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Sächsische Volkszeitung : 02.03.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-03-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192203024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19220302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19220302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-03
- Tag 1922-03-02
-
Monat
1922-03
-
Jahr
1922
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 02.03.1922
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Donnerstag den 2. März 1V22 SLchstsche volk-zettung rcr. 01, «ene r Domkapit«lar Benedikt Hebel Der in diesen Tagen verstorbene Donikapitular Benedikt Hebe! war nicht nur als Priester, sondern auch als Abgeordneter ein Muster treuer Pflichterfüllung. Er war eö, der am meisten die durch Dr. Georg Heim eingeleitete Abzweigung der baye rischen Zentrumsmitglieder zur Bayerischen Volkspart« be klagte. Er forderte stets, daß der erstarkten Sozialdemokratie eine einheitliche, große christliche Partei entgegengestellt werde. Er trat dafür ein. daß die deutsche Wirtschaftspolitik nur dadurch gemeistert werden könne, daß alle Stände und alle Stämme treu zusammcnhalten, jeder Partikularismus widerspreche der deutschen Solidarität zur Zeit der Not und Gefahr. Aus dem sächsischen Landtag Der Haushaltausschuß A genehmigte die Kapitel des Kon sistoriums der katholischen geistlichen Behörden, der katholischen Kirchen und der sonstigen Kulturzweige nach der Vorlage. Die Beratung von Kapitel 63 (evangelische Landeskirche) wurde abgebrochen, »in den Fraktionen Gelegenheit zur weiteren Behandlung zu geben. Der HauShaltansschuß B beriet über das Kapitel der staat lichen Hüttenwerke. Es wurden dazu kommissarische Beratun gen verlangt. Al MW ««« AlllS 4. Bortrag des Herrn Bischofs Dr. Schreiber im Hürsaal 40 der Leipziger Universität In den beiden letzten Vorlesungen sahen wir, daß Kant das Dasein Gottes dem Erweise der theoretischen Vernunft entzieht. Er sagt: Nur drei Gottesbeweise der theoretischen Vernunft kommen überhaupt in Frage: der ontologische, der kosmologische und der physiko-theologischc oder teleologische. Keiner von ihnen aber besteht die Probe der theoretischen Vernunft. Doch wäre es verkehrt, Gott deshalb ganz ab/,»lehnen: Gottes Existenz und Eigenschaften sind vielmehr ein Postulat der reinen, praktischen Vernunft, worunter Kant „einen theoretischen, als solchen aber nicht erweislichen Satz versteht, sofern er einem a priori unbediilgt geltenden praktischen Gesetz unzertrennlich an hängt". (Kritik der praktischen Vernunft, Ausgabe Kehrbach, Seite 147.) Kaut sucht diese seine Behauptung durch eine längere Be weisführung zu erhärten. Er weist zuerst nach, das; die Unsterb lichkeit der unstevblichen Seele ein Postulat der reinen praktischen Vernunft ist. Hieraus leitet er sÄ»nn das Dasein und die Ei genschaften Gottes ab, wiederum als Postulate der reinen prak tischen Vernunft. Wir wollen Kant in diesen Gedankengängen folgen, ana lytisch und kritisch, darstellend und beurteilend. Solches wird Aufgabe des ersten Hauptteilcs der ersten Vorlesung sein. Dar auf werden wir — im zweiten Hauptabschnitt — die brauchbaren Gedanken Kants verwerten, um aus ihnen jene zwei Gottesbe weise zu bilden, die von der thcistischen Philosophie unter dem Namen des deontologischeu und eudämonologischen aufgestellt worden sind. Erster Hauptteil I. KantS praktischer VernunfßtbeweiS für die Unsterblichkeit der Seele Diesen Beweis führt Kant in seiner „Kritik der praktischen Beruunst" folgendermaßen: „Die Bewirkung des höchsten Gutes (das ist der Sittlichkeit und Glückseligkeit) in der Welt ist daß notwendige Objekt eines durchs moralische Gesetz bestimmbaren Millens. In diesem aber ist die völlige Angemessenheit der Ge sinnungen znm moralischen Gesetze die oberste Bedingung des höchsten Guts. Sie muß also ebensowol möglich sein, als ihr Object, weil sie in demselben Gebote dieses zu befördern enthal ten ist. Die Vvll'ge Angemessenheit des Willens aber zum mora lischen Gesetze ist Heiligkeit, eine Vollkommenheit, deren kein vernünftiges Wesen der Sinnenwelt, in keinem Zeitpunkte seines -Daseins, fähig ist. Da sie indessen gleichwol als praktisch nothwen- dig gefordert wird, so kann sie nur in einem ins Unendliche gehenden ProgressuS zu einer völligen Angemessenheit angetros- fcn werden, »nd es ist, nach Principicn der reinen praktischen Vernunft, nothwendig, eine solche praktische Fortschreitung als das reale Object unseres Willens anzunehmen. Dieser unendliche ProgressuS ist aber nur unter Voraus setzung einer ins Unendliche fortdauernden Existenz und Persön lichkeit desselben vernünftigen Wesens (welche man die Unsterb lichkeit der Seele nennt), möglich. Also ist das höchste Gut, praktisch, nur unter der Voraussetzung der Unsterblichkeit der Seele möglich; mithin diese, als unzertrennlich mit dem mora lischen Gesetz verbunden, ein Postulat der reinen praktischen Ver nunft (worunter ich einen theoretischen, als solchen aber nicht er. weißlichen Satz verstehe, sofern er einem a priori unbedingt gel tenden praktischen Gesetz unzertrennlich anhängt. Der Satz von der moralischen Bestimmung unserer Natur, nur allein in einem ins Unendliche gehenden Fortschritte zur völligen Angemessenheit mit dem Sittengesetze gelangen zu kön, nen, ist von dem größten Nutzen, nicht bloß in Rücklicht auf die gegenwärtige Ergänzung des Unvermögens der spekulativen Ver nunft, sondern auch in Ansehung der Religion . . . Der Un endliche, dem die Zcitbedingung Nichts ist, sieht, in dieser für un- endlosen Reihe, das Ganze der Angemessenheit mit dem mora lischen Gesetze, und die Heiligkeit, die sein Gebot unnachlastlich fordert, um seiner Gerechtigkeit in dem Antbeil, den er Jedem am höchsten Gute bestimmt, gemäß z» sein, ist in einer einzigen intellektuellen Anschauung des DalcinS vernünftiger Wesen ganz anzutreffen." (Kritik der praktischen Vernunft, Ausgabe Kehr bach Seite 146-148.) In der Anmerkung zu Seite 148 fügt Kant folgende? hin zu: „Die Ueberzeugung von der U»Wandelbarkeit seiner Gesin nung im Fortschritte zum Guleu. scheint gleichwol auch einem Geschöpfe iür sich »»möglich zu sein. Um deswillen läßt die christliche Rcligionslehre sic auch von demselben Geiste, der die Heiligung, d. i. diesen festen Vorsatz und mit ihm das Bewußt- sein der Beharrlichkeit im moralischen ProgressuS. wirkt, allein abstammend. Aber auch natürlicher Weise darf derjenige, der sich bewußt ist, einen langen Theil seines Lebens bis zu Ende desselben, im Fortschritte zum Besseren, und zwar aus ächten moralischen BewegungSgründen, angchalten zu haben, sich wo» die tröstende Hoffnung, wenngleich nicht Gewißheit, machen, daß er, auch in einer über dieses Leben hinaus fortgesetzten Existenz, bei diesen Grundsätzen beharren werde und, wiewol er in seinen eigenen Augen hier nie gerechtfertigt ist, noch, bei dem verhassten künftigen Aiiwachs seiner Natlirvollkommeiiheit, mit ihr auch aber seiner Pflichten, es jemals hoffen darf, dennoch in diesem Fort schritte, der, ob er zwar ei» ins Unendliche hinaus gerücktes Ziel betrifft, dennoch für Gott als Besitz gilt, eine Aussicht in eine selige Zukunft haben." (Kritik der praktischen Vernunft, Aus gabe Kebrbach. Seite 148.) Kritik: Diese Beweisführung Kants kann nicht befriedi gen. Sie stellt Vernunft und Herz des Menschen vur große Zweifel und Bedrängnisse, denn 1., sie rückt das Endziel des Men sche», die Erreichung der Tugend und Glückseligkeit, in unendliche, niemals erreichbare Fernen. Auf jeder Etappe ihres Lebens im Jenseits ist die Seele deö Menschen immer nur im Besitz eines Teiles der Sittlichkeit und des Glückes; niemals gelangt sie zu deren Elidvollelidinig. Und doch verlangt sie mit aller Macht nach dieser Endvollendung und kann ohne dieselbe niemals ganz glücklich sein. 2. Noch mehr: Auf diesem Etappcnwege im Jenseits ist die Seele des Mensche» stets i» Sorge und Leid getüncht, de»» sie muß immerfort die begründete Besorgnis hege», sie möchte ihre Gesinnung ändern und damit der Glückseligkeit für immer ver lustig gehe». Kant weis uns über diese Furcht nur mit einer schwache» tröstende» Hoffnung hinweg zu bringen. Grundsätz. lich hält er diese Möglichkeit der Gesinnnngsänderung und damit des GlückSvcrlnsteS im jenseitigen Leben der Seele aufrecht. Da mit macht er aber daö Jenseits zu einem Ort der Qual, denn ein Glück, da? genossen wird mit der begründeten Bangigkeit, es jeden Augenblick verlieren zu kön'ncn, ist Seelennot und kein wahres Glück. 3. Wie der GlückseligkeitStrieb der Seele, so bleibt auch ihr Sitilichkeitsvcrlangeii im Jenseits dauernd ungestillt, denn die Heiligkeit, die der Seele dort zuteil wird, ist »ach Kant eine im Fortschritt begriffene, nie abgeschlossene, sie kann zudem in jedem Augenblicke verloren werden. Dieses Stückwerk ist aber nicht das, wonach unsere für die sittliche Vollendung angelegte Seele mit elementarer ^sittlicher Gewalt als Endziel hingetwe- ben wird. 4. Es kommt hinzu, daß die Kaittsche Beweisführung für die Unsterblichkeit der Seele nach Kants eigenen erkcniitnistheo- retischcn Grundsätzen vor der theoretischen Vernunft keine Stich haltigkeit besitzt. Sic ist nur ein Postulat der praktischen Vernunft, das ist ein bloßer Vernnnftglaube, ein blindes Fürwahrhalten, ei» Festhalten an einer Sache wegen ihrer praktischen Bedeutung ohne Einsicht in die Beweisgründe für diese Sache. Die Zwei» fel der forschenden Vernunft werden durch diese Beweisführung nicht beseitigt, die große Weltanschauungsfrage nach dem Jenseits wird damit nicht gelöst, der menschliche Geist, der durch Kant Aufschluß zu erhalten hoffte, wird bitter enttäuscht. Nachrichten aus Sachsen Vom sächsischen Transportgewerbe Tic Verhandlungen im sächsischen Transportgewerbc find nach neunstündiger Auseinandersetzung als gescheitert zu betrach ten. Der Landestarifvertrag hat mit dem 28. Februar seine Gültigkeit verloren. — Die sächsischen MehrheltSsozialdemokrale« gegen die Große Koalition. Ter sächsische WirtschastSminister Fellisch äußerte sich nach der Disch. Mg. Ztg. in einer Zusammenkunft von 800 mebrheitssozialdemolratischen lächsischen Parteifunktionären u. a., daß er in großer Besorgnis darüber sei, daß das Sieuerkompromiß im Reichstage der Weg zur Großen Koalition sei. Durch eine Ent- sckließung wurde zum Ausdruck gebrackst, daß die Große Koalition von den sächsischen Sozialdemokraten abgelehnt werde. - Verhalten der Polizei bei Lohnkiimpfen. In den Mitteilungen de« Deuttcken Jndustrteschutzveroande« Sitz Dresden, wird ein Ausruf veröffentlicht, der aus angebliche Neberguffe Streikender gegen unbeteiligte Personen Bezug nimmt und gegen die Polizei den Vorwurf erhebt, daß ihre Organe vielfach ihrer Verpflichtung nicht entsprächen, gegen unbecechtiate Gewalttätigkeiten bei Lohnkänipfen einzuschreiten und die Willensfreiheit anderer zu schüven. Auch der Minister wird für diese angeblichen Vor kommnisse verantwortlich zu machen gesucht. Es sei dem gegenüber festgkstellt, daß begründete Klagen derartigen Inhalts dem Mini sterium des Innern in der letzten Zeit nicht zur Kenntnis gelangt lind. Im übrigen sind für das Verhalten der Polizeibehörden bei Lolnitäniscken folgende Grundsätze durch eine Verordnung vom 18. Juli 192l von de», gegenwärtigen Minister des Innern vor- geichrieben morgen: „Die Polizei bat sich in die Lohnkänipse selbst nicht einz»,nischen, sie hat lediglich für die Ansrechterhaltung der Ruhe, Ordnung und Sictzerheit zu sorgen und darauf zu achten, daß Gewalttätigkeiten gegen Mitarbeiter und gegen Betriebe unter bleiben Hierbei muß sie auch den Schein vermeiden, als wenn sie für und gegen einzelne Klassen der Bevölkerung Partei ergreife, denn sie steht im Dienste des ganzen Volkes." Diese Grundsätze decken sich durchaus mit der seit Jahren von der sächsischen Regie rung eingehaltenen Praxis, sie decken sich auch mit dem Standpunkt, den der Deutsche Industricsclmi,verband in seinem Ausruf cinzn- nebmen scheint. Die gegen die Regiernngskiellen und die Polizei behörden wegen der erwähnten angeblichen Vorkommnisse gelichteten Angriffe müssen daher als unbegründet zurückgeiviesen worden. — Arbeitsbücher, lieber die Führung von Arbeitsbüchern besteht häufig Unkenntnis. Gewerbliche Arbeiter und Angestellte aller Art — ebenso die weiblichen — dürsen, wenn sie das 21. Lebensjahr noch nicht erfüllt haben, nur beschäftigt werden, wenn sie mit einem deutschen Arbcitsbnche versehen sind. Die Führung eines ausländischen Arbeitsbuches genügt nicht. Aus ländische Arbeitsbücher werden nach Vorlegung im Gewerbe- amte B, Neues Rathaus, 2. Obergeschoß, Zimmer 264, kostenlos durch ein deutsches Arbeitsbuch ersetzt. Bei der Annahme solcher minderjähriger Arbeiter hat der Arbeitgeber das Arbeitsbuch einzufordern, darin den Vermerk über den Eintritt in die Be» schästigung und am Ende des Arbeitsverhältnisscs den Eintrag über den Austritt zu bewirken. Während des Arbeitsverhältnisses hat er das Arbeitsbuch zu verwahren. Er macht sich strafbar, wenn er den minderjährigen Arbeiter ohne Arbeitsbuch annimmt oder beschäftigt. Den Arbeitgebern ist daher zu empfehlen, de» Minderjährigen nicht eher in Beschäftigung zu nehme», als bis er das Arbeitsbuch vorlegt. — Die Familie Wettin. Das Amtsgericht Dresden macht im amtlichen Teile bekannt, daß am 25. Februar auf Blatt 693 des hiesigen VercinSrcgistcrS der Verein Hans Wettin Alber- tinischer Linie mit dem Sitze in Dresden eingetragen worden ist. Der Verein ist also ein Verein nach bürgerlichem Recht und besteht aus Mitglieder» des ehemaligen Königshauses. Gründer find König Friedrich August, Kronprinz Georg, die Prinzen Friedrich Christian, Ernst Heinrich, Johann Georg, die Prinzes sinnen Immaculata und Mathilde sowie Prinz Max. Der Ver ein erstrebt, wie nast den „Dresdner Nachrichten" ans den Nereinsregisterakten hervorgcht, den Zusammenschluß des Hau ses Wettin Alberiinischer Linie und verfolgt folgende Zwecke: Pflege christlicher Weltanschauung, Pflege der Liebe znm dent- sehen Volke und Lande und zur sächsischen Heimat, Wahrung der Fainilienehre und Tradition, gegenseitige Unterstützung durch Rat und Tat, Verwaltung des von: Staate zu überweisenden Fa- milicnschloffeS nebst Einrichtung und Knnstgegenständen, der Familienbilder, des Familienschmucks und des Familienarchivs. Der Zweck des Vereins, der seinen Sitz in Dresden bat, ist nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb und nicht auf poli tische, sozialpolitische oder religiöse Ziele gerichtet. kskks« Iss Lrok- »Nit . kleinksncket viescken wc-bsrs'ss,« Z9 Heil p.eeiiec 22929 Sächsiscbe Volkszeiinng — Nr. 61 — 2. März 1922 Auf Altenhammer Roman einer Ehe von Di na Ernstberger 1. Er schob die kleinen gelben Vorhänge zurück. Durch das grobe Tüllgewebe sah er zu dem taniicnbekränzten Nachbarhaus hinüber, vor dessen Türe die letzte» entblätterten Rosen und Astern des Spätherbstes zwischen frischgrnnen Efeu- »nd Rosen- blättern verstreut tage». Ein großer Fichtenkranz mit blau und weißen Pavierstreifcn umrahmte die Türe. Auch standen junge Fichten rechts und links am Eingang. Blitzblank mar der große Hof um das Schulzenhofhaus ge säubert. Sogar den Hühnern und Gänsen war heute der Zu tritt zum Hof verwehrt. Man feiert ans dem Schulzenhof das Hochzeilsfest der einzigen Tochter. Ein eleganter Wagen fuhr in den Hof herein und hielt vor der geschmückten Türe des Schulzcnhofes. Ter junge Bancrnlmrsche im Nachbarhaus trat vom Fen ster weg und stellte sich mehr in die Tiefe des Zimmers, als fürchte er, gesehen zu werden. Er hatte die Hände in die Taschen vergraben. Ans einem bleichen, schmale» Gesicht blickten, ernst und traurig große, schwarze Auge» in den Scknlzenhof hinüber. Er mochte etwa 36 Jahre zählen, war hochgewachsen, hatte dunkelblondes, dichtes Kopfhaar und ein sorgfältig gepflegtes Sckmurrbärtchen. Wenn er unter den Dorfbnrschen stand, wäre er sicher jedem Fremden ausgefallen. Drüben hatte sich die Haustür« geöffnet. Im grauen Reisekleid, ernst, aber doch mit glücklichem Ge- sichtsansdrnck, bestieg die junge Frau an der Seite ihres Gatten den Wagen, der sie der Heimat entführen sollte. Bewegt um» standen die Hrchzettsgäkie den Wagen. Immer wieder schüttelte man sich die Hände, bis der innge Gatte ungeduldig dem Kutscher ein Zeichen gab und die Pferde anzogen. Da drehte sich das feingeschnittene, rotwangige Gesicht der junge» Frau dem Nackbarhause zu. Sie hielt die Hand er hoben, als wolle sie auch dorthin einen Abschiedsgruß winken. Rasch entfernte sich der Wagen. Ter junge Mann trcn a» das Fenster zurück. Er stützte seine Arme fest ans die harte Holzkante des Fensterbrettes, sein Kopf lag in den Händen. Er träumte! Sein Geist ging in die Jahre der Kindheit özurück. Ein kleine- Bauernmädchen mit Hellen, blauen Augen nick flachsblonden. langen Haarzöpsen folgte ihm durch seine Jugendiränme. Wie verwachsen war er mit der Siinc gewesen! Immer beisammen, immer gleiche Wünsche, gleiche Hoffnungen, gleiche Feinde. Daß der Schul,genbauer die Stine dann später in ein Institut schickte, das konnte er ibm nie verzeihen. Wie hatten sie damals beide unter der Trennung gelitten. Und als die Stine wieder kam, war es nicht mehr so wie vorher. Sie waren beide älter geworden und die Stine behielt die städtische Kleidung bei. Bauernbursche und Stadtsränlcin — es paßt nicht zusammen. Grad wie Rose und Heidekraut. Stine kam »och oft herüber. Sie standen auch häufig plau dernd zusammen am Earlcnzaun, der die Höfe trennte, und sie saßen auch manchmal wieder auf der Bank unter der großen Linde, wo sie als Kinder immer gespielt hatten. Aber es fehlte der Ton von einst. Immer war er voll Sorge, daß er nicht dumm redete, daß er nichts sagte, was ihr nicht gefiel. Er schämte sich im Ortsdialekt zu sprechen, wenn sie so hochdeutsch sprach und getraute sich dock, nicht, auch hochdeutsch z» sprechen, weil er fürchtete, sich dadurch lächerlich zu machen. Schimpfte» aber die Dorfleuie auf den Schulzenbauern oder auf die Stine, weil sie was Besseres sein wollte, als die anderen Dorfmädchen, dann wurde er wild, er nahm den Bauer »nd die Stine in Schutz und sagte: der Bauer kann sich das leisten und die Stine ist auch nicht für ein Bauernmädchen ge schaffen; Da kam es vor, daß man ihm ins Gesicht lachte und ihn einen Narren schalt. Einmal sagte ihm einer: es wäre doch besser gewesen, der Schnlzenhof und der Schmiedbauernhof wären zusammengckommen, als daß das viele Geld ein fremder Stadifrack holt und die Stine dazu. Es dauerte nickt lange, da ist der Fremde gekommen und honte hat er die Stine geholt und den Schulzenhof trennt jetzt für immer der schwere Holzzann vom Schmiedbanernhof . . . Jetzt gilt für ihn das Gebot: „Du sollst nicht begehren dei. neS Nächsten Weib." Daran mußte und wollte er als guter Christenmeusch halten. Aber Freundschaft durfte er der Stine bewahren wenn nicht sie, so auch keine änderet So lautete der Entschluß, der unausgesprochen in feinen Linien auf der klaren Stirn sich einznnisten schien. Und mich der Schnlzenbaner sollte sehen, was er mit der noblen Heirat gutmachte. Stolz war er gewiß, der Bauer, Wider spruch duldete er nicht. Seine selige Frau hatte immer nichts anderes zu tun gewußt, als was der Bauer anordnete. Aber niemand konnte ihm etwas Unrechtes vorwcrfen. Er war nur stolz darauf, ein Bauer zu sein, der reichste und angesehenste freilich weit »nd breit, und deshalb auch bei jeder Verbesserung der Wirtschaft vorne an. So sollte eS auch mit dem Pensions besuch der Stine sein. Aber dann kam eines zum anderen und schließlich schien nur noch ein „Städtischer" zu dem PensionSsräu- lein zu passen. Den hatte die Stine jetzt — ohne daß sie selbst eigentlich sich über diesen Schritt klar geworden ,var. Sie war ja nicht gekragt worden. Sie hatte einfach das getan, was der Vater anordnete — genau so wie ihre Mutter tat, deren stille, zurückhaltende Natur Stines bestes Erbstück war. Langsam hob Peter den Kopf und rieb die Hände aneinan der, »m die heißen Tropfen zu zerdrücken, die ihm an den Fin gern hingen. Es war spät geworden. Die Sonne war schon hinab. Hinter den beiden hellbelcuchicie» Fenstern drüben war noch die Hochzeitsgesellschaft beisammen. Die Rollvorbänge waren her- abgclassen. Ritterburgen waren darauf gemalt — er l)atte die Bilder früher oft mit Stine bewundert. Draußen fiel die Haustür ins Schloß. Er trat vom Fen ster weg. War es die Mutter schon, die im Schulzenhof datz Hochzeitsmahl zu kochen mithalf? „Peter, wo bleibst denn? Komm mit in Löwen. Wir Bur schen sin all dort. Was treibst denn da allst im Dunkeln?" Ein Bauernbnrscke mit dickem, rundem Kopf auf breite» Schultern trat in die Stube. „Die Mutter is ans dem Scknilzenhof, da muß ich dablciben. IS ja sonst kein Mensch daheim." Peter schien wenig erfreut über den Besuch. Der andere lies; sich aber nickt abschrccken. Er lieb kicke als käme er von der Arbeit, in den ledergevolsterten Lebnsiuhl fallen, der an der Wind unter dem Kruzifix gegenüber der Tür stand. „Deswegen?" sagte er gedebnt. „Warum muß denn grad beut eins daheim sei? Is die Tür denn sonst net zugcsperrt, wenn du und die Mutter fortachn?" Peter ävgerte sich. Das Blut schoß ihm ins Gesicht. „GehtS an Menschen »vas an, wenn ich daheim bleiben will?" antwortete er gereizt. Die Hände in den Hosentaschen ging er niit großen Schrli- ten durch die Stube. Der andere stand auf, stelstc sich vor ihn hi» und legte ihm die Hand ans die Schulter. „Ja, Peter," sagte er ernst, „mich geht? was a». Weil ich net haben will, daß die anderen tuscheln; daß, sie sagen, dem Peter bat die Hochzeit die Lust ins Wirtshaus vertrieben! Er will dem Schnlzenbancrn sei Hock-eitsfreibier nct trinken, weil a anderer wie er der Hochzeiter iS!" „Wer sagt das?" unterbrach Peter. Hochaufgerichtet stand er vor ihm und sah ihn drohend an. Beschwichtigend legte der andere seine Hand, die Peter un willig abgeschüttelt hatte, abermals dem Freund auf die Schulter, (Fortsetzung folgt.)
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