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Beilage zur „Sächsischen Volkszeitung" Mittwoch den 13. Oktober 1915 Seite 5 Eine Kundmachung des Papstes Eine vor kurzer Zeit erst bekanntgewordene Kundma- chung Sr. Heiligkeit Papst Benedikt XV reiht sich würdig den bisherigen zahlreichen Bemühungen des Oberhauptes der katholischen Kirche um die Linderung der Kriegsnöten an. Vereinzelt ist bereits in den Tageszeitungen kurz da von Kenntnis gegeben worden, aber dieser neue Hulder weis des Papstes verdient eine weitere, die ganze katholische Welt umspannende Beachtung und Würdigung. Denn nicht nur im Tosen des Weltkrieges sondern, wie Benedikt XV sagt, soll diese neue Verordnung in Perpetuum, für alle Folgezeit gelten. Am 10, August 1915 erließ der Papst eine sogen. Apo stolische Konstitution mit der Arenga (Kennwort: Jncru- entum altaris sacrificium (Das unblutige Opfer am Altäre). In diesem päpstlichen Schreiben in feierlicher Form erteilt der Statthalter Christi „Benedikt, Bischof, Diener der Diener Gottes" allen katholischen Priestern der gan- zen Welt die Erlaubnis alljährlich am Gedächt nistage aller verstorbenen Christgläubigen (Allersee len) dreimal das heilige Meßopfer darbringen zu dürfen. Bisher gab es ein solches Vorrecht nur mehr allgemein für das -hochhl. Weihnachtsfest. Der hohen Genugtuung über diesen päpstlichen Entschluß wird das anfänglich be rechtigt erscheinende Erstaunen weichen, wenn man aus dem Inhalt der apastol. Konstitution vom 10. August d. I. die Begründung erfährt. Ausgehend von der beständigen Lehre der katholischen Kirche über die vielen Gleichungen zwischen dem blutigen und unblutigen Opfer des Neuen Bundes — am Kreuze und auf unseren Altären — die beide den Himmelsbewoh nern zur Verherrlichung, den Menschenkindern zu Heil und Segen gereichen und insbesondere den Armen Seelen im Fegfeuer von hohem Werte sind, geht der päpstliche Er laß dann des weiteren auf diesen letzten Glaubenssatz ein: Diese Lehre von den Früchten des hl. Meßopfers, zu- mal für die Seelen ini Neinigungsorte, ist verbürgt in der ganzen christlichen Uebung und Ueberlieferung in Morgen- uud Abendland. Alles Lob verdient auch das tiefe Ver ständnis des christlichen Volkes, das aus dieser Lehre gern die weiteren Schlußfolgerungen gezogen habe. Dies sei um so wirksamer geschehen als zu gewissen Zeiten bei hoch und niedrig sich die Kräfte christlichen Glaubens und christlicher Liebe in besonderem Maße kundge tan haben. Die fromme Uebung einer öfteren Feier der HI. Ge heimnisse durch denselben Priester am gleichen Tage bestand und verbreitete sich anläßlich des Allerscelentages seit meh reren Jahrhunderten bereits im alten aragonischen König reiche. Anfänglich waren an diesem Tage den: Weltklerus zwei, dem Ordensklerus drei hl. Messen gestattet. Durch den berühmten Namensvorgänger des jetzigen Papstes, Benedikt XIV, fand dann auch dieser fromme Brauch die kirchliche offizielle Bestätigung und wurde durch ein päpstliches Dekret vom 26. August 1718 auf Bitten des spa nischen Königs Ferdinand VI des Katholischen und Jo hannes V, des Königs von Lusitanien (Portugal) dahin erweitert, daß es für die Folgezeit jedem Priester im Bereich der beiden Königreiche erlaubt sein sollte, am Allerseelentage dreimal zu zelebrieren. In früheren Tagen, so besagt das päpstliche Schreiben, wurde der Apostolische Stuhl des öfteren angegangen, cs möchte dieses örtliche Privileg auf die ganze katholischeWelt ausgedehnt werden. Auch dem jetzi gen Papste Mnd seinem letzten Amtsvorgängern wurde wiederholt diese Bitte geäußert. Die früher ange führten Gründe hätten namentlich in der letzteren Zeit, von Tag zu Tag an Wucht gewonnen. Vorallem ist es ein durch diese Kriegszeit besonders nahegelegter Ge danke, daß manchen von den tausenden so jung dahinsinken den Kriegerseelen trotz der Obsorge der Angehörigen, jetzt nicht die ihnen eigentlich gebührende Beach tung geschenkt werden könne oder würde. Da ist es nun der sehnlichste Wunsch des Papstes helfend einzugreifen; denn er als gemeinsamer Vater aller Gläubi gen schenkt den gefallenen Kindern eine beson dere Liebe und will diesen in väterlicher Freigü tigkeit auch einen besonderen Anteil andenFrüch- ten der Erlösung Izuwenden. Darum erklärt Sr. Heiligkeit folgendes: 1. Jedem katholischen Priester soll in Zukunft alljährlich am Allerseelentage (meist der 2. November) es gestattet sein drei hl. Messen zu lesen. Davon eine nach eigner freier Meinung (mit Sti pendienerlaubnis) eine für alle Abgestorbenen und eine dritte nach der besonderen obengenannten Meinung des hl. Vaters. 2. Der Papst bestätigt daS bereits seit Clemens XIII. Schreiben vom 19. Mai 1761 für den Allerseelentag bestehende allgemeine Judult des privilegierten Al tares. 3. werden die Formulare der einzelnen Messen nach ' dem bisherigen spa n. - p o r t u g. Gebrauche be stimmt. In einem kurzen Schlußwort gibt Sr. Heiligkeit der frohen Zuversicht Ausdruck, daß diese neuen Vergün stigungen bald den ungeteilten Beifall in der ganzen katholischen Welt bei Klerus und Volk finden möchte zum größten 'Segen für die Armen Seelen. Unverkennbar enhält dieser päpstliche Erlaß einen neuen Beweis der allumfassenden Hirten liebe des neuen Heiligen Vaters. Alle stehen ihm gleich nahe und niemand soll vergessen werden. Die Liebe, an die der Statt halter Christi schon so oft mit beredten Worten die Welt gemahnte, sie soll am Grabe der Entschlafenen erst recht nimmer aufhören, sondern sich im heiligen Glauben fort und fort erneuern und betätigen. Mit diesem großen Huld erweis wandelt Benedikt XV. zudem ganz den seelsorglich praktischen Weg seines unvergeßlichen Vorgängers Pius X. trotz der ihn, vielfach durch die Zeitverhältnissc eröffneten aber auch erschwerten diplomatischen Pfade. Eine lautere Freude für jedes katholische Herz! Einarmige und Linkshänder Von Fritz Jwand, Stud. jur. (Leiter der Straßburger Einarmigenschule.) Nachdruck verboten Einarmige und Linkshände", ein Wort, das erst der Krieg geschaffen hat. Und er hat sie zahlreich geschaffen, das konnte ich in meiner Tätigkeit als Leiter der Hilfskurse in Straßburg sehen. In 6 Monaten besuchten die Kurse ungefähr 200 Leute, die durch Verwundungen jeglicher Art, sei es Granatsplitter, sei es Minenexplosionen oder Ge wehrschüsse, den rechten Arm ganz oder zum Teil oder doch die Gebrauchsfähigkeit desselben verloren hatten. Sie kamen vom Westen und Norden, von Süden und Osten. Der ober bayrische Holzbauer saß neben dem westpreußischeu Land arbeiter, der Hamburger Schiffsbauarbeiter neben dem west fälischen Bergmann, der elsässische Dorfschullehrer neben dem preußischen Unteroffizier. Sie haben alle sich gut vertragen, haben Kameradschaft gehalten und ein jeder hat versucht, dem andern seine Leiden, seine Schmerzen zu erleichtern. Die meisten waren vor die Frage gestellt, den Beruf wechseln zu niüssen, die meisten hatten Weib und Kind zu Haus — und das war gut — niit desto größerem Eifer lernten sie wieder, lernten wieder schreiben, wie unsere jungen Buben und Mädchen im Alter von 6 Jahren. Wie zaghaft machten sie die ersten Striche, wie freuten sie sich, wenn die ersten Buchstaben gelungen waren, und wie glänzten vor Freude ihre Augen, wenn sie die erste selbst links geschriebene Karte an Frau und Kinder absandten. In Straßburg haben wir sie vor allem anderen zu erst links schreiben gelehrt, um ihnen dann dadurch einen schnel len Uebergang in einen neuen Beruf zu ermöglichen. Zu diesem Zwecke taten sich Ende Februar 1915 dann Prof, der Chirurgie Geheimrat Dr. Madelung und Oberbürgermeister Dominikus aus Berlin-Schöneberg nebst einigen anderen Herren — darunter auch der verdiente Garnisonarzt der Festung Straßburg, Generaloberarzt Dr. Hormann — zu sammen und beschlossen die Kurse zu wagen. Die Kurse er freuen sich großer Beliebtheit unter den Verwundeten, von jedem haben wir ungefähr 20, — mehr empfiehlt sich nicht, da der Leiter der Kurse sich um jeden einzelnen persönlich kümmern muß. Am Krankenbette selbst wurde der Unter richt erteilt, und es waren die, die am schnellsten lernten. Und was in Straßburg möglich gewesen ist, sollte das nicht in anderen deutschen Städten möglich sein? Könnten nicht in anderen Städten Leute sich zusammenschließen, um unsere Einarmigenfürsorge in die Hand zu nehmen? Vor allem müssen Kurse eingeführt werden, in denen der Linkshändige und Einarmige wieder schreiben lernt, dann müssen passende Berufe durch unsere Verufsbcratungsstellen ausfindig ge macht werden und nur mit einarmigen Kriegsinvaliden be setzt werden. Hier kann private Wohltätigkeit und Fürsorge noch vieles leisten, und die Herren Garnisonärzte unter stützen diese Arbeit gerne, lieber Technik und Methode des Linksschreibcns, über Stellen, die für Linkshänder und Ein armige sich eignen, findet man alles Nähere in meiner kleinen Broschüre „Die Einarmigen", ein Aufruf an Staat- Gemeinde, Handel und Industrie, Verlag Hertz u .Mündel, Straßburg. Die Einarmigenfürsorgearbeit sollte auch eine der nationalen Standesarbeiten des deutschen Volkes sein, denn alle Einarmigen und Linkshänder haben nur für uns ihre Glieder und ihren Gebrauch verloren, deshalb sind wir verpflichtet, diesen ärmsten aller Verwundeten — nur Blinv- geschossene stehen auf der gleichen Stufe — zu helfen und beratend zur Seite zu stehen. Der Einarmige muß vor allem in einem Berufe unter gebracht werden, in dem er für sich und seine, nach meinen Ermittlungen, zahlreiche Familie Existenzmittel erwerben kann. Denn wir wollen keine Invaliden, die ihr ferneres Leben im Nichtstun verbringen, die darauf warten, daß der Staat sie unterhalte, sondern wir wollen und fordern, daß iunsere Invaliden im Erwerbsleben ebensogut wie jeder andere ihren Mann stellen können. Einarmigenfürsorge- arbeit ist Arbeit, die später reiche Früchte bringen wird für die gesunde weitere Fortentwicklung des deutschen Volkes auf wirtschaftlichem und sozialen Gebiete. Literatur Eine neue Karte des nördlichsten russischen Kriegsschau platzes in bekannt vorzüglicher Ausführung hat die karto graphische Anstalt G. Freytag L Berndt, Wien VII., eben herausgegeben mit G. Freytags Karte der Ostsee-Provinzen: Kurland, Livland, Estland, 1:1 Mill., 70:85 cm groß, K Der Megerkurier von Przemysl (6. Fortsetzung.) Diese lachenden Augen — dieser stolze, herrische Mund! — wie hatte sie das seinerzeit geliebt und sich als die glück lichste unter allen Frauen geschätzt. Gewiß — seine Familie hatte es nicht gern gesehen, daß er die arnie bürgerliche Beamtentochter nur ihrer Schönheit wegen zur Frau nahm. Sie hätte es viel besser gefunden, wenn der junge Graf und Hauptmann v. An- draski etwas leichtfertiger gedacht. Sie erachteten ihn als gemütskrank, als sie seine ernste Absicht erfuhren, trotz seiner ziemlich großen Schulden und vornehmen Passionen eine Bürgerliche ohne Geld zu nehmen. Aber seine lachenden Augen blitzten im gefährlichen Feuer, falls man an seiner Absicht den leisesten Zweifel hegen wollte. Da zog man sich von ihm zurück, und er merkte es kurze Zeit nach seiner Hochzeit, daß man ihn als nicht mehr gesellschaftsfähig betrachtete. Da wollte er für sich und seine junge Frau das Recht ertrotzen. Umsonst. Mehrere öffentliche Skandale peinlichster Art folgten, die seine Versetzung zu einem Provinzregiment zur Folge hatten, und nun stieg in ihm ein bitterer Haß cnipor, der gerade in der Einsamkeit der kleinen böhmischen Garnison einen fruchtbaren Nährboden fand. So lange er noch bei dem vornehmen Wiener Regiment stand, waren seine Gläubiger beruhigt. Als er aber in Jungbunzlau anlangte und dort den Säbel über das holp rige Straßenpflaster zog, kamen sie an. Sie hetzten ihn. Sie drohten ihm das Letzte zu nehmen, das er noch besaß, den HauptmannSrock. Da fing er, der sich bisher stets dem Alkohol abgeneigt erwiesen, des Abends an, in das Wirtshaus am Marktplatz zu gehen und dort seinen Groll niederzutrinken. Diese Gastwirtschaft — das Hauptlokal der kleinen Stadt — wurde nicht nur von Offizieren besucht, sondern auch von allerlei durchreisenden Personen. Dort machte er die Bekanntschaft des Menschen, der von nun an über Leben und Sterben des Hauptmanns zu bestimmen hatte. Man wußte nicht recht, wer er war, da er nur alle paar Monate mal auf einige Tage nach Jungbunzlau kam. Wie er angab — geschäftlich. Beim Tarock, das er mit dem Hauptmann spielte, wurde er dessen Bekannter und besuchte ihn bereits am nächsten Tage in seiner Wohnung. Dieser Fremde, der das Deutsche mit einem gewissen russischen scharfen Akzent aussprach, war für die Provinz stadt eine ziemlich auffallende Persönlichkeit. In äußerst gewählter Kleidung und Manier, kostbarem Pelz und Brillanten, konnte man ihn für einen vermögen den Menschen halten. Nach seiner Figur zu urteilen, mußte er Offizier gewesen sein, denn er hielt sich trotz seiner an scheinend fünfziger Jahre vorzüglich. Seine Bewegungen besaßen mehr Knappheit, als es das bürgerliche Element zeigen kann. Dagegen hatte sein Gesicht einen abstoßenden, bru talen Ausdruck, der an die Karrikaturen eines englischen John Bull gemahnte. Bulldoggartig, mit einem breiten Lachen, das die wulstigen Lippen weit zurückschob und zwei Reihen starker, gelblich gefärbter Zähne sehen ließ. Das Bild dieses Mannes tauchte vor der Frau Haupt- mann neben den Photographien ihres Gatten auf und sie sah ihn, wie er zum ersten Male ihre bescheidene kleine Wohnung betrat, ihr eine vollendete Verbeugung machte, galant die Hand küßte und dann hart auflachend sagte: „Gnädige Frau — entschuldigen Sie mein Lachen — aber es grenzt an Komik, daß eine so schöne Frau an der Seite eines so prachtvollen ManneS in einer solchen — ent schuldigen <Re den harten Ausdruck — polnisch-rufsischen Behausung steckt." Diese Worte hatten ihr zum erstenmal die Dürftig keit ihrer kleinen Wohnung vor Aug-m geführt. Bis jetzt hatte sie nicht darauf geachtet. Ihre Welt be stand nicht aus Luxusgegenständen, aus eleganten Möbeln und Teppischen — ihre Welt war ihr Mann. Gewiß — sie hätte keine echte Frau sein müssen, falls sie nicht ein sauberes und ordentlich aussehendes Heim ge wünscht hätte. Das war ja auch der Fall. Der Fußboden war so weiß gescheuert, daß inan auf ihm wie von einer Tischplatte hätte essen können. Daß natürlich keine Samtsessel und Sofas im Zimmer standen, sondern billige birkene Stühle und ein kleiner Axminster-< teppich, daran hatte sie bis jetzt gar keinen Wettstab gelegt, Waren doch die Gardinen vor den kleinen Fenstern! blütcnweiß, und einige Hyazinthen leuchteten von dort farbenbunt in das nüchterne Offiziersheim, und ihr Duft zog ebenso schön wie ein teures Modeparfüm durch den Raum. Der Fremde war zu Tisch geblieben und trotz der schmalen Wirtschastskasse mußte sie, weil ihr Mann es! wünschte, einige teure Saisongerichtc für die Mahlzeit Her stellen. Dann nachher bei Zigarre, Likör und Kaffee hatte sie ihr Mann zum erstenmal seit ihrer Ehe gebeten, ihn mit dem Gast allein zu lassen, da sie Wichtiges zu besprechen hätten. Wichtiges . . .! Wenige Monate später hatte sie sich wegen ihrer Dummheit, dem Wunsch ihres Mannes gefolgt zu sein, das Leben nehmen können, wenn sie nicht die Der« antwottung für ein zweites Leben in sich getragen hätte. Hätte sie doch wenigstens an der Tür gelauscht, wie es so viele andere Frauen aus Neugierde tun, falls sie etwag Interessantes zu erfahren glauben. Aber nein. — Sie war ganz ruhig und ohne jeden Arg in ihr Zimmer gegangen und hatte aus dem Fenster zu dem> trotzigen Gemäuer der alten Burg des Herzogs Bogislatp hinübergestarrt. (Forts, folgt.)