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Deutscher Reichstag. Sitzung voni 30. Mai, 10 Uhr 20 Minuten. Die dritte Lesung der Reich sversicherungs»- ordnung wird bei der Unfallversicherung fort gesetzt. Abg. Findel (Ntl.) tritt für Unterstellung der De taillisten unter die Unfallversicherung ein. Nach kurzen Bemerkungen des Abg. Molkenbuhr (Soz.) wird der nationalliberale Antrag auf Unterstellung der Detaillistsn angenommen und zwar gegen die Sozial demokraten. Abg. Vassermann (Ntl.) begründet folgenden An trag: 8 640 n. Insoweit durch Gesetz oder Vertrag dem Reiche, einem Bundesstaate, öffentlichen Verbänden oder Körperschaften das alleinige Recht Vorbehalten wird, auf einer Wasserseite Binnenschiffahrt oder einen Teil davon (Schleppschiffahrt und dergleichen) auZzuüben, gehören diese Betriebe den sllr sie gebildeten Berufsgenossenschaf- ten an." Der Antrag wird nach kurzen Bemerkungen der Abg. Trimborn und Gothein angenommen. Eine Reihe von Paragraphen wird angenommen. Zu § 84s, der die Arten der Unfallverhütungsvorschrif ten enthält, beantragt Abg. Sachse (Soz.): Im Interesse des Bergbaues bei den event. in einer Muttersprache zu er lassenden Vorschriften einzufügen: „und alle sonsttgen zum Schutze von Leben und Gesundheit erlassenen Vorschriften der betreffenden Betriebe". Ministerialdirektor Caspar bittet um Ablehnung dieses Antrages. Abg. Gothein (Vp.) tritt für denselben ein. Abg. Korfanty (Pole) wünscht auch die diese Un fallverhütungsvorschriften ersetzenden bergpolizeilichen Ver ordnungen in diese Bestimmungen einzubezieheu. Staatssekretär Delbrück wendet sich gegen den Antrag. Nach kurzen Ausführungen des Abg. Gothein (Vp.) wird der sozialdemokratische Antrag abgelehnt, der der Polen angenommen. Die folgenden Paragraphen werden ohne Debatte angenommen. Ein Kompromißantrag Schultz auf Wiederherstellung des Kommissionsbeschlusses, der die Schadenersatzpflicht der Unternehmer ausspricht, auch wenn die Geschädigten keinen Anspruch auf Rente haben, wenn strafgerichtlich festgestellt ist, daß er den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat, wird nach kurzer Debatte mit 203 gegen 97 Stimmen ange nommen. Der Rest des dritten Buches wird nach unerheblicher Debatte angenommen. Es folgt das vierte Buch: „Invaliden- und Hinterblte- benenversicherung." Abg. Dr. Pott hoff (Vp.): Auch hier sollte die Ver- sicheruugspflicht bis zu einem Jahresverdienste von 2600 Mark ausgedehnt werden. Abg. Giesberts (Ztr.): Wir hätten gewünscht, daß für die Heimarbeiter etwas mehr erreicht würde, wir müssen aber angesichts der Bedenken der Regierung uns bescheiden. Abg. Molkenbuhr (Soz.): Hätte das Zentrum etwas für die Heimarbeiter erreichen wollen, so hätte es dies leicht erreichen können. Staatssekretär Dr. Delbrück: Konsequenzen aus der Heraufsetzung der Einkommensgrenze in der Krankenver sicherung sind auf die Invalidenversicherung nicht zu ziehen. In der Herbstsession wird es hoffentlich gelingen, das Heim arbeitergesetz zu verabschieden und einen Teil der Heim arbeiter in die Versicherung einzubeziehen. Nach weiteren Bemerkungen der Abg. Becker-Arns berg (Ztr.) u. Molkenbuhr (Soz.) werden 8 1212 und die nächsten Paragraphen angenonimen. Zu 8 1242 über die Altersgrenze bringen die Sozial demokraten und Freisinnigen wieder ihren Antrag auf Her absetzung der Altersgrenze auf daS 65. Lebensjahr ein. — Nach kurzer Debatte, an der sich die Abg. Schirmer (Ztr.), Molkenbuhr (Soz.) und Hoch (Soz.) beteiligen, wird der sozialdemokratische Antrag mit 170 gegen 119 Stimmen bei 9 Enthaltungen abgelehnt, ebenso der frei sinnige Antrag mit 166 gegen 120 Stimmen und 11 Ent haltungen. Der Rest des vierten Buches wird ohne wesentliche De batte und ohne wesentliche Aenderungen angenommen. Es folgt das fünfte Buch: „Beziehungen der Versichc- rungsträger zu einander und zu anderen Verpflichteten": dieses wird ohne Debatte erledigt. Es folgt das sechste und letzte Buch: „Verfahren", daZ unter Annahme einiger unbedeutender Kompromißanträge angenommen wird. In der Gesamtabstimmung wurde das Gesetz mit 232 gegen 58 Stimmen und 15 Enthaltungen (Polen) ange nommen. Es folgt das Einführungsgesetz zur Neichsversiche- rungSordnung. Die ersten 29 Paragraphen werden ohne Debatte erledigt. Abg. Graf v. Westarp (Kons.) begründet zu diesem Paragraphen einen Kompromißantrag, die Bestimmungen über die Kassenangestellten, soweit sie in der Reichsversiche rungsordnung enthalten sind, sofort in Kraft treten zu lassen. Abg. Dr. Mugdan (Vp.) zur Geschäftsordnung: Ta die Tragweite dieser Anträge nicht zu übersehen ist, bean trage ich Vertagung auf lf/2 Stunde. Abg. Trimborn (Ztr.) bittet, die Sitzung nur eine Stunde zu unterbrechen. Ein Antrag Bebel, die Sitzung auf morgen zu ver tagen, wird abgelehnt, dagegen die Sitzung auf eine Stunde unterbrochen. Hierauf findet die Weiterberatung statt, die bei Ab gang der Züge fortdauert. Die österreichische Sozialversicherung. Durch die Auflösung des österreichischen Abgeordneten hauses ist auch der Entwurf einer Alters- und Jnvalidi- tätsversicherung, in die die bestehende Unfalls- und Krankenversicherung hineingearbeitet war, unter den Tisch gefallen. Der Sozialversicherungsausschuß, der das Gesetz beraten hat, hat es an Mühe zweifellos nicht fehlen lassen; nicht minder groß war unter der sozialdemokratischen Fuchtel die Nachgiebigkeit der Abgeordneten gegenüber allerlei weitgehenden Wünschen der Wähler. So ist es denn dazu gekommen, daß dieses Gesetz viel weiter geht als die deutsche Sozialversicherung und z. B. auch die selbständig Erwerbstätigen mit einem Einkommen unter 2400 Kronen mit umfaßt. Aber schon die Vorlage der Regierung ging viel weiter als die deutsche Sozialversicherung: so soll der Staatszuschuß zu jeder Alters- und Invalidenrente 90 Kronen betragen (im Deutschen Reiche nur 50 Mark), was im Beharrungszustande eine Belastung von 100 Millionen Kronen für den Staatssäckel bedeuten wird. Außerdem werden Versicherte und Arbeitgeber etwa 300 Millionen Kronen aufzubringen haben, davon die Arbeitgeber nahezu die Hälfte. Es ist recht fraglich, welches Schicksal der Ent wurf gehabt hätte, wenn er aus dem Ausschüsse ins Plenum des Abgeordnetenhauses und dann ins Herrenhaus gelangt wäre. Auf die Interessen der österreichischen Industrie, die vor allem infolge der ungeheueren steuerlichen Belastung, die teilweise das fünffache und mehr im Vergleiche zu ent sprechenden Unternehmungen im Deutschen Reiche beträgt, unter dieser ihr neu aufzubürdcnden Last zusammenbrecheu müßte, würde höchstens das Herrenhaus bis zu einem ge wissen Grade Rücksicht genommen haben. Im Abgeordneten hanse wären die Geister vielmehr bei der Frage der Ver waltung der Kassen, wo man auch Vorkehrungen dagegen zu treffen versucht hat, daß diese nicht Versorgungs anstalten für Sozialdemokraten werden, aufeinandergeplatzt und unter veränderter Schlachtreihe bei der Frage der Tei lung der Versicherungsanstalten nach Nationalitäten, wo die deutschen Sozialdemokraten mit ihren bürgerlichen Volksgenossen notgedrungen gehen mußten, während die Tschechen sich dagegen sträubten. Die ganze Art, wie in Oesterreich Sozialpolitik ge trieben wird, wird durch folgende Tatsachen wohl am besten gekennzeichnet: die Hausstencrn betragen in Oesterreich durchschnittlich 40 Prozent des Bruttoertrages des Hauses: in Wien z. B. sind es sogar noch ein paar Prozent mehr. Nun wird natürlich diese Steuer, da doch auch der Haus besitzer eine ortsübliche Verzinsung seines Kapitals for dert, auf den Mieter abgcwälzt, und zwar durchaus nicht etwa progressiv, im Gegenteil, diese Steiler lastet auf den Mietern der kleinsten Wohnungen gerade am schwersten. Diese Art der Besteuerung ist wirklich in hohen. Maße un sozial und schädigt vor allem durch das unhygienischs Wohnen den Nachwuchs. Der schlechtestbezahlte Arbeiter hat aber an dieser Steuer in seinem Leben mehr bezahlt als er jemals an Alters- oder Invalidenrente erlangen kann. Logischcrwcise würde also die vernünftigste und wir kungsvollste Sozialpolitik in einer allmählichen Ermäßi gung dieser Steuer besteheil, dis es auch den niedersten Volksschichten ermöglichen würde, gesund und ausreichend zu wohnen: in dem Maße als die Steuer sinkt, würde ;a natürlich die Bautätigkeit zunehmen und die Mieten wür den sich ermäßigen. Der Sozialdemokratie kommt es aber nur darauf an, neue Anstalten zu schaffen, in denen sie, wie sie nach dem bisherigen Verhalten der Negierung mit Recht — 16 — licbeii, schwachen Tone, der dem hohen Alter eigen ist. Der Mann war ent schieden ein hoher Siebziger. „Nein," erwiderte Leonard, „soll ich sie schließen?" „Ja, und sieh auch auf der Galerie »ach, ob niemand dort ist. Kein Lebender soll hören, was ich dir zu sageu habe, und auch kein Toter. Denn ich glaube, Philipp Stöcker würde auferstchen, wenn er hören könnte . . ." Ohne dis Anspielung zu verstehe», tat Leonard wie ihm geheißen, indem er die Falltüre schloß, und einen forschendeil Blick über die Galerie schweifen ließ. Darauf ließ er sich wieder neben dem Bette nieder, war aber sofort ge nötigt. sich von neuem zu erheben, denn der alte Mann sagte: „Stehe auf, damit ich dich besser betrachten kann." Der junge Mann hegte aufrichtige Liebe für den verarmten Gentleman, der gedarbt und entbehrt hatte, um ihu nach seines Vaters Tode, der im ersten Kriegszuge im Sudan gefallen war, erziehen zu lassen, und er gehorchte ohne weiteres, wobei er nur mit Mühe ein Lächeln unterdrückte. Kapitän Wynter musterte wohlgefällig die stattliche Gestalt uud die ehrliche Miene des jungen Menschen und meinte dann: „Schade, ungeheuer schade, daß du nicht auch des Königs Nock trägst und gegen die Erbfeinde des Vaterlandes kämpfst, wie es deine Vorfahren getan. Leider hatte ich nicht die Mittel, um dich Soldat werden zu lassen, und vielleicht ist es gut so, denn cs wäre dir dann nicht möglich gewesen, dich der Aufgabe zu unterziehen, die ich für dich in Bereitschaft habe. Du besitzest Sehnen und Muskeln, und auch an Mut scheint es dir nicht zu fehlen. Beides wird dir sehr zu statten kommen, wenn irgend ein Nachkomme Philipp Stöckers noch am Leben sein und gleich ihm nach dem Besitz des Geheimnisses streben sollte, das mir der gütige Himmel wiedergegeben. Setze dich und ver nimm, was sich vor fast fünfzig Jahren an Bord des Schiffes „Cader Jdris" zugetragen. „Ich staild damals, wie du wissen dürftest, als Kapitän im Dienste der -Ostindiscl)en Gesellschaft und war im Begriffe, nach harten Kämpfen mit den Aufständischen in die Heimat zurückzukehren. Das ganze Jahr hindurch war ich uuocrwundet geblieben und dachte nicht im Entferntesten daran, daß mich nach Niederwerfung des Aufstandes der Stahl eines schurkischen Zivilisten treffen sollte. Damals wurde fast der gesamte Seehandel in der Gegend des KapS der Guten Hoffnung von kleinen Dampfschiffen besorgt, und ich ge dachte die Heimfahrt auf dem „Cader Jdris" zurückzulcgen, — einem kleinen Dampfer von fünfhundert Tonnen, der heutzutage verächtlich als Nußschale bezeichnet werden würde. „Meine Geschichte hat bloß mit zweien meiner Mitreisenden zu tun, einem Kameraden, der mit mir in demselben Regiments als Offizier diente und Artur Milroy hieß, sowie einem gewissen Philipp Stöcker, der sich als Kaufmann aus Bombay vorstellte. Auf dem Schiffe wollte man wissen, Stöcker habe Indien verlassen müssen, weil ihm der Boden unter den Füßen zu heiß geworden, weil er seine Gläubiger hintcrgangen und ihm anvertraute Gelder unterschlagen habe. Man behandelte ihn mit großer Zurückhaltung, nicht allein der unvorteilhaften Gerüchte tvegen, die über ihn verbreitet waren, son dern auch, weil er von wenig einnehmendem Aeußern war und ein zügellose-? Temsrcrament besaß. — — 13 — „Ich möchte Sie etwas fragen," fuhr sie fort, und mußte den Blick vor seinem sympathisch klaren Auge senken. Ich glaube, Jnmans Too wird eine Untersuchung nach sich ziehen. Meinen Sie nun, daß ich in die Sache ver wickelt werde, beziehungsweise ob man durchaus wissen müßte, daß ich in der Mühle gewesen?" „Ja, hat denn niemand Kenntnis davon?" rief Leonard ehrlich erstaunt aus. „Sie haben das Haus Ihres Onkels gewiß nicht verlassen, ohne dort jemanden zu sagen, wohin Sie gingen und was Sie Vorhalten." „Gerade das ist der Fall. Es dürfte Ihnen nicht unbekannt sein, Mr. Wynter, daß ich in Grangc kein sehr glückliches Leben führe, und um aufrich tig zu sein, fürchte ich mich sogar vor meinem Onkel. Es erfüllt mich gerade zu mit Graue», nach den Ereignissen, die sich während meiner Anwesenheit in der Mühle zugetragen haben, nach Hause zu gehen und meinem Onkel gegen- überzuLreten. Doktor Argles weiß zwar, daß ich die Absicht hatte, hierherzu kommen: allein er ist mein Freund, und wird mich nicht verraten." „Auch ich bin Ihr Freund und werde Sie nicht verraten," sprach de: junge Mann eifrig. „Ich sehe wirklich nicht ein, weshalb Sie in die Sache verwickelt werden sollen, vorausgesetzt, daß Sic des Schweigens des Doktors sicher sind. Können Sie in das Haus zurückgelangen, ohne gesehen oder ge hört zu werden?" „Nichts leichter als das, da ich die Gartentür absichtlich offen ließ." „Haben Sie jemanden mit der Wartung meines Großvaters betraut?" „Nein: die alte Frau Stubble sollte bei ihm wachen, doch hat sie ihren Posten schändlich verlassen." „Das vereinfacht die Dinge bedeutend," meinte Leonard beschwichtigend. . Es ist am besten, Miß Blythe, Sie gehen unverzüglich nach Hause, und erst, wenn ich denke, daß Sie wohlbehalten daheim angclangt sind, werde ich Ihres Vetters wegen Lärm schlagen. Das werde ich natürlich in dem zunächst ge legenen Hause tun: da aber mein Großvater friedlich schläft, so wird er mich wohl entbehren können, bis ich zurückkomme." Lesbias Gesicht hellte sich auf, und ihr dankbares Lächeln war durchaus geeignet, junges Blut in Wallung zu bringen. „Ich danke Ihnen von ganzem Herzen. Sie wissen gar nicht, welchen Dienst Sie mir leisten," begann sie, allein Leonard fiel ihr ins Wort, indem er sagte: „Dankbar muß ich Ihnen sein, si'ir die Freundlichkeit, die Sic meinem armen Großvater erwiesen und die ich niemals vergessen werde. Es ist meine Pflicht, Sie vor allen unangenehmen Folgen Ihrer Liebenswürdigkeit zu schützen, und Sie können unter allen Umständen auf mich rechnen. Müßte ich nicht befürchten, bei der zu gewärtigendeu Untersuchung hinsichtlich der An gabe des genauen Zeitpunktes, da ich dxn Leichnam Ihres Vetters gefunden, mich in Widersprüche zu verwickeln, so würde ich erst morgen früh Lärm schlagen, zumal jede Hilfe ausgeschlossen ist. Da fällt mir ein, daß ich Argles sicherlich früher sprechen werde, wie Sie: soll ich ihm in Bezug auf Ihre Per- son Schweigen auftragen? Schön. ES soll geschehen." Sie reichten sich die Hände, wobei ihre Blicke einen Moment länger an einander hasteten, als es uuu»>«ö-<,lich nötig acweseu wäre, und dann kehrte