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Das kleine Zugeständnis, das Graf Bülow hinsichtlich des Jesuiten- gefetzes in Aussicht gestellt hat und das nur die Rückkehr einzelner Mitglieder der Gesellschaft Jesu ermöglichen wird, soweit nicht die Landesgesetze der Einzelstaaten dem eutgegenstehen (und das ist gerade in den aufgeregtesten „Loleranz"-Staaten Sachsen, Brannschweig nsw. der Fall!), in die einzige sachliche Unterlage des ganzen wüsten Agitationsgeschreies. Der Trierer Schulstreit, der den Vmidespastoren sehr willkommen war, ist durch das weit gehende Entgegenkommen der katholischen Kirche zum großen Aerger der Hetzer wieder friedlich beigelegt worden. Trotz dem fahren sie in ihrer Wühlerei fort. Sie stellen die Lache so dar, als wenn einerseits der Staat und das „Paterland", andererseits die evangelische Kirche durch das angebliche Vordringen des „Ultramontanismus" bedroht oder in ihren Rechten gekränkt wären. Da ist es denn doch an der Zeit, zu fragen, mit welchem Rechte die Herren vom „Evangelischen" Bund sich als die Vertreter des ganzen „evangelischen Deutschtums" amspielen, ja mit welchem Rechte sie überhaupt die „evan gelische" Firma führen! Wir »vollen nicht untersuchen, ob das Auftreten des Bundes überhaupt dem Geiste des Evangeliums und seinen sittlichen Geboten entspricht. Halten wir uns nur an die gegebenen Tatsachen und au die Per sonen, die in der vom „Evangelischen" Bunde entfachten Bewegung eine Nolle spielen. Nun geben »vir zwar ohne weiteres zu. das; der „Evangelische" Bund, der zur Zeit seiner Gründung ans gläubiger evangelischer Seite sehr wenig Anklang fand, im Laufe der Jahre auch einen Teil der orthodoren Pastoren für sich gewonnen hat, aber bis in die jüngste Zeit hinein hat doch gerade in den Kreisen der aufrichtig bibelgläubigen Protestanten ein deutliches Mißtrauen gegen den Bund oft genug sich knndgegeben — ein Mißtrauen, das in der Hauptsache ans der Befürchtung beruhte, daß durch eine Vermengung mit den im Bunde tonangebenden inittelparteilichen Elementen die Klarheit und Festigkeit der positiven Grundsätze ans gläubig-evan gelischer Seite Schaden leiden müsse. Wer auf dem Boden Ltockers steht, der von der gläubigen und der ungläubigen oder halbglänbigen Richtung im Protestantismus als von zwei grundverschiedenen Religionen gesprochen hat, der kann unmöglich die Zusammenfassung dieser beiden feindlichen Religionen unter der einen Firma des „Evan geliums" im Bunde gntheißen. Wie kann sich ein Bund, der erklärte Ehristnslengner, Männer, die mit Harnack sagen, Jesus Christus gehöre nicht in das Evangelium hinein (!) anfnimmt, überhaupt „evangelisch" nennen? Den Aufruf der „antinltramontanen Wahlvereinignng", die nach einer Mitteilung aus Gotha tatsächlich nur eine Gründung des „Evangelischen" Bundes ist. haben sogar vollständige Gottesleugner, wie der darwinistische Affenmensch-Apostel Häckel unterschrieben! Der Bund anerkennt also auch erklärte Gottes- und Christusverächter als würdige Vertreter und Vorkämpfer des „evangelischen Deutschlands". Er stellt damit demonstrativ dem „liberalen" nnevangelischen Protestantis mus ein Ehrenzengnis ans, demselben Protestantismus, der mit Delitzsch dem ganzen Offenbarungsglanben den Krieg erklärt, die Bibel als Menschenwerk und Fälschung hinstellt, und der doch — wie jüngst der Protestantische Pfarrer I)r. Straf osk») in Hamburg >— ans Grund angeblicher Bibelforschung zu behaupten wagt, Christus sei bloß Gott „im Sinne des alten Testamentes" gewesen, wo diese Bezeichnung Männern znkomme, die über die Menge weit emporragten, und in dem Sinne, daß ,,einer in seinem gehobenen religiösen Bewnßtsein sich fühlen darf als Sohn seines Gottes." Dieser Dunst von Phrasen kann nicht die Tatsache verdecken, daß bei solchen An schauungen Christus nur als ein armseliger, fehlbarer Mensch erscheint, der sich nur „fühlt", nur einbildet, Sohn „seines" Gottes zu sein! Das ist gewiß nicht mehr evangelisch, sondern phrasen hafte Menschheits-„Neligion", die Jude, Heid' und Hottentott glauben kann. Aber daun ist es auch nicht evangelisch, diese ungläubige, das Evangelium verachtende Richtung des Protestantismus als gleichwertig und gleichberechtigt mit der gläubigen Richtung in einem Bunde und gar einem — „Evangelischen" Bunde zu vereinigen. Dieser Bund sollte sich „antikatholischer", allenfalls auch . Pr otestantischer Bund" nennen, aber evangelisch ist er nickit! Die Freunde des „Evangelischen Bundes" werden unsere Ausführungen natürlich als den Ausfluß einer nltra- montanen Anschannng betrachten. Das ist jedoch voll- kommen irrig. Unsere eben ausgesprochenen Gedanken teilen mit nuS ernste, um das Evangelium besorgte Pro testanten. — Soeben bringt die konservative protestantische „Krenz-Ztg." in ihrer Abendnnmmer vom 12. d. Mts. einen eklatanten Beweis hierfür. Bei Besprechung der Protestkund gebung des Evangelischen Bundes am t 1. d. Mts. in Berlin be kämpft sie die Agitation gegen Aufhebung des 8 2 des Jesuitengesetzes und betont, daß dieser Paragraph, der deutsche Staatsbürger allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu einem kirchlichen Orden unter Polizeiaufsicht stelle, schnurstracks jedem Nechtsgefühl widerspreche. Das Blatt beklagt weiter die Roheit des Tones, welcher in der Berliner Versammlung des Evangelischen Bundes gegen die Jesuiten angeschlagen wurde („Kreuzottern" beschimpfte sie ein Redner!» und spricht daun ihr Befremden darüber ans. daß „in diesem wieder aufgewühlten Kulturkämpfe" neben kirchlich Liberalen und Materialisten »nie Häckel auch „bekenntnistrene evangelische Christen" auftreten. Sie knüpft daran folgende Sätze: „Vor solcher Verwirrung könnte uns Angst werden. Ist der Materialismus denn schon znm willkommenen Bundesgenossen ge worden in einem Kampfe für das Evangelium?" Man sieht, das sind dieselben Gedanken, denen auch »vir in vorstehenden Ausführungen Ausdruck gegeben. Bitter genug für den „Evangelischen Bund!" Diese Vereinigung, welche nach der Anssage I)r. Mepers- Zwickanvom königlichenMmidemitderBezeichnnng „Hetzbnnd" belegt wurde, spielt sich in allen konfessionellen und kirchenpoli tischen Fragen als eine Art Nebenregiernng auf. Ob der Vor sitzende Graf Wintzingerode sich als Nebenkanzler fühlt, wissen »vir nicht; sein Schreiben in seiner „amtlichen" Eigenschaft an den Grafen v. Bülow läßt es vermuten. Daher dürfen »vir uns aber nicht wundern, »venu sich die nationalliberale Partei mit Hochdruck in den Vordergrund des „Evangelischen Bundes" drängt; sie wittert Morgenluft. Um eine geschickte Taktik war sie nie verlegen; der Erfolg be stimmt bei ihr die Wege der Politik. Mit derselben Kalt blütigkeit geniert sie sich auch nicht, ihre besten Führer zu blamieren und im Stich zu lassen. Wir erinnern nur an den verstorbenen natioualliberaleu Führer v. Bennigsen. In der Sitzung des Reichstages vom >7. Juni 1806 be- zeichuete er die Bestimmungen des 8 2 des Jesniteugesetzes als „unpraktisch, gehässig und verletzend". Auch die Natioualliberaleu ReichSgerichtsrat I)r. Bähr und l)r. Lasker stimmten wegen der Rechtsverletzung durch den 8 2 gegen das ganze Jesuiteugesetz. Die uatioualliberalen Epigonen aber tragen skrupellos die flatternde Fahne des „Evangelischen Bundes" voraus und lassen die schönsten Lorbeeren ihrer eigenen Größen schmählich im Stich; sie haben damit das Rechtsgefühl zum Aschenbrödel ihrer Partei erklärt. -r. Noch einen Schritt vorwärts. Es ist eine — wenigstens für »ms Katholiken — er freuliche Erscheinung, daß es der stillen Kreuzblume unseres heiligen Glaubens in unserem lieben Sachsenland gelingt, ab und zu, trotz der sie überwuchernden Schlingpflanzen, die sich au der Wut gegen Nom emporwiuden, einige belebende Souueustrahlen zu erhaschen. Denn was sind die Gründungen von Ortsgruppen des Volksvereins, die schönen Feiern anläßlich des Jubiläums unseres heiligen Vaters, die Neubelebnng der Tätigkeit schon bestehender katholischer Vereine anders, als lichte, warme Souueustrahlen für unsere heilige Kirche, die speziell in Sachsen bis vor kurzem und zumeist noch heute unter der Eisdecke jener bekannten „Toleranz" und „konfessionellen Friedensliebe" ein kümmerliches Dasein fristet. Zwar hängt der Bestand der katholischen Kirche weder von den beiden genannten Umständen, noch von anderen Uebelständen ab — ihres göttlichen Stifters Verheißung können sie nie zu schänden machen, aber im Interesse ihres berechtigten Gedeihens sind solche „Sonnenstrahlen" doppelt freudig zu begrüßen. Der australische Lrbe. Roman von Edgar Pickering. Deutsch von Franz Panl. (<>. gortsctziui») <N,i.iidr»<k verboten.) „Ich bitte tausendmal NM Entschuldigung," sagte er lächelnd, gestatten Sie mir, mich Ihnen nachträglich vor- znstellen." Mortimer nahm mechanisch die Karte, ohne auch mir ans sie zu blicken. Erst als er allein war. las er den Namen, dann stand er mit einem ranheu Ausruf des Aergers und des Erstaunens verblüfft da, die Karte in der Hand zerknitternd. „Dieser Mensch," knirschte er, „mußte denn gerade er von allen anderen heute Nacht hierherkonunen?" 2. Kapitel. Als Mrs. Selb») sich ein kleines Vermögen erworben hatte, das ihm gestattete, sich vom Geschäft znrückznziehen, ging sein Ehrgeiz nicht weiter, als sich in Camden-Road ein kleines Hans zu mieten, wohin er sich dann mit seiner Frau und seiner Tochter Madge, die damals 18 Jahre alt war. zurückzog. Von wem Madge ihre Willensstärke geerbt hatte, war ein Rätsel, aber wie sehr kam ihr diese zugute! Auch war »ie hübsch und eine liebenswürdige Natur, die Jedem gefiel, an» meisten Dick Mortimer, und das »var ja doch die Hauptsache. In der Blüte ihrer Jugend stehend, erschien Madge ihrem Bräutigam das herrlichste Mädchen in der Welt, und aus vollem Herzen erwiderte sie seine Liebe; nicht heimlich und zimperlich, so etwas lag nicht in Madges Natur, sondern in offenherziger Weise, die keinen Zweifel über die Beständigkeit und Aufrichtigkeit ihrer Neigung übrig ließ. Selten lieben sich ein Mann und ein Mädchen in so offenherziger Weise, wie diese Beiden. Dann kam das Unglück über Dick, von dem er am Abend gesprochen hatte, als der verletzte Mann in seine OrdinationSstnbe im Wendmore-Street gebracht worden »var. Verleitet durch die glänzenden Versprechungen, die in dem Prospekt der „United Backeris Companp" enthalten waren, deren Kapital sich angeblich ans 2 Millionen belief, hatte Dick fast das ganze Geld, das ihm von seiner Mutter hinterlassen »norden »var, in dieses Geschäft gesteckt und es dort auch glücklich verloren. So hatte er denn beschlossen, für eine Zeit lang England zu verlassen. Eine vorteilhafte Stellung »var ihm ans Korsika angeboten worden, und die Verhandlungen waren bis zu einem Punkte gediehen, der den endgiltigen Abschluß nicht mehr zweifelhaft er scheinen ließ. So sprachen denn er und Madge gerade über seine bevorstehende Abreise, als ihre Unterhaltung durch Frau Selb») unterbrochen wurde, die mit ihrem Nähkorb, der sie fast nie verließ, in das Zimmer kam. In der Regel »var sie bester Laune, heute aber lag ein ängstlicher Ausdruck ans ihrem Gesicht. „Ich möchte Sie bitten, Doktor," begann sie, einen Faden in eine Nadel ziehend, „mit Selb») ein ernstes Wort zu sprechen. Er gefällt mir gar nicht mehr, manchmal befürchte ich das Schrecklichste." „Was ist denn los, Frau Selb»)?" fragte Dick. „Sehen Sie. er hat so unbedingtes Vertrauen zu Ihnen", fuhr Frau Sclby fort, „er glaubt, was Sie ihm sagen!" „Er würde nicht den ganzen Tag zu Hanse sitzen, »venu er täte, was ich ihm sage", erwiderte Dick. „Das tut ihm nicht gut, stnndenlang in seiner Wcrkstätte zu bleiben und über Dinge zu grübeln, die unmöglich sind!" „Um .Himmelswillen!" rief Frau Selb»), „sagen Sie ihm ja nicht, daß seine schreckliche Maschine nichts wert ist, er ist mehr denn je in sie verliebt. Im Schlafe selbst höre ich ihn von ihr sprechen, und noch gestern sagte er mir gerade in diesem Zimmer: „Martha, mein Schah", sagte er, „endlich habe ich das Geheimnis entdeckt!" Wie oft er mir das schon gesagt hat, müssen Sie wissen!" „So will ich denn mal mit ihm sprechen", erwiderte Dick und ging mit Madge hinunter in den Garten, an dessen äußerstem Ende Mr. Selbys Werkstatt lag. Das Klopsen eines Hammers tönte an das Ohr der jungen Leute. Drinnen arbeitete Mr. Selb»), strahlend vor Hitze und vor Vergnügen, so daß er die Eiiitreteiiden erst bemerkte, als Madge ans ihn zntrat und ihre Hand leise ans seinen Arm legte: „Möchtest Dn denn nicht ein wenig die Arbeit ruhen lassen, Väterchen?" fragte sie „Dn bist jetzt schon wirklich lange genug dabei!" Ihr Vater gab ihr in ungewohnt guter Laune einen herzlichen Kuß. „Hören Sie nur", rief er dem Doktor zu. „was mein Kind? Jetzt anfhören, wo ich knapp vor dem Erfolge stehe. Sieh mir mal", und er hielt ihr ein Stück Eisen dicht vor das Gesicht, das er eben bearbeitet hatte. „Von Dir erwarte ich ja garnirht, daß Du mich verstehst, aber der Doktor wird mich begreifen!" „Genuß verstehe ich Sie, doch vor der Hand kann ich Sie als Patient noch nicht entlassen, und als Arzt muß ich darauf bestehen, daß Sie für heute Ihre Arbeit ruhen lassen, Mr. Selb»). Ich muß Ihnen übrigens mitteilen, daß ich zu der Ansicht gelangt bin, daß eine Ortsverän- dernng Ihne» dringend not tut!" fuhr Dick fort. „Die Londoner Luft bekommt Ihnen nicht. Ich muß Ihnen dringend raten, ans einige Zeit ans das Land zu gehen". „Gar keine schlechte Idee," rief Mr. Selb», ans, „darnach sehne ich mich selbst schon lange und ich hätte sogar schon für die Zeit unserer Abwesenheit einen Mieter für das Hans!" „Nim die Sache eilt ja nicht. Ich wünsche mir, daß Sie sie ernstlich ins Auge fassen und mit Ihrer Frau besprechen!" „Und waö sagt Fräulein Madge dazu?" fragte der Vater. „Madge wird gewiß mit mir einer Ansicht sein." er- widerte Dick. Lue dachte an die bevorstehende Trennung von ihrem Bräutigam und stand einige Momente in Gedanken ver sunken. (Fortsetzung folgt.)