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Warum verstand er die Sache nicht? Wütend hieb der Schlosser mit seinem Hammer drein. Die Aufregung seines Gehirns teilte sich dem sehnigen Arme mit. Cs kam ihm fast vor, als hätte er alle die reicheren, feineren und gescheiteren Leute hier unter seinem Hammer und als würde er mit jedem Schlag einige von ihnen vernichten, bloß deshalb, weil er nicht so reich, nicht so fein und nicht so gescheit war wie jene. Warum tonnte er dem Doktor seine Meinung nicht klar und deutlich und trotzdem so sagen, daß keine Beleidigung herauskam? Warum nicht? Der Gedankengang des Arbeiters stockte eine Weile, dann schoß es ihn: plötzlich durch den Kopf: Eben weil ich ein ungebildeter Mensch bin, weil ich so viel wie nichts aus den Büchern gelernt habe, in der Schule nicht und später schon gar nicht, weil keine Gelegenheit war, mir den Schliff anzueignen, den man zu solchen Dingen braucht. Einer der Schulkameraden freilich, der Lorenz Müller, der geradeso ein armer Hascher war, wie er, und auch nicht mehr Schulen besuchen konnte wie Stark, ja der, der batte sich doch etwas cmporgearbeitet. Jetzt erinnerte sich Stark, daß dieser Kamerad als Lehrling fleißig in Büchern gelesen hatte. Die anderen nannten den Lorenz deswegen alle den „Bücherwurm" und den „Buchstabenfresser" und sie zogen ihn bei jeder Gelegenheit auf. Aber dieser Bück-erwurm und Buchstabenfresscr war ein tüchtiger Arbeiter geworden und es hatte gar nicht lange gedauert, so wurde er von seinem Chef zuerst hier und da. später öfter, zu Schreibarbeiten verwendet, bis er endlich vollständig ins Kontor ging. Heute war er Buchbalter in einer großen Fabrik. Unlängst war Stark dem Menschen begegnet und war überrascht. Der Lorenz Müller ging daher, wie ein seiner Mann, elegant gekleidet, ja sogar mit einem Schinder auf dem Kopfe und einer goldenen Brille vor den Augen, so daß sich Stark gar nicht getränte, den Kameraden von einst zu grüßen oder gar anzureden. Aber der Lorenz war trotz des rußigen Aeußeren des Schlossers neben geblieben und batte den Schulkameraden von einst die Hand gereicht. Das hatte dem Stark ungemein gefallen. Stolz war der Müller nicht! Und jetzt, wo er über den Doktor Bernhardt und seine Worte immer und immer wieder grübelte, da fiel ihm dieser Lorenz Müller ein. Cs schien ihm wirk- lich etwas daran zu sein. Der höher Gebildete bringt sich leichter fort in der Welt und kommt eber zu etwas als der andere. So ganz Unrecht batte also der Doktor Bernhardt nicht gehabt, als er gegen das fortwährende und über mäßige Trinken loszog. Diese neuen Gedanken wogten zuerst nebelhaft, dann klar durch den Kopf des Stark und beeinflußten natürlich auch sein äußeres Gehaben. Früher hatte er mit den anderen Arbeitern nichtssagende Gespräche geführt, hatte mit ihnen über Wind und Wetter angefangen zu reden, dann über die schlechten Zeiten geschimpft und dann kamen die Wirtshausrcden an die Reihe. ES wurde von dem Weine in dem einen Gasthause, vom Bier in dem anderen ge sprochen und wo der eine und das andere besser sei. Tie inbalts- und zwecklosen Gespräche, welche das geistige Leben der Fabriksäle ausmachten, fanden jetzt an Stark keinen Teilnehmer. Sein Kopf lvar eben wo anders. Den Mitarbeitern konnte das nicht lange verborgen bleiben. Eie be gannen ihn zuerst aufmerksam zu mustern und dann zu hänseln. Die «neu jagten: ..Der Stark ist verliebt." „In seine Frau?" fragte ein witziger Kopf. „Ach, keine Idee!" meinte ein anderer. „Aber los muß etwas sein mit ihm. Cr redet ja kein Wort. Paßt auf, er hat einen Haupttreffer gemacht, den er nächste Wocke beheben wird, und da denkt er darüber nach, was er mit den» Gelde machen soll!" — „Stark, wenn du dir ein Haus kaufst, nimm mich als Portier, ich bin ein treuer Mensch." So wurde Stark geneckt. Er ließ es sich eine Weile gefallen, schon aus Unbcbolfcnheit, denn er war nicht witzig wie die witzigen und nicht grob wie die groben Kameraden. Endlich aber hieb er mit der Faust auf den Arbeits tisch und sagte: „Von Sachen, die ihr nicht versteht, kann man mit euch nicht reden. So bin icb lieber ganz ruhig und will auch von euch aus meine Ruhe haben, ver standen?'" Die einen duckten sich bei diesen Worten, die so energisch von den Lippen des Stark kamen, wie er sich niemals gezeigt hatte, die anderen zuckten die Achseln, drehten ihm den Rücken und tuschelten einander halblaut in die Dbren. So war der Sonnabend gekommen. Der Schlosser ging nach Hause, .zog sich sauber an und machte sich rechtzeitig auf den Weg in das Gasthaus, wo der Doktor ihn erwarten sollte. Zu einem klaren Entschluß darüber, wie er sich gegen Bernhardt und dessen Ermahnungen verhalten solle, lvar er nicht gekommen. Er ging aber zum Stelldichein, weil er versprochen hatte, zu kommen, und auf sein Wort hatte er doch immerhin etwas gehalten. Doktor Bernhardt hatte die Ecke des Gasthauses bereits okkupiert, als Stark eintrat. Aber neben dem Doktor saßen zwei Herren, ein langer, bart- lo er. das war Dorneck, und ein alter Herr mit grauem Vollbarte, der Dottore. „Hier, meine Freunde," sagte Bernhardt, „stelle ich euch Herrn Stark vor, einen braven tüchtigen Arbeiter, den ich vor kurzem kennen und schätzen geltwnr habe und von dem icb glaube, daß er mir und uns allen ein guter Freund werden wird." Der Schlosser war über diesen Empfang äußerst frappiert. Zunächst batte er nicht erwartet, daß außer dem Doktor noch andere Herren anwesend sein würden, und dann waren es die so überaus freundlichen Worte der Be grüßung, die ihn aus der Fassung brachten. Natürlich war jetzt die Absicht, dem Doktor ordentlich die „Meinung" zu sagen, sofort aufgegeben. Er fühlte sich ja schon dem einen Bernhardt nicht gewachsen, jetzt aber hätten offenbar die anderen Zwei auch noch dem Doktor Recht gegeben. Das war für ihn eine viel zu ungleiche Partie. Die vier Versammelten verzehrten gemütlich ihr Nachtmahl und würzten es durch manche witzige Bemerkung, wobei sich besonders Dorneck auszeichnete. Er kan: manchesmal mit so komischen Einfällen, daß sogar Stark darüber lacken mußte, der doch in dem Kreis sich nicht so sehr heimisch fühlte. Nach dem Essen zündeten die Herren ihre Zigarren an, wobei nur der Dottore in eigener Regie rauchte, die anderen aber aus einer gemeinsamen Vorratskammer schöpften: der Zigarrentasche des Dr. Bernhardt. Dieser nahm jetzt das Wort und gab sich Mühe, den Arbeiter aus den, HHuSchen herauszulocken.