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„Die Herren/' sagte er, „wissen ja, was uns zusammengeführt hat. ks ist der Wunsch nach einem angenehmen Beisammensein, einige Stunden hindurch, die vielleicht sonst mancher von uns unnütz verbracht hat. Es wird am besten sein, um die Unterhaltung in Fluß zu bringen, jeder von uns er zählt irgend etwas von dem, was ihm in den letzten Tagen vorgekommen ist. Der Mensch in der Großstadt hat ja alle Tage in seinem Leben irgend ein Er eignis zu verzeichnen." „Da muß ich schon opponieren," sagte Dorneck. „Mein Leben geht jetzt so ereignislos dahin und zeigt sich mir von einer so wenig interessanten Seite, daß ich fast in der Situation bin, wie die Hunde auf der Aachener Heer straße." Das kam Stark wieder komisch vor. „Was war mit den Hunden?" fragte er. „Heinrich Heine behauptete von ihnen, daß sie aus langer Weile jeden Vorübergehenden um Prügel bitten." Der Schlosser mußte herzlich lachen. Dr. Bernhardt aber sagte: „Ja, aus dieser Lage können wir dich nicht befreien, denn es wird kaum einer unter uns sein, der es auf sich nehmen wollte, dich durchzuwalken." Dann wendete er sich mit der beiläufig hingeworfenen Frage an Stark.- „Was für Artikel erzeugt Ihre Fabrik?" „Maschinen jeder Art, hauptsächlich landwirtschaftliche." „Und wieviel Arbeiter sind beschäftigt?" „Alles in allein dreihundert." „Was sind das für Leute, diese dreihundert? Ruhige, besonnene Ele mente oder Sozialdemokraten?" „Wir haben sie gemischt," sagte Stark, „ein t'aar Rote stecken sclwn in der Werkstätte. Aber die Mehrzahl unserer Leute ist ruhig und geht selten in deren Versammlungen." „Wahrscheinlich sind die Löhne noch halbwegs zufriedenstellend?" „Ja, das waren sie bis in die letzte Zeit. Jetzt haben wir aber einen neuen Direktor bekommen und da ist schon einige Male die Rede gewesen von einer Herabsetzung des Akkordtarifes." „Was verdienen Ihre Kameraden heute?" „Das ist je nach der Abteilung verschieden. Aber durchschnittlich komm: ein Arbeiter auf 16 bis 18 Mark per Woche." „Das ist wenig genug," warf der Dottore dazwischen. „Ich es ist wenig," sagte Stark, „aber was wollen Sie denn machen unter den heutigen Verhältnissen? Reden Sie etwas, so wird Ihnen sofort der Strohsack vor die Türe geworfen. Dann können Sie Wochen- und monatelang warten, bis wo anders wieder ein Platz frei wird und dort haben Sie eS dann erst nicht besser, als wie in der früheren Stellung. Es kommt da selten etwas Besseres nach." „Nun und wenn sich die Befürchtungen bezüglich des neuen Direktors als wahr Herausstellen sollten." fragte der Dottore, „was werden die Ar beiter dann tun?" „Wer kann das wissen?" meinte der Schlosser. „Einige junge Burschen werden dann gewiß schreien: Streiken! streiken! Aber ich glaube, die Mehr heit unserer Leute wird sich in Gottes Namen auch mit den kleineren Löhnen begnügen." 8. Seit der Unterredung zwischen Dr. Bernhardt und dem Schlosser Stark gi«g dieser mit anderen Gedanken in die Fabrik, und andere Ideen erfüllten seinen Kops, während er seine schwere Arbeit verrichtete. Es war nicht etwa ein Äementarer Drang, sein Leben anders zu gestalten, seine freien Stunden in anderer Weise zu verbringen und das Verhältnis zu seiner Familie ein anderes werden zu lassen, wie bisher. Der Charakter eines Menschen, welcher vierzig Jahre lang ungestört die Gelegenheit hatte, sich in einer bestimmten Richtung zu entwickeln, ist nicht durch ein einstündiges Zureden, und käme es von der größten Autorität, grundlegend umzubilden. Also nicht nach etwas durchaus Verändertem zog es den Arbeiter, nein! Aber von seinem Innern hatte dennoch ein neues Element Besitz ergriffen, ein Element der Unzufrieden heit mit sich selbst. Noch wußte der Mann nicht, was er wollte. Aber sein ganzes Denken verdichtete sich in den nächsten Tagen zu der Empfindung, es müsse etwas geschehen und zwar müßte es sich Sonnabend bei der nächsten Zusammenkunft mit dem Doktor entscheiden, w a s geschehen solle. Entweder, sagte er sich, muß ich dem Doktor kurz und bündig erklären, was ich tue und lasse, geht keinem zweiten Menschen was an. Ich lasse mir nichts zu Schulden kommen, lvas nach Recht und Gesetz nicht in Ordnung wäre. Ich betrinke mich Sonnabends, nun gut, so betrinke ich mich. Es ist mein Geld, das ich ins Wirtshaus trage, es ist m eine Zeit, die ich dort verbringe, es ist m e i n Vergnügen, das ich mir damit schaffe und wenn ich mich einmal ärgere dabei, so ist es mein Aerger. Und wenn er meint, daß das der Gesundheit schade, so ist es wieder meine Gesundheit, zum Teufel hinein, nicht die seinige! Soll ich alter Kerl mich mit 40 Jahren noch wie ein Schulbube kommandieren lassen? Das gibt's nicht! Ter Doktor soll seine Welt- Verbesserungen bei einem anderen probieren. Es gibt junge Leute genug, die gerade so wie ich ins Wirtshaus laufen, trinken und obendrein noch auf andere Art ihr Geld vertun. Zu deneu soll er gehen. Die soll er unter seine Fuchtel nehmen. Die jungen Burschen, die haben es notwendiger, an sich zu arbeiten, die können noch mit sich herumschaffen lassen, aber ich in meinen Jahren nicht. daS wäre lächerlich! So nnißte niit dem Doktor gesprochen werden, meinte Stark, wenn er die ungebetene und lästige Freundschaft sich vom Halse schaffen wollte. Aber nun kam die Kehrseite der Medaille. Es ist schwer, fand er wieder, einem studierten jungen Menschen, der obendrein reich und allgemein angesehen ist, so etwas, wie er sich dachte, trocken " ins Gesicht zu sagen, cs käme zu grob heraus. Was mußte sich in so einem Falle der andere denken? Er konnte nichts anderes denken, als wie: Du bist ein gemeiner Mensch! Und als gemeiner Mensch in den Augen eines anderen, und insbesondere eines sogenannten Gebildeten, dastehcn, das wollte der Schlosser nicht. Es hieß ohnehin überall, die Arbeiter seien ungebildete Leute. Wenn er nun. der in der Fabrik noch dazu Vorarbeiter war, dem Dr. Bernhardt in solcher Art Antwort gab, das mußte ja die geringe Meinung des Doktors gegen die Arbeiter noch verstärken. Und dasselbe, wie er es im Herzen hatte und es ihm bei der Arbeit durch den Kopf ging, dem Jungen in einer feinen und noblen Art beizubringen, das verstand er nicht . . . „Braches Feld." s