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Zweites Blatt Sächsische Bolkszettung vom il. Februar 1911 Nr. 3S Deutscher Reichstag. Sitzung vom 9. Februar. 1 Uhr 20 Min. Dlo zweite Lesung des GerichtsverfassungS- gefetzes wird fortgesetzt und zwar beim Titel „Zusam mensetzung der Strafkammer". Die Kommission beantragt folgende Fassung zu § 77: „Die Kammern entscheiden in der Besetzung von drei Mit gliedern einschließlich des Vorsitzenden. Die Strafkammern sind in der Hauptverhandlung mit drei Richtern einschließ lich des Vorsitzenden und mit drei Schöffen im Verfahren «uf Berufung mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzen den zu besetzen." Abg. Dr. Wagner (Kons.) tritt für den Kommis- konsantrag ein. Die Sozialdemokratie beleidigt und be schimpft den Richterstand'. leider hat man auch in bürger lichen Kreisen Mißtrauen gegen den Nichterstand, infolge faUcher Informationen. Redner zitiert eine Reihe von sozialdemokratischen und freisinnigen Pressestimmen gegen den Richterstand. Auch wenn wir keine Laien in der Be- cufnng erhalten, so sitzen sie doch in der ersten Instanz und sie Vorlage bringt noch genug Vorteile aller Art. Soll war» darauf verzichten, weil nicht alles erreicht ist? Dbg. Gröber (Ztr.): 1877 habe die Begründung zum Gerichtsverfassungsgesetze gesagt, daß die Zuziehung von Laien eine ausgetragene Frage sei und doch habe der Vor redner noch so erhebliche Zweifel aufgeworfen: er wolle gar keine Laienein ganz unhaltbarer Standpunkt. In der Kommission zur Vorberatung des Gesetzes hätten Vertreter des Reichsgerichtes und der Reichsanwaltschaft gesagt: So kann es nicht mehr weiter gehen! (Hört!) Selbst diese hätten allesamt die Zuziehung von Laien gefordert. Der Vorredner sucht zu schrecken durch Aufhebung des Anwalts- paariges, aber das macht keinen Eindruck. Heute ist eigent lich nur Streitfrage: Soll man Laien auch in die Be- «ufungsinstanz zuziehen? Das steht allein zur Debatte. Zoll die Strafkammer als Berufungsinstanz gegen Schöf fengerichtsurteile nur Berufsrichter haben? Wer sie hier nicht haben will, kann sie auch in der ersten Instanz nicht wünschen. In den 80er Jahren hat zuerst Reichensperger die Einführung der Berufung gefordert, 1896 haben dann die Abgeordneten Rembold und Gröber zuerst die Zu ziehung von Laien in die Berufungsinstanz gefordert. Heute soll nun darüber entschieden werden. Die Vorlage aner kennt selbst, daß Laienmitwirkung geboten sei. Und doch kommt der Entwurf selbst zu dem selbstsamen Vorschlag: Laie» sind bei der Berufung ausgeschlossen! Wenn die Laien gut sind für die erste Instanz bei der Strafkammer, warum den» nicht bei der zweiten Instanz, wenn es sich um Urteile der Schöffengerichte handelt? Das ist eine unbe greifliche .Halbheit, gegen die sich alle juristischen Autori täten wenden. Sind die Schöffen in erster Instanz gut, dann auch in der zweiten, wo es sich um denselben Gegen stand handelt. Bei den Kriegsgerichten haben wir Laien in »Herr Instanzen und zwar in der Mehrzahl. Bei den .Kolonialgerichten haben wir gleichfalls die Laien in der Mehrzahl und in allen Instanzen. Auch sonst haben wir in Deutschland schon Laien in den BerufSgerichten: Unfall- Versicherung beim Neichsversicherungsamte, Verwaltungs behörden, Kammer für Handelssachen usw. In Norwegen sind in der Berufung überall Laien. Wir haben also Vor gänge massenhaft bei uns in Deutschland. Sind denn die verbündeten Negierungen immer so einig gewesen in ihren Beratungen? Preußen hat sich dagegen ausgesprochen, aber eine ganze Reihe von Staaten unter der Führung Bayerns hat sich für die Laienzuziehung ausgesprochen. Was sagt nun Preußen dagegen? Es handle sich um ein gesährlicl)es Experiment und man habe nicht genügend Schöffenpersonal. Letzteres bestreite ich mit Entschiedenheit und ebenso hat es die vorbereitende Kommission getan. Das anfangs ange- kündigte Material hierüber hat man uns nicht mitgeteilt. Wo steckt denn dieses Material, das man uns nie gegeben hat? Das Material muß nicht sehr durchschlagend sein: ich lege auch darauf keinen Wert (Heiterkeit), und es nmß nicht sehr beweiskräftig sein. (Heiterkeit.) Warum hat man denn die Lehrer nicht als Schöffen zugezogen? Dann hat man genug Personal. Nachdem diesen nun Tagegelder ge geben werden sollen, gibt es genug Schöffen. (Sehr richtig!) Bisher waren in der Berufungsinstanz fünf Richter, jetzt sollen es drei sein: bisher brauchte man vier Juristen zur Verurteilung, künftig sollen es zwei sein. Bisher legte man, auch Lasker in den 70er Jahren, auf das Fünfmänner- kollegium hohen Wert. In der neuen Zusammensetzung der Berufungsinstanz liegt eine erhebliche Verschlechterung des heutigen Zustandes. Wir haben uns die Berufung ganz anders gedacht: eine Verbesserung des Rechtsschutzes des Angeklagten und keine Verschlechterung. Wir können dem Kommissionsantrage unmöglich zustiminen: ich bitte Sie, dem Anträge zuzustimmen, der die Berufungsinstanz mit fünf Richtern besetzt und zwar mit zwei Richtern und drei Laien. (Lebhafter Beifall.) Abg. Bassermann (Ntl.) tritt gleichfalls für Zu lassung von Laien in die Berufungsinstanz ein: man müsse dies klar aussprechen in der zweiten Lesung. Wir treten für die Zuziehung der Laien in der Berufungsinstanz ein. Abg. Stadthagen (Soz.): Selbst urreaktionäre Richter sind für die Zuziehung von Laien. Wenn man Laien zuzieht, dann sind manche juristischen Sprüche nicht mehr möglich. Wenn eine Reform die Laien nicht bringt, so ist es eine Verschlechterung. Wir fordern in der Be rufungsinstanz einen Richter und vier Laien. Abg. Dr. M ü l l e r - Meiningen (Vp.) tritt für den Antrag Gröber ein: es sei unumgänglich notwendig, daß Laien in der Berufungsinstanz sitzen. Staatssekretär Lisco: Wir lehnen die Laien in der Berufungsinstanz ab. lieber die Zuziehung in der ersten Instanz besteht kein Zweifel, und zwar zwei Richter und drei Laien: den weitergehcnden Antrag der Sozialdemokra ten auf einen Richter und vier Laien lehnen wir ab. Die Laien klagen heute schon sehr darüber, daß sie zu den Selbst verwaltungskörpern zu stark herangezogen werden: da mil dert die Gewährung von Tagegeldern sehr wenig. Die großen geschäftlichen Schädigungen bleiben bestehen. Man kann bei der Zuziehung nicht nur auf die Intelligenz sehen, sondern muß auch den inneren Beruf zum Richter beachten. In der Berufungsinstanz wollen wir keine Laien: ein so!- cher Beschluß macht uns die Vorlage unannehmbar. Im Abg. Dr. Varenhorst (Np.) tritt der Zuziehn»» Laien entgegen. Justizminister v. Bester wendet sich gegen die 8»»- ziehung der Laien in der Berufungsinstanz. Die Laie» kommen in der ersten Instanz dadurch zur Geltung, datz man das Urteil der ersten Instanz verliest. Nur Juristen fordern die Laien in der Berufungsinstanz. Wir finden nicht genügend Laien im Lande draußen. Jetzt schon hält es schwer: wie erst später. Da kann man ein solches Experi ment nicht machen. Abg. Werner (Antis.) tritt nach diesen Reden erst recht für Zulassung der Laien ein. Abg. W e l l st c i n (Ztr.) spricht sich gegen die Oulas- sung von Laien in der Berufungsinstanz aus. Stach kurzen Bemerkungen der Abg. Wölzk, D»ve und Zictsch wird die Debatte geschlossen. — Die Abstiin- mung erfolgt morgen. Schluß i/e? Uhr. Nächste Sitzung Freitag 1 Uhr. Die Werkzuwachssteuer. .Franks. General - Anzeiger" finden wir nach stehenden, äußerst instruktiven Leitfaden zur Wertzuwach»- steuer für Grundbesitzer: Der Wertzuwachs wird nach der endgültigen Fassung des Gesetzes ermittelt durch den Unterschied zwischen dem ursprünglichen Kaufpreis und dem VeräußerungSpreiS. Wenn das Grundstück in einem mehr als zwanzigjährigen Zeitraum keinen Besitzwechsel dnrchgemacht hat, dann wird der Wert durch Schätzung ermittelt. Dem Erwcrbspreis werden zugerechnet die VerkehrS- kosten und die Kosten für die Verbesserungsarbeiten. Ist das Grundstück in einer Zwangsversteigerung erworben, so werden auch die etwa ausgefallenen Forderungen deS Erwerbers zugerechnet. Ferner werden 5 Prozent des Wertes für Meliorationen unter allen Umständen ange- rcchnet. Da die Steuer nur den unverdienten Wertzuwachs treffen soll, so ist außer der sachlichen Erleichterung deS vorstehenden Abschnittes auch eine persönliche Schonung derjenigen Käufer vorgesehen, die als Grundstückshändler und Vauhandwerker in dem Wertzuwachs eine Entlohnung ihrer Tätigkeit und einen Existenzträger sehen. Diesen werden die Meliorationen mit 16 Prozent statt sonst mit 6 Prozent angercchnet. Ferner wird dem ursprünglichen Erwerbspreise zuge- rechnet für jedes Bcsitzjahr 1 Prozent des Steuerbetrage» bis zur Höchstgrenze 30. Abgezogen werden von dem Veräußerungspreise: Maschinen, wenn sie wesentliche Bestandteile des Grund stückes sind, und die Prodnktionscrträge des Grundstückes. Tie Wertzuwachssteuer wird erst erhoben von Grund stücken, die bebaut nicht mehr als 20 000 Mark und unbe baut nicht mehr als 6000 Mark wert sind. In dieser Be stimmung schlummert der Keim zur Umgehung der Steuer. Die einzelnen Grundstücke können leicht bruchstückweise in der steuerfreien Grenze erworben werden. Um dieser Mög lichkeit vorzubeugen, ist die Vollmacht des Bunde-rate» 62 - gitr doch noch deine Gunst zuwenden wirst." Er faßte ihre Hand, daß die Armreife leise klirrten. „Komm, Bissula," bat er, „sei gut zu mir! Schenk mir wenigstens einen freundlichen Blick, ein liebes Wort!" Da zog ein Helles Lächeln über ihr schönes Gesicht und sie legte dem viel kleineren Manne die Hand auf die Schulter. „Ja — ich will gut zu dir sein," sagte sie. „Und dir einen Namen geben, der dir all deine Güte lohnt." „Wie du wolltest? . . ." Sie nickte ihm zu und sagte: „Ich nenne dich so, wie du es verdienst, gekannt zu werden: Vater Ausonius!" Sie grüßte ernst und verließ langsam das Atrium, und ihr Haar wehte «ie «in lichtgoldener Schleier hinter ihr her. Ausonius sah ihr ganz verblüft nach. „Vater AusoniuS?" sagte er. ,^bas gefällt mir nicht — aber auch gar nicht! . . . Viel lieber wäre mir gewesen, sie hätte statt Vater ein anderes Wort gewählt: am liebsten — Amor! . . . Aber wer weiß, wer weiß! . . . Frauenherzen sind veränder lich — wenigstens die römischen! Diese snebischcn Trotzkövfe freilich sind - «ich die Frauen — wie mit Erz gepanzert! Aber immerhin: ich werde »arten — und hoffen!" Die höchste Zeit brachte viel Aufregung, Verwicklung und eine Menge wichtiger Ereignisse für Nom: denn große Dinge bereiteten sich vor. Auch Ausonius wurde von denselben in Anspruch genommen und fand daher weniger als sonst Zeit, sich mit den Musen und mit Bissula zu be schäftigen: doch setzte er bei jeder Gelegenheit seine Bewerbungen um die tzchöne Barbarin fort, umgab sie mit allem Glanz und allem römischen Luxus, erfüllte jeden ihrer Wünsche und suchte auf jede Weise ihre Gunst zu ge- »binnen. Allein Bissula versagte sie ihm. Sie war freundlich zu ihm, wie zu «nem Vater und eben das ärgerte ihn am meisten, da er nicht für alt gelten wollte. Er gebärdete sich wie ein Jüngling, kleidete sich wie ein Ele gant, färbte die Haare, um sich ein jugendliches Aussehen zu geben — aber auf Bissula wirkte das eher abstoßend als anziehend. Und Ausonius selber «achte sich lächerlich bei Bissula. ohne daß er in seinen Bemühungen auch nur einen Schritt weiter kam. Bissula war viel allein und brachte den größten Teil des Tages in dem Prächtigen Garten des Ausonius zu: der Aufenthalt in den mit Wohlgerüchen «füllten Gemächern deS Palastes beengte sie: sie brauchte frische Luft und den hahen blauen Himmel über sich. Die mächtigen Platanen und Steineichen «innerten sie an die alamannischcn Wälder, nach denen ihr Herz sich sehnte. 2ng wenn sie im Schatten der alten Bäume saß und den weißen Silberwolkcn »achsah, dann dachte sic voll Liebe und Sehnsucht der Heimat und ihrer Lieben cknd daS Herz wurde ihr schwer . . . Jetzt war eS in Alamannien Herbst: da zogen die Helden zur Jagd und lehrten beutebeladen zurück in die Halle. Die war wohl jetzt wieder neu auf gebaut. größer, stattlicher als zuvor. Wie ging eS Herimuot, ihrem Vater? Wie Sigrun und den Kindern? Sogar an Berchta und Hatto dachte sie, die M immer geneckt hatten und doch so lieb hatten. — 49 — „Eben darum kam ich zu dir. Du stehst in Gunst und Gnaden bei ihm. Suche ihn umzustimmen! Suche ihn uns und den Göttern geneigt zu machent Oder sucl)e wenigstens die Dekrete zu verhindern, von denen ganz Rom spricht, die demnächst ausgcgeben werden sollen und die uns vernichten." Ausonius erhob sich von seiner Kline und sagte ernst: „Mein lieber Freund — alles auf der Welt ist dem Wandel unterworfen. Auch die alten Götter. Ich liebe sie um ihrer Schönheit willen — aber ich bete nicht mehr za ihnen. Und der Imperator ist kein Knabe mehr — er ist meiner Schule trotz seiner Jugend schon längst entwachsen und weiß, was er will. Er will sein Volk glücklich mache»: daran soll ihn niemand hindern. Ich aber, mein Freund, trete vom politischen Schauplatz zurück und lebe fortan nur — den Musen!" Albinus ging. Er zürnte AusoniuS, und dieser wußte, daß er sich einen grimmigen Feind gemacht hatte. Aber er vergaß diese Sorge bald und dachte an Bissula, die ihn für alles Ungemach der Welt entschädigen sollte. Ihr Lächeln — freilich: sie lächelte selten so recht herzlich und lebensfroh — war ihm Scnnenschein, ihr Anblick ließ ihn Welt und Menschen vergessen. Er trat zu einer erzbeschlagenen Truhe aus Zedernholz, öffnete die Lade und entnahm ihr ein schimmerndes Scidengewand, wie es die Römerinnen trugen. Dabei lag eine goldene Kapsula welche einen prächtigen Schmuck enthielt: Ohrgehänge und Ringe, eine Halskette auS Perlen und Korallen, mit schimmernden Rubinen und Opalen eingelegt, goldene Nadeln und Arm bänder. „Wie schön wird Bissula sein, wenn sie in diesem herrlichen Schmucke prangt!" sprach er und ließ eine Erzkugel in eine silberne Schale fallen, datz ein Heller Ton durch daS Atrium zog. Gleich darauf trat ein Sklave ein, verneigte sich tief vor seinem Herrn und erwartete dessen Befehle. „Geh in den Garten," sagte Ausonius, „und bitte Bissula, ins Atrium zu kommen." „Bitten?" fragte der Sklave. „Sie ist doch nur eine Sklavin!" „Schweig und tue, was ich dir sage." herrschte ihn AusoniuS an, „sie ist ein alamannischer Fllrstensproß — ein Königskind! Merk dir das. Und die anderen sollen es sich auch merken, ein- für allemal. Ich will, daß Bissula als Herrin geehrt wird! . . . Gehl" Der Sklave kroch völlig in sich zusammen und verließ gesenkten HaupteS das Atrium, das Bissula wenige Minuten später betrat. Sie trug das lange, blendendweiße, um die Hüften gegürtete Gewand der germanischen Frauen, ohne jeglichen Schmuck. Das rötlich-leuchtende Haar, das bis auf den Gürtel niederwallte, umflutete sie in langen, goldenen Wellen. Sie schien in dem einen Jahr, während sie in Rom weilte, noch schöner, herrlicher und stolzer — königlicher — geworden zu sein. Alles in ihr war edel, vornehm und groß. Und das Auge, bla» und licht wie der Himmel, blickte ernst sinnend, aber ein leichter Trauerschleier schien über den blauen reinen Sternen zu liegen: die Trauer um verlassene Reiche ihrer Lieben, die Sehnsucht nach der teuren Heimat, daS Heimweh nach den deutschen Wäldern, nach dem blauen See und den grünen Auen, nach der Freiheit, nach ihrem Volke! . .. »Die Maniannen."