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Sächsische Volkszeitung : 01.03.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-03-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192203014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19220301
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19220301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-03
- Tag 1922-03-01
-
Monat
1922-03
-
Jahr
1922
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 01.03.1922
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Nr. KV. Seite r »Oilwoch den 1. Mürz 102S Gegen das Reichsmletengcsetz! Zu diesem Thema, auch gestern ausführlich behandelt, schreivt der Verband Sächsischer Hausbesitzerver- eine (gegenwärtig 75000 Mitglieder), der Verivaltungsrat des Allgemeinen Hansbesitzervercins zu Dresden und der Verband der Dresdner Haus- und Grundbesitzervereinc der einverleibten Vcrorie. Die genannten Korporationen haben folge>ide Kund gebung beschlossen: Tie beiden eben vorübergegangenen Lesungen des Reichs- mielcngesetzes haben in der sächsischen Hausbesitzerschaft das Pein, lichsle Befremden uiid die äusierste Beunruhigung hervorgerufen. Wenn d>e Neberspannung der Zwangswirtschaft auf allen Gebie te» unser Volk in tiefste Not. ja, an den Rand des Abgrundes geführt hat. so sieben wir heule „ach dem Zeugnis aller Fachkreise vor dem Zusammenbruch der Zwangswirtschaft im Wohnungs wesen. Der Zeitpunkt ist gekommen, wo die Wohnungsnot auf- bört, eine Angelegenheit der Wohnungsloscn zu sein; der Ver fall der bestellenden Wohnungen — unvermeidlich, wenn nicht sofort das Snstcm gewechselt wird — droht schon in allernächster Zeit Gesundheit und Behagen der gesamten Bevölkerung zu zer stören. Sinn des Neiche-inictengesetzes aber ist die Befestigung des jetzigen Snstems! Nacktem die Deutschen Einigungsämtcr auf ihrer Dresdner Tagung im Sommer 1921 offen gegen die unsinnige, die Mieter durch den Ruin ihrer Wohnungen schädigende Uebertreibung des Mieterschutzes Front gemocht Hallen, nachdem die Soziqlisierungs» komMission im Herbst für den Abbau der Zwangswirtschaft votiert Kat. »acbdcm die Deutsche Architektenschaft sich für den Abbau erklärt hat. nachdem die Handelskammern der verschie denen Deutsche» Länder und noch in den letzten Tagen in Sachsen, auf der Siedlungswoche ein NegierungSbanmeister den Abbau a!S nbcrlässtich bezeichnet haben, nachdem die Mißstände der Zwangswirtschaft mit einer staatlichen Ileberteuerung der Mieten von jetzt schon 250 Prozent mit Korruption und wider wärtiger Entfremdung der verschiedenen Bcvölkerungskreise un tereinander jedermann ersichtlich bervorgebrochcn sind, ist die Hal bung derjenigen Parteien, die für das Neichsmietengesetz und damit für die Verewigung der herrschenden Zustände gestimmt, haben, unerfindlich. Wird das Gesetz durch die Abstimmung dieser Parteien zu wider der Stimme aller Fachleute Tatsache, so ist der Untergang des Deuischen Mittelstandes, soweit er im Hausbcsitz verkörpert ist, besiegelt. Nichts wird dann die Verschleuderung de? deutschen Eigen tums an das Ausland, die der organisierte Hansbesitz vorausge sehen, gegen die er sich in tiefster Not und mit äußerster Ent sagung gestimmt und vor der er wieder und wieder gewarnt hat, aufhalten können. Dann werden vielleicht Parteiprogramme er füllt, aber das deutsche Gut wird auch verloren sein. » Keine Romrekse Rathenaus Berlin, 28. Februar. Von amtlicher Seite »'erden die Be richte über eine Romreise des Ministers Dr. Nathenau de mentiert. Erzber ers Mörder Karlsruhe, 28. Februar. E. D. Der Offenburger Richter, der die Untersuchung gegen die Mörder Erzbergers führt, hat gegen de» in München verhafteten Rechtsanwalt Adolf Müller einen Haftbefehl erlassen. In einer Buchhandlung, die ein ehe maliger Offizier leitet, wurde in der Erzbergcr-Sache eine Haus, suchung vorgcuommcn, die ergebnislos verlief. Domkapitular Benedikt Hebel -s- Augsburg, 28. Februar. Domkapitular Benedikt Hebel, der d u, Risichstaqe bis l!»8 als Mitglied der Zcntrumsfraliion lange Jolmr angchöric, ist im Alter von 57 Jahren gestorben. Der P ozrst um Eisnsrs Enthüllungen München, 28. Februar. Der Prozeß des Schriftstellers Feehcnbach, des ehemaligen Sekretärs Kurt Eisncrs, gegen die „Süddeutschen Monatshefte", die „Münchner Neuesten Nachrich ten", den „Bayerischen Kurier", das „Neue Münchner Tageblatt" und „Das Bayerische Vaterland", der vom 2, März ab vor dein Schöffengericht München Verbandelt werden sollte, wurde auf An trag des Privaiklägers Fechenbach vertagt. — Es handelt sich »m den Prozeß uni die bekannten Schnldveröffentlichungen Kurt Eisners uud den daran geknüpften Vorwurf der Fälschung. Sächsische Volkszeitung — Nr. 50 — 1. März 1922 Das Rosenhaus Originalroman von Felix Nabor (Schluß.) Es war Dr. Thyssen, der unter der Tür stand und sie aus sehusüchlige» Augen anbiicktc. „Es liegt ein Berg zwischen »ms," fuhr er fort, „aber ich will ihn abtragen und der Wahr- heit freie Bahn schaffen. Sieh mir ins Auge, Hella, und gedenke des Heiligen Abends und der Frage, die ich an dich stellte. Da mals hast du — nein gesagt. Aber ich hatte die Ueberzeugung, daß es dir schwer wurde . . ." Sie seufzte leise: „Gott weist es . . „Nun also — warum guälen wir uns ohne Not? Es must Klarheit werden zwischen uns. Ich stelle heute die gleiche Frage an dich wie damals. In deiner Hand liegt mein Schicksal und meine Zukunft — und ob ich hier bleibe oder für immer gehe." Erschrocken streckte sie die Hände nach ihm aus. „Nein, nein — gehe nicht!" „Das ist dein Ernst, Hella? . . „Ja, aber . . . höre mich zuvor an. Warum kommst du beute mit einem Male zu mir, naclidcm du mich den ganzen Sommer her gemieden bast?" „Du niich etwa nicht?" „Ich — dich? . . . Nein. N»d wenn ich dich gemieden hätte, so batte ich meinen Grund —" „Ich etwa nicht?" „Was denn? Was babe ich denn verbrochen?" „Nichts! . . . Aber die Verhältnisse! Sieh,, ich wollte zu den vier Skizzen noch eine fünfte zeichnen: Hella Hellmers, auf einem Berge von Gold thronend — und Herbert Thyssen, wie er vor dickem Bcrae zurückschreckt und sich' trauernd abwcndet. Aber das Moüv schien mir doch zu trivial und halte dich ver letzen können. Die Wahrheit ist es aber doch . . . Nachdem du über Nacht so gräßlich reich geworden warst, konnte ich nicht mehr »m dich werbe», du hättest sonst denken müssen, ich be gehre nur dein Geld. Darum zag ich mich zurück." AuS Hellas Munde brach eS wie ein Icnichzen. „Also — da? war der Grund? Da§ elende Geld, an dem mir ja gar nichts liegt? . . . Und ich dachte, du liebtest . . . eine andere! ' Er prallte förmlich zurück. „Ich — eine andere," rief er. „Wie kommst du auf diesen unsinnigen Gedanken?" „Er lag doch ganz nahe. Deine plötzliche Vorliebe für Bann und Nonnenwerth . . . Deine zärtliche Sorge um Jmma — da dachte ich —" „Immal" rief Thyssen. „Ans die warst du eifersüchtig? O, du kluge Jungfrau, wie töricht war das! Jmma habe ich be hütet — für einen anderen! Für meinen liebsten Freund, Siegfried von Rheincckl Der hat die wilde Hummel ins Herz geschlossen und ein süßer Traum schlingt sich um die beiden, seit sie sich in Bonn kennen und lieben lernten . . . Wenn Jmmas Zeit in Nonnenwert abgelanfen ist, will Siegfried mit Jmma vor ihren Vater treten und um die Herzallerliebste wer ben. Dann sollen auch diesen: Paare die Rosen blühen . . . Wann aber, Hella — wann blühen sie uns?" ELchsische «olk»»eit«ns Pädagogische Irrwege Ilnübersehbar ist in unserer heutigen Zeit die Flut der pädagogischen Reformliteralur. Vor dem Kriege bereits übcrcras das pädagogische Schrifttum bei weitem die sogenannte »schöne Literatur" an Umfang. Seitdem und vor allen» seit den Tagen der Revolution ist die Flut weiter und weiter gestiegen, und wenn das pädagogische Leben in Theorie und Praxi» von der Zahl und Mannigfaltigkeit der pädagogischen Resormvorschlüg« abhinge, dann müßte für Erziehung und Bildung das goldene Zeitalter schon angebrochen sein. ES scheint aber, als ob e» trotz dieses Heeres von Reformern, trotz der Fülle der Ratschläge und Neufordcrungen nicht so schnell vorwärts ginge und beHer würde, mit unserer deutschen Jugend. Und selbst wenn altes, was sich in der Theorie so schön ausstellen und auf dem Pro gramm so wirknngsvoll fordern läßt, auch in der Praxis auS- probiert würde, auch dann dürfte das Heil »och nicht so bald kommen. Wir wollen nicht verkennen, daß viel ernster pädagogischer Eifer, viel ehrliches und redliches Mühen, wahrhaftes seiner Ver antwortung bewußtes Erziehertum heute sinnt und plant und sich sorgt und nach neuen Wegen sucht, wie unserer Jugend »nd unserem Volke zu helfen sei in seiner Not. Die Sorge um Schick sal und Zukunft unserer Fugend und unseres ganzen Volkes lastei schwer auf dem Erziehergewissen treuer Volks- und Ju gendfreunde. Dieses Verautwortungsbewußtsein mahnt uns aber zugleich auch, vorsichtig zu prüfen, ob alles, was man heute als Heilmittel empfiehlt, auch wirklich unserer Jugend frommt. Es hat zu allen Zeiten falsche Propheten gegeben, in den Zeiten der „Umwertung aller Werte" aber gilt es, vor ihnen besonders ans der Hut zu sein, und nirgends könne» sie mehr Unheil an- richten als im Gebiete der Erziehung. Ein gut Teil der gegenwärtig sich vielfach so laut und auf fällig gebärdenden Reforinpädagogik ist unausgegorene Sturni- nnd Drangpädagogik, reklamehafte Plakatpädagogik, dillcianien- haste Schlagwortpädagogik, unreife, leidenschaftliche, revolutio nierende Pädagogik. Für viele, allzu viele derer, die heute „neue Bahnen" weisen, scheint der Rat Nonsseans die Losung zu sein: „Tut in allem das Gegenteil von dem Hergebrachte», und ihr werdet fast immer das Rechte tun!" Es ist einer der handgreif lichsten Mängel dieser Neupädagogik, daß ihr weithin der ge schichtliche Gerechtigkeitssinn gegenüber dem Ncberliefcrtcn und Hergebrachten in Erziehung und Bildung fehlt. Mit der Leiden schaftlichkeit des echten Revolutionärs schmäht man ans der Ver gangenheit UeberkommeneS als verrottet und dem verdienten Un- tergange verfalle». Mer ebenso groß wie im pessimistischen Verwerfen des Ueberlieferten ist man in der Lobpreisung des empfohlenen Neuen. Mit kühnen überschwenglichen Hoffnungen erwartet man von der neuen ErziehungSweisc eine Veriüngiing, Erhöhung und Veredelung des Lebens. So hat diese Pädagogik ein doppeltes Gesicht: eS ist eine Pädagogik der Anklage und der Hoffnung, eine Pädagogik der Entrüstung und der Begeisterung, eine Pädagogik der Brandmark nng und des prophetischen Schweigens, je nachdem sie in pessimistischem Jngrimme rückwärts schaut oder in optimistischem Vertrauen vor sich blickt. Aber schon diese einseitige Verteilung von Licht und Schatten sollte uns vorsichtig machen, vor allem, weil das Licht in die Zukunft verlegt wird, von der nie mand wissen kann, ob diese neue, so hell erstrahlende Zeit jemals Wirklichkeit werden wird. Dieser naive OptimiSumis der MegenwartSpädagogik offen bart sich am deutlichsten in der psychologischen Grundlegung, auf der sie aufbaut. Es ist dies die oft geradezu erstaunlich opti mistische Psychologie des Kindes, wie sie vor zwei Jahrzehnten zuerst durch die Schwedin Ellen Key („Das Jahrhundert des Kindes". 19W) verkündet wurde. Echt Rousseauschen Geistes er klärt diese Psychologie die kindliche Natur in ihrer Frische und Ursprünglichkeit als durchaus gut und führt so zu einer na turalistischen Freiheitspädagogik, die, durch und durch individualistisch, die Maßnahme der Erziehung allein „vom Kinde aus" bestimmt. Konstruiert diese Psychologie in völliger Verkennung der tatsächlichen Wirklichkeit einen Jdeal- menschen, den cs nie und nirgends gibt, so folgert die darauf aufbauende Pädagogik daraus, daß diese fast als etwa? Heiliges betrachtete Individualität des Kindes durch keinerlei Bindung, Verpflichtung oder Einschränkung verkümmert werde. So for dert man, in sorgloser Unbekümmertheit um alle Folgen für die praktische Erziehnngsarbeit, Freiheit für die Entfaltung der kindlichen Kräfte, auch gegenüber den Ordnungen des Schul- Hella stand mit holdem Erröten vor ihm. „Ach, so ist das?" fragte sie zwischen Lachen und Weinen. „So? . . . Und ich dachte ... ich " Sie vermochte nicht weiter zu reden; sie schloß die Augen vor Glück und Seligkeit, zwei schwere Tränen grollen unter ihren Lidern hervor und ranne» über ihre Wangen . . . Da war er plötzlich bei ihr, zog sie in seine Arme und sah ihr tief in die Angen. „Hella, Süße, du meine stolze Königin, willst du es nun glauben, daß ich dich lieb habe, daß du mein Ein und Alles bist? Du, mein schönes, herrliches Mädchen, ver stehen wir uns nun endlich? Sind wir nun ein Herz und eine Seele — oder nicht?" „Ja, ja, Herbert — ich habe dich ja so lieb, so lieb . . . Das Herz wollte mir brechen vor Weh, weil ich glaubte, du wärst einer anderen gut —" „Aber jetzt soll dein Herz jauchzen vor Glück, Hella! Denn hier, du Liebste, an meinem Herzen ist deine Heimat." Er küßte ibre Tränen weg und preßte seine Lippen auf ihren stolzen, süßen Mund. Sie erschauerte vor Seligkeit, denn all ihr Träumen und Sehnen erfüllte sich in dieser wonnigen Stunde. „O Herbert," flüsterte sie, „du mein Leben, du meine Liebe!" Er nahm sie fest in seine Arme. „Sieh," sagte er, „so will ich dich Hallen mein Leben lang an meinem Herzen, an meiner Brust. Du sollst mir das Teuerste sein auf Erden; meine süße, angcbetete Königin!" Arm in Arm wanderten sie Heimwärts, ein seliges Paar, und erzählten sich, wgs sie in der Zeit ihrer Entfremdung ge litten, gcbgngt und sieb nacheingnder gesehnt hatten, und um sich für die erlittenen Entbehrungen zu entschädigen, holten sie ge- treulich nach, was sie versäumt batten. Es war eine Stunde reinsten, seligsten Glückes, Als sie den Burghof betraten, stand Tbiebolt unter das Tür, eilte mif sie zu und streckte ibncn die Hände entgegen. „Endlich, endlich babt ihr euch gefunden, ihren stolzen Herzen," rief er freudig, und die Träne» stondeu ihm in den Augen. Gott sei es gedankt, daß ihr vereint seid! Euer Leben wird groß und reich wie selten eins sein, ei» Hobes Wunder, denn ibr seid zwei dldelsinenschcn und überragt andere wie der Berg ein tiefes Tal. Seid gesegnet und Gott möge euch alles Glück der Erde schenken — ihr habt e? wahrlich verdient." Er zog Hella an seine Brust „nd küßte sie zärtlich wie eine Tochter. „Aber das sage -ck Jbnen. Doktor," wandte er sich an diesen, mein Rokensrnuiest,, mein Sonntagskind gebe ich Ihnen nicht heraus. Das muß wohnen bleiben in meinem Hause, sonst babe ich Furchl, das Glück, das sie mir gebracht hat, könnte entfliehen. Hier ist eure Heimat . . Hella lächelte. „Wie gern," sagte sie, „ach wie gern bleibe ich hier! Was meinst du, Herbert?" Der Doktor spreizie sich noch ein wenig, obwohl ihm die Freude über dieses Angebot aus den Augen lachte. „Wird es nicht ein wenig enge sein?" fragte er. „Ach wo," erwiderte Thiebolt, „das ganze Erdgeschoß sicht leer, dazu die Turmzimmcr. Das alles laste ich euch in schön ster Weise einricbien, daß es ein warmes, behagliches Nest wird. Und daun setzt ibr euch hinein und seid glücklich. Du hast eS verdient, Hella. Sic natürlich auch, Doktor! Ach, ich bin ja so srob und glücklich! Wir werden alle beisammen wohne» und lebenS: die Neigung des Kindes bestimmt Lehrordnung und Stundenplan, nicht die reife Einsicht des Erziehers, nicht die innere Notwendigkeit in der Ordnung der Bildungögüterl Ord nung, Methode, System, Disziplin haben in dieser Erziehung keinen Platz. Alle LebenSäußerungen dev Kindes begegnen weitestgehender Milde und Duldsamkeit, Strafen sind ein Ver brechen gegen das Kind. Dieses hat nur Rechte, nicht auch Pfich- ten, am wenigsten gegen die Gesellschaft, und so läuft diese Pü- dagogik schließlich hinaus cnif eine völlige Verkehrung des Ver hältnisses von Lehrer und Kind und fuhrt, wie Otto Ernst urteilt, zuletzt zu einem „vollständigen pädagogischen Anarchis mus". (DeS Kindes Freiheit und Freude, 1907. S. 5.) In dieser verstiegen subjeklivistischen Pädagogik lebt der JchkuituS der Philosophie Nietzsches fort, der hier in seiner praktischen Erprobung in Erziekungsexperimenten, wie sie in Hamburger und Berliner Schulen gewagt worden sind, sich bereits selbst ad absurdum zu führen beginnt. Neben Ellen Key sind Pädagogen wie Gur litt, Gansberg, Scharrel mann Beförderer dieser^ einseitigen Jchpädagogik, die, so sehr sie im einzelnen das Verständnis der kindlichen Natur befördert hat, dem Gvuudirr- tum verfällt, daß sie schon im Kinde die Züchtung des Genies proklamiert. Will man sich die Verstiegenheit dieser individua listischen Freiheitspädagogik möglichst eindrucksvoll verdeutliche!^ so braucht man sich diese Methoden, die man wesentlich im Kampfe gegen allen Zwang der Schule zur Anwendung empfiehlt, nur ans das Gebiet der Haus- und Familienerziehung übertra gen zu denken. Der gesunde Sinn, der von modernen pädagogi schen Theorien unberührten natürlichen Erzieher des Kindes, der Eltern, wird wohl für imnier von solcher Tbroncrhebung der unveräußerlichen kindlichen Neckte bewahrt bleiben; nur den zünftigen Pädagogen, einer gewissen Gruppe unter den Bernfs- erziebcrn blieb es Vorbehalten, mit solchem blinden Glauben an extreme Erziehungsauffassungen da? Vertrauen in ihre päda gogische Urteilsfähigkeit zu erschüttern, Ebenso wenig wie die Prügclpädagogik recht hat, ebenso wenig hat diese Pädagogik „vom Kinde aus" die rechten Wege gefunden, denn sie führt in ihrer Kouseguenz zur Verneinung sowohl der Familienerziehung als auch der Schule überhaupt. Einen nnwiderlegbaren Beweis dafür Hai die pädagogische Bewegung geliefert, die sich an den Namen G u ii av Wyne - ken anknüpft. Seine 1900 gegründete „Freie Schulgemeinde Wickersdorf" (bei Saalfeld in Thüringen) war ausgebaut aus dem Grundsätze der vollkommenen Gleichstellung von Schüler und Lehrer, die in einem Schulparlament fruchtbar werden sollte, und züchtete in der Jugend einen Geist schrankenloser Kritik- suckt gegen Elternhaus und Schule, Staat und Gcscliscl>aft, Sitt lichkeit und Religion. Später hat Wyneken durch eine Reihe von Zeitschriften die Bewegung der sogenannten „Freidentschen Ju gend" eingeleitet und eine »Zeitlang geführt. Welche Früchte diese Befreiung der Jugend von dem Drucke des Elternhanses und der Schule gezeitigt hat, das offenbaren in erschreckender Weise die geradezu wahnwitzigen Irrlehren, die dieser pädago gische Reformator in seiner 1913 gegründeten Zeitschrift „Der Anfang" verkünden durfte: „Familienerziehung ist Noterziehung." Die Familie ist „ein lleberbleibsel aus primitiven sozialen-Stu fen, sie hat allein der Fortpflanzung und dem Wirtschaftsleben zu dienen". „Wir dürfen von den Begriffen „Familie", „Ju gend" in ihrer heutigen Bedeutung nicht den kleinsten Teil mehr anerkennen"; die offene Auflehnung gegen die Eltern ist nicht „Frechheit", sondern „Ehrlichkeit"; die sogenannte Kindesliebe hat ihren Grund nur in dem „gedankenlosen" Glauben an die Konvention". In ganz ähnlichen radikalen Verwcrfungsnrtcilcn wird der Schule jedes Daseinsrecht abgesprochen. In solcher Herabwürdigung uralter, bewährter Erziehungsmächte spricht sich eine Pädagogik unterschiedloser Verwerfung, radikaler Vernei nung, blinder VernichtmigSwut aus, für die man positiv mir die Erklärung in einem maßlos überspanmen Selbstbewusstsein die ser pädagogischen Führer finden kann, wie ja tatsächlich Wyneken auch bewiesen hat. daß ihm jedes Augenmaß für die eigene Lei stung kehlt, insofern er sich selbst mit Luther, Fichte und Kant verglichen hat. Nur eine Pädagogik einseitigster Einstellung kann übersehen,daß Erziehung und Bildung objektive Werte und Güter zu überliefern haben, daß der Kuiturbesitz, den die Folge der Generationen erarbeitet hat, nicht einfach vom Kind« aus gewonnen »'erden kann, daß nickt jeder Mensch die Nolle des Robinson wiederholen »nd sich seine Kultur ganz aus eigener Kraft aufbauen kann, daß vielmehr jeder Einzelne hineinwachsen muß in die menschlichen Gemeinschaften, die ihn dann teilnch- men lassen an den Werten und Gütern, die in ihrem Bereiche gedeihen und zu deren Erhaltung und Mehrung auch er nach zusammen arbeiten und »ns freuen. Und Arbeit gibt es ja genug, besonders für euch ... ihr seid jung." „Ja," nickte der Doktor und wurde sehr ernst, „Ein lan ges Leben liegt vor uns . . . und wenn es köstlich ist, so wird eS Mühe und Arbeit sein . . . Arbeit für dich, Hella." . . und für andere," setzte sie mit einem zärtlichen Blicke auf ihn hinzu. „Denn Arbeit, die nicht anderen nützt, daS ist Arbeit ohne Segen. Anderen dienen, das soll unsere Parole fürs Leben sein! Du der kranken, leidenden Menschheit, ich den Armen und Bedrückten, den Hungrigen, daß sie satt werde». Vor allem soll unsere Arbeit und unsere Sorge unseren . Ar beitern im Dorfe gehören, alle Liebe, die wir im Herzen tragen, wollen wir über sie ausgicßen, daß sie und ihre Kinder froh und glücklich werden. Die Nasen der Freude wollen wir ihnen ins Leben flechten und sie anfrichten aus Not und Sorge; an gütiger Hand wollen wir sie hineinführen ins Leben, da wo es am schönsten und reichsten ist." „So soll cs fein," sagte Thyssen, „wir gebären nicht uns allein, sondern der Allgemeinheit, der Menschheit. Aber zu nächst stch-rn wir »ns das eigene Glück — und s»S bitte ich mir aus, im Herbst soll die Hochzeit sein!" Hella errötete und schmiegte sich innig ai 'bn. „Ww du w-llst," sagte sie. .Alle: zuvor wollen wir dock Verlobung feiern, was?" rief Thiebolt ungeduldig. „Es soll ein Festtag werd-u. „Jussepb, Ursel, setzt einmal eure alten Knocken in Bewegung und laust. waS ibr laufen könnt! Flink, flink! . . . Setzt den Baiistiistia! in Bereitschaft! Pflanzt die schönsten Römer und die beste» Fla schen mif de» Tisch! Dazu den Cilberschatz des Hauses und Blumen, Blumen, so viel ihr auftrciben könnt! Ein gauccr Gurken voll Blumen soll den Saal schmücken — denn da? Gstuk zieht beute ein in »lest.« Hau?-! Da müssen »ir eS. nerdig ewpfai ge». Es ist ein edles Paar, das einzteht, versteht ihr das - lst'ten Alten?" Jusscvh und Ursel nickten und hatten Tränen in den Augen, als sie herzutraten und dem Brautoar.rc ihre Glück wünsche darbrachten. Dann liefen sie, so schnell es ihre alten Beine gestatteten, ins HauS, um die Befehle ihres Herrn anS- zufvbrcn. Thiebolt aber uabm seine Nichte bei der Hand »nd schiist mit ibr der bocbgcwölbten Pkoric drs RokcuhaiiseS z», dessen rosenübersäte Wände wie ein Meer von Liebe leucht len. „Komm tritt ein!" sagte er zu ihr. „Hier ist fortan deine Hestnat. Denn du hast durch deine Liebe den Haß besiegt und da? iote'Burg hams zu neuem Leben erweckt! Du hast das höbe Wunder vollbracht, daß die Freude wieder hier einzog und daß die Reken wieder blühten Den toten Bau hast du seiner ursprünglichen Bestimmung wiedergegeben, daß er wurde, »ms er cinsteu? war: ein Rasenhaus! Ein Ort des Glückes und der Freude!" Hella schritt lächelnd zwischen ihrem Verlobten und ihrem Onkel durch die Hobe Pforte und nabm dabei Thnsst'iis Arm. „Ihr beide habt auch mihgeholsen, daß es so kam." sprach sie. „Ihr sollt auch in Zukunft meine treuesten Begleiter sein und mir helfen, das Glück fcstzuhalten ... im Roscnhaus." Und auf die im Glanze der Abendsonne schimmernde Burg deutend, schloß sie: „Die ganze Welt ist ein RoienhauS, wenn die Sonne de? Glücke? durch die Fenster scheint." Ende.
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