft, die parlamentarische Herrschaft den englischen Liberalen sicherzustellen. Die Konservativen wer den jedenfalls heftigen Widerstand leisten, der jedoch im Unterhause die Vorlage kaum zu Fall bringen dürfte. Am interessantesten ist jedoch zurzeit der Präjident- schaftskampf in den Vereinigten Staaten von Amerika. In Chikago ist ein Konvent der republikani schen Partei zusammengetreten, um den republikanischen Kandidaten zu nominieren. Der Kampf zwischen „Taft und Noosevelt" hat dabei recht amerikanische Formen angenom men:. da wurde niit Nevolverschllssen, Dolchstichen, Dynamit- Patronen argumentiert. Die ruppigsten Ausdrücke der Cowboys nnd die wildesten Gewohnheiten der Goldgräber sind da wieder einmal zur Geltung gekommen! Eine Ent scheidung ist im Augenblicke, wo wir diese Rundschau ab schließen, noch nicht eingetroffen. Auch im „Reiche der Mitte" dürfte es demnächst wieder „losgehen". Der Premierminister Tangschaoyt, ein ganz geriebener Fuchs, hat sich unerwartet von Peking nach Tientsin begeben nnd ist nicht mehr zur Rückkehr zu be wegen. Juanschikais Truppen hatten in Peking einige Scharmützel mit aufständischen Mandschusoldaten un- wollen Sieger geblieben sein. Jedenfalls läßt die Sicher heit in der Hauptstadt alles zu wünschen übrig und der Wiederansbrnch des Bürgerkrieges ist jede Stunde möglich. Deutsches Reich. Dresden, den 2t. Juni 19l2. — Die Verleihung der Kette zum Schwarzen Adler- orden an den König Ferdinand von Bulgarien, sowie des Schwarzen AdlerordenS an den Kronprinzen Kynll von Bulgarien wird im Reichsanzeiger bekannt gegeben. — Der russische Gesandte beim Vatikan, v. Bulatzell, ist zum Gesandten in München ernannt worden. — Als Nachfolger Dr. Semmlcrs im zweiten hannoverischen Wahlkreise wurde seinerzeit schon allgemein Dr. Stresemann genannt, der bekanntlich bei den letzten Reichstagswahlen nicht wieder gewählt wurde. Der jung liberale Dr. Stresemann ist, wie erinnerlich, vor kurzem als „Beirat" in den Vorstand des Hansabundes gewählt worden. Dr. Semmler legt sein Mandat aus Gesundheits rücksichten nieder. — Bei der Ncichstagscrsabwahl im ersten Mecklen burgischen Wahlkreise Hagenow-Grcvesmühlen wurden ab gegeben für Pauli (Kons.) 6130, für Sivkovich (Lib.) 6580 nnd für Kober (Soz.) 4066 Stimmen. Eine kleine Anzahl Ortschaften steht noch aus. Darnach ist Stichwahl zwischen Pauli nnd Sivkovich erforderlich. — Vom Telcgiertentirg des Verbandes deutscher Journalisten- und Schriftstellcrvcreinc ist noch ein Referat Oppenheims (München) über Urheberrecht und K i n e m a t o g r a p h e n t h ea t e r zu erwähnen. Die Schriftsteller könnten an der Sache nicht achtlos vorüber gehen, weil die Honorare für Kincmatographenstücke heute bis auf 4 Mark heruntergegangen sind. Der Filmfabrikant jedoch verdiene an manchem dieser Stücke 20 000 bis 30 000 Mark. In Frankreich werden außer den Honoraren auch Tantiemen gezahlt, und Redner verlangte deshalb Ein- setzung einer Kommission zur Ausarbeitung von Honorar verträgen niit den Filmfabrikanten. Die Kommission wurde genehmigt. Dann folgte ein Referat über „Verlagsbetrieb auf Kosten des Autors". Schließlich sprach sich die Ver sammlung für die Notwendigkeit der Schaffung einer Zen tralstelle für die deutsche Presse, wie sie bereits auf dem Eisenacher Neichsverbandstage gefordert wurde, aus. Es erscheine unbedingt notwendig, eine solche Zentralstelle unter gemeinsamer Mitwirkung des Verbandes Deutscher Zeitungsverleger ins Leben zu rufen, die bei allen aus der Betätigung der Redakteure und Journalisten im öffentlichen Leben, insbesondere in den Parlamenten, bei Festlichkeiten, Kongressen, Gerichtsverhandlungen, Theateraufführungen usw. vorkommenden Differenzen ausgleichend und ver mittelnd zu wirken und die Berufsinteressen nach außen zu vertreten habe. — Zur Bekämpfung der Schundliteratur, lieber dieses Thema sprach Herr Dr. Weinretch in der Versammlung für Volkswohlsahrt ani 19. Juni in Danzig. Er sagte u. a.: In Neucölln haben wir dm Kampf ausgenommen. Das von der Schule ausgehende Verbot, bei solchen Händlern zu kaufen, welche auch weiter Schundliteratur führten, wurde in einen! gerichtlichen Verfahren für zulässig erklärt und dadurch erreicht, daß die Bach- und Schreibmaterialienhändler sich bei der Einführung und Feilhaltung von Jugendbüchern der Zensur eines von Lehrern gebildeten Ausschusses dauernd unterwerfen. Von größerer Bedeutung ist indessen der positive Kampf gegen den Schund, dessen wichtigster Teil in der Sorge für die Verbreitung guter Volks- und Jugend literatur und der Bildung des Geschmacks in den breiten Schichten der Bevölkerung besteht. Redner wies darauf hin, daß es eine Ehrenpflicht der Gemeinden sei, mehr Mittel als bisher für die GeisteSkultnr der Bevölkerung und vor allem der Jugeno'aufzuwsnden und wies nach, wieviel aus diesem Gebiete schon mit geringen Mitteln geleistet werden könne, wenn die Verwaltungen und der für Volksbildung interessierte Teil der Bevölkerung, vor allem die Lehrerschaft, in dieser Frage Hand in Hand gingen. Buchhändler Dr. Lehmann (Danzig) hielt die Arbeit der organisierten Buchhändler zur Ausmerzung schlechter Bücher für besonders wertvoll und ersprießlich: eine Quelle der immer mehr anwachsenden Schundliteratur sei der Um stand, daß heute zuviel gelesen werde, man sei heute für tiefere Literatur unempfänglich geworden. Ein wirksames Mittel zur Bekämpfung des Schunds bestehe in der Schaffung von Buchhändlerorganisationen in allen Städten, die es ihren Mitgliedern zur Pflicht machten, offenbare Schund- und Schmutzliteratur nicht zu vertreiben. Der Handel mit der eigentlichen Schundliteratur könne erfolg reich nur durch den Sortimentsbuchhandel selbst bekämpft werden. Im weiteren Verlaufe der Debatte wurde an geregt, daß die Zentralstelle alljährlich ein Verzeichnis herauSgeben möge, das alle von ihr als Schund und Schmutz angesehene Literatur enthalte. — Für nationalliberale Einigkeit treten die württem- bergischen Nationalliberalen ein. Die Leitung der national liberalen Partei in Württemberg erläßt an die Partei einen Ausruf, in dem die Gründung des Altnationalliberalen Neichsverbandes bedauert wird, der geeignet sii, die Partei zu zersplittern und ihre Stoßkraft zu lähmen, sowie die Hoffnung ausgesprochen wird, daß in der württembergischen LandeSvrgauisation die Nebeizengung von der Notwendigkeit einer einheitlichen geschlossenen Parteiorganisation stark genug sei, um das Eindringen der Gegenorganisation zu verhindern. Die Parteiangchörigen werden auf die Gefahren der Sonder organisation aufmerksam gemacht und gebeten, dafür zu sorgen, daß innerhalb Württembergs die Einheitlichkeit der Partei erhalten bleibt. Dieser Mahnruf kommt reichlich spät. Statt auf dem nationalliberalen Parteitag der Oeffentlichkeit die „Einheit und Geschlossenheit" der Partei vorzugnukeln, hätte man damals ganze Arbeit machen sollen. Ob der Schaden jetzt noch wieder gut zu machen ist, möchten wir bezweifeln, wenn wir cs auch im Interesse der national- liberalen Partei wünschten. — Der Streit um das apostolische Glaubensbekenntnis innerhalb der preußischen Landeskirche geht nun an allen Ecken und Enden an, seitdem der Generalsuperintendent Lahnsen gesprochen hat. Ein Artikel des Pfarrers SiemS in der liberalen Korrespondenz sagt gar alles. Pfarrer Siems nimmt zur Rede von v. Lahusen Stellung und meint: Ans dem uneinnehmbar scheinenden Gemäuer der Kirche bröckelt ein Stein nach dem anderen aus. Der Turm sei ins Wanken geraten — wann werde er fallen? Das erstarrte gallische, dann römische Bekenntnis der christlichen Kirche mit seinen unmöglichen und völlig veralteten An schauungen und Glaubenssätzen habe als eine schier un- erträgliche Last auf dem freien Denken Abertausender von evangelischen Christen geruht. Den Sätzen, aus denen O. Lahusen seinen Ordinanden gegenüber nicht bestehen will (geboren von der Jungfrau Maria, Auferstehung des Fleisches), fügt Pfarrer Siems noch den weiteren Satz hinzu: Auferstehung von den Toten. Die orthodoxen Minder heiten setzen sich freilich auch zur Wehr. In Berlin in einer Versammlung wurde gegen Lahusen erklärt: „Hätte das alles ein beliebiger Geistlicher gesagt, so würden wir geantwortet haben: DaS haben wir ja schon oft gehört, und würden darüber zur Tagesordnung übergegangen sein. Aber, aber: es ist der Generalsuperintendent gewesen, der Vertreter des landesktrchlichen Kirchenregimentes, der kirch- lichen Aufsichtsbehörde! Sollten diese Zugeständnisse, die er gemacht hat, wirklich in Zukunft gelten, so würde das nach meiner felsenfesten Ueberzeugung die unseligsten Folgen haben. Denn wenn nicht einmal mehr das Apostolikum als sicheres Fundament gelten soll, dann sind wir wirklick nicht mehr auf Felsengrund, sondern auf Schwemmsand.' So mußte es kommen, wenn man den Felsengrund Petri verläßt.