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Tonnabend den 8. März 1921 «IchflsG, Nr. 83, Seite ly Die Kornkammern der Erde Von Tr. W. Reichenbach (Nachdruck verboten.) Die Hoffnungen, die wir auf den Ausfall der letzten Ernte fetzten, haben sich leider als trügerisch erwiesen. Der Ertrag ist abermals hinter den Ergebnissen der Vorjahre zurückgeblieben. Durch den Raubbau der langen Kriegsjahre ausgesogen und er- schöpft, vermag der heimische Boden nicht einmal d>e karg be messene heutige Brotration zu liefern. Zur Deckung des ge waltigen Fehlbetrages unserer Ernährungswirtschaft bleiben wir daher für den Rest des Erntejahres auf die he ite so kost spieligen AnSlandslieferunge», auf Bezüge aus den überseeischen Kornkammern der Erde angewiesen. Die Ansänge eines internationalen Getreidchanaels begeg nen uns bereits im Altertum. Athen bezog bedeutende Mengen Von Weizen und Gerste vor allem aus den Ländern am Schwar zen Meere. Grosze Kcrnflotlen, die in Kriegszeiten von bewaff neten Stuften begleitet wurden, vermittelten den Get.eidetrans- port. Noch größer war der Getreidebedarf Roms, dessen Ein wohnerzahl in der Kaiserzeit fast eine Million Seelen erreichte; die Korntammern der Hauptstadt bildeten Sizilien und Aegyp ten sowie Nordwesiasrika. Im Norden Europas entstand zu Beginn der Neuzeit ein lüuderumsassender Getreidehandel zuerst in den Niederlanden, deren gewerblätige Bcvölierung bald aus fremde Zuiuhren an gewiesen war. Holländische Kornhäudler lausten die Ueberschüsse des Ostsecgebieies. besonders des Wcichseltales, auf und verfrach. tete» sic teils nach de» holländischen Märkten, teils auch weiter nach den südeuropäischen Bedarssgebieten wie Spanien und Ita lien. Amsterdam war schon im 17. Jahrhundert ein Welthan delsplatz für Getreide. Jin Osten besaß die Stadt Danzig als Ausfuhrhafen für das polnische Getreide hohe Bedeutung. Immerhin hielicn sich die Umsätze der damaligen Zeit noch in bescheidenen Grenzen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahr hundert? schätzte Turaot den Gesnmtiimfang des Getreioehai",e!S erst auf 19 bis II Millionen Hektoliter. I» jenen Tage» war England, dessen Landwirtschaft die führende Stell- einnahm, noch ein CeircideauSsuhrland. Die nunmehr einsetzende indu strielle Entwicklung zieht aber bald eine völlige Umgestaltung der Verhältnisse »ach sich. Nachdem England zum letzten Male im Jahre ,792 Getreide ausgesühn hatte, macht sich in der Folge zeit eine rasch zunehmende Einfuhr erforderlich. Den Bedarf decken zunächst die L stseegestade und die Elbgegenden, zu ihnen treten mit der Beendigung der napoleonischen Kriege die Steppengebiete Südrußlands. Bis zur Jahrhundertwende bilde te» diese' Gebiete noch eine menschenleere, von einzelnen Tataren- siümmen durchzogene Wildnis. Erst im Jahre 1791 erfolgte die Gründling Odessas, das bald der wichtigste Ausfuhrhafen für das russische Getreide wurde. Der Weizen der russischen Steppen unterscheidet sich in mehrsacher Hinsicht von dem Weizen der westeuropäischen Länder. Die Körner sind viel kleiner als bei dem in seuchierem Klima erwachsenen deutschen und englischen Weizen. Während > on letzterem in der Regel nur 25 Körner auf ein Gramm gehen, mache» bei dem Hart- oder G.'asweizen erst 35—>9 Körner und mehr ein volles Gramm aus. Anderer seits zeichnet sich d>r russische Weizen durch einen sehr hohen Eiwc'ißgehalt aus. Tie ertragreichsten englischcn Weizensorten, die heule auch ni Deutschland sehr viel gebaut werde», enthalten nicht mehr als 19 Prozent Protein, die besten russischen Sorten dagegen wie Bjeloturta, Pcrerod und Kubanka, 18—29 Prozent Protein. Rußlands Stellung als Weizenlieferant kennzeichnet die Angabe, daß von dem gesamten im Welthandel pmgesetzten Weizen im letzten FriedenSjahr« 1913/14 aus daö ehemalige Zarenreich 4,73 Millionen Tonnen oder 29,0 Prozent der Ge samtmenge knlsielc'ii. Das Deutsche Reich dagegen erzeugte noch in der erstell Hälfte des 19. Jähehunderls mehr Getreide als cs zur Ernäh- rnng seiner Bevölleiung brauchte. Die Ostseehäfen Danzig, Königsberg und Sictiin. aber auch Hamburg exportierten große Menge» von Getreide nach England und Holland, den beiden Hauptbedarfsgebietcn jener Zeit. Selbst Mannheim, da" vor dem Weltkriege der größte Weizcneinfuhrvlatz des fcst'ändischen Euro pas war. konnte damals Getreide rheinabwärtS verfrachten. Deutschlands Getreidcmehransfnhr belief sich zu Anfang der 1849er Jahre ans etwa 359 999 Tonne» im Jahre. Die beiden großen Wettbewerber ans dem Weltmärkte waren Deutschland und Rußland. Wie in England führt auch in Deutschland die industrielle Entwicklung iiii Pereiu mit der starken Bevölkerungszunahme zur Erhöhung deZ Eigcnbedarss an Brotkorn. Die deutsche Ge treideausfuhr geht ständig zurück, au ihrer Sielle greift eine be deutende Einfuhr Platz. Mit dem Versiegen der deutschen Aus fuhr eröffnet sich aber dem Weltmarkt eine neue Kornkammer in den ungeheure» Flächen der nordamerikanischen Prärien. Der Ausbau de-Z Eisenbahnnetzes, der nach Beendigung des Sezes sionskrieges mit Riesenschritten gefördert wird, bringt gewaltige Menschenmassen in die sruckitbaren Ebenen des mittleren Westens. Der sungfräuliche Boden lieferte überreiche Ernten, die gewaltigen Mengen von Brotkorn, die auf den Weltmarkt ge worfen wurde», bewirkten einen starken Rückgang der Getreide preise. Die Landwirtschaft Westeuropas geriet dadurch in schwere Bedrängnis. Ilm sie vor dem Untergang zu bewahren, erwies sich die Einführung ve» Schutzzöllen als unabweiSlich. Die Weizenausfubr der Vereinigten Staaten wuchs von Jahr zu Jahr und veruwchie zeitweilig sogar die russische Ausfuhr zu überflügeln; n» Durchschnitt der Jahre 1871—80 führte die Union 2,79 Millionen Tonnen. Rußland 2.12 Millionen Tonnen Weizen ans. Das rasche Anwachsen der Bevölkerung stellte in dessen auch in der Ilnio» stechende Ansprüche an die heimisch« Landwirtschaft. Der für die Ausfuhr verfügbare Teil der Wei- zencrnte verrinaerte iich daher von 33B Prozent in den Jahren >889 - 98 auf 22.8 Prozent im Jahrzehnt 1098—18. Anderer seits ba! der Weizeubau neuerdings in Kanada aroße Fortschritte gcmachi. Es zeigte sich, daß die Grenze der Weizenknltur die', weiter »ach Norde': reicht, als man ursprünglich angenommen hatte; die Ausfuhr Kanadas erreichte bereits 2—9 Millionen Tonnen in, Jabre. Die Gelamtansinbr Nordamerikas belief sich im Ernicsahr 1913—14 auf 7.72 Millionen Tonnen Weizen oder 42,8 Prozent der Wcltbanbeksumsätze. Von der landschaftlichen Eigenart der nordamerikanischen Weizenbaugegenden gibt Wallace Craig auf 8Kund eines mehr jährige» Aufenthaltes in Rorddakoiah eine eindrucksvolle Schilde rung. Der Haupicharakterzug des Landes bildet eine bedrückende Eintöniakeit. Soweit das Auge reicht, erblickt es kein Tal. keinen Hügel, keinen Raum, keinen Waflerlaus, nur den Himmel und die Erde und endlose Weizenfelder. Biele jung« Amerikaner, die in den Farmhäuser» der Prärien aufwachsen, haben noch nie in ihrem Leben einen Fluß oder einen See oder einen Hügel, viele sogar nicht einmal einen Baum aeseben. Wie aus den» offenen Meere sind von fernen Gegenständen nur die höchsten Teile sichtbar und in derselben Weis« wie der Seefahrer au» dem Anblick der Rauchfahne eines Dampfers desien Entfernung schätzt, vermag der Bewohner der Prärien a»ö der am Horizpnt er scheinenden Rauchwolke einer Dreschmaschine deren Abstand an» zngeben. Je weiter der Zug nach Westen eilt, desto mehr tritt im LandtckiaftShilde der Vaumwnchs zurück, schließlich bleibt er auf dl« tief eingekchnitienen Flnßtäler beschränkt. Aber auch die Sta»d«i>a«wächse schmiegen sich mebr und mehr dem Erdboden an: die Nackst'erzen. tue im Osten eine Höhe van 1*4 Meiern er reichen, sind hier sienaelkoS. Nm so stärker ist in dem trockenen Steppenklima die Entwicklnna der unterirdischen Teil« der Pflan ze». Die Kn'toss'I liefert hier nnoewöbnlich Hobe Erträge, dl« Zuckerrüben bereiten bei der Ernte wegen Ihrer allzu üp pigen Entwicklung Schwierigkeiten, auch Rettich, Möhre und Steckrübe werden zu wahren Riesen. Die Wurzeln res kurzen Präriegrases dringen bi» zu sechs Fuß und tiefer in den Boden «in. di« «Ifalfa, ein luzerneartiges Futtergewächs, sendet ihre Wurzeln soaar 12S Fuß, d. i. fast 40 Meter, tief senkrecht in den Boden hinab. Der Ausbau der Eisenbahnen in den fremden Weltteilen ließ bis zuin AuSgang des 19. Jahrhunderts noch eine Anzahl weiterer Wettbewerber auf dem internationalen Getreidemarkte erscheinen, darunter Länder, in denen man einen erfolgreichen Weizenbau kaum kür möglich gehalten batte. Die Reihe eröffnet« Indien, das schon zu Anfang der 1880er Jahre jährlich bis zu 1 Million Tonnen abgab. Ganz überraschend brachte sodann im Jahre 1893 Argentinien gewaltige Menge!, von Weizen, und zwar ebenfalls 1 Million Tonnen, zur Ausfuhr. Auch Rumänien entwickelte sich zum Weizenausfuhrland; ebenso hat Australien als Weizenlieferant des Weltmarktes eine beachtenswerte Stel lung errungen. Der Anteil der vorgenannte» Länder a»i Wci- zcnhandel der Erde schwankt zwischen 6 und 10 Prozent des Ge samtumsatzes. Was endlich die ZukunftSaussichten deö We^zi- baues in diesen Neuländern der Weltwirtschaft betrifft, so er scheinen die Entwicklungömöglicbkciteil in Australien ttffolge der Wasserarmut des Kontinents sehr beschränkt. Um so glänzendere Aussichten eröffnen sich der Weizenkultur in Argentinen. Dle argentinische Pampa besitzt zum Teil einen Boden von geradezu märcheyhastcr Fruchlt>arkeit, die vielleicht die verühinte rufst übe Schwarzerde übertrisst. Nach dem Urteil von Kärger könnten in der Pampa insgesamt etwa 46 Millionen He.ftar v'.l Weizen bestellt werden, während im Jahre 1991/92 erst 3,4 Millionen Hektar besät waren. Kommt allv rnr Aroüou II» ^IlvINIIltL ToiZnIsg lisn 13. RÜLNL 1T2I Tiere als Kampfeshelser der Menschen Von HanS Runge cNachdruck »erboten 1 Während des Weltkrieges ging durch die englifche Presse die Nachricht, daß mir Deutsche in unseren Kolonien Bienen in den Kriegsdienst gestellt hätten. Unsere Schntztrnpp>cr sollen d cse nützlichen Tiere zu großen Schwärmen, in be, mders zu- gerichteten Bienenhäusern gefangen gehalten ! nd im geeigneten Auleiiblick auf die anstürmenden Briten losgelafft» baten. Ter Feind soll dann vor den Stacheibewehrten die Flucht ergriffe» haben Verfasser konnte die Echtheit dieser Meldung >n bislang nicht nachprüfcn, aber es erscheint angebracht, darauf hiuzuwe:- sen. daß schon einmal, sogar in unseren heimatlichen Gauen, Bienen als Kampfmittel zur Anwendung gelangten. Und dies geschah in der »Schlacht" bei Attendorn in Westfalen, die zu der Zeit des Dreißigjährigen Krieges ausgetrageit würde. Die geängstigten, nahezu waffenlosen Einwohner dieses Or'es setzten als ultima ratio den Entschluß, ihre gesamten B enenvölker den Schn edenfeinden entgegen zu senden. Der Erfi'g soll auf fetten der Bienenzüchter gewesen sein; und noch heutigen Trges stiert mar', zu Attendorn, zur Erinnerung au den Tag. den .sieg" der kawpfestüchtigen Bienen. Eingeborene Australier verwenden noch heutigentags die übrigens sehr angriffölustigen Bienen als Helfer Lei ihren Stcnnmeskämpfen. Ein rundes, dünnes Körbchen wird dort her- gestellt und mit stark duftenden Pflanzensäften euigeri-ben. Beim Angriff wird der Korb wie eine Handgranate geworfen; er platzt uitd die durch den Dust aufgebrachten Bienen schwirren erregt auf den Gegner zu und bearbeiten ihn m,t ihren Stacheln. Die heimtückischsten und furchtbarsten Knnpfti-ce waren von jeher Ratten und Mäuse. Bei der Belagern») von Konstantinopel wurden Tausende und Abertausende von o .scii Nagetieren mit Pestleichen zusammengesperrt, von Kriegsgefan genen dann in geeignete Behälter gesteckt, die schließlich verm"- telst Tchleudermaschinen (Meiden, Wippen. Kat-pulten oder Bil« listen) in die belagerte Stadt geschleudert wurden. Hier rickneten die mit Pestbazillen infizierten Tiere unter den armen Anwoh nern große Verheerungen an und die Uebergabe ließ nicht mehr lange auf sich warten. Katzen und Tauben verwendete man im McUelaller bei der Belagerung von Festungen oder befestigten Feldlagern als Brandstifter. Starke Katzenvölker wurden mit sogenannien Brandflaschen, Pechtöpfen oder Pechringen versehen und dem Feinde entgegengcschickt. Blanche Festung und mancli-s Lager sollen auf diese Weise in Flammen anfgegangen sein. In einem im Jahre.1584 erschienenen Buche, betitelt: „Feuer-Buch / durch einen gelahrte» Kriegö-VerstänRgcn", werden diele Belag.-- rungsmittel eingehend beschrieben und erläutert. Giftschlangen mannigfacher Art wu:den namentnch in den Kämpfen des Altertums verivendet. Brickenschln,-.,.«» und Hornvipern. Kobraschlangen oder Pustottern wurde» tn len. Kriegsdienst gestellt. So kämpften die Karthager fegen ihre Feind« aus Sagunt mit letzterer gefürchteten Schlangenart, , i« sie in dünnwandige Tongefätz« sperrten und an Bord der ge.fne- rischen Schiffe schleuderten. Es wird uns überliefert, daß Köniz PrufiaL während seiner Seekämpse gegen Eumencs den Anreger, ebenso »erfuhr. Mährische Seeräuber sollen noch Ende deck vorigen Jahr hunderts ihre Feind« oder Opfer auf ähnliche Weise überwältigt haben. Dies« Küftenräuber warfen von ihren schnellen, kleine» Booten aus aus kleine Kauffahrteischiffe eine bestimmte. Schlan genart. Gleichzeitig verwendeten sie Stinkbonwcn. die die krie chenden Bestien «och tvilder und den räuberischen Zwecken die -st- barer machten. Außer Lauben und Hunden habe» wir während de» «rr- fiofsenen Weltkrieges keine weiteren Tiere als abso, ^rlickie Kampfeöhclfer gebraucht. Und auch Taube« und Hunde dienten lediglich als NachrichtenSbermittlcr oder Hclf.r im Sanitcfts- Wesen. _ . Und doch muß zum Schluß eine» kleinen da« allen kämpfenden Heeren zeitweilig großen SchadeDMbr nht b.,t. Erwähnung getan werden: eS war die unscheint>arc Kleider laus. Dieser Schmarotzer war als Verbreiter ansteckender Krankheiten bekannt und von Freund und Feind gefürchtet. Tu- fache war, daß verlauste Kampftruppen au Schlagftrtigkeii und Widerstandskraft eingebüßt hatten, wenn auch den meisten Krie gen, nicht zum Bewußtsein gekomme« sein dürft«, daß die Lau» als unscheinbare» Lebewesen «it zu« Kampfeshelser der einen »der anderen Partei wurde. Joseph Haydn, der deutsche Musikant (Nachdruck verboten.) Die Entwicklung der musikalische» Kunst ist im Gegensatz zu anderen Künsten von einigen wenigen Völkern getragen wor den. Wenn heute die deutsche Musik mit Fug und Recht sich — trotz Weltkriegshetze und Chauvniistenrasere' — in der Welt höchster Wertschätzung erstem wenn das deutsch- Volk seit einen, Jahrhundert als GralSträger des klingenden Mysteriums der Harmonie der Töne von Gipfel zu Gipfel reinster Entwick lung geschritten ist. dann vergißt man wohl, daß nicht miner d e deutsche Musik, erfüllt vom Odem und der genialen Schöpferkraft der Gestalter und Meister, eine zwingende Führerstellung ein genommen, sondern als bescheidenes Aschenbrödel im Schatten und neben der feierlichen Pracht italienischer und französischer Musikkultur nicht allzu hoch gewertet einherging. Der Bahnbrecher der Weltgeltung deutscher Musik war I o - seph Hayn, einer jener wundervollen genialen Schöpfte künstlerischer Leistungen, wie sie in der glücklichen, uaivleichtbc- schwingten Heiterkeit und unbewußten Tiefe nur von Deutsch lands heiterem Süden oder dem musikbebendcn Deutschösterreich hervorgebracht wird. Gesättigt mit Kämpfen, Siegen und Dul den, übcrsonnt von einem fröhlich-zufriedenen, gottesgläubigen und schönheitstrunkenen Herzen ist Joseph Haydns Leben in saust, aber mit ruhiger Stetigkeit ansteigernder Kurve des Er folges und der Geltung dahin gegangen; das Leben eines guten Menschen, welches mit den Kleinheiten des Alltags wie von buntem romantischen Flitterkram verbrämt ist. Am 81. März 1731 schrie ein kleines munteres Bübchen i» der niederen Stube des ärmlichen Wagnermeisters Havdn im Marktflecken Nohcau in seinen Geburtstag hinein. Es gab noch ein großes Getue um den kleinen Mann, den zweiten Buben; die weiteren zehn Geschwister sollten noch geboren werden. Der kleine Joseph brachte seinen sehr früh wicbwerdendeii musika lischen Sinn als Erbgut seines Vaters mit der .von Natur ans großer Liebhaber der Musik" war und seinen Feierabend mit frohen, Harfenspiel und schlichtem Volksgesang auöfüllte. Die natürliche Musikalität des kleinen Joseph entdeckte der Ehorregcnt des Städtchens Hainburg, Mathias Frankü, ein Schwager von Joseph Haydns Mutter. Er nahm das fünfjäh rige Bürschchen mit sich, um es in der Musik zu unterrichte». Der kleine Joscpb verließ das arme Vaterhaus mit fünf Jahren und kehrte nicht mehr dahin zurück. Das Los deö heimatlosen, an fremden Tischen geduldeten Kindes, beaann für ihn reichlich früh. Tie Hamburger Zeit war für Joseph Haydn eine bitter-hacta Schule. Er erhielt zwar eine sehr gute, praktische musikalische Ausbildung, aber «r bekam nach seinen eigenen Worten in Mathias Frankhs Hanse mehr Prügel als zu eisen. 1738 kam der kleine Scpperl durch den Wiener Doinkavellmcister Georg Rentier in das Wiener Kapellhaus als Singknabe. Joseph Haydn schrieb später von seiner Wiener Singknabcnzeit: „Ick, habe in Wien das Schönste und Beste in allen Gattungen gehört, was eS in meiner Zeit zu hören gab. Und dessen war damals in Wien viel; o, wie viel. So ist nach und nach, was ich wußte und kennte, gewachsen." Ms 1749 war Joseph Haydn im Wiener Kapellhaus, daun setzte man ihn, als seine Stimme umschlug und sein schöner Knabcnsepran verloren ging, rücksichtslos auf die Straße. Waren dle bisherigen Jahre hart gewesen, so kam nunmehr zeitweilig die bitterste Not über den jungen Musikanten. Aber eS ist prachtvoll, wie der tapfere Joseph Haydn sich langsam voranarbeitete und emporhungerte: vom Tanzbodenmusikanten zum Klavierlehrer unier dem Dach, mit einem geliehenen Flü gel, zum Kapellmeister des Fürsten Paul Anton Esterhazy zn Eisenstedt in Niederungarn, schließlich zum populärsten Koinpo- nisten des musikstohen Wien, zum Freunde Mozarts, znm Pio nier deutscher Musik in London (1790—62 und I794 H5), zum Lehrer des jungen Titanen Beethoven. Sein deutsches Mu- fikmachen fand ruhmvolle Krönung in dem Aufträge, d e deutsche Kaiferhymne „Gott erhalte Franz, den Kaiser" zu setzen (1796). DaS Bild des genialen Mannes voll schlichter Einfachheit bis in die Sterebestunde bleibt ungetrübt. Die EinkeitungSworte feines VokalouartettS „Der Greis": „Hin Ist alle meine Kraft, alt und schwach bin ick", ließ er sich nach 1893 auf die Visitenkarten drucken. ein Zug feiner reifen Güte und friedlicher Abgeklärt heit. AIS er am 31. Mai 1899 starb, legte er sich ruhig hin, ein wahrhaft herzenSgläubiger, darum so milder und frohherziger Musikant unseres Herrgotts. Joseph Haydn war der Fleißigsten einer. Nicht weniger als 125 Sinfonien, 77 Streichquartette, 66 Divertissements. 39 Streichtrio-, 33 Klaviersonaten, 24 Opern, zwei große Oratorien, IS Messen hat er geschrieben. Seine weitreichende Be deutung liegt darin, daß er der erste war, der in dem inter- n(Atonalen Musizieren den spezifisch deutschen Ton schuf. A»S der Stille der kleinen ungarischen Stadt wuchs sein Schassen, konzentriert, «igenwüchsig und in der einfachen, aber echten Mu sikalität des Volkes wurzelnd heraus. Joseph Haydn schuf die deutsche Klangsärbung des Orchesterstils; er voll-ndete die Formen unserer Instrumentalmusik. Sein Stil war rein, gr- sund. von edler Einfachheit und Volkstümlichkeit. Auf seinen kräftigen Schultern stehest alle die neueren und neusten Former des Orchesterstils. Ei ist aus der musikalischen Entw cklung der Gegenwart und dem sieghaften Aufstieg der Weltgeltung deut scher Musik gar nicht knnwegzudenke». Deutsches Gefühl, deutsche Heiterkeit, deutsche Frömmigkeit tönt in seinen Harmonien. Und wenn da» deutsche Volk einmal wieder lernen wird, wertvolle und gesund, HauSntusik zu pflegen, dann wird eS gern und reich beschenkt in die Kostbarkeiten Haydnschcr Kleinkunst greifen. Seit Joseph Haydn weiß die Welt von der deutschen Sec>e tn der Musik. Dr. Fs. Dke hungernden Kinder Reiseeindrücke eines Amerikaner» In einer Unterredung mit dem amerikanische» Pressever treter. H. S. Elli«. der von Deutschland nach Amerika zurück gekehrt ist, wird mit mitleidsvollen Worten ein Bild der Zu stände tn Deutschland durch einen Auge,zeugen gegeben. EU>- kurze, aber interessante und eindringliche Beschreibung der halb verhungerten Knaben und Mädchen i« Deutschland ist ergreifend. Sr sagt: „Der Blick der Verzweiflung in diesen kleinen Kin- dergrstchtern rührt bav Herz wahrhaft. Sie haben die Hoffnung aufgegrben und ihre traue,wollen, trüben Augen blicken voll dankbarer Beton,rderuna auf den Fremden, der 'hnen -in freund liches Wort gibt oder sie in irgendeiner Weis« zu trösten sucht. Bei dielen von ihnen herrscht eme schwache Hoffnung, daß eines Tages und auf irgend ein« Weise Hilfe von Amerika kommen, wird. Sic sehen nach keiner anderen Quelle, denn vcn keinem; anderen Volke kann Hilft erwartet werden. Ihr« kleinen Hände scheine« starr vor Kälte, ihre Wangen bleich und ihr gebrechlicher Körper ist in zusammengeflickte Kleidung gehüllt, welcher eher eine Serie Luinpen von Kopf bis zu Fußen darstell'." ELiS spricht Vst» der Hilfsorganisation für die Kinder und lagt, daß sie vo^siglich ist und mit jeder finanziellen Hilf« unter stützt werden solle. Rach seiner Erzählung sind die Zustände jetzt schlimmer als während des Krieges. Es liegen keine Nr- lachen vor, sondern e» bandelt sich nur um die Folgen des durch den Krieg erzeugte» Chaos: Armut. Beraubung. Leiden und Tod herrschen unumschränkt weiter. Es ist der Hungerschrci der Kinder, die Wahl zwischen Leben und Tod, welche das Herz ver wundet. Wenn nicht diesen Millionen von Kindern, welche »ie zu lächeln gelernt hoben, geholfen wird, und zwar sofort, sa wird sich ein Tragödie ereignen, so groß, daß sie »sicht auszu denken ist.