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Nr. »VS Donnerstag den L4. Dezember LV08 achüsthe Mkszeitimy MUMMMWLMU j Kuadhiulgisks Taseblatt flr Wahrheit, Recht». Freiheit > ?su! fteinre, Vocrüglicbez Obnstbaum-llontekt emptlebli II von 00 s»i. an. . . l.ebl<uc!ie!i, Dk-^liei- uncl 3 s s! II kauten 51« In bekannt«» guten üualltiürn det Hel-Img L ^ocl<5il'Qli. klieserlsgen In allen 5ta«ltt«ilen. vom elntacbrten blr lelnxlen genre. Umarbeitungen jeser 8rt ru bM^rten ffreken. k^rurilim Oeinncb Iwmoec 5,-m,«» N°«KI«»> S-b«I-u.ert>»»,ngzdI>c>i« ^ ^ Ckri5tljck,e l.itrrstur 0s«;<1en-5^IlLt-<N ^zitlen, KorenßrLnrr 5sxxer Lcße 5ckÜL5ergsn« Für das 1. Quartal 1800 abonniert man aus die „Sächsische Bolkszeitung" mit der täglichmi Noinan- beilage sowie der wöcheutüch erscheinenden Beilage „Feierabend" zum Preise von ».80 ZllL. sahne Skstellgkldj durch den Boten ins Haus 2 1v SRIr. Der Kurs des Reichsschiffes. Dresden, den 23. Dezember 1208. Die Weihnachtstage regen zum stillen Nachdenken an; man blickt gerne rückwärts, um den richtigen Weg für die Zukunft zu finden. Auch in der inneren Politik ist eine solche Sammlung angezeigt, zumal in den letzten Monaten eine Hast und Unruhe sich bemerkbar machte, so daß die Magnetnadel des Reichsschiffes heftig erschüttert worden ist und das Schiff in Gefahr steht, aus dem ruhigen Fahr wasser hinausgestoßen und auf unterirdischen Klippen fest gefahren zu werden. Es ist zwar ein sehr undankbares Geschäft, in der heutigen politischen Situation ein offenes Wort zu sprechen; man wird es daher doppelt begrüßen, daß der Zentrumsabgeordnete Erzberger im „Tag" dieses tut und unter Beifügung seines Namens einmal ausspricht, was vielleicht nicht überall populär ist, was aber einmal gesagt werden muß. Da wird gefragt: Wohin steuern wir? und dann eine lesenswerte Antwort gegeben, die wir hier im wesentlichen wiedergeben: Das führende konservative Organ hat sich dieser Tage entschuldigen zu müssen geglaubt, daß es nicht gegen den Reichskanzler arbeite, wenn es für den Kaiser eintrete. Dieses Vorkommnis beleuchtet die innerpolitische Situation blitzartig. Wird es als moderne Reichskanzler beleidigung aufgefaßt, wenn man für den Kaiser eintritt? Der Grundton in manchen „nationalen" Zeitungen ist heute so, daß man über den Kaiser alles, über den Fürsten Bülow gar nichts mehr schreiben darf. Wer sich dieser ungeheuerlichen Verschiebung der Verhältnisse nicht fügt, der wird zu dem Otterngezücht der Kamarilla geworfen. Trotzdem aber wäre es Verrat am Vaterlande und an den Ideen des deutschen Kaisertumes, wenn man zu dieser Verschiebung der staatsrechtlichen Verantwortlichkeit schweigen wollte, weil das deutsche Volk selbst die Kosten zu hoch bezahlen müßte. Der Abgeordnete Erzbergcr schildert dann die Nevo- lution der beiden letzten Monate und meint: „Die end gültige Kostenrechnung ist weder aufgestellt noch beglichen. Und die Ursache von all diesem soll ein Zeitungsartikel sein, ler vertrauliche Gespräche des Kaisers wiedergab. Wollte man alle vertraulichen Gespräche publizieren, die Abgeord nete der verschiedensten Parteien miteinander führten, dann gäbe es einen Höllenlärm, und doch finden solche Gespräche tagtäglich statt, weil sie geeignet sind, die Erreichung mancher Ziele zu fördern. Der Reichskanzler hat nach den Mitteilungen der „Nordd. Allgem. Ztg." das Manuskript nicht gelesen: eine Vorschrift, dieser Darstellung unbedingten Glauben zu schenken, kenne ich nicht. Auch andere Kreise stimmen darin bei. Die meisten im „Daily Telegraph" mit geteilten Tatsachen waren nicht neu: die Warnung vor der gelben Gefahr kannte man schon ein Jahrzehnt; die Jntervenlionsangelegcnheit während des Burenkrieges hat uns Mister Bashford schon vor Jahresfrist erzählt, und was man nicht wußte, teilte der „Wissende" in der „Deutschen Rundschau" schon im September 1908 mit. So waren das eigentlich nur die „aphoristischen Gedanken" zum Buren- kriege, und das kannte man in vielen deutschen Kreisen schon seit Jahren. Angesichts dieser Tatsache ist die Frage be- rechtigt: Warum diese Erregung? Das Kabarett in Donau- cschingcn allein kann auch nicht die Ursache sein." Statt der Antwort stellt der Verfasser einige Fragen: 1. Wer veran- laßte den offiziösen Drahr und die „Nordd. Allgem. Ztg." von der Publikation des „Daily Telegraph" Kenntnis zu nehmen? 2. Wie kam es, daß zuerst die ganze „nationale" Presse einige Tage kwgen den Reichskanzler Sturm lief — die betreffenden Zeitungsausschnitte sind heute eine lehr reiche Lektüre — und dann wie auf Kommando einschwenkte auf die Parole: Gegen den Kaiser — für den Kanzler? 3. Wie ist cS zu erklären, daß der schuldige Reichskanzler — er reichte in Erkenntnis seiner Schuld seine Entlassung ein — heute als der Sieger und Triumphator dasteht? Und über wen und über was siegte er in Wirklichkeit? Diese Fragen sind in ungezählten Zuschriften aus allen Volks- krcisen und allen Parteien gestellt worden. In weiten Volkskrcisen hat man im November das Grundprinzip der Verfassung von der U n v e r a n t w o r t I i ch k e i t des Monarchen und der Verantwortlichkeit des Ministers ganz vergessen, und darin liegt die große Gefahr für die Zukunft. Leider haben sich auch im Reichs- rage manche Redner von dieser Strömung der Öffentlichkeit Hinreißen lassen. Das feste Fundament der Verfassung ist am 10. und 11. November nur vom Zentrum betreten worden; erst später stellten sich auch andere Parteien wieder auf dieses. „Nach der Verfassung ist dem Reichstage für die Politik des Kaisers ausschließlich der Reichskanzler verantwortlich. Das deutsche Volk muß verlangen, daß der Reichskanzler den Willen und die Kraft besitzt, dem Kaiser gegenüber den jenigen Einfluß zur Geltung zu bringen, ohne welchen seine staatsrechtliche Verantwortlichkeit jede Bedeutung verliert." So erklärte Dr. Freih. v. Hertling, während andere Par teien an diesem Tage dem Reichskanzler eingewickelte Ver trauensvoten zu Füßen legten. Soll damit der Schlußakt des persönlichen Regimentes des Kaisers und der erste Akt des persönlichen Regimentes des Reichskanzlers gegeben werden? Aber zwischen Kaiser und Kanzler kann auf die Tauer kein Gegensatz bestehen, ohne daß das Ganze den Schaden zu tragen hat. Der bis zum 17. November vor handene Gegensatz soll ausgeglichen sein; aber durch welche Mittel? Eine empörte Presse (die eifrigsten Bülow- Frennde schrien am lautesten), ein Votum des Bundesrats ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, ein Beschluß des preußischen Staatsministeriums standen dem Reichs kanzler zur Seite. Wenn eine Partei so gehandelt hätte, würde man lesen können, sie habe der Negierung einen drei läufigen Revolver auf die Brust gesetzt und „Erpresser- oolitik" würde die gelindeste Bezeichnung hierfür sein. Wer lest auf dem Boden der Neichsverfassung steht, für den Reichstag uneingeschränkt in Anspruch nimmt, was ihm gehört, der kann die letzten acht Wochen nicht als einen Geivinn für die politische Weiterentwickelnng des Vater landes ansehen. Die Bedeutung des Artikels II der Reichs- verfassnna ist noch viel zu wenig erkannt; will man dem Kaiser nicht seine ungeheuere Machtfülle in die Hand legen, dann ändere man ihn; aber so lange er besteht, darf man sich nicht über seine ganz naturgemäßen Konsequenzen be klagen. Hält man die Neichsverfassung nur für die Titanen gestalt Bismarcks geschaffen, nicht aber für staatsmännische Zwerge oder Jongleure, dann muß man den Mut haben, dies offen zu sagen; inan darf aber dies nicht die einzelnen Persönlichkeiten entgelten lassen, was das System verfehlt. Ein Systemwechsel aber ist trotz des 17. November nicht ein- aetroten; denn dieser hat nur für Persönlichkeiten Bedeu tung gehabt. Es ist Augenblickspolitik, die hier getrieben wurde; politische Eintagsfliegen bringen keinen Sommer, wndcrn deuten den Herbst an. Der Verfasser schließt mit den Worten: „Wenn man als vorläufiges Schlußergebnis der Monate November und Dezember feststellen muß, daß die Kaiserkritik als nationales Verdienst und die Kanzler- lritik als antinationale Tat bezeichnet wird — die Spuren der „Kreuzzeitnng" sagen dieses — dann steuern wir in un haltbare Zustände hinein; dann bleibt auch das Volk nicht der gewinnende Teil. Der Kugelfang ist heute mehr nötig als je, und der Staatsmann, der diesen nicht abgeben will - -- 'MI,', versündigt sich am Volke, das nicht einen Tages götzen zerschmettern will, um einen neuen Frondienst zu leisten. „Das deutsche Volk will keinen Schattenkaiser!" sagte vor zwei Jahren noch Fürst Bülow. Die Worte werden wohl heute noch bei ihm Geltung haben; nur muß zuge- fügt werden: aber auch keinen Schattenkanzler. Der har monische Ausgleich zwischen beiden ist die Forderung des Tages, und die politische Presse sollte wenigstens von wtzt ab in dieser Richtung wirken und demgemäß den ver antwortlichen Reichskanzler in den Vordergrund stellen." Man wird diesen ernsten Worten nur zustimmen können und auch die Konsequenzen daraus ziehen müssen. Heute geht man in einem Teile der Presse schon so weit, daß man dem Kaiser nicht mehr jene Freiheit gibt, die jeder Privat- mann für sich in Anspruch nimmt. Wenn der Kaiser in der Sparsamkeit das geforderte „Beispiel von oben" gibt, und einige Schlösser verkaufen will — er hat noch immer ein halbes Hundert — so entsteht ein Lärm, als handele cs sich um einen Vaterlandsverrat. Solche Ungezogenheiten werden einmal politisch quittiert; der Kaiser hat als Privatmann dieselbe Freiheit wie Herr Müller oder Herr Schulze in Berlin und diese Einmischung in seine Privat verhältnisse ist vom Uebel. Der Kaiser hat für die Poli- tik den Reichskanzler: an diesen halte man sich, diesen ziehe man zur Rechenschaft, diesen verurteile man, aber den deutschen Kaiser zerre man nicht jeden Tag in den Gerichtssaal der öffentlichen Mei- I'. u n g. E Die rot-blaue Paarung. Tariiber geht uns aus Köln folgender Bericht zu: Tie in den letzten Tagen vorgenommenen Wahlen zum Gemeinderate der Nachbarstädte Kalk und Mühlheim a. Rh., bei welchen sich die „National"liberalen als treue Diener der Sozialdemokratie bewiesen, verdienen in der weiten Oeffentlichkeit erörtert zu werden. Es nimmt sich die Paarung „allerliebst" aus, auch darf nicht aus dem Auge gelassen werden, daß sie das Zentrum nötigt, scharf auf der Hut zu sein und sofort tatkräftig einzuschreiten. Zur Aufklärung dieses Zusammengehens der blau- roten Parteien in den genannten Industriestädten ist zu nächst notwendig zu wissen, daß diese zwei Städte eine Ein verleibung mit Köln anstreben, welche auch über kurz oder lang erfolgen dürfte. Nun ist aber, wie ja auch von dieser Stelle vor nicht allzu langer Zeit berichtet Wurde, das Zen- lriim in dem altehrwürdigen Hansasaale in Köln in der Majorität Die Liberalen rechnen nun mit der Tatsache, daß sie nach der Einverleibung die Mehrheit bekommen. Der Wahlkampf wurde deshalb von den Liberalen mit einer wichen Gehässigkeit geführt, daß es selbst dem liberalen Stadtverordneten Manstaedt in Kalk zu viel des Guten war und er Zentrum wählte, wofür er, wie jetzt bekannt wird, von seinen Parteileutcn um Niederlegnng seines Mandates angegangen wurde. Die Wahlen kamen und endigten in der dritten Klasse mit der Stichwahl zwischen den Kandidaten des Zentrums und der Sozialdemokratie. „Keine Stimme dem Zentrum", hieß die Parole der Liberalen für die Stichwahl. Da keine Wahlenthaltung proklamiert wurde, so hieß es: „Wählt sozialdemokratisch!" Freudig sind nun auch die Liberalen dieser Parole gefolgt. In Kalk hatten sie aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn das Zentrum hat trotz Boykott und Kommandierung zur Wahl seine Kandidaten durchge bracht. Leider war es ihm trotz aller Anstrengung in Mühl- beim a. R. bei der gestern zu Ende gegangenen Wahl nicht möglich, ebenso siegreich abzuschließen; so ist es denn gekom men. das; die Kandidaten der Umsturzpartci mit Hilfe der Nationalliberalen ihren Einzug in die Gemeindevertretung halten werden und treue, opferfreudige Männer des Zen trums diesen weichen müssen. Ingenieure und Techniker, Kaufleute und Vetriebsbeamte sind von seiten ihrer libera len Vorgesetzten direkt gezwungen worden, ihre Stimme für die Sozialdemokraten abzugeben. Ja, selbst Vorstands mitglieder der Kriegervereinc scheuten sich nicht, der Um sturzpartei zum Siege zu verhelfen. Für das Zentruni kann daraus nur die eine Lehre ge zogen werden, unaufhörlich tätig zu sein an dem Ausbau der Partei. Das Verhalten der Nationalliberalen hier noch weiter zu geißeln, halten wir für überflüssig. Die Zentrumspartei dieser beiden Städte wird noch mit ihnen eine gründliche Abrechnung halten. Politische Rundschau. Dresden, den 23. Dezember 1b08. — Die Reise des Königs Eduard nach Berlin. Die für den Monat Februar angekündigte Reise des Königs nach Berlin, ist einstweilen aufgehoben worden; aber nicht aus Gesundheitsrücksichten, sondern angeblich weil die Verhältnisse am Berliner Hof die Reise als nicht günstig erscheinen lassen. — Der Lokalanzeiger behauptet, daß im Reichstage die Nachlaßsteuer als aussichtslos gelte und nationalliberale Kreise ein Couponsteuer als geeigneten Ersatz der Nachlah- steuer betrachten. Andererseits urteilt das Reichsschatzamt über die Gouponsteuer außerordentlich abfällig, da sie gar nicht den Zweck erfülle, den man mit der Nachlaßsteuer angestrebt habe: den gesamten Besitz über eine bestimmte untere Grenze hinaus zu treffen. Auch würde eine Be steuerung der Coupons der Reichs- und Staatsanleihen einer einseitigen Herabsetzung der Zinsen gleichkommen. Ebensowenig halte die Regierung von einer Quittungssteuer. — DaS Interview des Deutschen Kaisers, welches gemäß Ankündigung im „Century Magazin" veröffentlicht werden sollte, das aber hernach unterdrückt wurde, und wovon die Platten zerstört wurden, gestaltet sich nach dem „Aprall to Prason" Nr. 679 vom 5. Dezember 1908 immer sensationeller, je mehr davon verlautet. Der „Newyork American" veröffentlicht einen vorgeblichen Auszug aus der Feder eines Mannes, der behauptet, das Interview gelesen zu haben. Allein diese Veröffentlichung unterließ eS, jede Anspielung auf den Papst und Amerika, die jemS Interview enthielt, abzudrucken. Eine weitere Depesche im selben „American", datiert Parts, den 22. November, sagt dies bezüglich: „Der Passus, der sich mit dem Heiligen Stuhle beschäst, ist höchst wichtig und eptbäkt woinö stich noch wichtigere politische Enthüllungen." Zugleich wird behauptet.