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20 Adresse der Gesandtschaft. Man hat mir dort versprochen, mir alles, wenn eben möglich, nachznsenden. Wann werdet Ihr diese Zeilen erhalten? Während ich noch dnrch allerlei Formalitäten, dnrch die jüngsten Ereignisse bedingt, hier zurück gehalten wurde, ist der nächste Anschluß nach Europa versäumt worden. Und nun ist es fraglich, wenn wieder eine Gelegenheit kommt, da unter den Unruhen natnrgemäs; auch der Verkehr leidet. Morgen reise ich nach San Louis ab. Wie wird die Fahrt sein? Nun, ich baue, wie für alles andere, ans die göttliche Vorsehung!" Das Schreibe» enthielt znm Schluß noch zärtliche Ermahnungen zur Geduld, zum Vertrauen ans Gottes allweüe Fügungen. Zehn-, zwanzigmal wurde dieser Brief gelesen und besprochen, die Unterschrift war beinahe verwischt unter den Küssen der Kinder. Und doch waren diese Mitteilungen im Grunde wenig tröstlich. Wie vieles konnte man zwischen den Zeilen leien! Eines stand seht schon fest: eine außerordentliche Verzögerung war unausbleiblich. Am folgenden Tage ließ Herr Mareskat seine Nententitel verkaufen. Ach. mit wieviel Verlust! Und dann begann man. wieder zu warten und zu sorgen. Zwei Bediente waren bereits verabschiedet; Maria Angela machte jetzt auch die Kammerzofe entbehrlich, da sie alle Arbeit selbst übernahm; sie hielt die Zimmer in Ordnung, glättete und flickte. Aber allem Sparen znm Trotz ging der Geldvorrat zur Neige. Auch der Leibdiener des Vaters mußte entlassen werden, so daß allein noch die Köchin zur Hilfeleistung übrig blieb. Derartige Maßregeln lassen sich nicht treffen, ohne den lieben Nächsten in Erstaunen zu setzen. So wußte auch bald die ganze Nachbarschaft, was im Hause „der Fremden" vorging. Isabellens Verlobter hatte sich schon eine Weile nicht sehen lassen. Das junge Mädchen wunderte sich über diese scheinbare Vernachlässigung. Aber Herr Mareskat äußerte nichts; er fürchtete zu verstehen. Woche um Woche vering, von Pepa hörte man nichts. Die Lage wurde unhaltbar; die letzten Münzen gingen fort, der Kredit versagte. Gerade dann, wenn Unglückliche des Vertrauens ihrer Mitmenschen bedürfen, schwindet dasselbe. Den Versicherungen Herrn Mareskats, daß er reich sei, daß seine Gattin eine Reise ans ihr Besitztum mache und in bälde Gelder senden würde, wollte niemand Glauben schenken. An wen sollte er sich um Hilfe wenden? Angehörige hatte er keine mehr. — Die' Landsleute, mit denen er in Paris verkehrt hatte, waren bei Aus bruch der Revolution schleunigst nach Argentinien abgereist. Ans der Gesandtschaft war alles in Unordnung. Was den Bräutigam Jsabellens anging, so sollte man bald den Wert seiner Liebe und die Noblesse seines Eharakters kennen lernen. Seit einem Monate war er nicht mehr erschienen und seine Verlobte fühlte sich schmerzlich berührt. Als eines Morgens Poupee in das Zimmer ihrer Schwester trat, fand sie dieselbe ohnmächtig vor ihrem Bette; ein zerknittertes Papier lag unweit ans dem Fußboden. ' „Kind," mahnte sie. „Gott will nicht, daß man sich so dem Schmerze hingibt. Man muß sich zu beherrschen verstehen. Glaubst Du etwa, es sei mir leicht, Euch zu verlassen? Und doch siehst Du mich ruhig." Auch Ponpee näherte sich ihr mit sanften Worten. „Sieh, Schwesterchen, unsere Mutter hat schon so viel Kummer; willst Du den Deinigen noch hinzusügen? Fasse Dich und zeige Dich ihrer Liebe würdig!" Es dauerte lange, bis Isabella auf den freundlichen Zuspruch hörte und sich beruhigte. „Geh jetzt znm Vater." sagte Frau Mareskat, „er ist schon zu lange allein. Maria Angela wird Dich begleiten." Die Schwestern entfernten sich, doch ries ein Zeichen der Mutter Ponpee gleich zurück. Ihr wollte Pepa die Sorge für alle anvertranen. „Mein liebes Kind." sagte sie. „der Himmel hat Dich mit einer für Dein Alter bemerkenswerten Vernunft ansgestaltet; erinnere Dich stets, daß wir vor Gott eine genaue Rechenschaft oblegen müssen über alle uns ver liehenen guten Eigenschaften und Talente. Je freigebiger er gegen nnS war, desto ergebener und eifriger müssen wir in seinem Dienste, in der Erfüllung unserer Pflichten sein." „Ick, werde es nicht vergessen, teure Mutter." „Dir. mein Kind, in Deine Obhut gebe ich den Vater, den kleinen Bruder und die Schwestern, selbst Isabella. deren Gesundheit nicht recht kräftig ist." „Ich will mein bestes tun. Mama." „Davon bin ich fest überzeugt. Leider darf ich es Dir nicht ver hehlen. daß ich ängstlich bin; es können Hindernisse eintreten, die meine Rückkehr verzögern. Weiß man jemals beim Abschied, ob »tan sich wieder sieht? ..." Sie konnte nicht weiter sprechen, ihre Stimme erstickte in Schluchzen. Je näher die T reunnngsstunde heranrnck e. desto mehr füllte sich ihr Herz mit Weh und unbestimmter Angst. Vor diesem Leid hielt die Fassung der armen kleinen Ponpee nicht stand. Ein Tränenstrom ergoß sich ans den blauen Kiuderangen, die junge Brust hob und senkte sich in schmerzlichem Stöhnen. Sie schlang beide Arme um den Hals der Mutter, welche sie innig an sich preßte. Doch Pepa entsaun sich, daß sie stark sein müsse, mutig für sich und für die Ihrigen. „Schone meiner, Liebling," tröstete sie, „wir dürfen den Vater nicht noch trauriger machen. Er leidet schon genug." Dieses Wort genügte, um Maria Angela die äußere Ruhe wiederzugeben. Mit aller Kraft dämmte sie die gnellendeu Tränen zurück. „Verzech, Maina, ich werde nicht mehr weinen." Pepa küßte sie noch einmal zärtlich. „(siehe jetzt znm Vater und zur Schwester, ich werde Dir bald nach folgen." Man kann sich vorstellen, in welch gedrückter Stimmung die Familie die zwei letzten Tage verbrachte . . . Endlich riß Pch'a sich ans den Armen des Gatten los, drückte noch