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2. Beilage z» Nr 88 de, „Lachsischen Bolkszcitung" vom 16. April 1665. Die Einheitlichkeit der derrischen Privatbeawtenbewegvnp. In Nr. 11 der „Hilfe" bespricht Fr. Weinhausen iin Anschluß an den preußischen Bergarbeitcrtag die „Einheit lichkeit der deutschen Gewerkschaftsbewegung". Viele seiner Ausführungen können auch den Privatangestellten zu den- ken geben. Tie Verständigung der verschiedenen Richtungen in der Arbeiterbewegung beurteilt er optimistisch und schreibt: „Sie kommt gewiß nicht von heute auf morgen. Sie sängt auch zweifellos nicht mit einer Verschmelzung bisher selbständig und feindselig einander gegenüberstchender Ver bände an. Aber sie kommt! Vielleicht zuerst ähnlich wie bei den Bergarbeitern, als Kartell gegen die wachsenden Ge fahren von seiten eines rücksichtslosen Unternehmertums. Der neue Plan der Scharfmacher, die Arbeitersckzaft eines Berufes bei entstehenden Differenzen in der Reihenfolge der Buchstaben des Alphabets über ganz Deutschland hin auszu sperren und auszuhungeru, würde ein solches Gefahrenkar- tell in seiner Entstehung und Befestigung beschleunigen. Was eine solche gewerkschaftliche Einigung wirtsckzaftlich für die Arbeiter bedeuten würde, braucht nicht erst im einzel nen aufgezählt zu werden. Je geschlossener die Arbeitneh mer im Kampfe um Verbesserung ihrer Gesamtlage da- stehen, um so widerstandsfähiger sind sie gegenüber dem koa lierten Unternehmertum, und um so größere Werbekraft können sie auf die unorganisierten Kameraden ausüben. Gilt nicht vieles in diesen Ausführungen auch für die Privatangestellten? Auch hier wächst mit der Koalierung der Chefs die Abhängigkeit der Angestellten. Auch hier haben Kampfe und Eifersucht der verschiedenen Verbände gegen einander die Bewegung oft inehr aufgehalten als gefördert. Aber die Verbände sind da: sowohl unter den kaufmännischen wie den technischen Angestellten ist in absehbarer Zeit nicht an eine Verschmelzung, an das Aufgehen aller Verbände in einen oder auch nur an eine so vorherrschende Stellung eines Verbandes, daß alle anderen dagegen zurücktreten, zu den ken. Desto wünschenswerter ist es, daß in geeigneten Fällen die Vereine in gleicher Weise wie die Organisationen der Bergarbeiter über ein einheitliches Vorgehen sich verständi gen. Das ist erfreulicherweise ziemlich vollständig gelungen in der Pensionsversicherungsfrage. Diesem ersten Schritte müssen weitere folgen. Zunächst könnte unter den technisckzen Vereinen einerseits, unter den kaufmännischen oder den Buraubeamtenvereinen andererseits je eine Verständigung erzielt werden über die Wünsche, die zunächst als besonders dringend und leicht erfüllbar der Gesetzgebung gegenübw geltend gemacht werden sollen. Eine Einigkeit der großen Derufsgruppen in solchen Fragen erleichtert es auch den Parteien im Reichstage, gemeinsame Anträge zu bringen, durch welche die Wünsche der Angestellten verwirklicht wer den können. Pslitriche N«»dscha«. — Ein Militärpensionsgesetz nach dem Herzen der Kon servativen und Nationalliberalcn würde dem Deutschen V>lke über 100 Millionen neue Aufgaben auferlegen und trotzdem tritt die Presse dieser Parteien noch dafür ein, daß diese Gesetze sofort verabschiedet werden. Demgegenüber wollen wir dem deutschen Steuerzahler klipp uud klar Nach weisen, daß er die genannte Summe aufzubringen hat, wenn diese Wünsche erfüllt werden sollen. Wir dürfen bei dieser Rechnung stets den Höchftpunkt der Belastung ins Feld führen, denn man muß nicht nur auf dasjenige schauen, ioas es im ersten Jahre kostet, sondern man darf den Schluß effekt nie aus dem Auge lassen. Die glatte Annahme der Regierungsvorlage fordert allein 17 Millionen Mark mehr; nun wünschen genannte Parteien die Rückwirkung auf alle bereits pensionierten Offiziere, was »viederum 13 Millionen kostet: wir sind jetzt schon auf 30 Millionen Mark. Ferner soll allen mit Pension abgcgangenen Militärpersoneu, die nachher in einem Zivildienst Anstellung und Gehalt finden, der Vollbezug der Militärpension gegeben werden: die Aus gaben steigern sich hierdurch ui» 13 Millionen. Die Anwen dung der Verbesserungen der Militärpensionsgesetze aus die Zivilbeamten kostet 0 Millionen: jetzt sind es schon 10 Mil lionen Mehrbelastung. Nun sind bereits Wünsche geäußert, die auf eine Verbesserung der Witwen- und Waisenversor gung abzielcn und die natürlich bei Zivil und Militär gleich zeitig gemacht werden müßten: linker 20 Millionen ist hier bei gar nicht auszukommen. So stehen wir bereits auf 00 Millionen. Ter Reichsinvalidensonds ist in einigen Jahren ansgezehrt: aber die Pensionen, die seither aus diesem be zahlt worden sind, laufen noch weiter: wie Staatssekretär Freiherr von Stengel mitgeteilt hat, wächst hierdurch die Last des Pensionsfonds um 35 Millionen an: wir sind so mit zu einer Steigerung von insgesamt 101 Millionen Mark gekommen! Es sind das nicht willkürliche Schätzungen, die diesen Zahlen zu gründe liegen, sondern sie stützen sich in alle» Teilen auf amtliches Material. 101 Millionen Mark erfordert allein der Pensionsfonds, wenn es nach dem Her zen dieser Parteien geht, und dieselben Leute sind bereit, iin Herbste auch noch ein Flottengesetz anzunehmen, dessen Mehrkosten noch gar niemand kennt. Wohin soll denn diele Politik führen? Zum wirtschaftlichen Ruin des Vaterl- landes! Gewiß müssen die Offizierspcnsionen verbessert werden, aber auch nur da, wo es notwendig ist: nicht überall liegt ein Bedürfnis vor. Es ist auch falsch, »nenn die konser vative Presse behauptet, daß der Reichstag wiederholt „ein stimmig" das neue Pensionsgesetz gewünscht habe: so wie es jetzt vorliegt, hat er es nie gefordert: wenigstens war das Zentrum nicht unter den Drängern, es bat stets auf die finanziellen Konsequenzen hingewiesen. Arbcitkri'nnklischutz. Den Gewerbeanssichtsbeamte» war bei ihren Erhebungen über die Tauer der täglichen Ar beitszeit für Fabrikarbeiterinnen über 10 Jahre und die Möglichkeit ihrer Beschränkung unter anderen auch die Frage zur Beantwortung anfgegeben worden, ob es zweck mäßig und durchführbar sei, die nach 137 Absatz der Ge werbeordnung zu gewährende Mittagspause von 1 ans Stunden zu verlängern. Die soeben vom Reichsamt des Innern herausgegebene Denkschrift über die Arbeitszeit der Fabrikarbeiterinnen gibt die bezüglich dieser Frage er statteten Gutachten der Gewerbeaufsichtsbeamten im Zu sammenhang wieder. Hieraus folgt,daß die tveitans überwie gende Mehrzahl der Gewerbeaufsichtsbeamten sich gegen die allgemeine Verlängerung der Mittagssmuse für Fabrik- arbeiterinnen ansspricht; jedoch werden zum Teil ander weitige Vorschläge zur Ausgestaltung der Bestimmungen über die Mittagsrube der Fabrikarbeiterinnen befürwortet. So wird zum Beispiel angeregt, nur für solche Fabriken di» Verlängerung der Mittagspause vorzuschreiben, in welcher die Durchführung dieser Regelung von der Mehrzahl der Arbeiterschaft oder nur der Arbeiterinnen beantragt wird. Von anderer Seite wird vorgeschlagen, der höheren Verwal tungsbehörde die Befugnis zu geben, für einzelne Betriebe nach Anhörung der Arbeitgeber und Arbeiter eine 1^' slündige Pause festzusetzeu. Wieder andere Gutachten halten es für wichtig, nicht nur de» eruxtchsenen, einem Haustveseu vorstehenden, sondern sämtlichen Arbeiterinnen das Recht aus eine Inständige Unterbrechung ihrer Beschäftigung zu sichern, da auch andere als die bisher geschützten Arbeiterin nen bei den häuslichen Gesckzäften unter Mittag hilfreiche Hand leisten oder sonst einer längere» Ruhe bedürftig seien. An eine obligatorische Einführung der inständigen Mit tagspause für alle Arbeiterinnen wird nach vorstehendem in nächster Zeit nicht zu denken sein. Diskutabel erscheint uns aber der Vorschlag, nicht nur denjenigen, die ein Hauswesen zu besorgen haben, sondern allen Arbeiterinnen wenigstens aus Antrag die 1 inständige Mittagspause zu getväbren. Noch besser wäre es, die Negierung entschlösse sich möglichst bald zur Einführung des Zehnstundentages: dann würden auch diejenigen Arbeiterinnen, die jetzt noch unter einer längeren Beschäftigungsdauer zu leiden haben, gleichmäßig mit den anderen geschützt sein. Vrrschlrppnngspolitik! Tie liberale Presse marschie'st auf der gesamten Linie gegen uns ans, weil wir forderten, der Reichstag müsse über den Sommer vertagt werden, falls die Militärpenfionsgesetze angenommen werden sollten. Zu dem sei eine Regelung dieser Materie nicht eher möglich, als bis die Reichssinanzreform gesickert wäre. Dazu schreibt die liberale.Presse: „Also das Zentrum diktiert: Vertagung des Reichstages etwa gegen Ende Mai und Hinausschiebung der Entscheidung über die Militärpensionsvorlage bis zuin Herbst, wo möglicherweise mit dem Scheitern der Finanz- resorm das Zentrum auch das Militärpensionsgesetz in den Orkus wirft." Die nationalliberalen Abgeordneten werden dann ersucht, alles ausznwenden, um die Verabschiedung so fort berbeiznführen. Aber diesem Rate werden sie nicht folgen: das Zentrum hat bereits erklärt, daß es nichts da gegen einznwenden habe, wenn das Gesetz mit Wirkung vom 1. April 1005 in Kraft trete. Ein Schaden tritt somit für niemanden ein: alle Leute, die von diesem vom Vundes- rat selbst vorgeschlagenen Termin ab pensioniert werden, genießen ja die Vorteile des neuen Osesetzes. Aber ans Ver änderen Leite würde es ein geradezu freventliches Spiel des Reichstages sein, wenn er Gesetze genehmigen wollte, die eine Mehrbelastung von 50 100 Millionen herbeiführen, olme daß er sich fragt, wer die Kosten zahlt: das Zentrum wenigstens lehnt diese Art der Gesetzgebung prinzipiell ab. Es bat aber- auch diesmal die verbündeten Negierungen auf seiner Seite: denn als das Zentrum diese Ansicht in der Bndgetkommission erklären ließ, hat cs keinen Widerspruch — 30 — welcher dem ganzen Verhältnisse anklebte. Sie widersprach indes der Mutter nicht, sie hatte die Erfahrung, daß sie dieselbe nicht für ihre Ansichten gewann, sondern nur zu größerer Erbitterung reizte. Ihr Herz zog sie zu ihrem Vater. — Die schwere Erkrankung, die vorhergegangenc furchtbare Aufregung, die anhaltenden Seelenqualen, tvelche ihm die Entdeckung und die Verurtei lung verursacht hatten, der tiefe KANimer um seine Familie, alles hatte dazu beigetragen, seine Lebenskraft zu vernichten. Trotzdem er von seiten eines humanen Gcfängnisinspektors und durch die Bemühungen seiner Tochter alle möglichen Erleichterungen erhielt, die seine Lage nur immer zuließ, war es nicht zu verkennen, daß er schnell dahinsiechte. Heute achtete Elisabeth nicht darauf, als sie freudestrahlend bei ihm ein trat, um ihn auf seine bevorstehende Entlassung ans der Haft vorzubereitcn. Sie begann mit der Verlobung Huberts. Die Nachricht überraschte den Ober förster, da ihm nichts von dessen Werbung bekannt geworden war. Hubert hatte in seinen Briefen an den Vater der Sache nie Erwähnung getan. Das Unglück, das von ihm heranfbeschworene Unglück wirkte mit chrfurchtgebietender Gewalt auf ihn: er scheute sich, dem Auge des Vaters seine Blöße zu entdecken; vor ihm mochte er nicht mit Unwahrheit bedeckt er- scheinen. Elisabeth vermied mit liebendem Zartgefühl jede Mitteilung, nvlche dem so tiefgebeugten Vater den Schmerz bereiten mußte, zu sehen, daß sein Sohn den Pfad des Leichtsinns nicht verlassen habe. Als er seine Verlobung mit einem reichen Mädchen erfuhr, seufzte er nur: „Möge er glücklich werden!" Nach einigen mißglückten Versuchen Elisabeths, den Vater vorzubereiten, fiel sie ihm endlich um den Hals und unter einem Strome von Freudentränen teilte sie ihm den Brief Kronens mit. Der Oberförster war mehr von der Erregung seines Kindes, als von der Nachricht selbst erschüttert. Was galt ihm noch die Freiheit! Was über- Haupt noch das Leben! Nichts wusch die Schmach ab, die auf ihm ruhte. Nichts I Er gab seinen Gefühlen keinen Ausdruck, er wollte das Glück seiner Tochter nickst trüben, die mit der Elastizität der Jugend die Vergangenheit vergaß und sich hoffnungsfrcudig einem neuen Leben zuwandte. Einige Tage verflossen in der gespanntesten Erwartung. Endlich lief das ersehnte Bcgnadigungsschreiben ein und Elisabeth flog zu ihrem Vater. An der Tür des Gefängnisses erwartete sie der Inspektor. Sie dankte flüchtig seinem ehrerbietigen Gruße: sie hatte es so eilig. Warum blieb er stelzen, warum führte er sie nickst hinauf zu ihrem Vater. „Fräulein Ulmenau." begann er zögernd, „ich —" „Bester Herr Inspektor," fiel sie ihm ins Wort, „ich habe jetzt keine Ruhe. Verzeihen Sie meine Ungeduld. Wie nahm mein Vater die Nachricht auf? Er wird mich schon erwarten. Bitte, führen Sic mich zu ihm!" Sie wollte an ihm vorbei die Treppe hinauf. „Noch einen Augenblick, Fräulein Ulmenaul" Der Inspektor hatte un willkürlich ihren Arm ergriffen. Befremdet schaute sie sich um und sah in das verstört anssebendc Gesicht des sonst so freundlichen Beamten . „Wad ist's?" „Ich wollte Ihnen nur — der Herr Oberförster —" Eine furchtbare Ahnung krampfte Elisabeths Herz zusammen. „Mein Vater?" stieß sie hervor. — 33 — und du kommst zu mir. Ich werde dich auf den Händen tragen; du bleibst lebenslang bei uns, gepflegt und gehegt von deinem niedlichen Schwieger- töcksterchen und deinen dir die Hände küssenden, dankbaren Sobn Hubert. Post skriptum: Ich erwarte das Geld umgehend." Elisabeth batte den Brief beendet: sie schwieg. „Nun, du sagst kein Wort? Freust du dich nicht über das Glück deines Bruders?" Elisabetb befand sich in Verlegenheit. Welchen Eindruck der Brief des Bruders aus sie gemacht hatte, wollte sie nicht anssprechen. „Wenn Hubert auch nur glücklich wird, wie er hofft," sagte sie. „Ich dachte immer. Eben müßten anders geschlossen werden." „Ach, komme nur nicht mit deinen Romanideen." „Aber Mama, ich habe doch noch keine Romane gelesen . . ." „Ach was! gelesen oder nicht! Deine Ideen — sage ich — sind Noman- ideen und tauge» nichts. Das verstehst du nicht. Dein Bruder ist älter wie du! er wird Nüssen, was er tut. Fränzchen - ich liebe die Kleine schon jetzt - wird Hubert sicher glücklich machen und — die Hauptsache in der Ehe ist doch das Geld. Ich kann mir schon wieder vorstellen, woran du alles denkst; aber glaube nur, Tugend und Religio» allein machen das Leben nicht znm Para dies. Das beste Beispiel hast du an dir selbst. Ach, hätten wir mehr Ver mögen gehabt, nimmer wären wir so elend geworden." Hier übennannte Fra» Ulmenau der Gedanke an ihr Unglück und Elisabeth wagte nicht zu trösten. Nach kurzer Pause fuhr die Mutter fort: „Und bewunderst du nicht seine Liebe zu mir? Wie er an mich denkt bei einer Angelegenheit, die doch sonst junge Leute alles vergessen läßt." „Wenn er sich nur nicht wieder täuscht, wie bei Hilda." „Sprich den verhaßten Namen nicht vor mir ans. Glücklicherweise ent stammt Fränzchen einer braven, bürgerlichen Familie, da kennt man nicht solche Falschheit." „Und dann meine ich auch, daß er bei seiner Werbung den Eltern offen unsere Verhältnisse darlcgen muß." „Ich glaube. Lisbeth, du wärest imstande, die Geschichte deines nnglück- lichen Vaters ans Pflichtgefühl und Frömmigkeit weiter zu erzählen, als wenn dafür nickst schon giftige Zungen Sorge trügen und das eigene KÜnd nicht nötig bat, die Schande der Eltern anfzndccken. Hubert bat darin mehr Taktgefühl, mehr Kindesliebe." Aber seine eigenen Verhältnisse darf er doch nickst verheimlickien. nicht absichtlich und wissentlich seine künftige Fra» betrügen." „Laß das seine Sorge sein! Als Offizier stellt ihm die Ehre hoch und selbstverständlich zu allererst die Ehre seines Namens. Elisabeth schwieg. „Besser wäre cs übrigens, wenn du über ein Mittel nachdäckstest, ihm da? nötige Geld zu schaffen." „Du könntest ihm ja die Ueberfchüsse der Pension —" „Also, du kontrollierst mich? Du denkst wohl, ich habe verborgene Schätze: nicht einen Pfennig besitze ich." „Ach, ich glaubte, — ich dachte nur — entschuldige, liebe Mama, da bleibt eben die Kleinigkeit, welche ich erspart habe."