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Arbeiter und Schutzzoll. Einsichtige Leute haben es längst erkannt, daß zwischen Industrie und Landwirtschaft eine große Interessengemein schaft besteht. Zahlreiche hervorragende Industrielle und Kaufleute, Einzelpersonen sowohl wie Korporationen, haben dies oft genug ausgesprochen, und gerade in den letzten Jah ren hat eine Reihe Handelskammerberichte ausdrücklich be tont, daß eine kaufkräftige Landbevölkerung immer den besten und sichersten Markt für unsere Industrie bildet. Selbst sozialistische Schriftsteller, wie Schulz, Schippel. Buisson, haben sich dieser Einsicht nicht länger verschließen können. Wenn unsere Landwirtschaft aber kaufkräftig ge nug bleibt, um der Industrie stets Beschäftigung geben zu können, dann findet auch der Arbeiter in dieser gesicherten Industrie lohnenden und dauernden Arbeitsverdienst. Wird aber unsere Landwirtschaft schutzlos preisgegeben, dann würde nicht nur der Jndustrieabsatz und damit der Ver dienst des Arbeiters schwer gefährdet, sondern es würden auch Millionen von Menschen, die heute noch in der Land wirtschaft Beschäftigung finden, der Stadt, der Industrie zuströmen, das Heer der Arbeiter würde vermehrt, der Lohn gedrückt, die Arbeitslosenarmee würde vergrößert. Eine rentable Wirtschaft aber ist Veranlassung, daß zunächst der Landwirt höhere Löhne an die Landarbeiter zahlt (es han delt sich um etwa 7 Millionen ländlicher Arbeitskräfte), was wieder zurückwirkt auf sämtliche Arbeiter, auf den gan zen Arbeitsinarkt. Was man billigerweise verlangen kann, und was die Sozialdemokratie in ihrer einseitigen Klassenkampfpolitik nicht gewähren will, ist: Gleiches Recht für allel Die Ein- nihrung der Jndustriezölle hat man sich ruhig gefallen lassen, und immer noch werden neue Schutzzollforderungen für be stimmte Industriezweige aus Arbeiterkreisen laut. Doch wir haben bei der Sozialdemokratie vergeblich nach einein ähnlichen Geschimpfe über solche Jndustriezölle gesucht, wie es den landwirtschaftlichen Zöllen gegenüber geschieht. Uebrigens verteuern Lohnerhöhungen auch die Industrie- Produkte zu Lasten von Landwirtschaft und Mittelstand, und nach dem Rezepte der Sozialdemokratie, die jeden Tag über den „Brotwucher" herzieht, hätten diese Stände dann auch ein Recht, über „Lohnwucher" zu schimpfen. Und könnten nicht mit demselben Rechte, mit dem die Sozialdemokratie billiges Brot um jeden Preis verlangt, auch wenn unsere Landwirtschaft dabei zugrunde geht, auch unsere Jndustri- ellen sagen: „Wir wollen billige Arbeitskräfte um jeder Preis und führen zu diesem Zwecke chinesische Kulis ein. auch wenn dis deutsche Arbeiterschaft dabei zugrunde geht!" Recht treffend weist auf diesen letzten Punkt gerade wie der Max Schippel hin in der neuesten Nummer der „Sozia listischen Monatshefte (Nr. 9) in einem Artikel: „Was ist denn Freihandel?" Der sozialistische Schriftsteller schreibt hier ganz folgerichtig: „Und schließlich die lebendige Ware Arbeitskraft? Wenn man als Sozialist grundsätzlich tiefer graben will, darf man die Ware aller Waren am allerwenigsten aus dein Auge lassen. Aber gerade unsere Edelmarxisten schleichen an den praktischen Weiteranwendungen der theoretisch anerkannten Voraussetzung gar zu gern vorüber. Prinzipieller Frei handel in der Ware Arbeitskraft heißt grundsätzliche Ab lehnung jeder denkbaren wirtschaftlich-staatlichen Differen zierung zwischen In- und Ausländern . . . Der Protektio nismus (Schutzsystem) kam unaufhaltsam zum Durchbruche, natürlich unter Führung der Verkäufer der bedrohten Ware der Arbeiter, und oft unter erbittertem Widerstande der Unternehmer, wo ernstere Jnteressenkonflikte gegen außen hin bemerkbar wurden. Mit Kopfgeldern gegen Chinesen fing es in Amerika an — das wäre etwa das Gegenstück zum bloßen Schutzzoll — mit vollständiger Absperrung gegen diese Asiatenkonkurrenz hörte es auf; der freie internatio nale Austausch darf sich nur noch in Gelehrten, Studenten, Vergnügungs- und Großgeschäftsreiseuden, nicht aber in Lohnarbeitskräften vollziehen. Aehnlich in Kanada, in Australien: Je größer der Arbeitereinsluß, desto protektio nistischer (schutzbereiter) ist dieser und noch in mancher an deren Richtung die Nrbeiterpolitik. In allen Ländern sind sehr oft gewisse Arbeiten den Einheimischen Vorbehalten. In Frankreich ist die Festsetzung eines höheren Prozentsatzes der Beschäftigung für Landesangehörige bei öffentlichen Arbeiten, bei Staatslieferungen gerade zur Regel gemacht." Am Schlüsse seines Artikels erinnert Schippel daran, wie es ihm und anderen erging, wenn man früher einmal eine „objektive Aeußerung über den Agrarschutz" sich ge stattete. Mit Behagen verzeichnet er aber, wie sich solche Aeußerungen mehren. „Die drastischen Beispiele dafür," so schreibt er, „sind gar nicht einmal in revisionistischen Kreisen zu finden. So hieß es, um nur ein allerjüngstes Beispiel aus verblüffend vielen herauszugreifcn, kürzlich wieder in der Marxstudie des Genossen Hilferding über das Finanzkapital: England müsse „notwendigerweise in kurzer Zeit zum Schutzzoll" übergehen: die Abkehr der kapitalistischen Klassen von der Freihandelspolitik bedeute deren „völlige Aussichtslosig keit": die internationale freie Konkurrenz, das heißt der Freihandel sei ein „reaktionäres" Ideal geworden." Hierzu schreibt Schippel dann weiter: „Als Symptom eines unaufhörlichen Meinungsumschwunges sind solche Aeußernngen doppelt beachtenswert: denn Hilferding ist nicht nur einer der wenigen wissenschaftlich leistungsfähigen Marxisten, er ist sogar — der leitende Redakteur des „Vor wärts", unseres Parteizentralorgans." Wir verstehen das Vergnügen SchippelS über diese Feststellung, und wir teilen dasselbe vollständig. Ob allerdings der „Vorwärts" einen solchen wissenschaftlich leistungsfähigen Marxisten, deren es ja nach Schippels Aussage so wenige geben soll, brauchen kann, ist eine Frage für sich. Die Hauptsorge der Sozial- demokratie wird einstweilen sein, daß nur das „Volk" nichts von diesen: bedenklichen „Synrptom eines unaufhörlichen Meinungsumschwunges" erfährt. schramm § kchiermever. Dresden t.sm!l,su88ll-. 27 86681»-. 18 Mlrlskliolsl) k>ii-nsi8vl,s 8t«-. 2 von 4 s>sg. SN. 212 ZOO Sorten Ausreiten. W Kaucktabake Uvckivmiiiijr »» »Iivrksniit Achtung! Soeben ein Waggon M'alii-i-U«»«!-, erstklassige Marken, gei No»« 8pr«vi-, Bautzner Straße 88, elngetroffcn, spottbillig! Gebrauchte Räder nehme in Zahlung. 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Widerstreitende Gefühle ringen in ihr: das Mitleid mit dem in Gedanken Erwählten und der Zorn über die Schande. Plötzlich löst Lena heftig den Arm aus dem der Begleiterin: „Das hat der Franz nicht getan! Oder er war in der Notwehr!" Mina Olischlager schaut erstaunt auf. Warum ergreift die Freundin so entschieden für den Franz Partei? Ihr alter Verdacht regt sich wieder, und schärfer als Empfindung und Uebcrzeugung in ihr sprechen, entgegnet sie: „Wer soll's denn sonst getan haben? Es ist erwiesen, daß er vor den: Dorfe in der Heide, bei einem Kapellchen, spät abends mit den: Holländer zusammengestoßen ist: am anderen Morgen fand man diesen im Blute. In Haft genommen ist er schon." „Und ich glaub's nicht, daß er den Holländer erschlagen hat!" Etwas Bezwingendes liegt in dem unerschütterlichen Glauben, der aus chren Worten spricht. Aber zugleich hat sie den Schleier von ihrem Herzen gezogen: Mina weiß jetzt, wie cs um die Freundin steht. „vnd dein Bräutigam?" fragt sie. Lena überhört die Frage und verabschiedet sich. Sie muß allein sein, allein mit den stürmenden, wirbelnden Gedanken, von denen ihr Kopf aus- einonderzugehen droht. Sie geht auch nicht nach Hause: sie würde in der Verfassung den häus- l.chen Pflichten nicht nachgehen können. Zum Tore hinaus eilt sie, über die Sckisfbrücke uud den Büderichter Damm entlang. Dort ist es menschenleer und still, dort muß sie überdenken, was sie gehört hat, daS Schreckliche. Nun war das Maß des Unglückes voll. Nacheinander hat sie alles ver loren: erst die Mutter, dann den Glauben an den Vater, schließlich den Besitz des Geliebten, um ein unwürdiges Leben an der Seite eines Elenden da gegen cinzutauschen. Und nun wird noch ihr Name an die Öffentlichkeit gezerrt und mit Fingern auf sie gezeigt tverden als diejenige, unr deretwillcn Blut geflossen ist, denn sie weiß, warum die beiden zusammengestoßen sind. Trostlos blickt sie in das Wasser des Rheins, das an daS Ufer plätschert. Die eine Schiffbrüchige kommt sie sich vor, die in den Wellen willenlos treibt und weit und breit keine Rettung sieht. Sie läßt sich an der Böschung nieder und starrt in den Strom. Das Glucksen des Wassers ist wie ein Locken: Komm, müdes Menschenkind: in mir ist Ruhe und Reinigung vom Staub des ErdengetümmelsI — 45 — So schön ist ihn: die Heide lange nicht mehr erschienen. Fast fröhlich schaut er der Lerche nach, die in die blaue Luft steigend ihr Liebeslied trillert. „Alter Geck!" verspottet er sich selber, um dann zage zu werden: Wie würde die Marie seinen Vorschlag aufnehmen? Je näher er dem Dorfe kommt, um so tiefer sinkt seine Hoffnung, und mehr als einmal steht er zur Umkehr still. Aber die Zähigkeit des Niederrheiners, die an dem einmal gefaßten Entschlüsse festhält, trägt den Sieg davon. — Frau Brinkmann blickt hocherstaunt auf, als der Mann, den sie seit der Jugendzeit nicht mehr gesprochen hat, der aber ihres Sohnes väterlicher Freund ist, verlegen vor ihr steht. Marie Brinkmann heißt ihn eintreten und Platz nehmen. Als er den Blick durchs Zimmer gehen läßt, das trotz aller Beschränkung überaus wohn lich anheimelt, vergleicht er es unwillkürlich mit seinem Hausen, und das Herz sinkt ihm vollends in die Schuhe. Als er die Augen der ehedem Ge liebten fragend auf sich ruhen sieht, erscheinen die Hellen Tropften auf sei ner Stirn. Er sucht »ach einer Einleitung, findet aber keine andere als die Frage, ob Frau Brinkmann nicht einen Korb schöner Birnen gebrauchen könne: er habe deren so viele, daß sie nur verdürben, und so wäre es ihm schon lieber, wenn sie Freunden zugute käme: der Franz esse die Sorte gern. Ein wehes Lächeln auf ihrem Antlitz sagt Jan, daß er mit den letzten Worten eine Wunde berührt hat. Nun wird der sonst Wortkarge beredt. Er sei auch gekommen, um ihr. der Mutter, zu sagen, daß Franz unmöglich die ihm zugeschriebene Tat be gangen haben könne und daß hier ein schwerer Mißgriff der Polizei voc- liege. Ganz in Eifer geraten erklärt er, sofort zum Gemeindevorsteher gehen und die Freilassung des Unschuldigen verlangen zu wollen. Der Sohn einer solchen Mutter kounte die Tat nicht begangen haben; das stand jetzt plötzlich bei ihn: fest, obschon er anfangs dem jungen Blute sie schon zugetraut hatte. „Es wird nicht helfen," erwidert die unglückliche Mutter: „daß Franz unschuldig ist, daran ist kein Zweifel: aber der Schein spricht gegen ihn, und solange der nicht gehoben ist. wird mein armer Junge sich darein finden müssen, und wir auch!" setzt sie traurig hinzu. „Kopf klar, Marie!" Ohne es zu merken, hat er sie mit dem Vornamen angeredet. „Es ist das Letzte, ivas Euch aufeclegt wird! Nur diesmal haltet Euch noch: und tvenn's zu schwer wird, dann wißt Ihr, daß Ihr noch Freunde habt!" Mit einen: Blicke des Dankes reicht sie ihm die Hand, die er scheu berührt. — In diesen: Augenblicke wäre er für sie von: Kirchturme gesprungen, ivenn sie es verlangt hätte. Der Sonnenschein fällt durch die Scheiben auf den nach niederrheini scher Art mit weißen: Sande bestreuten Boden und malt auf ihn: Ringe: di: Strahlen streifen auch den Kopf der Marie und machen ihr mit Silberfäden schon reichlich durchzogenes Haar weiß: Jan sieht mit Schrecken, wie alt sie geworden ist bei ihren etwa 46 Jahren. »lieber Wasser." ..