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Sächsische Volkszeitung : 21.01.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-01-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192201215
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19220121
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19220121
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-01
- Tag 1922-01-21
-
Monat
1922-01
-
Jahr
1922
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 21.01.1922
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Sonnabend den LI. Januar 1922 Sächsische voHSzektnns Nr. 17, Seite L deren Lösungen versucht haben, Sie früher oder später, ich glaube, zu späl, zu der Lösung zurückkehre» werden, die praktische Menschen allein für lösbar halten, nämlich, daß Deutschland bezahlen muh, was es mit Geld bezahlen kann und was nach internationalem Urteil mittels einer Wiederausbaupolitik Euro» pas aufgebracht wird, die die Konserenz von Genua beschlieben soll. Ich frage, gehen Sie nach Genua? Ich nehme nicht an, daß Sie die Politik betreiben wollen, um derentwillen gewisse Leute Sie haben mit Vergnügen kom men sehen. Ich glaube, dah Sie gezwungenermaßen Seite an Seite mit England und Amerika mar« schieren werden. Ministerpräsident Poincarö nickt zu« stimmend mit dem Kopfe.) Sie werden das Ruhrgebiet nicht be sehen und viel früher nach Genua als nach Berlin gehen. Sie werden dieselbe Politik wie Ihr Vorgänger Briand betreiben, vielleicht mit etwas mehr Steifheit. (Leon Daudet ruft: Und mit weniger Lüge. Er wiü> zur Ordnung gerufen.) Der Kommunist Marcel Cachin spricht darauf von der Konferenz von Genua: Frankreich wird hingehen und dort Sowjetrußland antreffen. Cachin erinnert dann an die Politik, die Poin- carö im Jahre 1914 getrieben habe, und an die Briefe, die Jswolski an Sasnnow gerichtet habe. Ministerpräsident Poincarö erwidert: Ich sehe diesen Briefen das formellste De menti entgegen, ich habe sie niemals gesehen, sie existieren nicht.) Hierauf ergreift Abg. Saugnier das Wort. Er sagt: Es wäre beleidigend für Poinearä, zu glauben, daß der Minister präsident nicht mit dem Schriftsteller der Revue des deux mondes übereinstimme, aber ^ der Mitarbeiter der Revue des deux mondcS habe die augenblickliche Lage zu düster dargestellt. Die Politik der Ankunft könne nicht anders sein, als die Vergangenheit. Der Abg. Bon net hielt alsdann eine Rede, von der Havas behauptet, daß niemand zuhörte. Vertrauensvotum Park», IS. Januar. Ministerpräsident Po kn ca rö «ahm nach Schluß der Debatte die Tagesordnung Arago an, die die Erklärungen der Regierung billigt, ihr das Vertrauen ausspricht, jeden weiteren Ansatz ablehnt und zur Tagesordnung übergeht. Dieser Tages ordnung wird die Priorität mit 472 gegen 107 Stimmen zugesprochen und schließlich die Tagesordnung durch Aufheben der Hände angenommen. '«! Die Büridnisfrage in englischem Lichte Amsterdam, 20. Januar. Aus London wird bcricktet: De^ diplomathchc Mitarbeiter des Daily Telerrapl, beip icht die Frage, welche Modifikation Voinca:« von dem englisch-französischen Bündnis verlangen werde. Auch die iranzöiiichm Bedenken» dah eine Ab machung für zehn Jahre gerade dann ablansen würde, wenn die deutsche Gefahr von ncueni erstanden ist, werden ln stritten, und eS wird angegeben, das) es nicht üblich wäre, Kontrakte dieser Art für mehr als zehn Jahre abzuschließen. Hinsichtlich der französischen Besorgnisse einer Möglichkeit deuischer Angriffe auf Polen erklärt der Korrespondent, daß man diese Möglichkeit in Genua beseitigen könne, indem man Polen mit allen Staate» der Kleinen Entente verbinde und den gegenwärtige» Garantievcrlrag soweit ausdetme, daß diese Staaten gegenüber deutschen, ungarischen oder bulgarischen Angriffen geschützt wären. Poincares Schuld am Kriege Paris, IS. Januar. Leon Blum veröffentlicht im ,Pop»laire" einen Artikel gegen Po ncaiö, den Keiegritiiter. Nach ilrm Kälten bereits die Schnäbelc-Affäre im Jalirc 1888, der AlaeciraS- und Agadlr-Zwlichenfall >908 bezw. 1911 zum Kriege geführt, wenn damals Porncarü Präsident der Republik oder Ministerpräsident ge wesen wäre. Mit Gewißheit, fährt Blum fort, werden wir dazu lommcn, die Frage der unmiltelbaren und tätsächlichen Verantwort« ilichleit für den Krieg zu erörtern. Daß Poincarä sitzt am Ruder ist, wird unfehlbar die Wirkung haben, dieieS Problem in die vorderste Reihe der öffenllichcn Kontroversen zu rücken, und jeder einzelne von uns wird dazu Stellung nehmen. Inzwischen aber dürfen wir bei der größten Mäßigung ein erstes Urteil der Welt als feststehend betrachten, daß Porncars moralisch irgendwie untserantwortlich sei. * Amerikas Bedingungen für die Teilnahme an der Wirifchaslskonferenz London, 19. Januar. Die „Morning Post" meldet aus Washington: Die Haltung der amerikanischen Regierung zur Konferenz von Genua sei immer noch ungewiß. Wenn ans naheliegenden Gründen der Präsident die Teilnahme der Vereinigten Staaten für notwendig halte» sollte, so würden drei Bedingungen daran geknüpft werden. Die Teilnahme Rußlands dürfe nicht die offizielle Anerkennung der Sowjetrepublik bedeu ten. Tie Landrüstungen müßten vermindert und die Frage der europäischen S^ulden an die Bereinigten Staaten dürfe nicht erörtere werden. Pari«, IS. Januar. Wie »Neuhork Herold" mitteilt, wer den außer den Vereinigten Staaten noch 2b Nationen zu der Konserenz von Genua eingeladen. Die italienische Regierung hat den Präfekten von Genua beauftragt, die nötigen Maßnah. men zu ergreifen, um die Delegierten richtig unterzubringen und dafür zu sorgen, dah direkte telephonische und telegraphische Verbindungen mit Paris, London und Berlin hergestellt werden. -- Ein KohlenNeferungsproararnnr der Reparationskommifsion Pari», IS. Januar. Die ReparationSkommIsflon veröffentlicht folgenden B rlchtr Die ReparationSkommsiflon hat beschlossen» an Stelle der Monatsprooramme für Kohle und Koks ein innerhalb deS Zeitpunktes von drei Monaten (Februar, März, April) zu bewert» IlelligendeS L-elerringSPioeramm zu setzen. Die während diese« Zeit raumes zu liefernde Gesamtmenge wurde aus 8760000 Tonnen fest gesetzt, wodurch der Koks durch sein Aeqn valent a» Kohle ausgedrückt ist. Es wurde vereinbart, daß die Lielcrungen sich ziemlich gleich mäßig auf drei in Aussicht genommene Perioden verteilen sollen. Die dentiche Delegation hat die feste Verpflichtung übernommen, da« angegebene Programm auszusühren. Konferenz der Landes finanzminister Berlin, 19. Januar. Im Reichstag teilte der F.uanzminister Dr. Hermes bei der Besprechung der demokratischen Interpellation über die finanziellen Nöte dev Gemeinden mit, daß er nach der Ver» abichiedung der Steucrvorlaaen durch den Reichstag eine Konserenz der Landesfinanzminisler einberufen werde, die über Maßnahmen zur Abstellung der Nöte der Gemeinden beraten soll. Im Reichstag loll eine neue Vereinigung von Abgeordneten aller Fraktionen gebildet werden, die besonders an Gemeindesiagen lebhaftes Interesse haben. Der Anregung, die von dem demokratischen Abgeordneten Kulz aus» geht, haben die anderen Fraktionen zugestimmt. « Die Steuervorschläge der Sozialdemokratie Berlin, 19. Januar. Wie parlamentarische Kreis« Mit teilen, besaßteir sich die Mehrheitssozialisten i» ihrer gestrigen Fraktionssitzung mit einem Vorschlag, der auf eine Einigung in der Steuerfrage zwischen Zentrum und Mehrhertszozialisten hin zielt. Es handelt sich dabei um einen K o in p r o m i tz Vor schlag, der sich zunächst aus de» § 38 des Vermögenssieuerge- setzeS stützt. Nach diesem Paragraph wird das Reichsnotopfer mit 10 Prozent des abgabepflichtigen Vermögens, mindestens aber zu einem Drittel der Abgabe erhoben. Bei abgabepflichtigen Vermögen, die 1 027 000 M. und darüber betragen, erhöht sich der zu erhebende Betrag bis auf 40 Prozent des Betrages. Dieser Prozentsatz soll nun nach dem Kompromißvorschlag wesent lich erhöht werden. Ferner ist eine Anleihe vorgesehen, und zwar "eine Z w a n g s a n l e i h e. Jedoch braucht man zur Fixierung der Summe zunächst die Veranlagung zur Vermögens steuer, die noch nicht frstliegt, so daß hier lediglich ein Gesetz be schlossen werden könnte, das erst in Kraft treten könne, wenn sie Veranlagung zur Vermögenssteuer fertiggestellt ist. Ein drittes Programm sehe höhere Zuschläge zur Ver mögenssteuer vor. — Am Sonnabend wollen die Führer der Parteien, auch die der Opposition, zhsammentreten, um untereinander das Steuerprogramm und die Möglichkeit einer gemeinsamen Plattform zu erörtern. Man nimmt an, daß durch diese interfraktionelle Besprechung eine Lösung gefunden werden könne. » Ein weiteres Abkommen mit der Tschecho-Slowakei Berlin» 20. Januar. Die Reichsregierung hat cntspreckiend dem FriedenSvertrage mit der Tsch-ckio-Slowakei einen Beitrag abge schlossen, durch den letztere einen Meistreifen von 880 Meter Länge im Hamburaer Hasen erhält, der bisher von der Dnitsch-Böbmischen SchiffahrlSgelell'chast benutzt wurde. Ter Vertrag ist aus 30 Jahre Pacht abgeschlossen. Die Stadt als Eigentümerin erhält keinen Pachlziens. Dtejer wird kapitalisiert und von der KriegScnl- schädigunasschuld abgeichrtebcn- Weiter wird die Tschecho-Slowakei von der Sradt «in Lagerschuppen, zwei Kräne als Eigentum erhalten. * Benesch über das tschechisch-polnische Abkommen Prag, 18. Januar. In der heutiaen Sitzung deS Ausschuffc« für auswärtige Angelegenheiten stellte Ministerpräsident Dr. Bcneich bei Beratung der RatifikationSentschließung zum tschecho«slowakisch» polnischen Handelsvertrag in Beantwortung einer deutschen Anfrage fest, daß zwischen der Tichecho-Slowakei und Polen keinerlei militä rische Abkommen beständen, lieber einige Einzelheiten des politischen Vertrage», besten Inhalt b-kannt sek. fänden noch. Verhandlungen statt. Sobald sie beendet leien, werde da» Abkommen veröffentlicht werden. Gegenüber der Meldung, nach der ein kommunistircher Ab geordneter gejagt haste, daß sich die lickiecho-slowakischc Politik im Schlepptau der französischen befinde, müsse betont werden, daß di« Tschecho-Slowakei weder französische, noch englische, noch dentiche, noch eine andeie Politik verfolge, sondern einzig und allein eine tschecho-slowaktsche, eine, den Interessen de» Staate« und des europäische» Frieden» und der euroväiichen Ruhe dienende. Ueber das Ergebnis von CrrnneS sagte der Ministerpräsident, es be ständen wobl Differenzen, ober England »nd Frankreich hätten ge« melniame Interessen und würden und müßten sich in einer ganzen Reihe von Fragen einigen. « Die Grotzdeutfchen verlangen den Rücktritt . Dr. Schobers Wien, 20. Januar. Im AnSichlib für Auswärtige« erklärte am Donnerstag Bundeskanzler Dr. Schober, daß die Belürchtnnaen bezüglich deS Vertrages von Prag vollkommen hinfällig leien. Der Vertrag habe eine politische Annäherung zwlickien Oesterreich »nd der Tschechoslowakin mit sich gebracht, wodurch auch die wirtsibaftlichen Beziehungen der beiden Staate» besser werden. Der Führer der Großdeutichen, Dr. Singlio'cr, kritisierte in abiprechender Weise den Vertrag von Lana und verlangte den Rücktritt deS Bundeskanzlers. Der Ausschuß wird den Vertrag von Lana wahrscheinlich noch in dieser Woche annehmen. wonach der Vertrag in der nächsten Woche mit den Stimmen der Christlich-Sozialen »nd der Sozialdemakralen auch im Plenum des Nationalrates mit der notwendigen Zweidrsttel» Mehrheit angenommen werden wird. Nach der Erledigung des Ver trages wird der Bundeskanzler Dr. Schober seinen Rücktritt ein» reiche». Die Auslieferung der deutschen Kriegsverbrecher ist auf die Forderung der Franzosen hin wieder einmal auf die Tagesordnung der KriegSbeschuldigtenkommission des Obersten Rates gesetzt worden. Während die Engländer im allgemeinen mit den Urteilen zufrieden gewesen sind, die das Leipziger Reichsge richt über die von den Engländern angeklagten deutschen Kriegs verbrecher gefällt hat, waren die Franzosen und Belgier eher alles andere als zufrieden. Auch die Italiener beschweren sich, daß die von ihnen Angeschuldigten noch nicht vor Gericht gestellt worden sind. So hat denn die Kriegsbeschuldigtenkommission beschlossen, daß die Kriegsbeschuldigten von jetzt ab vor den Gerichten der Alliierten zur Aburteilung gelangen solle». Dieser Beschluß be darf allerdings noch der Zustimmung des Obersten Rates. Und dieser wird hoffentlich so vernünftig sein, daß er wenigstens cin- sieht, daß dieselben Gründe, die vor zwei Jahren geltend gemacht wurden, gegen die Auslieferung der Kriegsverbrecher, auch jetzt »och bestehen. Denn jetzt wie damals ist die deutsche Regierung physisch nicht imstande, dieselben auszuliefern und ein solches Beginnen würde in Deutschland zu den schwersten Unruhen führen. Das muß auch den Mitgliedern der Kriegsbeschuldigtenkommission bekannt sein. Man stellt sich darum unwillkürlich die Frage, wes halb wohl trotz dieser schwerwiegenden Gründe jetzt wiederum die Auslieferung verlangt wird. Man wäre bald geneigt anzunehmen, daß die Auslieferung nur deshalb gefordert wird, um die rechtliche Unterlage zu gebe», gegen die Beschuldigten in conlumatia vorzugehen. Dann würde es in Frankreich wiederum eine ganze Menge von Sensationsprozesjen geben, in denen „die deutschen Greuel" gerichtlich sestgestellt würden. Dieses Vorgehen kann man aber nicht anders als eine diplomatische Verhetzung des franzö sischen Volkes bezeichnen, das jetzt noch zu 90 Prozent dein Ver« söhnungsgedanlen ferne steht. Aus dem Reichstage Die politischen Weihnachtsferien sind vorüber; in den Hallen des Reichstages herrscht wiederum reges Leben und Treiben. Zum ersten Male im neuen Jahre 1922 tritt das Reichsparlament zu einer neuen Sitzungsperiode zusammen, eincin Tagungsabschnitt, der schwere Entscheidungen in seinem Schoße birgt. Denn man weiß, daß auf irgend eine Weise dev großen Steuergesetzgebung die Wege geebnet werden müssen. Der Wiederbeginn der Neichstagsarbeit am Donnerstag führt uns zunächst nur in die kleinere Gesetzesarbeit. Es sind nicht gerade viele Abgeordnete, die sich bei Beginn der Sitzung im Saale eingefunden haben. Um so bewegter spielt sich das Trei beil in der Wandelhalle ab. Drinnen im Saal beginnt die Ar beit. Mit aufrichtigen Worten der Teilnahme und der Wür digung einer Lebensarbeit, die dem Volk und Vaterland gegolten hat, gedenkt der Präsident vor Eintritt in die Tagesordnung des verstorbenen deutschnationalen Abg. v. Delbrück. Stehend, wie es üblich ist, nehmen die Mitglieder des Hauses den ehren den Nachruf entgegen. Dann dringt man in die vorliegende Materie ein. Zunächst politische Kleinigkeiten. Die Interpellation über die Futtermittel not wird in der geschäftsordnungsmäßigcn Frist, die Bcaniwortung durch die Regierung finden. In gleicher Weise eine Interpellation wegen Wagen mangels der Reich seife »bahn. Ein Sächsische Volkszeitung — Nr. 17 — 21. Januar 1922 Das Rosenhaus Originalroman von Felix Nabor . (27. Fortsetzung.) Es war eine traurige Verlobungsfeier für Else. All die zarten, süßen Blüten, welche die Liebe in ihrer Brust erweckt hatte, wurden in dieser Stunde von einer rohen, gewalttätigen Faust getötet, und die Rosen der Freude starben. Stumm und blaß wir ein Marmorbild saß sie neben dem ihr aufgezwungenen Bräutigam, willenlos ließ sie es geschehen, daß ihr Vater ihre Hand in die seine legte. . . Und als dieser sie auf ihre Stirn küßte, rann ein Schauer durch ihren Leib, als sei der Winter mit seinem eisigen Hauch über ihr Leben hmgefahren . . . Pöllmann und der Kapitän aber waren um so lebhafter. Sie sprachen dem Weine z», fingen zu prahlen und zu singen an, und als noch weitere Gäste zur Feier kamen, gab es ein wildes Gelage. Else war von Herzen froh, als sie sich unter dem Vorwände, für diese Gäste sorgen zu müssen, hin und wieder in die Küche zurückziehen konnte. Der Verlobiingsring, den ihr der Kapitän an den Finger gesteckt halte, drückte sie wie eine Fessel, und sie atmete erst auf. als der Kapitän sich verabschiedete, da er an diesem Tage noch nach Köln zurücksabren mußte. Da setzte sie sich unter den alten Birnbaum, der ihre glück liche Kindheit gesehen hatte, weinte zum Herzzerbrechen und nahm Abschied von ihrem Jugendland »nd von all ihrem Glück. Während ihr Herz noch zuckte, schlangen sich zwei weiche Arme um ihren Nacken, und eine liebe Stimme flüsterte ihr zu: „Der bin ich. Elslein. und will dir beistehen in deiner Not!" »Du, Hella?" rief Else freudig überrascht. „Ach, wie gut du bist!" „Ich hatte keine Ruhe mehr," sagte Hella, sich neben Else setzend und ihren Arm um sie legend, „und mußte wissen, wie xS um dich steht . . ." „Vorbei, alles vorbei," sagte Else traurig. „Was willst d» damit saaen? Bist du schon —" Elle nickte. „Ja . . .", sagte sie. „ich bin die Braut deS Kapitäns." „Else!" schrie Hella auf. „was chast d» getan? . . . Deine Liebe verleugnet? ... So ist es also zu spät? Ich bin zu dir gekommen, um mich an deine Seite zu stellen und dir zu sagen: Bleib dir selber uiid deiner Liebe treu! . . ." Else schüttelte traurig den Kopf. „Zu spätl" sagte sie. „Ich hatte keinen Wielln mehr — ich mußte gehorchen —" „Mein Gott!" rief Hella erschrocken, „wie ist denn das gekommen?" Else faßte Hellas Hand. „Erlaß eS mir," bat sie. „Ich kann es nicht übers Herz bringen, den eigenen Vater anzukla gen. Nun ist es geschehen — und ich muß die Last tragen, die man mir aufgebürdct hat. Gott helfe mir dabeil" ^ „Du Arme!" ries Hella und zog Else an ihre Brust. „Ich möchte dir so gern helfenI Vielleicht ist es noch nicht zu spät! Ich will mit deinem Vater reden, will ihn bitten, nicht hart zu sein gegen sein einziges Kind." „Ach, das nützt nichts, Hella! . . . Eher kannst du einen Felsen schmelzen, als den harten Sinn meines Vaters erweichen." „Wir wollen es trotzdem versuchen. Else, komm!" AIS sie eng umschlungen znm Hause gingen, kam ihnen der Wirt schon scheltend entgegen. „Mädel," rief er, „wo steckst du? . . , Donner und Doria, die Bettclprinzeß, was will denn die?" „Vater I . . ." rief Else bittend. „Was suchen Sie hier?" herrschte er Hella an. „Ich möchte ein gutes Wort für Else einlcgcn," sagte Hella, die ihr zugefügte Beleidigung absichtlich überhörend. „Zwingen Sie Ihre Tochter nicht zu einer verhaßten Ehe! Das ist das größte Unglück, das man einem Mädchen antun kann!" Dem Wirt schwoll die ZorncSader auf der Stirn. „Ha," rief er, „mit welchem Rechte mischen Sie sich in Dinge, die Sie nichts aiigchcn? Schere» Sie sich zum Tcufell . . . Hier haben Sie nichts zu suchen! . . . Hier wird niemand geduldet, der vom Burghaiis kommt! Denn diese Sippe hasse ich bis aufs Blut —" „Aber lieber Herr —" wollte Hella einwenden. Dock, er unterbrach sie barsch: „Still! Gehen Sie Ihrer Wege! Das fehlte mir gerade noch, daß Sie meine Tochter aufhetzen l Himmelhaaell . . . Die Peitsche werde ich holen und Sie foctjagen . . . Else, her zu mir! ... Ich verbiete dir, mit dieser hochnäsiaen Dame zu Verkehren." Er packte Else am Handgelenk und riß sie mit sich ins Hans hinein. „Leb wobl, Hella!" rief Else, „und vergiß mich nichtl" ES war der Notschrei einer Unglücklichen, die keine Hoffnung mehr kennt. Nun batte sie auch iwch die Freundin verloren und stand allein »nd verlassen in der Welt ... ' Hella war vor Schrecken stumm. Daß es solch rohe Men schen gab wie diesen Wirt, Halle sie nicht geglaubt. Ein tiefer Schmerz über Elses Unglück wühlte in ihrer Brust, und traurig schied sic von der lieben Freundin, ohne ihr helfen zu können. 10. Kapitel. Das waren die Tage des goldenen Herbstes mit seinem milden Sonnenschein, dem silbern bewölkten Himmel, der klaren, starken, würzigen Luft und dem Nnbingefunkel der welkenden Blätter im flüsternden Laubwald. Die Tage der letzten Rosen! Hella wanderte jetzt viel durch das herbstliche Land, das ihr alle seine Schönheiten und all seinen herben Zauber enthüllte. Die Natur lag im Sterben, aber es war ein Sterben in Schön heit. Alles glühte in einem Farbcnmecr. Selbst das tote Ge stein strahlte, von der Sonne umschmeichelt, milden Glanz aus, Blätter und Blüten waren von silbernen Schleiern umsponnen, an den Bäumen funkelte es wie von Millionen Edelsteinen, über die braunen Nebhügel trieb der Wind in neckischem Spiel opal- schimmernde SchncckenhäuSchen und auf jedem Zweig brannten rotgoldene Flammen. Die Luft war wie mit Ambra gewürzt, und die Lippen kosteten die letzten Trauben, die der Herbst als Nachtisch für Menschen und leckere Vögel an den braune» Stöcken übrig gelassen hatte. , > Wie köstlich ließ cs sich da träumen zwischen den braunen Rcbhügeln draußen im stillen WinzerhäuSchenl Ganz nahe da bei war ein Nosenhag, an dem mit sonnengcblcichten Mäntelchen die letzten Heckenröschen blühten. Hier spann Hella ihre Mär- chcnträi'mel Gleich bunten, schillernden Leuchtkugeln gaukelten sie um Winzerhäuschen und Roscnhag und schwangen sich hin über zu dem rauschenden Laubwald, um den die Sonne purpurne Schleier wob, daß sie wie ein schimmernder Königsmantel Hinab wallton zu der rotblühenden Heide, die den träumenden Wäldern zu Füßen ruhte wie eine schlummernde Königin, mit Blumen im Haar und großen, dunklen Märchcnaugen . . . Dann wünschte Hella, von so viel Pracht »nd Schönheit umflossen, daß sie auch Königin wäre, und ein Königssohn känie, sie zu erlösen aus Not und Sorge. Manchmal fiel in die Stille hinein ein Schiss; — dann schrak Hella aus ihren Träumen empor, kehrte in die Wirklich keit zurück und lauschte ins stille Land h'nauS. Aber schon knallte eS wieder! Hallo, die Jagd geht auf! — Dort drüben steigt ein blaues Nanchi^älkhe» empor, und über die rotblühendc Heide rast in drollige» Sprüngen ein Hase, die Bl»,ne w>e eine kleine w:-ß; Fahne gestellt. «Gott sciS gedankt, daß er entkommtl" freute sich Hella und wünschte den Jäger, der ihre Träume störte und armen Feldhäslein nach dem Leben strebte, ins Pseffecland. (Fortsetzung folgt.)
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