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Nr. L47 - LO. Jahrgang Gon«a-end de« 1. Juli IVIR Erscheint täglich nach«, m» Ausnahme der Sonn- und Festtage. AuSgabe ck mit .Dir Reit in Wort und Bild' vierteljährlich ik.IO II. In Dresden durch Boten E4« In ganz Deutschland frei Hau» S82 in Oesterreich 4 4» X. AuSgab« U ohne illustrierte Beilage vierteljährlich 1,80 In DreSdrn durch Boten »,IV In ganz Deutschland srei Hau» ».»» ^ in Oesterreich 4.V7 L. - Einzel-Nr. I« 4, Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit Lrkrlsckend und labend! vrecIo-6l8--l)i'op8 >, plana ,z pk. kerliax L kockstrok, vresäe«. blioclerlsgen in sllen Ltsätteilen. Anserate werden die ligespaltene Petitzeile oder deren Raum mit 18 4, Rcllamen mit 8« 4 die Zeile berechnet, bet Wiederholungen entsprechenden Rabatt. Buchdrnckerei, Redaktion und Geschäftsstelle! Dresden, PMuitzer Strafte 4». — Fernsprecher I»«« Für Riickgab« unverlangt. Schriftstücke keine Verbindlichkeit Redaktion-.Sprechstunde: II btS IE Uhr. sttttatdn ln alian anö ^nostkSrbei'e' vr°.ö«n. ^..aa« Id^'"> fsrngpksoksk Nr. 2841, --— >«sr. 4«o. r«««. «7». 47ss. vrssösn, kskngpksoksk 2841. MS2. 4820, 2488. «7». 4763. I«. Agrar-demagogisch. Auf dem ersten Hansatage ist das Schlagwort „agrar- demagogisch" geprägt worden, seither kehrt es in nahezu allen Resolutionen und Depeschen wieder, die an das Prä sidium des Hansabundes gerichtet worden sind aus Anlatz des Ausscheidens des Landrates a. D. Rötger. Ob sich alle Absender etwas dabei gedacht haben, könnte fraglich er scheinen: wenn man feststellen wollte, was denn „agrar demagogisch" auf gut Deutsch heihe, dann kämen wohl manche in. Verlegenheit, die heute dieses Wort ebenso ge läufig im Munde führen wie den geistlosen Grutz „Mahl zeit". Was soll denn dieses Schlagwort, aus zwei Fremd wörtern bestehend, bedeuten? Nach so manchen Auslassungen auf dem Hansatage "»d des Hansabundes sollte man von dieser Seite ruhig sein in Sachen der Demagogie. „Wir lassen nicht auf uns herum trampeln " mag ein falscher Zungenschlag rhetorischer lleber- treibung sein; aber das Bilderflugblatt des Hansabundes mit seinen falschen Darstellungen war doch so aufreizend, daß selbst der Sozialdemokrat gestehen muß, daß er hier übertrumpft worden ist. Man kann es ja verstehen, daß ein Agitationsverein zum Nachweis seiner Existenzberechtigung und zur Gewinnung von Mitgliedern die Farben etwas stark aufträgt, das haben andere auch getan und daraus braucht man dem Hansabunde keinen besonderen Vorwurf zu machen. Nur soll er dann aus seinem Glashause her aus anders nicht mit Steinen bewerfen wollen. Die be rechtigte und notwendige Agitaion wird dann zur Demago gie, wenn sie Volksteile aufhetzt, mit falschen Behauptungen arbeitet und den notwendigen Zusammenhalt des Staats ganzen ignoriert. Wem unter den Agrariern soll nun dieser Vorwurf gelten? Wenn man auf die Gründungsjahre des Bundes der Landwirte, die seine Sturm- und Drangperiode darstsllen, blickt, dann kann man ja manche Redeblüte fin den, die unter diese Bezeichnung fällt, aber ist es in den beiden ersten Hansajahren anders gewesen? Ich meine, diese Rechnung sei gegenseitig ausgeglichen Die Agitation des Hansabundes aber zeigt, das; in wei ten Kreisen des Volkes das Wort „agrarisch" wie ei» Schimpfwort angesehen wird, das den Begriff der Habgier und des Egoismus darstellt: dagegen mutz mit Nachdruck Widerspruch erhoben werden. Wer im Parlamente sitzt, kann verschiedene Sorten von „Agrariern" kennen lernen: „Hausagrarier". „Wcinagrarier", „Beamtenagrarier", „Jn- dustrieagrarier" und „Nnr-Agrarier", und er könnte inter essante Feststellungen machen, welche Gruppe der „Agrarier" nun am rücksichtslosesten vorgeht. Aber die deutschen Bauern gehören nicht in die erste Reihe, auch der Groß grundbesitzer nicht, wenn er auch hohes Geschick in der Ver tretung seiner Interessen an den Tag legt: es sind ganz andere Erwerbsschichtey, die mit den weitestgehenden An forderungen an die Allgemeinheit herantreten. Um nur eines zu sagen: Die neue Reichsversicherungsordnung be lastet relativ die Landwirtschaft höher als die Industrie, die die Lasten der Krankenversicherung schon längst trägt; die neuen Kosten fallen weit mehr der Landwirtschaft zur Last, da deren Arbeiter nun unter die Krankenversicherung kommen, da alle die Fortschritte der in der Industrie schon bestehenden Krankenversicherung mit einer einzigen Aus nahme sofort auch auf die Landwirtschaft fallen. Trotzdem ist aus den Reihen der „Agrarier" nur ganz vereinzelt ein Widerspruch laut geworden und man fand hier nicht jene scharfe Opposition, durch die sich andere Kreise bei der Wei- terführung der Sozialreform hervortun. Die neuen Vieh- seuchengesetze und -Verordnungen bringen dem deutschen Bauernstände Lasten und Belästigungen, von denen die städtische Bevölkerung keine Ahnung hat und doch ruft man von hier ans: Grenzen auf! bis man die Seuche im Lande hat und daniit höhere Fleischpreise. An der Erhaltung einer blühenden deutschen Land wirtschaft hat doch das ganze deutsche Volk das größte In teresse, auch die Nur-Konsumenten. Ohne ausreichende Schutzzölle ist dieses Ziel nicht zu erreichen: es sind nur wenige rückständige Kreise, die dieses heute noch in Abrede stellen; man kann eben vom deutschen Bauern auch nicht fordern, daß er ohne Gewinn produziert. „Ohne Profit raucht kein Schornstein" und kein -- Misthaufen — gestatte ich mir, dem Worte Bebels hinzuzufügen. Die Zinsenein nahmen der Landwirtschaft sind aber erheblich niedriger wie die der Industrie und doch würde letztere sich mit ganz O verschwindend kleinen Ausnahmen gegen eine Herabsetzung . oder gar Beseitigung der Jndustrie-Llle wehren. Unter den geltenden Handelsverträgen fängt die Landwirtschaft an. sich zu erheben und zu kräftigen und dies kommt unserer gesamten Volkswirtschaft zugute, wo selbst die Industrie in Krisenjahren nicht die sprunghafte Entwickelung zeigte, wie im zollfreien England. Die Wellentötcr der Entwicke lung werden immer flacher und das ist ein großer Gewinn für die Gesamtheit. Wenn nun die Landwirtschaft mit be sonderer Zähigkeit an dem Errungenen festhält, kann man dies doch auch mit — „agrardcmagogisch" bezeichnen und doch geht der Wunsch der deutschen Bauern nur in dieser Richtung: der Zolltarif von 1902 soll im Prinzip beibehalten und an einigen schadhaften Stellen ansgcbessert werden. Dabei gibt die Landwirtschaft auch gern der Industrie den erforderlichen Schutz, selbst wenn sie Konsument ist. An eine einseitige Bevorzugung der Landwirtschaft durch die Gesetzgebung denkt kein vernünftiger Mensch in allen „agrarischen" Parteien, schon weil die Mehrheit des deut schen Volkes, die nicht in der Landwirtschaft beschäftigt ist, wenn sie auch zum großen Teile in ihr lebt, sich so etwas einfach nicht gefallen lassen würde. Es bedarf also gar kei ner Arbeit gegen die „Agrardemagogie", die als Schlagwort sich gut verwenden lassen mag, aber die im Reiche als maß- gebende Richtung gar nicht existiert. M. Erzberger, M. d. R. PotWche Rundschau. Dresden, den 8V. Juni ISIl. — Die türkische Stutzieukommissiou traf am 28 Juni von Kiel in Hamburg ein und wurde vom türkischen Konsul begrüßt. Am 29. Juni wurde sie an den LandungSbrückcn von dem Bürgermeister Predöhl und dem Senator Sthanur empfangen und unternahm auf ItaatSdampfern eine Fahrt durch den Hasen und besichtigte die Kaianlage, den Lösch- und Ladebetrieb der Deutsche» Levantelinie, die Werft von Blohm L Boß. sowie den neuen Elbrunnel. — Die Vorarbeiten für de» neue» Etat schreiten tüch tig voran, so daß das NeichSschatzamt Ende Juli alle Vor anschläge erhalten wird. In einzelnen Ressorts scheint man jetzt wieder aus dem Vollen schöpfen zu wollen, da die Fi nanzen sich bessern: das N ichSschatzamt soll sich nur einige Meter Rotstift kaufen und lüchtig abstreichen. — Verein zur Bekämpfung der Fremdenlegion. Die auf den 17. Juni nach Stuttgart einberufene Versammlung zur Gründung des „Vereins zur Bekämpfung der Fremden legion" hat folgenden Beschluß einstimmig gefaßt: „Am 17. Juni 1911 ist der „Verein zur Bekämpfung der Fremdenlegion" in Stuttgart gegründet worden. Zweck und weiter^! Tätigkeit des Vereins sollen sich im Rahmen der allgemeinen Grundsatz' bewegen, wie sie in dem öffent lichen Aufrufe dargclcgt sind. Die Zentrale des Vereins soll aus praktischen Gründen nach Berlin verlegt werde», später sollen in den größeren Städten Deutschlands Orts gruppen eingerichtet werden. Die Ausarbeitung der Satzungen und die Organisation und Wahl des Vorstandes sollen in Berlin erfolgen, wohin eine neue Versammlung zu diesem Zwecke demnächst cinberufen wird. Die Unter zeichner des Aufrufes, sowie die Mitglieder des Vereins werden gebeten, zur Fortsetzung der bisherigen Werbe tätigkeit die von ihnen gezeichneten Beiträge an Herrn A. Crönlein in Stuttgart, Augustenstraße 6, einznscnden, der das Kassenamt vorläufig übernommen hat. Weitere Mit teilungen, insbesondere die Statuten, werden nach den Be schlüssen der Berliner Generalversammlung au die Mit glieder versandt werden." Ter Wirkliche Geheime Kriegsrat Dr. jnr. Nomen in Berlin hat sich bereit erklärt, die Organisation des Vereins in Berlin in die Hand zu nehmen, nachdem man zur Ueber- zeuguug gekommen war, daß die Geschäftsleitung unbedingt in der Reichshauptstadt sein müsse. — Der Landtagsabgeordnetr Kvmmrrzienrat Hall- strocm in Nienburg a. d. S. hat den Vorsitz der Ortsgruppe Nienburg des Hansabundes nicdergelegt. Er begründete nach der „Franks. Zeitg." seinen Rücktritt damit, daß er sich mit den Aeußcrungen Nießers vom 12. Juni in Berlin nicht einverstanden erklären könne, weil er Mitglied des Reichs verbandes gegen die Sozialdemokratie und des reichstreuen Wahlvereins Bernburg sei. — Bankier Ludwig Delbrück, das bekannte Herren- Hausmitglied, ist aus dem Hansabunde ausgetreten. Del brück ist beim Kaiser wohlgelitten und Gast desselben in Kiel. Eine Reihe weiterer Austritte wird sich anschließen. — Warenhäuser und Rebattsparvereinc. Ein bedeut samer Prozeß, der für die Oeffentlichkeit erhebliches Inter esse bietet, ist durch das Reichsgericht jetzt entschieden wor den. Der Verband der Rabattsparvereine Deutschlands, E. D., Bremen, hatte in ganz Deutschland ein Flugblatt mit der Ueberschrift „Treue um Treue" verbreiten lassen, in dem an Hand der Umsatz- und Gewinnzahlen des Warenhauses Leonhard Tietz. Köln, Aktiengesellschaft, u. a. behauptet ^7 TL 1^. wurde, die Warenhäuser verkauften im Durchschnitte zu bedeutend teureren Preisen als der mittelständiiäje Klein handel. Ferner war behauptet, das Warenhaus erringe sc ine größten Erfolge durch die unausbleibliche Trübung der Urteilsfähigkeit des Käufers: wirkliche Vorteile finde der Käufer in Warenhäusern nicht, das Warenhaus hole, wie das preußische Kammergericht sage, durch Lockartikel unter Einkaufspreis die Kundschaft heran und sei dann genötigt, für andere Waren bedeutend höhere Preise zu nehmen. Gegen den Rabattsparverein Hannover, E. G., der hier die Verteilung des Flugblattes besorgte, erhob das Warenhaus B. Klage. Das Landgericht erachtete jedoch die Form des Flugblattes für sachlich und den Inhalt be rechtigt, es erachtete auch den Beweis der Wahrheit, wo nötig, als erbracht, und wies die Klage kostenpflichtig ab. Die Berufung des Warenhauses wurde vom Oberlandesge richte Celle verworfen; ebenso wies jetzt das Reichsgericht die dagegen eingelegte Revision kostenpflichtig zurück. In dem wirtsckjaftlichcn Kampfe, den einerseits der Verband der Rabattsparvereine Deutschlands für den mittelstandlichen Detailhandel gegen die im Verbände der Warenhäuser ver tretene Interessengruppe führt, wirkt der Ansgang des Rechtsstreites sachlich klärend. — Eine nctte Stencrgcschichtc. In der sreis. Presse wird folgende interessante Stcuergeschichte mitgeteilt: „Die Gemeindevertretung von Ngnetendorf beschloß Dr. Gerhart Hanptmann unter der Voraussetzung, daß ec die gegen die Gemeinde wegen Zurückzahlung der Steuern für das letzte Vierteljahr des vergangenen Steuerjahreä erhobene Klage zurücknimmt, die Zuschläge zur Einkommen steuer auf ein halbes Jahr für das Stsuerjahr 1911/1912 zu erlassen, »in dadurch den Wegzug des besten Steuer zahlers zu verhindern." Die sonst so redselige freisinnige Zeitung bringt ledig lich diese Notiz und hüllt sich im übrigen in ehrfurchtsvolles Schweigen. Wenn dieser Dr. Gerhart Hauptmann nämlich! ein weniger tantiemenreicher Agrarier wäre, würde man den Mund gehörig voll nehmen. Man sieht hier wieder einmal, welche „feine Nuancen" die freisinnige „Kultur arbeit" bieten kann. — Gand in die Augen! Der Hansabund verbietet Flugblätter und Werbeaufrufe mit der Aufforderung: Darum steht der Hansabund jedem, möge er zu irgend einer Konfession oder Partei gehören, ebenso offen, wie dem Konservativen und Zentrumswähler der Kaufmanns beruf, das Handwerk, die Industrie. Es wäre ein schweres Unrecht, ein Angriff auf die Arbeit und das öffentliche Wohl, und ein parteiliches Armutszeugnis, wenn einer vor dich hintreten, dir ausgeben wollte: Du bist gut evangelisch, du bist gut katholisch, du bist konservativ, du bist beim Zentrum — also werde nicht Mitglied! Der Hansabund ruft dir treu und ehrlich zu: Du bist beim Zentrum, du bist konservativ: Bleibe im Zentrum, bleibe konservativ, bleibe religiös, wie du bist, und komm und bleibe a:'ch im Hanfabunde. So steht'S noch zu lesen im Hansabund - Flugblatt Nr. 15. Wer lacht da nicht heute, wo nicht einmal der rechte Flügel der Nationalliberalen noch Platz ba! im Hansabundei Oesterreich-«»,»»». — Der Statthalter von Nicdcrösterrcich, Gras von Kielmannsegg, ist unter dankbarer Anerkennung seiner lang jährigen ausgezeichneten Dienste vom Kaiser in den Ruhe stand versetzt worden, — Wen die Wiederervberer beschützen müssen. Dis Wiedereroberer Wiens sind kaum im Besitze ihrer Macht, so gehen sie schon an die Beglückung — der Großhändler nämlich. Die freisinnige Presse erklärt es in beweglicher« Leitartikeln, daß die M i l ch g r o ß h ä n d l e r Schutz suchen, weil diese Armen angesichts der drohenden Milch- tcnernng „sich vor dem Haß der Konsumenten sichern »vollen". Tie Milchgroßhändler, so versichert die Wieder erobererpresse, sind an dieser Teuerung unschuldig — schuld sind nur die Bauern. So geht es also schon los! Nirgends ist der Zwischenhandel so ausgebreitct, wie im Wiener Milchhandel. Die Milchgroßhändler schlagen ein Drittel und noch mehr des Einkaufspreises der Milch zu. Mit unter geht die Milch durch die Hände von drei, vier Zwischenhändler», bis sie der Konsument erhält. Nun kommt zur rechte» Zeit die Ankündigung der Milchprodu- zcnten, daß die Oekonoincn auf eigene Faust mit Hilfe eines großen Bankinstitutes den Milchvertricb in Wien über nehmen und die Milch in garantiert guter Qualität um 26 Heller per Liter auf den Markt bringen werden. Das ist um vier bis sechs Heller billiger, als sie derzeit in den meisten Bezirken der Bevölkerung zukommt. Die Presse der Wiedcrcrobcrer, die der Teuerung den Garaus machen »vollen, stellt sich aber nicht auf die Seite der Produzenten, die billigere Milch nach Wien bringen »vollen, sondern auf Seite der Milchgroßhändler, die höhere Preise als die Produzenten fordern und dabei nur die verfolgte Unschuld sind. Man hat die jüdischliberal-sozialdemokratische Ge sellschaft gekannt, die noch überall als Protektorin deS ver teuernden Zwischenhandels aufgetreten ist, aber daß sie eS so eilig haben wird, nach der Wiederer-berung ihr wahretz Gesicht zu zeigen, da» hätte man doch nicht gedacht. ,