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2 Wer daher einen guten Rath annehmen will, der trachte zuerst nach einem allgemeinen gediegenen Studium, dann aber in der Praxis dahin, möglichst vielseitig zu bleiben. Er wird mehr, viel mehr Mühe haben, aber als Erfolg winkt ihm die Unabhängigkeit. Zur Illustration des Gesagten sei folgende That- sache angeführt: Durch eine anhaltend fortgesetzte Specialisirung kommt es vor, dass Zeichner, welche lange mit Erfolg ausschliesslich für gewisse Arten von Baumwoll-, Leinen-, Schafwoll- oder Seidenstoffe ge zeichnet haben, durch die herrschende Mode gezwungen werden, in einer ganz einseitigen Richtung zu schaffen. Kleine Musterchen, wie gewürfelte, linienartige, ge streifte Dessins; gestreute Sternchen, Blümchen, Huf eisen und andere Muster, die nicht so viel Talent als oft recht viel Geschmack erfordern, waren bisher ihre Aufgaben. Plötzlich ist die Industrie mit einem Schlage abermals durch die Mode gezwungen, auf ein gross angelegtes Genre überzuspringen. Ganze Artikelserien werden aufgelassen, neue mit Anspruch auf eine ganz andere Technik hervortretende Gewebearten werden verlangt, und statt jenen »petits riens« werden von demselben Zeichner auf einmal Blumen-, ja Styl- muster gefordert. Und nun steht allen diesen Anstürmen gegenüber ein solcher bereits ziemlich verknöcherter Specialist! Was bisher Alles gut war, ist nun nichts. Er geräth in permanente Verlegenheiten, und besitzt er nicht mehr genug Elasticität, kann er den neuen Anforderungen sich nicht mehr accommodiren — so ist sein Los besiegelt. Der Fabrikant ist gezwungen, anderwärts seinen Bedarf zu decken, und wenn es gut geht, so sinken solche Zeichner vom Compositeur zum Patroneur her unter, und damit wird der einstige gute Verdienst zum Wochen-, ja nicht selten zum Hungerlohne, und er selbst, einst schaffender Künstler, ist nunmehr ein »Taglöhner der Kunst«.