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Nr. 1V7. Sonntag den 10. Mai 1008. 7. Jahrgiug. MchslstheUolksffituM 8nser«r« werden die «gespall. PeMzelle od. deren Staum «U Reklamen mit die Zeile berechn-, bei Wiederh. be Buchdrmkerei, Rebaktto» »nd Äeschitft-ftell«. Villnttie, «»?-«-« 4» — Sernipre-der Nr. 1«». MI «EM.»»-« st- »Wch MIMKMMZMKM Vr-S8ävn, ksilkrtrsüs 11. ^ ^.llergröllts ^.usvabl in ^ Ü8lMll!W8sögM>silüiii, M ?oi^ellan /Majolika lei-i-acotts ^i-iriasl u. Metall 5efiulbüclier sleikil'icn Immssek' ^önlgl. Noril«rrr-Mt Poesie- un<j Isgevüelier Die Zivilprozetzreform. Der Reichstag hat sich mit der Frage der Zivilprozeß? reform nicht mehr eingehend befassen können; der ent sprechende Gesetzentwurf liegt zwar demselben schon ge raume Zeit vor, aber er gelangte nicht zur Beratung; das ist auch gut so, denn nun kann sich die Öffentlichkeit viel eingehender mit der Reform befassen und ihre Vorschläge ausarbeiten, was sehr notwendig ist, denn wir anerkennen gern die Verbesserungen der Novelle, aber diese hat nicht nur Verbesserungen, sondern auch Verschlechterungen, und das Maß der Verbesserungen ist nicht sehr groß. Die Oeffent- lichkeit muß somit noch tüchtig nachhelfSn, damit ein gutes Gesetz zu stände kommt, ein Gesetz, das uns eine volkstüm liche Rechtsprechung sichert. Was die kleinen Vorteile des Entwurfes betrifft, so ist es zu begrüßen, daß dieser eine Vereinfachung des Kasten wesens herbeizuführen beabsichtigt, die für manche Prozesse auch eine Verminderung der Kosten zur Folge haben dürfte. Gegenwärtig ist das Kastenwesen unübersichtlich, weil jed: Art von Kosten, wie Schreibgebübren, Porto usw. für sich berechnet wird. Die im Entwürfe vorgesehenen Pauschal- gebühren haben den Vorzug, daß man sie von vornherein in ihrer Höhe zu erkennen und abzuschätzen vermag. In Streitsachen, die von den Parteien ohne Anwalt erledigt tverden können, wird es künftig als Ermäßigung der Kosten empfunden werden, daß bei Objekten bis zu 800 Mark kein Anwaltszwang besteht. Wenn aber der Entwurf vorsieht, -aß jeder Prozeß durchschnittlich nicht mehr als drei, und, falls Beweisaufnahme erforderlich ist, sechs Termine haben soll, während für jeden weiteren Termin fünf Zehntel des Pauschalansatzes erhoben wird, so ist das «ine viel zu hohe Belastung. Wir wünschen, diese Gebühr zu streichen oder doch auf höchstens ein Zehntel der Pauschalgebühr herabzu setzen. Bisher galt der Grundsatz, daß gegen jedes zivil- rechtliche Urteil Berufung und Beschwerde möglich sei. Der Entwurf setzt den Beschwerdegegenstand, einigen außerprcu- ßischen Bundesstaaten, wie Bayern und thüringischen Für stentümern folgend, auf 50 Mark fest. Wir m' chten nicht annehmen, daß durch eine solche Bestimmung die Recht sprechung sehr leiden würde. Es liegt aber doch eine un richtige Einschätzung der Rechtsansprüche der Rechtsuchen den nach dem Geldwerte des Streitobjektes in dieser Be stimmung, die wir nicht billigen können; der Entwurf über sieht, daß die Summe von beispielsweise 45 Mk. für einige sehr Wohlhabende ein Nichts ist, während sie für Weni^- Lemittelte ein Objekt von großem Werte, und damit even tuell der Gegenstand heißen Begehrens sein kann. Hiet würde die mechanisch gleiche Abschätzung eine Nechtsun- gleichheit bedeuten. Wir treten somit dafür ein, daß di? Möglichkeit der Berufung auch bei Streitobjekten unter 60 Mark gewahrt bleibe. Am meisten Beanstandung aber erfährt die Erweite rung der Zuständigkeit der Amtsgerichte; bisher sind diese nur bis zu 300 Mark zuständig, und Streitwerte in dieser Höhe erfordern keinen Rechtsanwalt. Der Entwurf will nun statt 300 Mark setzen 800 Mark; das geht den einen zu weit, sie wollen bis 600 Mark gehen, den anderen geht es nicht weit genug und sie schlagen 1200 Mark, ja 1600 Mark vor. Wie soll man sich hierzu stellen? Der Sprung von 300 auf 800 Mark ist außerordentlich groß; das Sin ken des Geldwertes dürfte seit Erlaß des Gerichtsverfas sungsgesetzes sicher noch keine 30 Prozent betragen. Viel leicht ließe sich eine Erhöhung der Zuständigkeit der Amts gerichte mit den vom Entwürfe angeführten Motiven von 300 Mark auf 450 bis 600 Mark rechtfertigen. Der Sprung ist aber nicht nur groß, sondern auch gewagt. Etwa die Hälfte der jetzt bei den Landgerichten, also durch Richter- kollcgien zu entscheidenden Streitsachen soll nach dem Ent würfe in Zukunft der Entscheidung durch daS Amtsgericht, also durch einen Einzelrichter zugewiesen werden; diese Be stimmung ist bedenklich. Es können doch bei Streitobjekten bis zu 100 Mark schwierige und komplizierte industrielle oder kommerzielle Streitfragen zur Entscheidung kommen, die von der größten wirtschaftlichen Tragweite sind. Hier- für das Reichsgericht und auch das Oberlandesgericht als Berufungsinstanz generell in Wegfall zu bringen, ist ein Versuch, dessen Durchführung die Gefahr einer höchst un willkommenen Rechtszerfplitterung in sich birgt. Geradezu unverständlich ist es uns, daß die Begründung des Ent wurfes, ohne darüber ein Wort zu verlieren, ausführt: „Bei der vorgeschlagenen Erhöhung (von 300 auf 800 Mk.) werden nach den für Preußen angestellten Berechnungen von den bisher durch die Zivilkammern der Landgerichte in erster Instanz entschiedenen vermögensrechtlichcn Sachen etwa 48 Prozent und von den durch die Kammern für Han delssachen entschiedenen Prozessen etwa 57 bis 68 Prozent auf die Amtsgerichte übergehen, während der Ausfall bei den Oberlandesgerichten auf etwa 33 bis 34 Prozent anzu nehmen ist." Eine so entscheidende Maßnahme hätte doch zum mindsten eine eingehende Begründung verlangt! Die Vertretungen des Handels und der Industrie, die seit Jah ren für eine Reform des Zivilprozeßverfahrens bemüht waren, haben jedenfalls nicht von fern mit der Möglichkeit gerechnet, daß dadurch eine Organisation getroffen und an kleineren Landgerichten ernstlich gefährdet werden könnte, die sich, so weit wir es zu überblicken vermögen, einer unge teilten Anerkennung aller Kreise erfreut. Wir sind keine Befürworter von Sondergerichten; aber etwas anderes ist cs um die im Interesse der Sache selbst notwendige Be teiligung des Laienelementes an der Beurteilung von Rechtssachen, zu deren Entscheidung außer juristischen auch Fachkenntnisse gehören. Wenn man also sieht, daß mehr als die Hälfte all jener Interessen, die heute durch drei Richter oder durch einen und zwei Laien erledigt werden, künftig durch einen Einzelrichter, vielleicht dimch einen blut jungen Assessor, entschieden werden sollen, so liegt hierin gar keine Gewähr für eine gute Justiz; gerade die erste In stanz muß eine mustergültige sein, um die Zahl der Be rufungen zu vermindern. Daraus ergibt sich auch, daß die Aenderungen auf an deren Gebieten erfolgen müssen. Warum ist die Kammer für Handelssachen so beliebt? Warum sind die Gewerbege richte und Kaufmannsgerichte so populär? Weil sie schnell, billig und volkstümlich urteilen, weil sie Laien als Bei sitzer haben. Das müssen wir auch beim Amtsgerichte be kommen. Warum soll denn der Laienverstand nur ausrei- l chen, wenn es sich um Straftaten handelt? Warum soll er i aber bei Zivilsachen nicht mehr genügend sein? Und doch , berühren gerade die Zivilsachen daS Volksleben am engsten und da ist zuerst Sachverständigkeit geboten. Wir müssen daher auch Schöffengerichte für Zivilsachen haben, wie es die drei erwähnten Gerichte schon sind. Dann ist es eine mehr untergeordnete Frage, ob man 500 oder 800 Mark festsetzt; dann ist die erste Instanz gut, und das ist entschei dend. Das Volk muß eine Justiz haben, die seinem Wesen und seiner Seele entspricht, und daher müssen wir Laien richter aus dem Volke erhalten. Das ist der Kernpunkt der Sache, den die Vorlage leider nicht berührt. Nur wenn hier eingesetzt wird, dann erhalten wir eine gute Justiz und dann ist die Reform von Segen und großzügig. Politische Rundschau. Dresden, den 9. Mai 1998. — De« Kaiserpaar wurde am 8. d. M. beim Eintreffen in Donaueschingen ein begeisterter Empfang zu teil. Nach Be- sichtigung des vor dem Schlöffe zur Erinnerung an den Aufent halt der Majestäten im Jahre 1904 ausgestellten Jagdbrunnens vom Bildhauer Sauer nahmen die Majestäten im Schlosse den Tee ein. Die Kaiserin und Prinz August Wilhelm reisten um 3 Uhr nach Stratzburg ab. Der Kaiser begab sich am 8. ds. Mts. nachmittags mit dem Fürsten zu Fürstenberg zur Auerhahnbalz nach dem Balzplatz Schanzhau. — Die Württemberger Zweite Kammer beriet am 8. d. Mts. über die von der Volkspartei, der deutschen Partei, dem Zentrum und den Sozialdemokraten zum Bereiulgesetz gestellten Anträge, die eine möglichst liberale Gestaltung der Vollzugsverfügungen zum neuen Gesetz bezwecken. Nach der Begründung der Anträge durch die Abgeordneten Elsaß (VolkSP.), Dr. Hieber (Nat.-L.), Dc. von Kiene (Z.) und Keil (Soz.) erklärte der Minister des Innern v. Pischek: Die Regierung habe die Absicht, in der VollzugSverfügung und in der Praxis die Anwendung des Vereinsgesetzes so zu gestalten, daß man einen erheblichen Unterschied gegen den bisherigen Zustand nicht finden werde — Der Regierungsentwurf über die Arbeitskammer« befindet sich zur Zeit beim Bundesrat. Es ist darauf zu rechnen, daß die Gesetzesvorlage dem Reichstage bald nach seinem Wiederzusammentritt zugehen wird. — Fürst Eulenburg wurde, wie wir gestern meldeten, als Untersuchungsgefangener nach Berlin in das Charitä» Krankenhaus gebracht. Die Gegenüberstellung der Zeugen Ernst und Riedel mit dem Fürsten Eulenburg fand am Donnerstag nachmittag im Schlosse Liebenberg statt. Riedel erzählte in unverfälschtem oberbayrischen Dialekt und in großer Erregung, daß Fürst Eulenburg alles leugne, was die beiden in München ausgesagt haben. Fürst Eulenburg behauptete, die beiden Zeugen gar nicht zu kennen, sie nie gesehen zu haben. Der Untersuchungsrichter hielt dem Fürsten ebenfalls vor, daß Riedel am Mittwoch und Don nerstag jedesmal das gleiche gesagt habe und daß er ihm unbedingt Glauben schenken müsse. Riedel erzählt ferner, daß der Fürst wohl im Bette läge, ob er aber krank sei, könne er nicht sagen, das müsse der Arzt wissen. Er halte alles aufrecht, was er in München beschworen habe. Um 6^ Uhr nachmittags ist Fürst Eulenburg in der Charits eingetrof- fen. Die Abfahrt erfolgte mit der Fürstin, dem Leibdiener und einem Arzte. Der Fürst ist vollständig gebrochen und litt große Schmerzen. In den Wagen mußte er von der Dienerschaft getragen werden. In der Charitö waren alle Vorkehrungen zur Aufnahme getroffen worden. Die Aerzte empfingen den Fürsten am Eingänge. Krankemvärter tru gen ihn sofort in das für ihn bestimmte Zimmer über der Kinderklinik und betteten ihn dort. Die Fürstin wohnt vor läufig in einem hiesigen Hotel. Der Sohn und die Tochter des Fürsten blieben in Liebenberg zurück. Der „Neuen Freien Presse" wird aus München berichtet, daß der frühere Graf und jetzige Fürst Eulenburg seit 22 Jahren in den polizeilichen Listen der Homosexuellen bei der Polizeidirek tion in München geführt wird. Wenn das richtig ist, so wäre es wohl nicht zu verstehen, daß die Polizeidirektion München so lange geschwiegen hat. Zur polizeilichen lieber- wachnng des Schlosses Liebenberg berichtet das Wochenblatt „Der Roland von Berlin": Die Situation ist um so tra gischer, als die eigentliche Exekutive in den Händen des eigenen Sohnes des Fürsten liegt, der als Amtsvorstand des Kreises Liebenberg in diesem Bezirke die Polizeigewalt ausübt. Vom Starnberger Amtsgerichte ist auch der Schlossermeister Rieder aus Starnberg als Zeuge ver nommen worden, der an den Oberstaatsanwalt Jsenbiehl einen Brief geschrieben hatte. Nieder hat die Aussage vor dem Amtsrichter verweigert, da in den Akten nichts darüber angegeben sei, gegen wen sich seine Aussage richten sollte, und in welcher Angelegenheit diese Aussage verlangt würde. — Hohenzollern, die den Glauben wechseln. Es ist vor einigen Tagen aus Süddcutschland gemeldet worden, Prinz Friedrich Heinrich von Preußen beabsichtige, zum katholischen Glauben überzutreten, er habe auch bereits Konvertitenunterricht empfangen. Prinz Friedrich Hein rich würde, falls er die katholische Religion annähme, nicht das einzige Mitglied des preußischen Königshauses sein, das sich zu ihr bekennt. Die in Frankfurt a. M. lebende Witwe des Landgrafen Friedrich von Hessen, geborene Prin zessin Anna von Preußen, trat am 9. Oktober 1901 zur katholischen Kirche über. Die jetzt 72 Jahre alte Land gräfin ist eine jüngere Schwester des verstorbenen Prinzen Friedrich Karl von Preußen. Es gibt dann noch eine andere preußische Prinzessin, die sich nicht mehr zu ihrem angestammten evangelischen Glauben bekennt. Das ist die Prinzessin Sophie von Preußen, vorjüngste Schwester des Kaisers Wilhelm II. und seit dem 16. Oktober 1889 die Gemahlin des Kronprinzen Konstantin von Griechenland, Herzogs von Sparta. Bei der Vermählung der Prinzessin war ausbedungen worden, daß sie dem evangelischen Bekenntnisse treu bleiben dürfe. Sie trat in dessen doch am 2. Mai 1891 zum griechisch-orthodoxen Glau ben iiber. Dies hatte, wie man sich erinnert, eine vorüber gehende Verstimmung zwischen ihr und ihrem kaiserlichen Bruder zur Folge, obwohl sie sich auf das Beispiel einer anderen Prinzessin der preußischen KönigSfamilie hätte berufen können, auf das der Prinzessin Charlotte von Preußen, einer Schwester Kaiser Wilhelm l., die bei ihrer Verheiratung mit dem russischen Großfürsten Niko laus, deni nachmaligen Zaren Nikolaus l., dem evangelischen Glauben zugunsten des orthodoxen entsagte und die Namen Alexandra Feodorowna aunahm. Im Gesamthause Hohen zollern ist die Kronprinzessin Sophie von Griechenland nicht der einzige Sproß orthodoxer Religion. Tie fürstliche Linie Hohenzollern, die übrigens wahrscheinlich älter ist, als die königliche Linie von Preußen, blieb bis auf den heutigen Tag katholisch. Aus dieser Linie ist bekanntlich das rumänische Königshaus hervorgegangen. König Karol und sein Neffe, der Thronfolger Ferdinand, Prinz von Ru mänien, haben den Glauben ihrer Väter nicht abgelegt. Aber die vier Kinder des Thronfolgers aus dessen Ehe mit der Prinzessin Marie von jftiburg werden im griechisch- katholischen Glauben erzogen. — Aus Anlaß der Hundertjahrfeier der Handels- kammer Frankfurt a. M. fand am 8. d. M. in der Börte eine Feier statt, zu der unter anderen erschienen waren ReichSschntzsekretär Sydow, Finanzministcr v. Rheinbaben. die Spitzen der Behörden, sowie die Vertreter vieler aus ländischen und aller inländischen Handelskammern. Die Handelskammer hat beschlossen, ein Kapital von 100000 Mk. unter dem Namen „Stiftung der Handelskammer zu Frank furt a. M." zu stiften für hilfsbedürftige Angehörige von Frankfurter Kaufleuten und besonders zur Förderung deS Studiums an der hiesigen Akademie für Söhne und Töchter Frankfurter Kauflcuie. Die Feier fand ihren Abschluß in einem Festessen im Palmengarten. Der Präsident der Handelskammer Geh. Kommerzienrat Andreä Pasfwant brachte einen Trinkspruch auf den Kaiser au«, an den ein Huldigung«, und Danktelegramm abgesandt wurde. Finanzmintster von Rheinbaben feierte die jubilier-mde Handelskammer.