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Sächsische Volkszeitung
- Erscheinungsdatum
- 1921-04-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192104276
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19210427
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19210427
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1921
-
Monat
1921-04
- Tag 1921-04-27
-
Monat
1921-04
-
Jahr
1921
- Titel
- Sächsische Volkszeitung
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Mittwoch den 27. April 1921 Nr. W, Seile 2 Posten. Aber der Eingriff in unsere Reichsbank wäre e»n Eingriff in sie Privatrechte. Gegen diesen müssen wir Protest erheben. Was wir also für das Reparationskonto geleistet haben, soll durch ein Schiedsgericht festgestellt werden, ebenso sollen in allen strittigen Frage» Sachverständige ihr Urteil abgeben. Redner warnt davor, übertriebene Hoffnungen auf die Annahme Amerikas zu sehen. Es werden »och viele Schwierigkeiten sich ergeben. Tie Garantien, die in der Note erwähnt sind, sind ab sichtlich in ganz elastischer Form behandelt. Denn dieser Punkt wird voraussichtlich zu besonders eingehenden Verhandlungen führen. Unter dem Druck von Sanktionen läßt sich jedoch daS Wirtschaftsleben nicht wieder von neuem in Gang bringen Die Rückkehr zu den Brüsseler Methoden würde der beste Weg zu einer Klärung sei», jedenfalls erheblich besser als die einseitigen Bestimmungen der Neparationskommission. Das Reparations- Problem ist nach den Bestimmungen des Versailler Friedens nicht lösbar. Mau kann nicht ein Volk für die Schäden aller Völker bezahlen lassen, beider lehne» die Franzosen die Verknüpfung des NeparaiionSprobleiiis mit dem Finanzproblem ab und doch ist dieser Weg der einzige, der zu einer Lösung führen kann. Nur eine allgenieine internationale Wirt schaft s k o u s e r e n z wird die Schwierigkeiten aus der Welt schaffen. Jur Schuldsrage meinte der Redner, daß eS Aufgabe des Auswärtige» Amtes sei, den Bode» zu bereiten für die ge schichtliche Forschung. Fm übrigen halte er sich an Llohd Georges Worte, das; alle mehr oder weniger in den Krieg hineingestolpert seien; das genüge ihm. Sollte aber die amerikanische Vermitt lung sehlschlagen, sei er überzeugt, daß unser Volk auch darüber hinwegkomnie und auch die Sanktionen ertragen werde. Und wenn wir -tl) Fahre durch die Wüste gehen müssen, werden wir schließlich doch in das Land der Freiheit gelangen. (Bravo!) Präsident Lobe teilt mit, zwei Fraktionen hätten den Wunsch geäußert, die Debatte zu vertagen. F» der Abstimmung Wird die Vertagung gegen die äußerste Linke beschlossen. Mor gen mittag 1 Uhr Wciterberatung. Schluß )L5 Uhr. Eine gemeinsam Erklärung der Rciierungspaiterer» (Eigener Drahtbericht der „SSchs. Volk-zeitung".- Berlin, 27. April. DteRegierunasvartetcn sind überein ekommcn. in der heutigen Sitzung des Reichstages eine gernein- ame Erklärung abgeben zu lassen. Wahrscheinlich wird der volksoarteiliche Slbgwrdnete Dr. Riesser sprechen. Trotzdem aber werden die Redner der drei Koalitionsfroktioncn in die Debatte eiiwressen. Während in der gemeinsamen Erklärung zum Aufdruck gebracht wird das; die Regierung sich bet ihrer Aktion auch weiter auf die KoalitionSvarteien stützen kann, werden die dr-i Einzelredner Krsstk (Pen. Tretz aller 'Bedenken, die in wetten Kreisen der Deutschen Volkspartet, des Zentrums und der Demokraten geoen den RctchSauß'nmintster vorhanden sind, werden diese aber im Augenblick mit Rücksicht auf unsere auswärtige Politik zurückgestellt werde» — Eine Antwort aus Amerika war, wie verlautet, tm Laufe des gesirtgen Abends bei den hiesigen amt sichen Stellen noch nicht ein getroffen. Ein eigner Ausschutz für Bildungswesen im Reichstag Die Zahl der ständigen Ausschüsse im Reichstag mehrt sich. Fu vielen Fragen liegt heute bereits längst der eigentliche Schwerpunkt der Arbeit i» de» Ausschüssen und nicht mehr im Plenum. Auf Grund eines nn März ergangenen Beschlusses der Vollversammlung ist nunmehr am 22. April ein eigener Aus schuß für Bildungswese» eingesetzt worden. Er besteht nuS 21 Mitgliedern. Sein Vorsitzender ist der dentschnationale Abg. Dr. Mumm, der stellvertretende Vorsitzende der demokratische Abg. Dr. P a ch n i ck e. Tie Z e n t r u in s f r a k t i o n hat in diesen Ausschuß die Abgg. Dr. Lauscher, Rheinländer und Dr, Schreiber entsandt. Als erster BeraulngSgcgcustaud liegt der im Plenum an genommene Antrag Tr. Schreiber vor, das Schicksal der durch de» Friedensvertrag huifällig gewordenen Kadcttcnaiistal- ten in diesem Bildungsausschuß uachzuprüfen. Es ist nämlich angeregt worden, sie als bürgerliche BilduugSaustalteu auf Kosten des Reiches ;ür die Söhne von Kriegsbeschädigten, Ans- landSflüchtlingeu, verdrängieu Minderbemittelten und auch für pädagogische Neformzwccke weiterzuführe». Dabei traten be merkenswerte Unterschiede der Auffassung bei einzelnen Parteien hervor. Ter BilsungSausschuß wird alle diese und weitere wich tige Schul- und Volksbiiidungöfragen demnächst zu klären haben. Auch Fragen der Hochschulversassung sind mehrfach au die RcichSregicrung hcrangelrcten. Schon jetzt zeigt die Einrichtung dieses Bildnngsauösclnisses, wie stark kulturpolitische Fragen ihren Einzug in den Reichstag gehalten haben. Tschechengefahr- Schon wieder mal tauchen Gerüchte über eine beabsichtigte Besetzung der Grafschaft Glatz durch die Tschechoslowakei ans; Unter anderem lassen sich die .Leipziger Neuesten Nachrichten" und das .Berliner Tageblatt" melden, daß von Rachod aus eine lebhafte Agitation nach dem Glatzer Gebiet betrieben werde, di« auf eine LoSlösung der Grafschaft von Deutschland hinziete. Die Agitation werde damit begründet, daß die meisten Gemein den und Städte des Glatzer Gebietes eine angeblich slawische Bevölkerung aufwiesen. In diesem Sinne wirke auch ein tschcchisch.naiionaler Verein, der geheime Beziehungen mit den politischen Führern der tschechischen Republik unterhalte. Die reichsdeutsche Behörde habe in Glatz die von Tschechien aus ge- sponnenen geheimen Beziehungen aufgedeckt, worauf 17 Mit glieder des Tschechisierungsvercins nach Nachod geflüchtet seien. In Nachod sei jetzt ein Blatt gegründet, welches die Besitzergrei fung der Grafschaft Glatz durch die Tschechoslowakei betreibe. Es ist eigenartig, so schreibt das Reinerzer Stadt blatt (Nr. 83>. wie Leute, welche weit vom Schuß sitzen, mehr wissen, als die Grafschaster Bevölkerung selbst. An der gan zen Nachricht ist nämlich kein wahres Wort. Es muß besonders festgestcllt werden, daß die Bevölkerung der Graf schaft Glatz urdenisch von Geburt und von Gesinnung ist. Alle Städte und alle Gemeinden haben erst noch im Jahre 1019, als vor dem Abschlüsse des Versailler Diktates eine gewisse Gefahr für die Grafschaft bestand, einmütig in eindrucksvollen Masscu- versammlungsn erklärt, daß sie iin Verbände des Teuischen Reiches bleiben wollen und unter keinen Umständen ei» ischechi- fches Joch dulden würden. Die deutsche Art der Gruft'chaf.er Bevölkerung und deren treue Anhänglichkeit an das Teuiscve Reich wurde überdies »och von einer englische» Koinmißiou feit- gcstelli, welche ohne behördlichen Anhang i» der sogenaunien böhmischen Ecke bei Tscherbeneh zahlreiche Personen befragte, ob sie de» Anschluß an die Tschechoslowakei wünschten. Feder der Befragten hat damals einen solchen Gedanken mit Ent rüstung ziirückgewiese». Dieses machte auf die Engländer um so mehr Eindruck, als die Grafschaft nur in jener Ecke mit einer tschechischen Bevölkerung Böhmens grenzt, während im übrigen das Glatzer Gebiet bekanntlich von Tentschböbmen umgeben ist. Fesseln schon die Bande des Blutes die Graftschaftcr seit an das Deutsche Reich, so müßte auch deren wirtschaftliche Selbstcrhal- tuug mit aller Energie den Kampf gegen etwaige tschechische Eroberungsgelüste entflammen, da eine zu Böhmen ge hörende Grafschaft Glatz der sofortigen Ver armung a u h e i m f a I l e. So sind die landwirtschaftlichen Produkte drüben nicht so geschützt, wie hier. Jeder, der die Grenze überschreitet, kann selbst sestsiellen, daß unser Kriegsbrot in schlimmster Zeit ein Leckerbissen war gegen dieses jetzt in Böhmen verabreichte wichtige Nahrungsmittel. Wegen der drü ben herrschenden drückenden Arbeitslosigkeit suchen seit Fahr und Tag schon mehr als uns lieb ist. „tschechische Untertanen" Arbeit in der Grafschaft. Die Glasfabrikation ist in Böhmen so stark vertreten, wie kaum in einem zweite» Lande Europas, io daß die böhmische Glasindustrie ausschließlich auf die Ansfubr angewiesen ist. Von den ungefähr 60 000 Kur- nnd Erholungs gästen, welche alljährlich die Bäder nnd Sommerfrischen unserer ichönen Grafschaft besuchen nnd viele Millionen Mark ins Land bringen, stammen nicht 100 aus der Tschechoslowakei, die selbst genügend große Badeorte besitzt. Wie das Fluß- und Eisen- bahiisvstein der Grafschaft nach Prciißiscki-Schlesie» zeigt, so ist auch dieses ganze Gebiet wirtschaftlich anSscbließlich von Deutsch land abhängig. Unrettbare Verarmung würde deshalb das LoS der schönen Grafschaft bei einem Anschlüsse an Böhmen sein. Und da wollen die Tschechen der Welt noch glauben machen, auch nur ein Teil der Grafschaster Bevölkerung könne den Anschluß au Böhmen wünschen. Auch vom reliniösen Standpunkte lehnt die weit überwiegend kaibolische Bevölkerung der Grafschaft etwaige tschechische EinverleibunaSgelüste energisch ab. Seit der Gründung jenes Staates im Fahre 1916 bis auf den heutigen Tag sind die Prager Regierungen ausgesprochen k i r ckc e n s e i » d I i ch gewesen, jedoch einig in dem Bestreben, den Abfall von der katholischen Kirche und die Erstarkung der tschechischen Nationalkirche zu unterstützen. Sogar in dem böh- misch-ticbechischen Grenzorte in der Nähe von Dcutsch-Tscher- benetz amtiert an der Pfarrkirche ein früher katholischer, jetzt verheirateter bnssitischer Pfarrer. Die kaibolische Bevölkerung bedankt sich für ein StaaiSwcsen, in welchem ihre heiligsten Güter so mit Füßen getreten werden, wie es seitens der tschccho-ilowakischeii Negierung der Fall ist. Schon die eigene staaiSmäiinische Klugheit sollte der Prager Regierung auch erst den Gedanken an eine Einverleibung der Grafschaft unmöglich machen, denn ein starkes Drittel jenes Staate? ist deutsch und steht in schärfster Opposition zu den tschechischen Bedrückern. Nicki! einmal die Slowaken wollen etwas von ihren tschechischen „Brüdern" wissen, und warten mil Sehnsucht auf den Tag, an weichem sie das tschechische Joch wieder abschüttekn können. Außerdem Hai die Tschechoslowakei noch namhafte Minderheiten von Polen nnd Madjaren, die sämtlich aus dem StaatSverbande der Tschechoslowakei hinausstreben. Und dieses getreue Abbild des früher von den Tschechen so gern verspotteten „Oesterreichi- schen FlickstaaieS" sollte noch Verlangen tragen nach der ur- oeutschen Grafschaft Glatzl Eine solche Verblendung durch Großmannssucht möchte man doch selbst den durch staatsniän- nische Klugheit allerdings kaum ausgezeichneten Machthabern nicht zumuten. Die Tschechoslowakei ist von drei Seiten vom Deutsch- tum umgeben und wirtschaftlich absolut auf mindestens korrckie Beziehungen zum Deutschen Reiche angewiesen. Sie wird sich deshalb einen Schritt, wie er vielleicht von tschechischen un reifen Brauseköpfen verlangt wird, wohl hundertmal überlegen. Ein Spaziergang würde jedenfalls ein Marsch durch die Grafschaft nicht werden, das mögen sich die Herren Tschechen gesagt sein lassen. Alles in allem liegt lein Grund zur Beunruhigung vor; wir Grafschaster gehen friedlich unserem Erwerbe nach, hängen unerschütterlich treu an unserc , deutschen Vatcrlande und mag diesem auch noch so großes L -. d bevorstehen. Es konnte festgcstellt werden, daß die Tschechen keine Vor bereitungen für einen etwaigen Einmarsch in die Grasschaft tresfcn. Diesbezügliche alarmierende Nachrichten sind vollständig aus der Luft gegriffen. Hüben nnd drüben herrscht absvlme Ruhe. Auch ans verschiedenen deutsch-böhmischen Bezirken wird berichtet, daß man sich gegen irgend welche tschechische Maß. nahmen auf Gebiete des Deutschen Reiches schon seitens der Deutschböhmen energisch wehren werde. Aus Böhmen wird wci. ter gemeldet, daß Alarmnachrichtcn seitens der Tschechen absich, sich in die Welt aesetzt würden, um Deutschland den französische» Forderungen gefügig zu machen. Die amerikanisch« Vermittlung (Eigener Drahtbericht der „SSchs. BolkSzeitung') Berlin, 27. Avril. Der amerikanische Komm ssar in Berlin, .Kommissar Drelei. ist gestern von seiner Variier Reise wieder nach Berlin zurückgekehrt. Man gebt wohl nicht fehl in der An nahme, dass die Reise mft der amerikanischen Vermittlung«, aktion Im Zusammenhang stand. Der Abgabenwirrwar (Eigener Drohtbericht der „SSchs. VollSzeltvng') Köln, 27. April. Nach der kurzen Besserung der Veikebr«. lage am zweiten Zolltage haben sich die Verhältnisse im besetzten Gebiet wieder verschlechtert. Bei Düsseldorf warten iibek 300 Wa.igons, im Mainzer Bezirk ist die Zahl der unabaefertigten WogoonS auf 6000 anacwachsen. Fm pfälzischen, badischen und hessischen Güterverkehr nimmt die Verstopfung zu. Ans allen Zollstationen herrscht die arößte Verwirrung, da sich wede» die fremden noch die deutschen Zollbeamten in den Bestimmungen iuirechtfindcn, und die vor andcnen Anlagen unzureichend sind. Seitens der Eiscnbahndirel.ion wurden weitere Beschränkungen des Güierverkc'hrS ungeordnet. Zum Goldauslieseruiigsverlangen (Eigener Trahtber'cht der .SSchs VolkSzertuia") De lin, 27. Avril. Wie von informierter Seite verlautet, steht die deutsche Regierung auf dem Standpunkt, daß eine ofsi- teile Antwort auf die Forderung der Reparativ »s- om Mission, daß bis zum 80. Avril eine Milliarde Goldmark in die Keller der Banken von Frankreich abgeliesert werden müssen, nickt zu erfolgen habe, weil dieses Verlanaen durch das in der Note an Amerika enthaltene Anerbieten der Zahlung von einer Milliarde Goldmark gegenstandslos geworden sei. Französische Stimmen Uber Hqthe . Pari«, 26. April. Wie Echo de Pari« nnlteilt, erklärte gestern abend Ministerpräsident Bri and nach Schluß des Ministerrate?, die Verhandlungen mit Llohd George seien die denkbar besriedigcnd- ften gewesen. Er persönlich sei sehr zufrieden- lieber die Beratungen von Hhthe sagt Figaro, e« sei sch? begreiflich, daß Llohd George über die liberale Opposition und die der Arbeiter beunruhigt sei; aber bei so cinsten Amu» legenbeiten wie denen, die in Lympne behandelt worden seien, mußten die Sorge der inneren Politik an zweiter Stelle stehen. GauloiS sagt, Lloyd George sei, o^schon er die Berechtigung deS französischen Standpunkte» und die Notwendigkeit, Dciiilchlaick zur Ecliillung seiner Verpflichtungen zu zwingen, «insehe, geiwungen, di« Meinung seiner politischen Gegner in Rechnung zu stellen, auch di« pazifistischen Skrupel der britischen Demagogen Unglücklicherweise merke man aus allen ziemlich verlegenen Berichten, die a»S Hhthe kämen, daß die britischen Alliierten oder wenigsten« ihre ermächtigten Vertreter sich noch durch da» Jammern der Siinne?. der SimoiiS und ihre politischen Agenten beeinflussen ließen. Sie weigerten sich sicher nicht. Frankreich das Ruhrgebiet besetzen zu lassen, aber sie gäben mit einer bedauerlichen Behar-lichkeit kund, welch? Abneigung diese Zwangsmaßnahmen ihnen elnflößten. Populaire stellt auch fest, daß die offiziösen Berichte ge nügend verlegen seien, um über da» aufgeklärt zu werden, was man aooorci parkait nenne. Wie da« Blatt vorausgesagt habe» sei di? öffentliche Meinung in England den Sanktionen ausge sprochen feindlich gesinnt. Der ganze Fo ch ismu» sei ihnen widerwärtig. Sächsische VoliSzeitnng — Nr. 96 — 27. April 1921 Der Schimmelreiler Von Theodor Stör m (Schluß) Ein bouucrarligeS Rauschen zu seinen Füßen weckte ihn aus diesen Träumen; der Schimmel wollte nicht mehr vor wärts. Was war das? — Das Pferd sprang zurück, und er fühlte cS, ein De.chstück stürzte vor ihn? in die Tiefe. Er ritz die Augen auf und schüttelte alles Sinnen von sich; er hielt am alten Teich, der Schimmel Hütte mit den Vorderhufen schon daraus gestanden. Unwillkürlich riß er das Pferd zurück; da flog der letzte Wolkeumaulel von dem Mond, und das niilde Ge stirn beleuchtete den Grans, der schäumend, zischend vor ihm in die Tiefe stürzte, in den alten Koog hinab. Wie sinnlos starrte Hanke darauf hi»; eine Sündslut war es, uni Tiere und Menschen zu verschlingen. Ta blinkte ihm wieder der Lichtschein in die Augen, es war derselbe, den er vorhin gewahrt hatte, noch immer brannte der auf seiner Werste; und als er jetzt ermutigt in den Koog hinabsah, ge wahrte er wohl, daß hinter dem sinnverwirrenden Strudel, der tosend vor ihm hinabstürzic, nur noch eine Breite von etwa hundert Schritten überflutet war; dahinter konnte er deutlich den Weg erkennen, der vom Koog heranführte. Er sah nach mehr: ei» Wagen, iienr, eine zweirädrige Karriole kam wie toll gegen den Teich hcrangefahren; rin Weib, ja auch ein Kind saßen darin. Und jetzt — war daS nicht das kreischende Gebell eine-S kleinen Hundes, das im Sturm vorüberflog? Allmäcbti- ger Gott! Sein Weib, sein Kind waren es; schon kamen sie dicht heran, nnd die schäumende Wassermasse drängte auf sie zu. Ein Sckirei. ei» VcrzweifliingSschrci brach aus der Brust deS Reiters: „Elke!" schrie er. „Elke! Zurück! Zurück!" Aber Sturm und Meer waren nicht barmherzig, ihr Toben zerwehte seine Worte; nur seinen Mantel hatte der Sturm er saßt. cS hätte ihn bald vom Pferde hcrabgerisseu, und daS Fuhr werk flog ohne Aufenthalt der stürzenden Flut entgegen. Ta sah er. daß das Weib wie gegen ihn hinauf die Arme streckte: Halte sie ihn erkannt? Hatte die Sehnsucht, die Todesangst um jhn sie aus dem sicheren Hause getrieben? Und jetzt — rief sie ein letztes Wort ihm zu? — Die Fragen fuhren durch sein Hirn; sie blieben ohne Antwort: von ihr zu ihm, von ihm zu ihr waren di« Worte alle verloren, nur rin Brausen wir vom Weltenuiitergauge füllte ihre Obren und ließ keinen anderen Laut hinein. „Mein Kind! O Elke, o getreue Elke!" schrie Hauke in den Sturm hinaus. Da sank aufs neue ein großes Stück des Deiches vor ihm in die Tiefe, und donnernd stürzte das Meer sich hinterdrein! Noch einmal sah er drunten den Kopf deS Pferdes, die Räder des Gefährtes aus dem wüste» Greuel eiiiportaiiKen und dann quirlend darin nntergeheu. Die star ren Angen des Reiters, der so ei»sam auf dem Deiche hielt, sahen weiter nichts. „Das Endel" sprach er leise vor sich hin; dann ritt er an den Abgrund, wo unter ihm die Wasser, unheim lich rauschcnd.scin Heimatdorf zu überfluten begannen; noch immer sah er das Licht von seinem Hanse schimmern; eS war ihm wie entseelt. Er richtete sich hoch auf und stieß dein Schim mel die Sporen in die Weichen; das Tier bäumte sich, es hätte sich fast überschlagen, aber die Kraft des Mannes drückte eS herunter. „Vorwärts!" rief er noch einmal, wie er cS so oft znm festen Ritt gerufen halte: „Herr Gott, nimm mich; ver schone die andere»I" Noch ein Sporenstich; ein Schrei des Schimmels, der Sturm und Wellciibrausen überschrie, dann unten aus dem hluabstür.zcnde» Strome ein dumpfer Fall, ei» kurzer Kampf. Der Mond sah leuchtend aus der Höhe; aber nuten auf dem Deiche war «ein Leben inehr, als nur die wilde» Wasser, die bald den alten Koog sali völlig überflutet hatten. Noch immer aber ragte die Werfle von Hauke HaieuS Hofstatt aus dem Schwall hervor, noch schininicrte von dort der Lichtschein, und von der Geest her, wo die Häuser allmählich dunkel wurden, Warf noch die cinsame Leuchte aus dem Kirchturm ihre zittern den Lichtftmkeu über die sei»" »inenden Wellen." Ter Erzähler schmieg; ich griff nach dem gefüllten Glase, daS seit lange vor mir stand; aber ich fübrte eS nicht znm Munde; meine Hand blieb auf dem Tische ruhen. „DaS ist die Geschick,te van Hanke Haien," begann mein Wirt »och einmal, „wie ich sie nach bestem Wissen nur berichten konnte. Freilich, die Wirtschafterin uusrreS Deichgrafen würde sie Fhucil anders erzählt haben, denn auch das weiß mau zu berichte»: srueS weiße Pferdegeripve ist »ach der Flut wiederum, wie vormals im Mondschein auf JeverShallig zu sehe» gewesen; das ganze Darf will ?S gesehen haben. — So viel ist sicher: Hauke Haien mit Weib und Kind ging unter i» dieser Flut; nicht einmal ihre Grabstätte haben sie droben auf dem Kirchhofe finden können; di« toten Körper wurden von dem abströmcnden Wasser durch den Bruch ins Meer hinausgetrieben und inögc.l aus dessen Grunde allmählich^ ,dic Urbestaudteilc aufgelöst sci» — so habe» sie Ruhe vor de» Menschen gehabt. Aber der Haukc- Hcien-Deich steht »och jetzt nach hundert Fahren, und wenn Sic morgen nach der Stadt reiten und die halbe Stunde Umweg nicht scheuen wollen, so werden Sie ihn unter den Hilfen Ihres Pscc- des haben. Der Dank, den einstmals Fewe ManucrS bei den Enkeln seinem Erbauer versprochen hatte, ist, wie Sie gesehen haben, auSgebliebcn; denn so ist es. Herr: dem Sokrates gaben sic kl» Gift zu trinken, und unseren Herrn Christus schlugen sic an« Kreuz! Das geht in den letzten Zeiten nicht mehr sc Icicbi; aber eine» Gewaltsmenschen oder einen böse» stiernackige» Pfaffen zum Heiligen, oder einen tüchtigen Kerl, nur wci! cc u»S um Kopfeslänge überwachsen war, z»m Spuk und Nachtge- spcnst zu machen — das geht noch alle Tage." AIS das ernsthafte Männlein das gesagt hatte, stand cs auf und horchte nach draußen. „ES ist dort etwas anders wer den," sagte er und zog die Wolldecke vom Fenster, eS war Heller Mondschein. „Seht nur," fuhr er fort, „dort kommen die be vollmächtigten zurück; aber sie zerstreuen sich, sie gehen nach Hanse; drüben am anderen Ufer mutz ein Bruch geschehen sei»; das Wasser ist gefallen." Ich blickte neben ihm hinaus; die Fenster hier oben lagen über dem Rand des Deiches; es war, wie er gesagt hatte. Ich nahm mein Glas nnd trank den Nest: „Haben Sie Dunk für die sen Abend!" sagte ich, „ich denke, wir können ruhig schlafe».' „Das können wir," entgegnete der kleine Herr, „ich wünsche von Herze» ein wohkschlafende Nacht!" Beim Hinabgehen traf ich unten ans dem Flur den Dcich- grafe»; er wollte »och eine Karte, die er in der Schenkstube ge lassen hatte, mit nach Hause nehmen. „Alles vorüber!" sagte er. „Aber unser Schulmeister hat Ihnen wohl schön waS weis gemacht; er gehört zu den Aufklärern!" „Er scheint ein verständiger Mann!" „Fa, ja, gewiß; aber Sie können Ihren eigenen Augen doch nicht mißtrauen; und drüben an der anderen Seite, ich sagte es ja voraus, ist der Deich gebrochen!" Ich zuckte die Achseln: «Das muß beschlafen werde»! Gute Nacht, Herr Deichgraf!" Er lachte: „Gute Nacht!" Am anderen Morgen, beim goldensten Sonnenlichte, das über einer weiten Verwüstung anfgegangen war, ritt ich über den Hanke-Haien-Dcich zur Stadt hinunter. Ende.
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