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Zweites Blatt Sächsische V-lkszeitu»g vom 2«. J«li 1S1« Nr. 163 Görre« und die Reformation. Unter diesem Titel zitierte die „Tägl. Rundschau" (Nr. 260 vom 7. Juli 1910) ohne jede Quellenangabe fol gende Stelle, die sich in einer der vielen Schriften von Joseph v. Görres vorfinden soll: „In Wahrheit! Es war eine große und edle Bewegung im deutschen Volke, die die Reformation herbeigeführt. Mögen die lateinischen Völker sie unbedingt verwerfen-, tvir Deutschen können es nicht und dürfen cs nicht, weil sie aus dem innersten Geiste unseres Stammes hervorgegangen und sich auch beinahe soweit wie er verbreitet hat. Dieser Geist ist jener edle ethische Unwille über jeden Frevel am Heiligen, jener Abscheu vor jeder moralischen Fäulnis, die sich irgendwo offenbart, jene Entrüstung, die sich gegen jeden Mißbrauch schnell erhebt, jene unzerstörbare Frei heitsliebe, die jedes Joch, das treulose Gewalt ihr aufzuer legen sucht, früh oder spät immer abzuschütteln weiß-, kurz, die ganze Masse antiseptischer Eigenschaften, die Gott in diese Nation gelegt, um die Fäulnis, wozu besonders der wärmere Süden so gern neigt, so oft es nottut, abzu wenden." Die „Tägl. Rundschau" fügt hinzu: „In der von den Ultramontanens jbesorgtep deutschen Ausgabe der Werke von Görres fehlt diese Stelle freilich." Wo steht sie denn, verehrliche „Tägl. Rundschau"? Warum wird nicht die Ausgabe zitiert, wo das Zitat zu finden ist? Da die „Tägl. Rundschau" schon oft ge—schwindelt hat, so trauen wir ihr hier ebenfalls nicht recht. Ein Grund läßt uns an eine Fälschung glauben. In dem angeblichen Zitate heißt es. der deutsche Geist, aus dem die deutsche Reformation her- vorgcgangen, sei „die ganze Masse antiscptischcr Eigenschaf ten, die Gott in diese Nation gelegt". Das Wort „antisep- tisch" weist darauf hin, daß das ganze Zitat gefälscht sei. Dieses Wort ist doch wohl erst von dem geprägt worden, der der Erfinder der antiseptischen Heilmethode war. Das aber war der berühmte englische Chirurg Lister. Sein Buch „Ligature of Arteries on the antiseptic System" erschien in London 1869. GörreS ist aber bekanntlich schon 1848 ge storben, als Lister erst 21 Jahre alt war; Vorkämpfer des katholischen Glaubens aber war Görres, wie gleichfalls be- kannt genug, seit seinem Straßburger Aufenthalte 1819, kann seitdem also den Ausspruch nicht getan haben, so wenig wie er die Antisepsis erfunden hat. Wie Görres übrigens über die Reformation dachte, geht aus folgender Stelle hervor, die von der „Zweibrücker Volkszeitung" aus den Görresschen-Schriften zitiert wird: „Neben dem Baume des Lebens, den im Kreuze der Erlöser wieder in die Erde gepflanzt, hatte er einen Baun« der Erkenntnis hingestellt, und die Schlange, die sich um ihn herumgewundcn, zischte von neuem die Menschen an: „Eßt von meinen Früchten, die aus Mißgunst die Elohim neidisch euch verboten, und ihr werdet Ihnen gleich km Wissen und aller Herrlichkeit!" Da ließen die Törichten, wie früher ihr Urvater, sich verlocken und es erfolgte die Reformation, der zweite Sündenfall. Ueber den aber ist der andere Fluch gekommen: weil ihr dies getan, darum soll die Idee fortan von euch genommen sein, und ihr sollt in mühsamer Begriffsverbindung, die verloren in Mühe und Arbeit, suchen und nimmer fiirden, was euch ewig flieht! Diewerl ihr den Glauben abgesagt, wird mit dem Unglauben der Tod die verlorene Herrschaft wieder über euch gewinnen und unter den Schinerzen der Wiedergeburt allein könnt ihr. was der Frevel euch genominen, aufs neue im Schweiße eures Angesichts euch erwerben. Die Schlange des Hochmutes aber, die euch verführt, soll fortan im Staube kriechen, mit irdischen Gedanken und irdischer Mühsal sich schleppen immerdar. Und eS erfolgte nun jene unheilbare Glaubenstrennung, in der die Kirche, wie es ihrem Stifter geschehen, von Nord nach Süd gekreuzigt wurde: und es teilte sich Teutschland in den Stämmen, und die Hälfte wich von der alten Höhe, auf deren Felsen der gemeinschaftliche Tempel gegründet war, und baute auf Garizim andere Altäre, um einem anderen Gotte als dein Gotte ihrer Väter an ihnen zu dienen. Und es entzweiten sich die Brüder, da jeder die Erstlinge seines Fleißes auf den Altar gelegt, und die Rauchsäule von des Hirten Opfer geradeaus himmelwärts stieg, die des Ackerbauers aber schwer und dick auseinanderfloß, und es erfolgte jener 30jährige Brudermord, die erste Rache der begangenen Sünde." Kunst und Wissenschaft. Dresden, 18. Juli. Ueber eine Neuordnung der Königl. Gemäldegalerie zu Dresden war kürzlich in ver schiedenen hiesigen und auswärtigen Zeitungen berichtet worden. Wie wir an zuständiger Stelle erfahren, handelt es sich jedoch lediglich vorläufig nur um eine probeweise Umänderung des Rcmbrandt-Saales im 1. Stockwerke des Galeriegebäudes. Der Saal wird eine neue Belichtung er halten und die darin befindlichen Gemälde werden unter der Leitung des neuen Galeriedirektors Herrn Posse anders gehängt. Der Saal ist infolgedessen auf die Dauer der Umänderungen geschlossen worden, die voraussichtlich Ende September beendet sein dürften. Dann findet eine Be sichtigung für die Behörden und Sachverständigen statt, von deren Urteil es abhängen wird, ob die Neuordnung der Galerie in dieser Weise auch in Zukunft nach und nach durch- geführt werden soll. Vermischtes. V Als „Blüte des u I t r a m o n t a n e n Ge schäft s k a t h o l i z i s IN u s " bezeichnen mehrere Blätter eine Notiz aus der periodischen Schrift „Arme-Seelen- Bote", die angeblich in Würzburg erscheinen soll. Das kirchliche Amtsblatt der Erzdiözese München - Freising schreibt dazu in seiner Nr. 16 vom 6. Juni: 1. Der „Arme- Seelen-Bote" erscheint nicht in Würzburg, sondern in Steinbruck, Post Raubling: 2. die betreffende Notiz stammt aus dem Jahrgange 1905, liegt also schon 5 Jahre zurück: 3. der Redakteur und Verleger des „Armen-Seelen-Boten" ist Laie; 4. demselben wurde die kirchliche Druck erlaubnis trotz seiner wiederholten Bitten schon im Jahre 1903 verweigert. v Vom Blitze erschlagen wurde Ende voriger Woche bei Landau in Bayern während eines starken Ge witters der Söldner Winkler von Pframenring, Vater von vier Kindern, während der Söldner Arbinger, gleichfalls Vater von vier Kinder», schwer verletzt wurde. Zwei Kin der des getöteten Winkler wurden gleichfalls ziemlich stark verletzt. Die Verunglückten hatten unter einem Birnbäume vor dem Wetter Schutz gesucht. v Seine ganze Familie eingemauert. In der in der Nähe von Neapel gelegenen Ortscl)aft Campagna besitzt ein reicher Weingutsbesitzer an einer entlegenen Stelle eine Villa. Auf die Anzeige eines Nachbarn hin drang die Polizei in das Haus des als Sonderling ver schrienen Mannes ein und entdeckte, daß dieser seine ganze Familie, Frau und Kinder, seit fünf Jahren eingesperrt hat. Jede Person war in einem besonderen Zimmer ein gemauert. Die Nahrung brachte ihnen der Mann jeden Tag selbst, sie wurde durch ein kleines Fensterchen gereicht. Der Mann lag Tag und Nacht mit Revolver und Flinte bewaffnet vor dem Hanse, so daß sich niemand nähern konnte. Wie es heißt, soll der Mann durch Eifersucht zu der Tat veranlaßt worden sein. Er wurde ins Irrenhaus gebracht und die Familie befreit. v Ein junger Manu aus Hoehr im Westerwald, der mit seiner Braut vor dem Standesamt in Koblenz stand, ergriff plötzlich, als er das Jawort aussprechen sollte, die Flucht. Die Frau fiel in Ohnmacht und die Trauung mußte aufgeschoben werden. Bisher hat man noch keine Nachricht von dem flüchtigen Bräutigam. v Drei praktische Winke. Der Genuß von Grünpetersilie tötet Papageien, derjenige von Fliederblüte und Brennesseln, die kleingeschnitten, mit Kleie vermengt, den junge.. Gänschen so gut bekömmlich sind, schadet Pfauen, und Enten sterben schon an kleinen Quantitäten Zycker wie die Haushühner an einigen der roten Beerenfruchte von Maiglöckchen sterben. Literatur. Die Borroiiiiius-Enzyklika und ihre Gegner. Mit einer Uebersetzung der Enzyklika als Anhang. Von M. Hage. Preis 75 Pf. Verlag von Hermann Rauch-Wiesbaden. — Sehr zur Zeit erscheint die Schrift, welche die Enzyklika und alles das, was sich im Anschluß hieran abspielt, gründ lich unter die Lupe nimmt. Ist die Erregung über die Enzyklika überhaupt berechtigt? Enthält die Enzyklika tatsächlich solch grobe Beleidigungen und Schmähungen der Reformation und der der Reformation anhängenden Fürsten und Völker, wie man von gewisser Seite dem deutschen Volke glauben machen will? Diese Fragen wer den zuerst beantwortet, und um einen sicheren Untergrund zu haben, wird zunächst in großen Zügen ein Bild von der Zeit der Reformation entworfen. Auf Grund dieser historischen Darstellung wird der anstößige Passus der Enzyklika selbst geprüft nach allen Seiten hin. — Dem Enzyklikasturm sind die folgenden Blätter der Broschüre gewidmet: dein Sturm in der Presse, im Volk, in den Parlamenten. Und indem der Sturm geschildert wird, wird auch zugleich die Frage beantwortet: Wer hat den kon fessionellen Frieden gestört? Daß der Evangelische Bund mit seiner Presse der eigentliche Friedensstörer ist, wird durch die eigenen Zitate aus Aeußerungen des „Evan gelischen Bundes" und seines Organs, der „Deutsch- — 120 — zur Arbeit wiedcrerlangen — und das ist nur möglich, wenn man sich eine Zeitlang jeglicher Tätigkeit enthält. Was taten Sie denn gestern nun noch?" „Wissen Sie — ich bin sehr sensitiv." „Ja, das wissen die Götter!" seufzte der Direktor der Anstalt. „Mein Empfinden und infolgedessen meine Schaffenskraft reagiert auf jeden äußeren Eindruck. Jede Empfindung löst bei mir Gedanken und Gestalten aus." „Ja — ja, ich weiß," sagte der Doktor etwas ungeduldig — „manche Poeten behaupten sogar, ihr poetiscl)es Schaffen sei nur die Aeußcrung ihrer höchstgesteigerten Nervosität, ja, die poetische Begabung sei selbst eine Krank heit und völlig gesunde Mensck-en taugten nicht zu Dichtern. — Natürlich ist das Unsinn. — Man denke nur an Goethe. — Aber nur immer weiter —" „Also, ich saß gestern beim Kaffee neben —" „Neben Fräulein Hartung — ich weiß — weiter —" „Wir unterhielten uns. Ihr aufgeklärtes Wesen — die ruhige Art, wie sie sich selbst, ihr Wesen und Treiben und das Milieu schilderte, in dem sie lebte, regte in mir sofort die Idee zu einer Novelle an." „So — so — und da haben Sie sich gleich daran gesetzt?" „Sofort! Sie sahen mich den Kaffeetisch verlassen und vor der Zeit verschwinden — eine Nonchalance, die ich mir sonst, wie sie wissen, niemals zu schulden kommen lasse. Ich ging sofort ins Lesezimmer und begann den Plan zu der Dichtung zu entwerfen und auch während des Abendessens machte ich mir noch fortgesetzt Notizen dazu in mein Notizbuch, was Sie wohl eben falls bemerkt haben dürften." «Ja — ja — nur weiter —" „Dann suchte ich mein Zimmer auf und in vier Stunden tvar die kleine Arbeit vollendet. Ich legte gerade die Blätter fort, als Sie klopften." „Ja — da haben Sie Ihren ganzen inneren Menschen natürlich in solche Aufregung versetzt, daß Sie nicht einschlafen konnten. — Kenne das!" „Es war nicht so schlimm. Nur ein halbes Stündchen war ich noch wach." — „Na — bis hierhin klingt Ihr Bericht ja völlig logisch und vernünftig. Nun aber weiter." Dr. Elmblatt begann sein Abenteuer von dem Schuß an zu erzählen, von dem er aufgewacht war. Aber schon nach den ersten Worten unterbrach ihn Dr. Hildebrand: „Sehen Sie mal — ein Schuß — toas meinen Sie wohl, was dies für ein Schuß gewesen sein dürfte?" „Nun, ich denke ein Schuß aus einem Taschenrevolver." „So — und meinen Sic denn, daß Ihre Zimmernachbarn den Schuß nicht auch gehört haben müßten?" „Sie haben ihn auch gehört, denn sie sind alsbald alle aufgewacht und Ihr Herr Sohn hat sogar die Türe meines Gemaches eingetreten." „Hast du einen Schuß gehört. Hermann?" fragte Hildebrand seinen Sohn. „Dein Zimmer stößt dock, an dasjenige des Herrn DoktorS." „Einen Schuß — ich wüßte nicht. Jedenfalls bin ich aber von einem Geräusch aufgewacht, und habe dann ein Poltern und Klirren gehört, worauf ich dann aufgestanden bin." . >.,-,! — 117 — Ihn konnten die Damen zu allererst erwischen und Emma Clausen flog denn auch sofort auf ihn zu, faßte ihn am Arm und rief ängstlich: „Herr Hauptmann, ich bitte, was gibt es denn? Was ist denn mit Doktor Elmblatt?" „Aber erbarmen Sie sich, bestes Fräuleinchen," antwortete der Onkel gemütlich, „warum sind Sie denn so aufgeregt? Was soll denn sein — gar nichts ist — ein kleiner Tobsuchtsanfall." Er hielt erschrocken inue, da die kleine Klavierlehrern! ganz erstaunt einige Schritte zurückwich und einen gellenden Schrei ausstieß und auch Fräulein Sterzinger sehr bestürzt auffuhr und einen halblauten Ausruf hören ließ. „Meine Damen," sagte er dann ziemlich verständnislos, „jetzt machen Sic mich auch noch besorgt. Was haben Sie denn nur? Das war bei dem Männchen doch vorauszusehen." „Vorauszuschen? Ich bitte Sie, Herr Hauptmann," erwiderte die Klavierlehrerin — „wie hätten Sie denn denken können, Dr. Hildebrand hätte ihn so frei herumlaufen lassen und ihn nickst drüben bei den Schwcrkranke» untergebracht?" In diesem Augenblicke sagte eine ruhige und feste Stimme aus der Dunkelheit des Korridors: „Das hätte ich auch, meine Herrsck>aflcn, und ich versicl)ere Ihnen, es ist etwas anderes und wird vielleicht befriedigend sich aufklären. Herr Dr, Elmblatt hat wieder gegen die Hausordnung noch spät gearbeitet — oder ge lesen — und da wird er Wohl später nicht haben schlafen können. Das ist bei nervösen Leuten ganz natürlich — ich werde gleich einmal nachseheu und Ihnen dann Auskunft geben." Damit ging der ältere Doktor Hildebrand ruhigen Schrittes in das Zimmer seines Sohnes, wo Dr. Elmblatt lag. Aber eine andere Stimme ließ sich nun hinter den Versammelten ver nehmen: „Den Dünner ok, hett bei äwer dorin een Spijok bedrewen! Dat iS jo allens kort un kleen. Jk möchte dei Herrschaften bidden, »ich dorin to gähn — dat liggt dor allens voll Scherbe." Und er schlürfte davon mit einer großen Müllschippe voll Scherben und den Fuß der zertrümmerten Lampe in den Händen. Trotz dieser Mahnung verschwand indessen Fräulein Winterhauser im Zimmer des Doktors, kam in wenigen Sekunden wieder zum Vorschein und schien unter ihrem Radmantel etwas zu verbergen. Als sie wieder aus der Türe trat, warf sie einen scharfen Blick um sich und da sie bemerkte, daß Herr Galleiske sich noch eifrig mit Fräulein Clausen und Fräulein Sterzinger unterhielt, tauchte sie unbemerkt in das Dunkel des Korridors, glitt die Treppe hinab und verschwand in ihrem Zimmer. Dort ließ sie einen Gegenstand in ihrer Kommode verschwinden, trat aus ihrem Zimmer hervor, schloß die Tür ab, lief leichtfüßig den Korri dor entlang und klopfte an eine andere Zimmertur. „Fräulein Hartung!" Keine Antwort. „Fräulein Hartung!" un- sie klopfte etwas vernehmlicher. „Ja," kam es jetzt schlaftrunken, von drinnen, „waL giht's?" ^ .Schnurrige Käuze."