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LS. Jahrg. Seschäftsst«»« »«d ««kaktt»»» Dre»de» - A. 1«, Holbeinftraste 4« Freitag, 24. Oktober 191" Fernsprecher 21 »SS Postscheckkonto Leipzig S»r. 147»? Wrt»a»prel»> BicrletjLhrlich in der SeschSstSsiellc oder von der Post abgeholt Ausgabe 1 4.85.*, AuSgabe » S.?S In Dresden und ganz Deutschland sret Haus Ausgabe L 4 85 AuSgabe » 4.85 — Die Sächsische GotlSzeitung erscheiiU an allen Wochentage» nachmittags. — Sprechstunde der Redaktion: 11 bis 12 Uhr vormittags. Anzeige»! Annahme von TeschLftSanzelgen bis 18 Uhr, von Familienanzeigcn b>S II Uhr vorm. — tvreik Ir r»» Pelit-Spaltzcile 58 g im Reklameteil 1 Familien-Slnzeigen 40 g — Für undeutlich geschriebene, sow : du Fern sprecher aufgegebcne Anzeigen können »vir die Verantwortlichkeit für die Richtigkeit des Textes nich übernehme-. Wider Rom W In letzter Zeit mehren sich die maßlosen Angriffe aus dem Lager der radikalen Alldeutschen und des evangelischen Bundes auf den Katholizismus. Wir haben unii oft genug für den konfessionellen Frieden ausgesprochen, wir haben oft genug das Gemeinsame be tont, tvas uns zu einer segcnbringenden Arbeitsgemein- sclraft mit dem positiven Protestantismus zusammenführen müßte. Mer die Kreise, die sich als die positivsten Protestan ten, als die treuesten Anhänger des Luthertums bezeichnen, nämlich die Kreise um den evangelischen Bund als religiöse Organisation und um den alldeutschen Verband als poli tische Organisation, glauben die Wiedererneuerung des deutsllM Volkes durch den Kampf gegen die katholische Kirche erreiclzcn zu müssen. Es sind das keine Einzelerschei nungen, die man schließlich als Auswüchse einzelner Heiß sporne, deren geistige Verfassung durch den Krieg und iein schlimmes Ende aus idem Gleichgewicht geraten ist, be zeichnen konnte, sondern es wird der Kampf gegen d e n K athclizis m u s in einem Satz mit dem Kampf gegen das internationale Judentum zum Programm er- twben, die Befreiung von der Herrschaft beider als einziger Weg zum Wiederaufstieg des deutschen Volkes bezeichnet. Dieses unselige Beginnen bedeutet eine ungeheure Gefahr für das deutsche Volk Doll denn zu all der politischen Zer rissenheit, die uns wie kein anderes Volk der Erde in ver schiedene Lager spaltet, noch künstlich die konfessionelle Scheidung, die ickwn sowieso Deutschland so oft Unbcil ge bracht hat, immer weiter vertieft werden? Mit aller Geinalt will man, nachdem es während de? Krieges glücklich vermieden worden war, nun nach feiner Beeirdignng dem ungeheuren Geschehen des Weltkrieges den Stempel eines N e l i g i o n s k r i e g e s anfbrücken. Glauben diele Führer im protestantischen Lager die Festigung ihrer Kirche, deren Fundamente durch den Weg fall der Staats- und Thronstütze stark geschwächt sind, mir durch den Kampf gegen den Katholizismus wieder vor nehmen zu können? Wir meinen, daß sich in ihrem eige nen Lager doch warnende Stimmen erheben müßten, die zeigen, wie falsch dieser Weg ist. Um es gleich vorwcgziinehmen, uns Katholiken, der katholifclM Weltanschauung wie der katholischen Kirche sch a d e t m a n damit nicht, besonders nicht in Deutsch land. Je schärfer solche Angriffe werden, je maßloser der Kampf ungesagt wird, desto fester schließen sich erfahrungs gemäß unsere Reihen, desto stärker wird die Einigkeit auch im politischen Lager. Desto mächtiger werden die katholischen Organisationen, desto zahlieicher die politischen Fraktionen und desto stär ker der Einfluß des katholischen Volksteiles ans die Ge schicke Deutschlands. Tie Nevolutionsstürme haben das er neut bewiesen, haben erneut gezeigt, wie die katholische Weltansckiauung im katholischen Volksteile Deutschlands festgegründet ist; und daß die deutschen Katholiken in der Lage und gewillt sind, ihre Gleichberechtigung in Deutschland restlos zu erkämpfen. Denn darum handelt es sich im Grunde. Bisher hat der preußische Staat — ganz zu schweigen von dem sächsi schen — der katholischen Kirche nicht dieselbe Bewegungs freiheit eingeräumt, wie der protestantischen, niemand wird das ernsthaft bestreiten können. Auch der neue Staat wird uns nicht mit Wohlwollen bedenken, trotz Demokratie und Freiheit. Wir fühlen uns aber stark genug, uns durch- l setzen zu können. Wenn nicht alle Anzeichen trügen, wird die neue Epoche eine der materialistischen entgegeng stehle sein. Die Allmacht des Staates wird durch die Demokratie stark begrenzt werden, ja, vielleicht in ihrer jetzigen Form gänzlich gebrockM werden. In allen Ländern Mistel-, ja auch Westeuropas, erstarkt der katholische Geist. Vergeblich 'ivcrden die Kreise des evangelischen Bundes dagegen an- kämpfen; sie können diese Bewegung nicht eindämmen. In seiner Festpredigt anläßlich des Jahresfestes des Kreisverbandesdes evangelischen Bundes Flöha in Olbe.rnhau formulierte der Prediger Pfarrer Linke aus Schönau, Bez. Zwickau, sein Thema in die Aufforderung: „Seid fleißig, die Einigkeit des Gei st es zu wahren durch das Band des Frie dens; wider Rom, wider die feindlichen Geivalten in Staat und Volk und wider bedenkliche Erscheinungen im eigenen Lager," und er führte nach dem Bericht des „Erz- gebirgrschen Generalanzeigers" Nr. 243 vom 20. Oktober aus, „daß Rom tolerant sein könne, wo es sich mächtig fühlt und den evangelischen Gegner nicht zu fürchten hat. Aber dort, wo die evangelische Konfession kräftig ihr Haupt erhebt, kämpft Rom gegen die evangelische Sache mit aller Macht und allen Mitteln". Als Beweis führte er die Behauptung an, Rom habe das Bündnis Deutschlands mit Oesterreich untergraben. Ties spielt so ins rein politische Gebiet hinein, daß es den Rahmen der diesmal gestellten Aufgabe überschreitet, dort hin zu folgen, wir werden in nächster Zeit Gelegenheit nehmen, näher auf diesen letzten Punkt einzugehen. Wert voll ist uns aber der erste Satz. Mit anderen Worten soll er doch wohl heißen, daß die Katholiken, dort, wo sie den ausschlaggebenden Einfluß ausüben, den Protestantismus gewähren lassen, daß dort aber, wo der Protestantismus die Mehrheit hat, die katholische Kirche ihn bekämpft. Das ist eine Behauptung, weiter aber nichts. Der Redner hat eS unterlassen, irgendwie diese Behauptung zu be weisen. Beide Kirchen. sowohl die protestantische wie die katholische, verfechten den Grundsatz, daß es keine Autorität außer von Gott gibt, im'osern wehren sic sich auch beide gegen die völlige Trennung von Kirche und Staat, gegen die Entchristlichnng des Staates, wie sie beute von den Sozialdemokraten und auch teilweise von den Demo' kraten angestrebt wird Die positivste protestantische Richtung ha! sich aber heute noch nicht von' dem Grundsätze des >unm regio, ein» religio frcigemacht. Die gcstetzlichen Beschränkungen, du in Sachsen und Mecklenburg der tätboliichen Kirche aufcr- legt wurden und die Kulturpolitik des preußischen Staates beweisen das zur Genüge. Wäbrend wir z. B. in dem überwiegend katholischen Staate Bayern von solchen Ge- setzesfesscln der protestantischen Kirche nichts wissen. Alls diesem Grundsätze resultiert auch die Auffassung des „protestantischen preußischen König-Kaisertums", dessen Sturz man heute dem Katholizismus >n die Schuhe schieben will. Tie preußischen Könige selber haben gar nicht zu allen Zeiten sich als Hüter und Vorkämpfer des Prote stantismus gefühlt. Ja. den Gründern des preußischen Staates hat dieser Gedanke mit der offenen Front gegen Rom gänzlich fern gelegen. Friedrich der Große ist da für das klassische Beispiel. Aber auch Wilhelm lt. hat nie mals offen eine Antipathie gegen den Katholizismus zur Schau getragen. So sehen wir, warum die katholische Kirckie mit dem Protestantismus zusammenstößt, dort, „wo er kräftig das Haupt erhebt". Nicht weil sie den Protestantismus be kämpfen will, sondern weil sie sich aus den ihr auferlegten Fesseln frei machen will. Wir können es mit ruhigem Ge wissen behaupten, daß die konfessionelle Antipathie bei den Katholiken ganz verschwindend ist im Hinblick ans die offene Feindschaft im anderen Lager, die uns so uuverhüllt ent gegentrist. Man nenne uns einen tätholisckien Verein, der auf derselben Basis sich aufbaut wie der evangelische Bund und der eine Bekämpfung des Protestantismus als Pro gramm bat. Der Herr Pfarrer Linke hat durchaus recht, Rom ist tolerant. „Wahrt die Einigkeit des Geistes durch das Band des Friedens, wider Rom", welch trauriger Widerspruch in einem Satze. Er will die Einigkeit des Geistes wider Rom nicht gewahrt sehen in „hetzerischem in toleranten Kampfe, sondern in friedlicher Verteidigung und Werbetätigkeit zugunsten der evangelischen Glanbensgiiter". Fern von uns sei es, ibm persönlich diese gute Absicht ab zusprechen, aber die Worte, die in der Festversammlung am Nachmittage der Pfarrer Fischer, ein Teutschböhme. fand, klingen ganz anders. Es übersteigt jedenfalls stark den Rahmen des Erlaubten, wenn er Anklagen vorbringt, wie: „Der ganze Weltkrieg sei von den Habsburgern her- anfbeschworen worden im Dienste Roms, und die Jesuiten hätten in Serbien jene Stimmung erzeugt, die schließlich den Konflikt dieses Landes mit Oesten-eich herbeigeführt habe und damit den Weltkrieg verursacht", und anderes mehr. Einem eingeschworenen Jesnitenfeind werden wir keine andere Meinung über die Jesuiten beibringen können: daß aber solche wirklich ans fabelhafte grenzende Behauptungen ausgestellt, abgedrnckt und geglaubt werden, überhebt uns der Aufgabe, sie zu widerlegen. Haben die Herren, die solche Behauptungen verbreiten, niemals die Protokolle der Gerichtsverhandlung über den Sarajewoer Mord gelesen? Es gibt eine sehr gute Broschüre darüber: „Weltfrei- manrerei — Weltrevolution — Weltrcpnblik" von einem dcutschnationalen Protestanten, dom Wiener Nationalrat Dr. Wichtl. Nein, mit der Frontstellung gegen Rom wird der Pro testantismus keine ihm so dringend notwendige Wieder- gebmst erleben. Auch nicht damit, daß er die schlivarzweiß- rote Fahne hißt und „deutsch-evangelische" Gesinnung und „Protestantisch-nationale Betätigung" predigt.» Die nationale Wiedergeburt wird Deutschland nur er leben durch Umkehr von falschem Wege, durch Abkehr vom Materialismus. Wir wollen uns keineswegs in die in neren Angelegenheiten des Protestantismus mischen, aber die Frage sei doch erlaubt, Ivo denn der „P otesiantismus in Deutschland sein Haupt kräftig erheben kann". Man könnte heute eher von einem sozialistischen als von einem protestantischen Deutschland sprechen. Ohne Ueberhebung tonnen wir Katholiken aber heute sagen, daß das festeste Bollwerk gegen den Sozialismus, das Anti- christentum und das Versinken in der Anarchie, der deutsche Katholizismus gewesen ist und noch ist. Ohne die im Zentrum politisch organisierten Katholiken hätten wir heute keinen Religionsunterricht in der Schule, keine theologischen Fakultäten, ja vielleicht keine Freiheit christlicher Religionsübung mehr. Die Trennung vor» Kirche und Start wäre sicherlich unter ganz anderen, töd lichen Formen vollzogen worden. Hier ist die Front, die man einnehmen sollte, hier soll man die Erneuerung des deutschen Volkes beginnen. Mit christlicher Gesinnung ist eng verknüpft die Vater- land-rliebe. die Aclsinng vor der Autorität des Staates, die wahre soziale Gesinnung. Mit dem Kampfrufe gegen Nom wird der Protesten' tismns aber seine stark gelichteten Reihen nicht ausfüllen können. Nickt der Nationalismus wird ihm Segen brin gen. Ancb die katholische Kirche hat mit nationalistischen Bestrebungen in manchen Ländern zu kämpfen. Aber noch immer hat solches Streben der Religion geschadet, denn dann beugt sie sich dem jeweiligen Staatsinteresse. Oder die religiöse Moral verwässert und wird verbogen zu n „Kant" wie i» England nnö Amerika, und nirgends ist die Scktmbiidnug so groß wie in diesen Ländern, wo die dem Kant huldigende staatliche Hoclstirche und der Puri tanismus dem Christentum Suchenden nicht mehr ge nügen. Der Protestantismus steht heute vor dem Scheidewege. Will er wieder znm negativen Proteste gegen Rom werden, im weiteren Sinne gegen die übernationale Gemeinschaft der Menschheit? Tostojewsky spricht von dem ewig pro- tcstieixmdeii Deutschland, das aber sein positives Wort bis heute noch nickst ausgesprochen habe. Die Zeichen der Zeir künden eine neue Epoche ans allen Gebieten an. Die Ueber- treibnng des Nationalitätenprinzipes, wie es der Frieden von Versailles geschaffen, die den Balkan bis ins Herz Europas erweitert hat, deutet wohl auf das Zlbebben der nationalistischen Welle hin. Ans dem Chaos Europas tönt immer lauter der Ruf nach einer übernationalen Bindung der Staaten, nach einer Versöhnung der Menschen. Gewiß brauchen wir eine nationale Gesundung, eine Festignng unseres Deutschtums, eine Wiedergeburt, und niemals sollen wir uns mit dein uns in Versailles ange- tanenem Unrecht absurden, aber Sache der Religion ist es nicht, den Ncvanchekrieg zu predigen. Den Menschen muß sie ein erhabenes Ziel weiten, Glück und Segen soll sie bringen auch auf dieser Welt. Versöhnung in Gott. Ver söhnung der Klassen und der Völker. Es ist eine große Gefahr für den Protestantismus, wenn er sich dem Nationalismus dienstbar macht. Er wird sich selbst am meisten damit schaden. Wir Katholiken, die die religiöse Wiedergeburt der Deutschen als die ein zig mögliche Grundlage der nationalen erstreben, kön nen diesen Nationalismus nur schmerzlich bedauern. Wir wollen keinen konfessionellen Hader, wir sehen vielmehr das Gemeinsame, was die beiden christlichen Be kenntnisse eint, aber wie schon einmal betont, uns schadet der Kampf nicht, der heute immer unvcrbüllter drüben ge predigt wird. Ter Leidtragende werden allerdings auch wir insofern mit sein, daß dem deutschen Volke die so drin gend nöttge Einigkeit ohne jeden Nutzen endgültig zer stört wird. ». W Die AripdcnsmögUkdkelten Die Vernehmung ocs Grafen Bernstvrff Berlin, 23. Oktober. In der heutigen dritten Sitzung des Untersuchungsausschusses wies der Vorsitzende Abg. War m u t h darauf hin, daß ein gewisser Widerspru ch zwischen der Erklärung des Zeugen Grasen Bcrnstorsf bestehe, eaß niemals davon die Rede gevefen sei, Deut'ch- lands Unverletzlichkeit durch den Frieoensverlrag nnzu- tasten und daß andererseits Wilson a-m 22. Januar er klärte, das, ein einiges, unabhängiges Polen geschaffen werden müsse, welches auch einen Zugang zur See haben solle. Dicses Ziel hätte nur durch Gebietsabttetuugen oder durch Nei tmlisierung deutscher Gebiet- erreicht werden können. Graf Bernstorff erwiderte, daß Litton die Wieder Herstellung Polens zweifellos angestrcbt habe, ob aber wese Wiederherstelluna io wsit gehen sollte, daß Preußen dabei Gebiete abtreten müßte, würde nach