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Sächsische Volkszeitung : 31.10.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-31
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-190210316
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19021031
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19021031
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-10
- Tag 1902-10-31
-
Monat
1902-10
-
Jahr
1902
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 31.10.1902
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düng, Licht usw. Auch der Bäckerei und der Küche wurde ein Besuch abgestattet, das Brot wurde geprüft — frisch gebacken — und für gut befunden. Die Schule wurde besichtigt und Fragen an die Kinder gestellt. Etwa dreißig Kinder waren in der Klasse. Im Krankensaale waren zwei Zöglinge, die an Erkältung litten. Bon dort ging's — alle- unvorbereitet für die Schwestern — in den Sprisesaal, wo gerade doS Mittagessen, Suppe, Fleisch und Gemüse nebst Dessert, entsprechend der Jahreszeit, Wein trauben, bereitstand. Die Schwestern essen mit den Insassen, welche alle ohne Ausnahme blühendes Aussehen zeigten. In einem besonderen Flügel des Refuge befinden sich die Mädchen, die bereits gerichtliche Strafen erlitten. Gegen dreißig waren am Tage deS Besuches anwesend, angehörend dem verschiedensten Alter, von 17—30 Jahren oder noch mehr. Sie können jeder zeit auStreien, sind in ihren Entschlüssen vollständig frei. Manche gehen alebald, da ihnen das geregelte Leben nicht behagl, um aber alsbald wiederzukommen, da sie sich draußen oft viel un glücklicher fühlen, als bei den Schwestern. Diese Mädchen be schäftigen sich mit allen weiblichen und häuslichen Aibeiten. Unterstützungen werden für diese Pfleglinge nicht gewährt. Die Schwestern geben ihnen alles unentgeltlich. Eine Insassin wurde befragt: ..Wie oft sind Sie ausgetreten?" „Sechsmal," lautete die Antwort. Die Oberin bemerkte in Gegenwart des Besuchers: „Ihr seid alle frei, ihr könnt tun, wie ihr wollt. Die Türen sind stets offen zum Gehen und zum Wiederkommen." Eine dieser Insassen, eine Frau von 56 Jahren befindet sich bereits seit 35 Jahren im Hause. Jedes Gebäude ist getrennt von dem anderen, jedes har seinen besonderen Hof und Garten; auch die Schlaf- und sonstige» Räume sind voneinander getrennt. Es ist vollständig ausgeschlossen, daß die Insassen des einen Flügels mit denen der anderen Gruppen zusammenlresfen können. Nur eine einzige „dunkele Ecke" gibt es, das ist ein Raum, in dem Holzkisten usw. aufbewahrt werden. Er wurde vor langen Jahren als Totenkammer benutzt. Eine eigentliche „Totenkammer" hat daS HauS gar nicht. Nebenan befindet sich ei» kleines Zimmer, durch ein Fenster erhellt, in dem ein- oder zweimal ein widerspenstiges Mädchen, daS stets die Nachtruhe der anderen störte, geschlafen hat. Seit beinahe zwei Jahren hat dort nie mand mehr geschlafen. Wenn man bedenkt, aus welchen Ele menten sich die Insassen des Refuge zusammensetzen, dann kann man die Geduld der Schwestern, die ohne besondere Dis ziplinarmittel mir diesen oft sehr unbotmäßigen Köpfen fertig werden, nur bewundern. Wie mir soeben milgeteilt wird, soll eine Schwester, Soeur Marie Sainte-Rose, beim Siaats- anwalte besonders wegen „Mißhandlung" von Insassen vor geladen sein. Der bedeutendste Advokat von Tours, Verlier de Baupläne, hat sich der Schwester aus freien Stücken zur Verfügung gestellt. Msgr. Regnon, Bischof von Tours, hat dem Refuge am Tage des Patronssestes einen Besuch abgestatlet und als besonderes Zeichen des Vertrauens dem kirchlichen Feste bis zu Ende beigewohnt." Nun wollen wir sehen, ob die Blätter, welche den Skandal gebracht haben, auch so ehrlich sein werden, von dem Resultate dieser staatlichen Untersuchung Mitteilung zu machen. Wir bitten unsere Leser, die Kontrolle über die in ihren Orten er scheinenden Zeitungen diesbezüglich auszuüben und uns vom Resultate Mitteilung zu machen. Obligatorische kaufmännische Fortbildungs schulen. Ter Verband katholischer kaufmännischer Vereinigungen Deutschlands hat unterm 9. Oktober eine Eingabe an den BundcSrat und Reichstag gerichtet, welche die rcichSgesetzliche Einführung obligatvrischer Handels-Fachschulen (Fortbildungsschulen für Handelsangcstelltc unter 18 Jahren) verlangt und bezüglich der Einrichtung derselben Vorschläge gemäß den auf der diesjährigen Generalversammlung des Verbandes gefaßten Beschlüssen unter breitet. In der Begründung weist der Verband zunächst auf die nicht zu leugnende Tatsache hin, daß die fachmännische Ausbildung der jüngeren Kausleute heute in weiten Kreisen eine recht unvoll kommene ist. Die Ursachen sind bekannt: Mangel an Zeit und vielfach auch an Befähigung bei den Lehrherrcn, an der erforderlichen Schulvorbildung bei den Lehrlingen, dazu die in allen größeren und mittleren kaufmännischen Geschäften vorherrschende Arbeits teilung und infolge dessen Spezialisierung der geschäftlichen Tätigkeit. Anknüpfcnd hieran fährt die Begründung in sehr beachtenswerter Weise fort: „Zwar obliegt dem Lehrhcrrn außer der moralischen Ver pflichtung zur gewissenhaften Ausbildung der Lehrlinge auch noch eine durch das neue Handelsgesetzbuch fcstgestellte gesetzliche Pflicht, indessen wird diese Ausbildung auch bei großer Sorgfalt desselben aus den oben angeführten Gründen wohl nur selten eine gehörige Auf den 24. Sonntag nach PfingKen. Evangelium: Der Sturm aus dem Meere. Jesus stieg mit seinen Jüngern in ein Schiff, um (in Be gleitung noch anderer Schiffe) an das jenseitige User zu fahren. Als sie auf dem See waren, erhob sich ein gewaltiger Sturm wind. Derselbe war so heftig, daß die Wellen über dem Schiffe zusammenschlugen, und dieses schon vom Wasser voll wurde. Alles schrie: wir gehen unter. Da stand Jesus, wie uns die hl. Ge schichte erzählt, auf und gebot dem Winde: „Schweig!" und sprach zu dem Meere: „Ruhig!" 1. Wenn die Elemente aus ihren Schranken treten, wie furchtbar sind sie! DaS Feuer sprengt die Rinde der Erde, und gießt allverzehrende Pechströme über die Gefilde aus, oder fällt in zückendem Blitze vom Himmel, und zermalmt und vernichtet, worauf es stößt. Das Wasser stürzt in brausenden Wogen vom Gebirge, und reißt allverhccrend mit sich fort, was es mit seinen Fluten erreicht, oder es türmt sich auf offener See zu tobenden Bergen und begräbt, was da lebt, in seinem Abgrund. Die Luft, so sanft und freundlich kühlend, wird zum wilden Orkane und bricht wie dürres Reis die mächtige Eiche, und streut wie Spreu die Trümmer zerstörter Wohnungen nach allen Enden. — Der Mensch sieht cs und bebt. Und doch, was ist die Natur, die mächtige und zürnende, ihrem Schöpfer gegenüber? Eine Dienerin ist sie — willenlos ihrem Herrn untertan. „Winde sind", wie der Psalmist sagt, „seine Boten und Feuerslammen seine Knechte. Er blickt die Erde an, und sie zittert. Er berührt die Berge, und sie rauchen. Er nimmt den Odem weg, und alles stirbt dahin. Er lässet seinen Odem aus, und es belebt sich neu die Gestalt der Erde. Er öffnet seine Hand, und alles sättigt sich. Er birgt sein Angesicht, und es schwindet dahin." Und wie dem ewigen Vater, dem allmächtigen Schöpfer aller Dinge, so ist die Natur willenlos untertan auch seinem Eingebornen, als durch den der Vater alles gemacht hat. Der Sohn spricht zum wütenden Sturme: Sei ruhig! und er ist cs, und zu den empörten Wellen : Legt euch! und sie legen sich. Und der Sturm läßt nicht erst allmählich nach, und die Wellen verlieren sich nicht mehr und mehr: es ist plötzlich stille und spiegelreine See. Und der Sohn spricht: Sammelt euch, ihr Fische des Meeres, in dem ausgeworfenen Netze! und die Fische gehorchen. Und zu einem derselben sagt er: Bringe aus dem Abgrund einen Stater in deinem Maule! und er bringt ihn. Und den Feigenbaum redet er an: Verdorre! und er verdorrt. Und zum verschlossenen Ohre Abrundung erfahren, wofern nicht der Lehrling selbst den Trieb hat, durch eifriges Selbststudium die im Geschäfte erworbenen Kenntnisse zu vertiefen und zu vervollständigen. Wie viele der jungen Leute aber sehen diese Notwendigkeit überhaupt nur ein? Und wie viele von denen, welche sie einsehen, besitzen Willenskraft genug, um in jahrelanger angestrengter Arbeit die Folgerungen aus dieser Erkenntnis zu ziehen? — Und doch darf man behaupten, daß gerade dem deutschen Kaufmannsstande wie kaum einem anderen in der Welt, jene vollendete Abrundung und Vertiefung fachmännischen Wissens und Könnens vonnöten ist, wenn er die mühsam errungene kommerzielle und industrielle Stellung des Vaterlandes im Wettbewerb der Nationen wahren soll. Denn Deutschland besitzt nicht so reiche natürliche Schätze und Hilfsquellen wie viele andere der mit uns in Konkurrenz tretenden Länder, namentlich Nordamerika und England in seinen Kolonien; es ist vielmehr in vieler Beziehung darauf angewiesen, seine Rohprodukte, sowie auch sonstige Handelsartikel erst aus diesen Ländern zu beziehen. Dieses Minus natürlicher Neichtümer läßt sich unseres Erachtens lediglich durch ein entsprechendes Plus kaufmännischer Überlegenheit ausgleichen, welches jedoch nicht allein bei den Leitern großer Handelshäuser und Fabriken mit auswärtigen Beziehungen, sondern in gewissem Grade auch bei allen Angestellten vorhanden sein muß." - Mit Recht folgert die Eingabe aus diesen und ähnlichen Gründen die Notwendigkeit obligatorischen kaufmännischen Forlbildungsunterrichts, da der Besuch desselben crfabrungsgemäß nur mangelhaft ist, wenn er freigestellt wird. Aber auch die Pflicht zur Errichtung solcher Schulen will die Eingabe reichs gesetzlich festgelegt wissen, da die bisherige geringe Anzahl derselben hinlänglich gezeigt hat, daß es nicht genügt, den Gemeinden bloß die Möglichkeit hierzu einzuräumen. So lange eine solche gesetzliche Pflicht noch nicht besteht, sollten indes die Regierungen wenigstens bestrebt sein, auf die Gemeinden in dieser Hinsicht eine» Druck auszuüben. Eine bezügliche Bitte hat ebenfalls der genannte Verband gleichzeitig mit seiner Eingabe dem preußischen Handelsniinister übermittelt. Aus dem Reichstage. 205. Sitzung am 28. Oktober 1902. Viehzölle und Grenzsperre beschäftigten auch noch die ganze DienStagssitzung des Reichstags. Graf Kanitz, der d>e Debatte ei öffnete, ist unstreitig der gewandteste und unterrichtetste Redner in wirtschaftlichen Fragen, den die Konservativen haben. Mit Glück wandte er sich gegen die Freisinnigen, denen er das zähe Festhalten freisinniger Stadtverwaltungen — wie z. B. in Breslau — an den städtischen Schlachisteuern und Nahrungs- mittclabgaben vorhielt, und gegen die Sozialdemokraten, die zwar hohe Löhne für die Arbeiter fordern, zugleich aber auch billiges Fleisch und Brot verlangen, obwohl doch die Landwirte bei un zureichendem Verdienst auch den städtischen Gcwerben nichts zu verdienen geben können. Das trifft also die städtischen Arbeiter. Was die Landarbeiter anbelangt, so bewirte nachher Graf Posa- dowsky, daß diese nur dann hohe Löhne erhalten können, wenn die Landwirte auch gute Preise bekommen. Die Linke konnte hiergegen um so weniger einwenden, als sie selbst gerade vor her dem Staatssekretär Beifall gespendet hatte für den Satz, daß der Abwanderung der ländlichen Arbeiter in die Slädie nicht durch polizeiliche Zwangsmittel, sondern nur durch hohe Löhne gesteuert werden lönne. Auf der Linken versteht man überhaupt nichts anderes, als nur immer zu negieren. Jeder Zollschutz wird obgelehnt, die Grenzmaßregeln werden bekämpft, kurz alles, was dazu beitragen kann, die Landwirtschaft gesund und lohnend zu wachen, heftig angefeindrt, dafür aber verlangt man von ihr, daß sie hohe Löhne zahle und Vieh und Getreide womöglich noch unter den Selbst kosten liefere. Dieselbe Jnkonstquenz zeigt sich in der immer wiederkehrenden Behauptung, die kleinen Landwirte hätten von besseren Getreidepreljen nichts, da sie nichts zu verkaufen hätten, sondern noch zukaufen müßten. Und ebenso heißt es bann auch, sie häuen von bisseren Viehpreisen nichts, da sie auch kein Vieh zu verkaufen hätten, sondern ihr Zugvieh selber kaufen müssen. Ja, wovon sollen sie denn kaufen, woher daS bare Geld nehmen, um ihre Bedürfnisse zu bestreiten, Steuern zu zahlen usw., wenn sie weder Getreide noch Vieh zu verkaufen haben?! Diesen Widerspruch beleuchtete Graf Kanitz recht wirksam. Im übrigen ist zu erwähnen, daß er die Bekäwpfer der Fleisch- teuerung auf ein viel nachdrücklicheres Mittel, dieser zu steuern, nämlich die Abschaffung deS Unwesens der Viehkommlssio- näre oder Piaxer, hinwies. In der Tat wird durch dieses übeiflüssiqe Zwischenglied den Großstädtern daS Fleisch Viel sagt er: Öffne dich! und es tut sich auf. Und zum blinden Auge spricht er: <Äi sehend! und es sieht. Und zum fieberkranken Blute: Sei ruhig! und es ist ruhig. Der Sohn, durch welchen alle Dinge gemacht sind (das sehen wir mit unser» Augen), ist auch Herr dieser Dinge. Wie kann es anders sein? Ist ja der Töpfer Herr seines Geschirres und der Meister Herr seines Werkes. Schon an unserm Leibe nehmen wir cs wahr. Wir bewegen die Hand nach unserm Gefallen; denn wir sind die Eigentümer, und die Hand ist das unsrige. Wir gebrauchen das Auge nach unsrer Willkür, und dasselbe kann, wenn wir sehen wollen, nicht sagen, ich mag nicht; denn es ist willenlos in unserm Besitze. Und ebenso können Winde und Meer, und Fisch und Baum, und Auge und Ohr, wenn der Herr gebietet, nicht antworten: Wir gehorchen nicht; denn sie sind sein Eigentum und Werk, und er schaltet über sie noch unendlich freier und mächtiger, als wir über unsere Hand, über unser Auge oder über unsere Zunge. Und so mögen wir einen Blick tun in die verborgene Größe und Herrlichkeit des Sohnes. Er ist (leiblich angesehen) ein Mensch, und nichts weiter. Allein, siehe: Er schaltet über Sturm und Meer, wie wir über unsere Hand oder unfern Fuß. Wir bewegen von innen heraus mittels der Nerven und Muskeln Gliedmaßen unseres Leibes, und üben auf diesem Wege Macht über dieselben. Aber von wo aus übt man Macht über den heulenden Sturm? Wo faßt man die Lust an und legt sie in Fesseln? Das kann gleichfalls nur von innen aus, das kann nur aus dem Unsichtbaren hervor, geschehen. Wer das kann, muß (wie der Geist innerlich und unsichtbar über dem Leibe steht und diesem gebietet) ebenso unsichtbar über der unsichtbaren Luft stehen, und ihr von da aus gebieten. Und wenn sonach der Herr leiblich da ist und erfunden wird als ein Mensch, so muß er zugleich auch in einer übermenschlichen Weise da sein und in der Welt des Unsichtbaren als Herrschergeist schalten. Und wenn er mit dem Munde des Leibes spricht: Schweige und sei ruhig! so ist es nicht etwa dieses hörbare Wort, was den Sturm stillt, sondern dieses hörbare Wort ist nur der vernehmliche Ausdruck jenes Herrscherwillens, welcher im Reiche des Unsichtbaren waltet, und über der großen, gewaltigen Natur in einem unendlich höheren Maße gebietend dasieht als sein menschlicher Geist (aus dem Unsichtbaren hervor) gebietend dasteht über einige Gliedmaßen des Leibes. Das rechte Verhältnis zwischen dem Schöpfer und der Natur und das rechte Verhältnis zwischen dem Eingebornen des Vaters und den Dingen, welche durch ihn gemacht sind, drückt die hl. mehr verteuert als durch Zoll und Grenzsperre, und die Bauern haben nicht- davon. Der bayerische Sozialdemokrat Segitz, der auf einen nationalliberalen Befürworter der Regierungsvorlage namenS Deyken folgte, blamierte sich nach K>ästen. Er brüstete sich wieder einmal mit der „Sachlichkeit" der sozialdemokratischen Reden. WaS er aber selber sagte, davon beschäftigte sich ober kein Wort sachlich mit dem Gegenstand. Wenn die Landwirt schaft, meinte er, mit den jetzigen Preisen nicht auskommen könne, dann müsse sie eben verstaatlicht werden. Bildet sich Herr Segitz wirklich ein, der Staat werde billiger produ zieren oder sich mit Preisen unter dem Selbstkostenpreise be gnügen? AuS solchen Redensarten bestand seine ganze Rede. Von dem Staatssekretär Grafen Posadowsky mußte sich Herr Segitz vor allen Dingen noch einmal aus dem wirtschaft lichen Abc-Buch belehren lassen, wobei Graf PosadowSky sogar den Fraktionsgenossen Segitz', den Abg. Sctuppel, als Zeugen anführen konnte. Überzeugend wies Graf Posadowsky nach, wie ungeheuer wichtig gerade eine strenge Überwachung der Grenze für die Gesunderhaltung unseres Viehstandes ist, der einen Weit von 7>/r Milliarden dcnstellt. Der Staatssekretär legte dann noch einmal die Gründe der Regierungen für ihre Getreideminimalzölle und gegen Mindestzölle auf Vieh dar, um schließlich das Unannehmbar deS Reichskanzlers für weiter gehende Forderungen, die „nicht realisierbar" seien, zu variieren. Er beschwor sogar die 2000jährige deutsche Geschichte herauf, um vor der Uneinigkeit der Parteien, zu warnen: „DieMxhr- heitsparleien werden die Folgen tragen. Die warnende Schrift steht schon an der Wand, und eS gehört kein Daniel dazu, um diese Schrift lesen zu können." Andere Leute werden finden, daß dieses eigenartige Mene tekel sehr a» Deutlichkeit zu wünschen übrig lasse und daß der Prophet Daniel-Posadowsky gerade da aufgehört habe, wo er an fing, interessant zu werden! Jedenfalls hatten seine War nungen, seine Beschwörungen, die er teils aus der deutschen, teils aus der biblischen Geschichte entnommen, nicht den Eifolg, die Mehrheitsparteien nachgiebig zu stimmen. Diese sind viel mehr, wie Abg. Trimvorn (Zentr.) mit Recht betonte, nun erst recht bedenklich geworden; je mehr sich die Herren von der Regierung gegen die Mindestzölle auf Vieh wehren, umsomehr wächst das Mißtrauen, daß gerade das Vieh bei Vertragsver- handlungen als Kompensationsobjekt herhalten soll. Erst gegen 7 Uhr schloß die Sitzung, nachdem der Sozial demokrat H a a s e noch eine sehr überflüssige Rede gehalten. Zur Abstimmung wird es erst morgen, Mittwoch, kommen. 206. Sitzung am 29. Oktober. Die Debatte über die Vieh- und Fleischzölle wird beendet, da ein Antrag auf Schluß derselben eingeloufen ist. Über diesen Antrag muß auf Verlangen der Sozialdemokraten namentlich abgestimmt werden. Nunmehr erfolgen die Abstimmungen über die Rindviehzölle. In einfacher Abstimmung wird mit der bekannten Mehrheit der Antrag Wangenheim abgelehnt, desgleichen ein Eventualantrog Albrecht, die Zollsätze nicht nach Lebend-, sondern nach Schlachtgewicht zu berechnen. Jnnament- l i ch e r Abstimmung wird hierauf der Kommissionsantrag (14,40 Mk. Mindestzoll) mit 161 gegen 120 Stimmen ange nommen. Zur Mehrheit gehören auch einige Nationalliberale, zur Minderheit auch 7 Zentrumsabgeordnete (Graf Ballestrem, Cahensly, Fusangcl, Letocha, Müller-Fulda, Sittart, Stützet). Drei Abgeordnete enthalten sich der Stimmabgabe. Weitere namentliche Abstimmungen ergeben die Annahme der Kommissions beschlüsse auch für Schafe (Mindestzoll 14,40 Mk.). für Schweine (ebenfalls 14,40 Mk. Mindestzoll), für Fleisch (Mindestzollsätze von 36—96 Ml). Nachdem noch ein Antrag Albrecht (Soz.) auf gesetzliche Festlegung der Zollfreiheit von Fleischmengen bis 2 Kilo für Gienzbezirke abgelehnt war, sind die Vieh- und Fleischzölle durchweg gemäß den Kommissionsvorschlägen erledigt. Nunmehr stellt der Präsident die weiteren zu Z 1, Absatz 2 gestellten Mindestzollanträge des Abg. v. Wangenheim zu de» Positionen Küchengewächse, lebende Pflanzen, Blumen, Blätter, Cycaswedel, Weintrauben, Äpfel und anderes Obst zur Beratung. Auf Antrag des Abg. Herold (Zentr.) wird über den ganzen Antrag Wangenheim zur Tagesordnung übergegangen. Politische Rundschau. Deutschland. — Die „Italic" meldet, der deutsche Kaiser werde, falls eS seine Zeit erlaubt, zum 25jährigen Regterungsjubiläum des Ptpstes Leo XIII. am 2. März 1903 in Rom sein. Bei der Schrift, wenn sie die sichtbare Welt bezeichnet, als „ein Gewand Gottes" aus. Der Leib hat, dem Geiste gegenüber, ob er diesem auch unterworfen sei, doch immer noch ein eigenes Leben und eine Art eigenen Willen. Anders verhält es sich mit unserm Kleide. Auch es ist das unsrige, und wir zeigen uns in ihm der Welt, aber es ist für sich rein leben- und willenlos. Wir legen dasselbe an und ab — schlechthin nach unserem Gefallen, und breiten es aus oder legen es zusammen, lediglich nach dem Beschlüsse unseres Willens. So ist auch die große, herrliche, reiche, schöne Natur wie ein Gewand, worin wir zwar den Geist und den Charakter dessen, der es trägt, erkennen, und mit Lust schauen mögen, aber Gott gegenüber ist sie sein willenloses Eigentum, und der Herr verfügt über sie, wie über sein Kleid, das er nach Gefallen auf schürzt oder wallen läßt. Großer, allmächtiger, unaussprechlicher Geist! der du die ganze Welt und alles, was auf ihr lebt und wirket, gemacht hast und in seinem Dasein erhältst und regierest. Kugeln, zahllos wie der Sand des Meeres und von solcher Größe, daß unsere ganze Erde gegen sie nur wie ein kleiner Ball ist, sind durch die un endlichen Himmclsräume dahingesät. (Siehe an das zahllose Heer der Sterne!) Dennoch, so unermeßlich groß und so zahllos sie sind, sie sind in deiner Hand nur Geschirr des Töpfers. Du winkest, und sie zerfallen; du wirfst sie weg, und sie sind nicht mehr. Und alle diese unermeßlichen Körper bewegen sich und gehen ihren Gang; mit der Schnelle des Blitzes drehen sie sich, und doch verletzt keiner den andern oder stört ihn in seinem Laufe. Und nach ewig gleichem Gesetze wechseln Tag und Nacht, und Frühling und Winter, und! Blüte- und Erntezeit. Und ohne Ende gießt die Sonne ihre Strahlen aus, und der Himmel gibt seinen Regen und Tau. Und nimmer hört das Gesäme auf, sich in Pflanzen zu erschließen, und das Getier der Erde, sich zu mehren. Unerschütterlich stehen die Gesetze deiner Natur, und wie vor Jahrtausenden, so walten sie noch heute. Dennoch sind es nur die Kräfte deines ausgereckten Fingers. Du ziehest ihn zurück, und die Sonne gibt ihren Schein nicht mehr, und die Grundfesten des Himmels sind erschüttert. Du großer, du un aussprechlicher! ob du im brausenden Sturme dahinfahrest, oder ob du wandelst im sanft kühlenden Abendwinde, ob du erscheinest im milden Sonnenstrahle, ob im zermalmenden Blitze, es sind deine Knechte um dich her. Sprichst du: Schweigel so ist Stille, und sprichst du: Komm! so kehrt der zückende Strahl in deine Hand zurück.
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