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106 26. '.-m Speisezimmer zu Wynter Grange wurde Kriegsrat gehalten. Roger Taubem, saß iu seinem Armstuhl vor dem leereu Kamin, Bartlett, der „ben galische Tiger" genannt, stand neben ihm, und James Nchnell saß an dem kleinen Seitentisch, mit allerlei Schreibmaterial vor sich. „Ich denke, so wird es recht sein," sprach er, nachdem er sorgfältig durchgelesen hatte, was er zu Papier gebracht. „Mein Schreiben ist kurz und bündig, und besagt bloß, das;, wenn der Steuereinnehmer Gaynor am Tonnerr-lag abends mit ein paar handfesten Polizeilenten auf der nach Kil- mingha», führenden Landstraße nach zwei Fußgängern ansspähen will, sein Eifer zweifellos belohnt werden wird. Tic Frage ist nur, ob der schwarze Dick und sein Gefährte beim Namen genannt werden sollen. Ich glaube, nein." „Weshalb nicht?" knurrte Roger Daubcnh. „Weil man niemals weiß, wie mau bei diesen verteufelten Staats beamten fährt," erläuterte Rehncll traulichen ToneS. „Möglicherweise zieht es Gamior bei Erhalt dieses Briefes vor, seinen eigenen Weg zu gehen und vor allen Dingen eine Durchsuchung des Schiffes vorzunchmen, statt dem Schn ugglerpaar auf der Landstraße aufzulnncrn. In diesem Falle könnte er noch vor »nS die Beute finden. Diese behördlichen Schufte schlagen alles kurz und klein, wenn sie eine Spur gefunden zu haben glauben. Hab' ich recht, Tiger?' Bartlett gab eine zustimmendc Antwort, und auch Taubeuy nickte. „Hinwider ist eS ziemlich wahrscheinlich," fuhr der Ränkeschmied fort, „daß Gaynor, falls er es vorzieht, den Denunzierten auf der Landstraße auf- zulanern, unmittelbar nach deren Festnahme eine Hausdurchsuchung bei ihnen voruimmt, tuen» er deren Wohnung kennt. Vorausgesetzt nun, daß unsere Operation auf dem Schiffe sich ein wenig in die Länge zieht, wenn wir von behördlichen Organen überrascht werden würden." „Holt würde ja bei seiner Verhaftung auS seinem Namen und Heim ohnehin kein Geheimnis machen," wandte Danbenv argwöhnisch ein. Es bitte fast den Anschein, als stünde er jedem Vorschlag des Mannes, den er sc löst zu seinem Vertrauten gemacht hatte, feindlich gegenüber. Neynell wandte sich lächelnd zu ihm: „Nehmen wir an, mein teurer Daubcnv. daß Sie sich in einer solchen Lage befänden, würden Sie ihren Pe'ingeru ein» solche Waffe in die Hand geben?" fragte er halb im Scherze. „Sie würden sich ganz sicher Schmitt auS LoweStoft oder Brown aus Rar- mouth neune», unter keinen Umständen aber Dick Holt aus der Totenbucht. Der schwarze Dick ist kein Narr und wird sein Heim nicht preisgeben, wenn es nicht unbedingt sein muß. Natürlich müssen wir auch mit der Möglichkeit rech-in. daß (tzaynor oder die ihn begleitenden Polizeileute ihn kennen, allein dies ist wenig wahrscheinlich und dieser Gefahr müssen wir uns schon aus- scheu. die um so geringer ist, als der Zollinspektor seine Leute gewiß aus Parmouth mit sich bringt, um sich nicht an die Polizeiorgane von Aulton wen den zu müssen." „Sehr vernünftig gesprochen," ließ sich Bartlett vernehmen. 107 „Sind Sie mit meinem Plane einverstanden, Daubeny?" fragte Ncynell sanft. „Denn schließlich sind Sic der Leiter des ganzen Unternehmens und die Entscheidung bleibt Ihnen anheimgestcllt." ,.^a, ja, tun Sie, was Ihnen gut dünkt, nur möchte ich schon endlich ein greifbares Resultat sehen, weil ich sonst doch gezwungen wäre, dis Sache selbst i» die Hand zu nehmen. Bisher sind nur Worte gehört worden, von einem Erfol ge ist indessen keine Spur zu sehen." Ter „bengalische Tiger" blickte den Sprecher verwundert an, während Neynell mit nachsichtigem Achselzucken daran ging, den anonymen Brief zu verschließen und zu versiegeln. Nachdem dies geschehen mar, erhob er sich und sagte: „Ich will den Brief jetzt aufgeben und bin gleich zurück." Er ging hinaus, ohne seinen Freund aufzufordern, ihn zu begleiten, und eine ganze Weile nach seinein Fortgange verhielten sich die beiden Männer schweigend. Man hätte das Schweigen fast ein beredtes nennen können, denn ein jeder der beiden sagte sich, daß der Mann, der soeben hinausgegangen war, kein Vertrauen verdiene, und erwog gleichzeitig die Frage, ob man sich gegenseitg trauen könne. Mit einem Male hob Roger Taubeny den Kopf und sein düsteres Auge fiel auf die mächtige Gestalt des „Tigers", in dem er mit kalter Berechnung einen nicht zu unterschätzenden Genossen zu erkennen glaubte. Der gelassene, nachdenkliche Blick, mit dem Bartlett durch das Fenster ins Freie spähte, fesselte seine Voile Aufmerksamkeit, und als geübter Menschenkenner meinte er, in diesem Manne den Verbündeten vor sich zu sehen, dessen er in Wahrheit be» duifte. Eine Weile hing er seinen Gedanken nach, dann sprach er' „Hören Sie mich an, Bartlett. Ich kenne Sie nicht und brauche auch keinerlei Auskünfte über Sie; allein es will mich bedünken, als wären wir be rufe», ein Bündnis mit einander zu schließen, dessen Zweck darin besteht, daß Sie Ihre Kräfte ausschließlich mir widmen." „Den Anfang glaube ich scbon gemacht zu haben, Herr Daubeny, indem ich hierher kam, um meinem teuren Freunde James Reynell Beistand zu leisten," erwiderte der „Tiger", und die höhnische Betonung, die er auf die Worte „meinem teuren Freunde" legte, ermutigte den älteren Mann, aus dem eiugeschlageuen Wege fortzufahren. „Ich sehe, Bartlett, daß wir eines Sinnes sind," sprach er eifrig; „und da kann ich Ihnen wohl gestehen, daß ich Sie nicht beneide, wenn Sie mit diesem glattzüngigen Verräter allein das Schiff betreten sollen. So sicher, wie der Mann dereinst in der Hölle braten wird, so sicher gedenkt er uns beide zu verraten. Ich hatte ihn stets im Verdacht, daß er mich im Stiche lassen und sich den Schatz allein aneignen wird, sobald er seiner habhaft werden kann. Ebenso sicher bin ich, daß er seine Absicht nicht aufgegeben hat, trotzdem er jetzt auch Sie an der Geschichte beteiligt. Er hat ganz entschieden einen Plan entworfen, um sich Ihrer zu entledigen, sobald Sie ihm die Hilfe ge leistet haben, die er von Ihnen erwartet." Für einen Menschen, der einen so furchterregenden Spitznamen führte, benahm sich Bartlett auffallend ruhig und gelassen. Mit gemütlichem Lachen mei.ite er: „Jem befindet sich in dem unglücklichen Irrtum, daß ich ein beschränkter Mensch bin, weil ich mein Temperament nicht immer beherrschen kann. Im