Volltext Seite (XML)
Zweites Blatt Sächsische BolkSzeituxg vom 2. März 1910 Nr. 49 kaufmännische Standesarbeii. Am 19. und 20. Februar hielt in Essen (Ruhr) die Soziale Kommission des Verbandes katholischer kaufmänni scher Vereinigungen Deutschlands, der Verbandsmitglieder aus allen Teilen des Reiches angehören, und die die so zialen Fragen, die der Generalversammlung des Verbandes zur Beratung vorgelegt werden, vorzubereiten hat, und zwar entsprechend dem paritätischen Charakater des Ver bandes sowohl solche, die die Prinzipale betreffen, als auch solche, die kaufmännischen Angestellten angehen. ihre zehnte Sitzung ab. Da das Detailreisen mit Wäsche, für das be kanntlich ein Wandergewerbeschein nicht erforderlich ist, sondern gemäß Bundesratsverordnung eine Legitimations karte genügt, einen das stehende Handelsgewerbe schädigen den Umfang angenommen hat, so glaubte die Kommission fordern zu müssen, „daß die Begünstigung für die Leinen- und Wäschefabrikation, auf Grund einer Legitimations karte das Detailreisen in Wäsche vornehmen bezw. Detail kundschaft außerhalb des Gemeindebezirkes der gewerb lichen Niederlassung behufs Entgegennahme von Aufträgen ohne vorherige Bestellung besuchen zu lassen, aufgehoben wird, und daß diese Betriebe den Bestimmungen für den Gewerbebetrieb im Umherziehen, sowie der Wandergewerbe steuer unterworfen werden". Hinsichtlich des Hausier handels wurde verlangt, „daß die Bestimmungen über Ausstellung und Zurücknahine des Wandergewcrbescl-eines und des 8 59a der Reichsgewerbeordnung schärfer als bis her gehandhabt werden, und daß eine möglichst scharfe Kon trolle der das Handelsgewerbe im Umherziehen betreiben den Personen geübt werde". Wegen ihrer schädigenden Wirkungen, und weil ein Bedürfnis für sie durchaus nicht vorliegt, wurde ein gesetzliches Verbot der Wander lager und W a n d e r a u k t i o n c n geforderte Sollte dieses zunächst noch nicht erreicht werden können, so sei da hin zu wirken, daß die Wanderlagersteuer mindestens um das Doppelte erhöht werde. Für die beantragte Aenderung des Artikels 40 der W e ch s e l o r d n u n g konnte die Mehr heit der Kommission eine Notwendigkeit nicht anerkennen. Dagegen erklärte man sich allgemein damit einverstanden, daß die Frage des heimlichen Warenhandels. über den heute wegen seines großen Umfanges in den Reihen der Dctaillisten so sehr geklagt wird, in Angriff genommen und ihre Behandlung so beschleunigt wird, daß auf dem im August stattfindenden Würzburger Kongreß ein entscheidender Schritt in der Angelegenheit getan wer den kann. - - Bezüglich der N c i ch s v e r s i ch e r u n g s o r d n u n g wurde zwar darauf hingewiesen, daß der Entwurf noch den Bundesrat beschäftige, und daß man nicht mit Bestimmtheit wisse, welche Aenderungcn von diesem und dem Reichsamte des Innern vorgenommen seien. Die Kommission glaube jedoch hinsichtlich verschiedener, den Kaufmannsstand be treffenden Punkte, die eine Aenderung wohl nicht erfahren haben, ihre Wünsche zum Ausdrucke bringen zu sollen. Die- selben beziehen sich: in der Krankenversicherung auf die Ausdehnung der Versicherungspflicht auf alle An gestellten mit einem Gehalte von nicht mehr als 3000 Mark «statt 2000 Mark), weiter auf die Versicherungsberechtigung kraft Gesetzes für die selbständigen Gewerbetreibenden mit einem durchschnittlichen Gesamtjahreseinkommen von nicht mehr als 3000 Mark ohne Rücksicht auf die Zahl der beschäf tigten Personen, und schließlich auf die weitere Zulassung der eingeschriebenen Hilfskassen als vollwertige Kassen: in der G e w e r b e u n f a l lv e r s i ch e r u n g auf die Aus dehnung der Versicherung auf die Kontor-, Kassen- und Reisetätigkeit und die Unterwerfung aller der Behandlung und Handhabung der Waren dienenden Betriebe, in denen kaufmännische Angestellte beschäftigt sind, unter die Ver sicherungspflicht: in der Invaliden- und Alters versicherung auf die obligatorisclfe Einziehung der Beiträge. Hinsichtlich der P e n s i o u s v e r s i ch e r u n g der Privatbeamten wurde eine Resolution einstim mig angenommen, in der dringend um baldige Einbrin gung eines diesbezüglichen Gesetzentwurfes gebeten wird. Außerdem hatte sich die Kommission niit einer Reihe den Verband betreffenden Fragen zn beschäftigen, die ihr von der letzten Generalversammlung überwiesen worden waren. Aus den Beratungen hierüber ist besonders zu er wähnen, daß die Anstellung von zwei Landessekre- tären, des einen für den Süden und des anderen für den Osten, in Aussicht genommen wurde. Die Ausführung dieses Beschlusses, der noch der Genehmignng des nächsten Kongresses bedarf, dürfte für den Verband, vor allem für seine Ausdehnung und Erstarkung, von der größten Be deutung sein. Aus Stadt und Land. (Fortsetzung aus dem vau^DtMl.) —* Der Kynologtsche Verein Rawvl Dresden! aus dem sich im Lause der letzten Jahre der große Mittel deutsche Verband khnologischer Vereine entwickelt hat. dem gegen 20 angesehene sportlrche Organisationen in Sachsen und Thüringen angehören, hat süc 1910 wiederum die Veranstaltung der großen Wanüerpretsausstellung des erwähnten Verbandes übernommen, die am 23. und 24. April statlfinden wird. Für dieses Unternehmen hat der Rat zu Dresden sämtliche Räume des Manschen Ausstellungs palastes zur Versügung gestellt, selbst Preise dazu gestiflet und auch sonst tu jeder Hinsicht sein Interesse betätigt. Die größten kynologrschen Spezialktubs haben sich mit sonderauSstellungen angeschlossen, so der Verein für deutsche Schäferhunde in München, der Deutsche Pmscherklub Köln, der Klub für rauyhaarige Terriers Frankfurt a. M-, der Boxerklub München, der Teckölklub Berlin. Mit anderen Organisationen schweben noch Verhandlungen. Mit der Hundeausstellung wird eine Jndustrreanssiellung für die jenigen Branchen verbunden sein, die in näheren Be ziehungen zu der Kynologie stehen. Der Versand der llllekdescheine und sonstigen Ausstellungspapiere geschieht im Lause des Monats März. Anfragen, besonders von Ge schäftsleuten, die an der Sache Interesse haben und selbst ausstellen wollen (das Quadratmeter Ausstellungsraum wird mit 10 Mk. berechnet) sind an W. Schwedler, Dresden. Kaulbachstraße 3, erbeten. —* Die Gesellschaft für Christentum und Wissenschaft gedenkt Mittwoch den 2. März abends 8 Uhr im Restaurant Kneift (Große Brüdergasse) ihre diesjährige Hauptversammlung zu veranstalten. Auf der Tagesordnung steht außer Bericht und Wahlen auch ein Vortrag des Herrn Oberstabsarztes Dr. Fröhlich über das Problein der Ursächlichkeit. Dr. Fröhlich ist einer der fein sinnigsten und scharfsinnigsten philosophischen Denker unserer Stadt. Seine Anssätze und Schriften haben in weiten Kreisen viel Beachtung und reicl>e Anerkennung gefunden. Wir nennen ans ihrer Zahl nur: Die Indi vidualität vom allgemein menschlichen und ärztlichen Standpunkte (1897) — Deutschtum und Menschheit (1900) — Das Gesetz von der Erhaltung der Kraft und der Geist des Christentums (1903) — Radiumstrahlen, ein Beitrag zu der Frage: Mechanistische oder sittliche Weltanschauung 11901) — Ter Wille zur höheren Einheit (1905) — Freiheit und Notwendigkeit als Elemente einer einheitlichen Welt anschauung (1908). Borna, 28. Februar. Auf der Landstraße von hier nach Flößberg ereignete sich heute vorinittag ein schwerer Unfall. Ter 42 Jahre alte Geschirrführer Schuster kam mit einem beladenen Kohlengeschirr gefahren, als plötzlich seine Pferde vor einein Zuge entgegenkommender Karabiniere scheuten und durchgingen. Bei dein Versuche, die Tiere zu beruhigen, kam Sch. zu Falle und wurde über beide Beine gefahren. Leisnig, 28. Februar. Der Geschirrführer Kästner wurde, als er scheugewordene Pferde beruhigen wollte, von den Tieren an das Bernhardtsche Fabriktor gedrückt und dann zirka 50 Meter weit geschleift. Der Mann erlitt schwere innere Verletzungen und drei Rippenbrüche. Pausa, 27. Februar. Der 18 Jahre alte Sohn des Stickmaschinenbesitzers N. hier geriet mit einem Angestell ten seines Vaters in Streit. Das brachte den jungen Mann derart in Erregung, daß er in der elterlichen Woh nung sich mit dem Jagdgewehr seines Vaters zu schaffen machte. Als der Vater in das Zimmer eintrat, erschrak der junge Mann so heftig, daß ein Schuß krachte. Dieser Schuß, der aus Versehen losgegangen sein muß, verletzte den jungen Mann derart, daß er, ohne die Besinnung wie der erlangt zn haben, heute nacht verstarb. Zwickau, 28. Februar. Für die hiesige Bahnstation ist der Bau eines neuen Bahnhofes projektiert. Der Bau ist auf 10 Millionen Mark veranschlagt worden. Görlitz, 27. Februar. Eine schwere Bluttat ereignete sich in einem Hause der Zittauer Straße. Dort versuchte der 29 Jahre alte Droschkenkutscher Eschenhorn seine Ehe frau in einem Anfalle von Wahnsinn zu ermorden. Er ver setzte ihr mit einem Hirschfänger zahlreiche Stiche in Kopf, Brust und Rücken. Die Frau ist schwer verletzt, der Täter wurde verhaftet und wird einer Irrenanstalt zugesührt. Halle, 28. Februar. Im benachbarten Beuchlitz feierte der Fleischermeister Albrccht Kindtause. Im Laufe des Tages wollte der Kindtaufsvater seinen Gästen zeigen, wie er die Rinder erschießt. Dabei hantierte er mit einein Revolver. Plötzlich ging ein Schuß los und einer der Ge vattern, der Bäckermeister Stark, sank zn Boden. Die Kugel war ihm in den Kopf gedrungen. — 28 — Fräulein Sophie warf das Buch heftig in die Ecke. „Sie sind ein Taugenichts, Franz. Verdient Ihr Vater darum mühselig das Geld, damit Sie es auf solche Weise zum Fenster hinauswerfen? Gott bewahre jedes Mädchen davor, Ihre Frau zu werden. Ter gehörte die Märtyrerkrone. Schade, daß Sie kein kleiner Junge mehr sind, Sie verdienten die Nute. Doch nun genug davon. Jetzt habe ich meine Meinung gesagt und meinen Aerger ausgetobt. Jetzt kommen Sie hübsch ins Zimmer und leisten meinem Bruder Gesellschaft, das heißt, wenn es Ihnen möglich sein sollte, so lange vernünftig zn sein. Ich habe noch einen Brief zu schreiben." Sie nahm ihn unter den Arm und führte ihn Herrn Mützel zu, der an einem reich besetzten Frühstückslische saß. Läck,elnd schaute sie dem jungen Manne ins Gesicht. „Jungechen! Jungechen! Wenn man Sie ansieht, muß man Sie gern haben, und doch sorgen Sie dafür, daß man aus dem Aerger über Ihre Windbeuteleien nicht hinauskommt. Na, das Mannsvolk! Tangen tut ihr ja alle miteinander nichts." Sie legte eilfertig ein frisches Kuvert auf und schob ihm den Schaukel stuhl zu. „So, Sie großes Baby, hier hinein, da Sie eine so große Vor liebe fürs Wiegen haben. Und nun, Albert, sorge für deinen Gast. Nicht Rotwein, Franz trinkt nur weißen. So, Kind, langen Sie nur tüchtig zu. Die Zigarren stelle ich hier neben — ich weiß, welche Sorte Sie bevorzugen. Also auf Wiedersehen!" Sie verschwand und überließ Bruder und Gast den kulinarischen Ge nüssen. Sic waren beide gut untergebracht. Herr Mützel sprach nicht gern, wenn er aß, und Franz beschränkte sich darauf, nach Wally zu fragen. Als er hörte, daß sie heute bestimmt ihr Kommen zugesagt habe, sah er sehr ver gnügt aus. Nach kurzer Zeit kam Fräulein Sophie zurück. „Wollen Sie so gut sein, Franz, den Brief gleich in den Kasten stecken, wenn Sie fortgehen?" „Gewiß!" versprach er und seine Augen leuchteten, als er die Adresse las: „An Wally." „An Wally!" wiederholte Fräulein Sophie mit erhobener Stimme.'. „Ich habe ihr nämlich abgeschrieben, zu dem Balle herzukommen. Solange Sic noch hier sind, Franz, steht ihr unsere Wohnung nicht zur Verfügung." Sie lachte den Bestürzten freundlich an. „Ja, mein Jungechen, ich habe Ihnen doch gesagt, daß Sie Strafe verdienen. Ter Brief ist meine Rute!" „Tante Sophie!" rief Franz stirnrunzelnd, „das ist grausam, nicht nur gegen mich, auch gegen Wally. Und was soll sie von Ihrer Gastfreundschaft denken?" „Wie rührend ist Ihre Sorge, daß ich mich blamieren könnte," sagte Fräulein Sophie spöttisch. „Und glauben Sie doch nicht, daß der Ausfall des einen Balles für Wally, die deren dutzendweise in ihrem Hcimatsorte besucht, eine so große Bedeutung Hot. Uebrigens kann ich Sie darüber be ruhigen, daß Wally mir Mangel an Gastfreundschaft vorwcrfen könne: ich habe ihr ganz genau den Grund meiner Absage angegeben. Nur Ihret wegen habe ich sie gebeten, später zu kommen." „Hm!" meinte Franz und besah das Kuvert so gründlich, als könne dies ihm etwas Besonderes anvertrauen, „wer sagt Ihnen denn, Tante Sophie, -aß der Brief auch richtig hinkommt? Es gehen ja so viele verloren." — 25 — Ei>« undeutlicher Laut kam aus der Kehle des Doktors. Er dachte an Franz, wie er es verstanden hatte, sich seiner Tochter zu nähern, und ein dumpfes Angstgefühl beklemmte ihm das Herz. In einem kurzen Blick trafen sich die Augen von Vater und Tochter: eine ängstliche Frage schien in denen des Vaters zu liegen. Und vor Hildas Seele stand es plötzlich wie eine Vision. Sie wußte, daß ihre heutige Zustimmung oder Abweisung von größerer Tragweite war, als ein gewöhnlicher Bescheid. Wenn sie unter einem nichtigen Vorwände ab- lehnte, so würde Hans wissen, daß er nicht mehr hoffen durfte, und — Wally trat an ihre Stelle. Ihr Verzicht bedeutete nicht nur die Seelenruhe des Vaters, die er als ersehnte Erholung rühmte, sondern auch das Glück der Freundin. AuS dem Herzen drang cs ihr hervor wie eine heiße Welle, die ihre Sinne sortzuspülen drohte. Sic war bis jetzt ihres Vaters wegen Hans aus gewichen: cs hatte ihr wchgetan, aber je mehr es schmerzte, je süßer war ihr der Gedanke erschienen: Tu bringst ein Opfer, das dich vor dir selber er- höht. Und nun sie es genau bedachte, war dies alles gar lein Opfer gewesen, denn heimlich hatte sich leuchtend die Hoffnung vor ihre Augen gestellt, er wird doch nicht von dir lassen. „Und du wolltest Krankenschwester werden, und trauerst, als du es nicht durftest!" rief schmerzlich eine Stimme in ihr. Sie stand auf, faßte die Hand des Vaters, sah ihm fest in die Augen und sagte ernsthaft, wie man die Eidesformel spricht: „Vater, ich lasse dich des Abends nicht allein. Ich weiß, daß dir meine Gegenwart fehlen würde, und dies Bewußtsein gilt für mich mehr, als der Gedanke an vergnügte Stunden. Bitte, Wally, sage das deiner Tante und — denen, die mich sonst noch verniissen würden." Ter Abend bei Mühels verlief ganz vergnüglich. Wally, als Königin des Festes, wurde allseitig gefeiert, und sie ver stand die Kunst, sich in geschmackvoller und liebenswürdiger Weise huldigen zu lassen. Franz sagte ihr so viel Schmeicheleien, daß sie Tante Sophie zu Hilfe *rufen mußte, deren freundlicher Vorschlag, ihn hinauswerfen zu lassen, seine Galanterie kaum zu bändigen vermochte. Fritz, der ziemlich schweigsamer Natur war, tanzte dagegen mit tiefer Andacht fast ununterbrochen mit ihr: Karl aß mit ihr Vielliebchcn und machte die ungeheuerlichsten Andeutungen fürstlicher Geschenke, die er, als freiwillig Unterliegender, ihr zu Füßen legen wollte, Max verschlang sie förmlich mit seinen Blicken und Leonhard, der sechszehnjährige, jüngste Sprößling des Hauses Türmer, machte ihr sogar einen regelrechten Heiratsantrag. Auch die Herren der Apotheke nahten ihr huldigend. Sie vergaßen heute ganz, von pharmazeutischen Dingen zu reden, taten sehr vornehm, und der jüngste, der so vermessen war, sie mit „liebes Fräulein" anzureden, wurde sofort von den anderen mit „gnädiges Fräulein" und „Gnädigste" nieder- gedonnert. Scheu zog er sich zurück, um sich mit weniger hervorragenden Damen in weniger hervorragender Weise zu blamieren. «Der Konkurrent.*