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Zweites Blatt Sächsische V-lkSzeit«»ft vom 1. Juni 191« Nr. 122 „Sozialpolitik mit Vankerottklausel". Mit den üblichen unmäßigen Uebertreibungen ver öffentlichte die „Leipziger Volkszeitung" Nr. 115 vom 23. Mai einen Artikel, der das durch die jämmerliche Hal tung ihrer Partei bei den Tabakarbeitern geschwundene Vertrauen wieder auffrischen soll. Die brauchbarste Fest stellung in demselben ist unzweifelhaft die. daß die Sozial- demokratie bei der Beratung der Tabaksteuer „ihre alte Taktik" wiederholt habe, als sie ihren Entschädigungs antrag stellte. Diese „alte Taktik" ist aber die: Wir, die „Genossen", stellen Forderungen, von denen wir sicher wissen, daß sie keine Partei, die auf dem Boden der Gegen- wartsordnung steht, stellen kann, umhüllen uns so nach außen hin mit einem der Agitation förderlichen, arbeiter- freundlichen Mäntelchen, in Wirklichkeit ist es uns min destens gleichgültig, ob etwas dabei für die Arbeiter heraus kommt, weil wir so am besten gegen die anderen Parteien Hetzen und unsere Parteisuppe kochen können. Bei der Beratung des Tabaksteuergesetzes wollte der erste Antrag der Sozialdemokraten eine Entschädigung fest legen von mindestens 500, 1500 und 2500 Mark für alle arbeitslos werdenden Tabakarbeiter, je nachdem sie ein bis zwei, zwei bis zehn oder über zehn Jahre im Tabakarbeiter- leruf beschäftigt waren. Der Antrag war überdies lo leicht fertig formuliert, daß ein Tabakarbeiter fiir eine jedes malige Arbeitslosigkeit, mochte sie sich noch so oft innerhalb eines Jahres wiederholen, die erwähnte Summe hätte er halten müssen. Für die vielen Fälle, wo mit Arbeitszeit einschränkung (halbe Tage usw.) gearbeitet wurde, sah der sozialdemokratische Antrag nichts vor. Also hätten diese Arbeiter, um im sozialdemokratischen Jargon zu reden, „verhungern" müssen. Auch beschränkte der fragliche An trag die Unterstützungspflicht — diese Feststellung ist sehr wichtig — aufeinIahr. Es zeugt nun von einer ge wissenlosen Demagogie der sozialdemokratischen Presse, wenn gegenüber dem Entschädigungsantrage Giesberts- Hitze der Vorwurf erhoben wird, er habe die Zeitdauer der Unterstützung auf zwei Jahre „beschränkt". Ist ein der artiger Vorwurf nicht vollendeter Volksbetrug, wenn man selbst nur e i n Jahr Unterstützungspflicht beantragt hat und dann eine durch das Zentrum erwirkte Erweiterung auf zwei Jahre „Beschränkung" nennt? Freilich ist die Unterstützungspflicht nur dann auf das zweite Jahr ausgedehnt, wenn die Schädigung oder Arbeitslosigkeit noch im ersten Jahre eintritt. Aber es ist immerhin inehr, als die „Genossen" im Reichstage wollten! Viel zugute tut sich der sozialdemokratische Artikel- schreiber auf seine Entdeckung, daß die loyale Durchführung der Bestimmung, daß drei Viertel des entgangenen Arbeits- Verdienstes zu ersetzen seien, zur Folge gehabt hätte, daß jährlich eine Summe von 15 Millionen Mark auszubezahlcn war. Ob der Dreistigkeit einer solchen Demagogie muß man wirklich mehr wie staunen. Denn es ist heute eine un umstößliche Tatsache, daß die Handhabung der Unter stützungen im allgemeinen eine loyale war, vor allem soweit die Anordnungen der obersten Stelle, des Reichsschatzamtes, in Frage kommen. Daß die ausführenden Organe teilweise Schwierigkeiten machten, war nicht anders zu erwarten. Das wäre bei einer anderen Fassung des Gesetzes ebenfalls zu verzeichnen gewesen. Aber es muß auch fcstgestellt wer den, daß mit Hilfe der Organisation, besonders des Ver bandes christlicher Tabak- und Zigarrenarbeiter, diese unge rechten Eingriffe untergeordneter Organe zugunsten der Arbeiter rektifiziert wurden. Es ist weiter eine nachweis bare Tatsache, daß mit der genannten Hilfe zahlreiche be dürftige Tabakarbeiter mehr wie drei Viertel, zum Teil die volle Höhe des entgangenen Arbeitsverdienstes erhalten haben. Denn das verschweigt die rote Presse, baß der An trag mindestens drei Viertel des Lohnverlustes als Entschädigung vorsah. Es muh ferner gesagt werden — wir haben das aus bester Quelle — daß die Vertreter der sozialdemokratisch organisierten Tabakarbeiter selbst in der ausgiebigsten Weise dem Reichsschatzamt ihre Anerkennung für das weitgehende Entgegenkommen ausgedrückt haben, welches in der Unterstützungsfrage zu verzeichnen war. Nun hat aber die ausgeworfene Summe von 4 750 000 Mark bis heute gereicht. Wie kann man es nun verantworten, zu sagen, es wären in einem Jahre 15 000 000 Mark nötig gewesen? ' > Nun klammert sich die sozialdemokratische Volksver hetzung der „Leipziger Volkszeitung" daran, daß für die weiteren zweieinhalb Monate, für die nach dem Artikel IIu. Unterstützung bezahlt werden muß, kein Geld mehr vor handen sei. Der Abgeordnete Giesberts hat am 17. Januar d. I. im Reichstage unter Zustimmung des Zentrums aus geführt, daß eS außerordentlich zu bedauern wäre, wenn nach Erschöpfung des Viermillionenfonds bezüglich der weiteren Auszahlung von Unterstützungen gebremst würde. An seinen politischen Freuirden solle es nicht fehlen; sie seien bereit, den Viermillionenfonds aufzubessern. Es solle kein Arbeiter, der auf Grund des Gesetzes unterstützungs- bcrechtigt sei, ununterstützt bleiben. In ähnlichem Sinne haben sich fast sämtliche bürgerliche Parteien ausgesprochen. Nur der Begründer der sozialdemokratischen Interpellation hatte in seiner langen Rede „vergessen", den zweiten Teil der Interpellation, die am genannten Tage zur Ver- Handlung stand, zu begründen, d. h. die Mehrbewilli - gung von Geldern mit Gründen zu be legen! Diese einheitliche Stellungnahme des Zentrums und eines großen Teiles der anderen bürgerlichen Abgeordneten erleichterte dem Reichsschatzsekretär die Erklärung, die er bei der späteren Nachbewilligung von 750 000 Mark abgab, daß er sich im Falle der Erschöpfung der vom Reichstage be willigten Mittel für ermächtigt halte, weitere Mittel zu verwenden, um den Notständen und Schwierigkeiten abzu helfen. Wie wir erfahren, hat auch bereits das Neichsschatz- amt eine Konferenz mit den Organisationen sowohl der Tabakarbeiter wie der Fabrikanten abgehalten. Dabei ist auch, sicherem Vernehmen nach, zum Ausdruck gekommen, daß das Reichsschatzamt, gestützt auf die oben gekenn zeichneten Erklärungen der Parteien, weitere Mittel flüssig machen wird. Damit ist aber auch schon angedeutet, daß es der weite- ren Entwickelung der Sache und den Interessen der Tabak- arbeitet nur hinderlich sein kan», wenn während der schwe- benden Regelung der Angelegenheit, zu der in zuvorkom- mender Weise die Vertreter der Arbeiterorganisationen zu, gezogen werden, seitens der sozialdemokratischen Presse an derselben mit einein gewissen Wohlbehagen zu Agitations- zwecken herumgenörgelt wird. Wenn jetzt eine Unterlage für Weilerbezahlung der Unterstützung geschaffen wird, dann dient es doch den Interessen der Tabakarbeitcr weit mehr, wenn sie in sachlicher Weise ihre Wünsche der zu ständigen Stelle unterbreiten — wie das seitens des christ lichen Verbandes unseres Wissens bereits geschehen ist — als wenn in verhetzender Weise die ganze Angelegenheit zu einer Sache der politischen Agitation gemacht wird. Das getan zu haben, darf sich die sozialdemokratische „Leipz. Volkszeitg." zum besondere» Verdienst anrechnen. Aus Stadt und Land. lsisortsetzuaq au» dem Haupiblatt-I —* Im städtischen Ausstellungspalast (Nordwesthalle) wird nächsten Sonntag den 5. Juni eine neue eigenartige Ausstellung eröffnet: die Arbeiterdilettanten-Kunst- auSstellung, die bisher schon in Berlin, Frankfurt a. M. und Königsberg gezeigt wurde und überall großes Aus sehen erregt hat. Der Scköneberger Arzt Tr. Levenstein hat die eigenartige Ausstellung in jahrelanger Arbeit zusammengebracht. „Der Kunstwart schreibt darüber: ES handelt sich dabei nicht um Künstlerkunst, sondern um die Liebhaber-, sozusagen um die ErholungS- und Erhebungs kunst von Männern, die um Lagelohn hart arbeiten . . . . Was Levenstein, während er als Arbeiter mit Arbeitern lebte und mit auf ihren Schlafstellen schlief, an Bildern zusammengebracht hat, ist deshalb so außerordeutlich wert voll, weil es auSnahmlos nicht zum Verkauf, nicht zum Ausstellen, überhaupt nicht für irgendeine Art Oeffentlich- keit bestimmt war, sondern zu Trost und Freude inner licher Menschen aus dem Volke allein für sie selber in ihren Freistunden hervorgcbracht wurde. Wenn schon in einem anderen Wortsinn als jetzt üblich ist: hier ist Volks kunst. Volkskunst, wie auch das Volkslied eine war. unter tausend Anregungen von den Gebildeten her. aber aus eigenem Bedürfnis, in eigener Umwelt entstanden. ES bleibt Levensteius außerordentliches Verdienst, uns einen umfassenden Einblick in diese Volkskunst erschlossen zu haben, die mitten unter uns lebendig war und lebendig ist — und von der wir doch allesamt so gut wie gar nichts wußten." —* Ter Engel in der K u n st. Tie Vorbereitun gen zu der künstlerischen Darstellung von Engelbildern nach alten Meistern, verbunden mit musikalischen Vorträ gen, habe» bereits begonnen. Die Vorführungen finden voraussichtlich Mitte Oktober im Evangelischen Vereins hause statt. Zur freien Wiedergabe gelangen u. a. Bilder von Simone Martini, Melazzo da Forst, Fra Angelico da Fiesole, Stephan Lochner. Pcrugino, Lucca Signorelli, Donatello, Albrecht Dürer, Botticelli, Nobbia, Raphael. Murillo und Carpaccio. Tie künstlerische Leitung liegt in den Händen der Damen v. Bojanowsky und Spielberg aus Weimar, sowie des Herrn Musikdirektor Richter (Dresden). — 52 - — 49 — Er vermeidet ihren Blick und fährt fort: „Tu wcißt. Arabella, daß ich dich lieb habe — schon seit Jahren. Und wenn ich nicht ein solch armer Schlucker wäre, hätte ich dich längst gefragt, ob du die Meine werden willst." Sie hat die Hände in den Schoß gefaltet und blickt vor sich hin. „Da es aber nun einmal nicht sein kann, müssen wir uns darein er geh m. Gestern war ich draußen in Schloß Eichwald. Was ich da sah und hörte, hat mich aufs tiefste bewegt. Arabella —" er tritt dicht an sie heran und legt die Hand auf ihre zitternden Finger — „wir stehen vor dem Ruin!" Sic zuckt zusammen. So schlimm hat sic es sich nicht gedacht. „Und nur eins kann uns retten —" fährt er zögernd fort. Sie senkt den Kopf. Ihre Züge tragen den Ausdruck tiefster Seelenqual. „Ich weiß —" haucht sie kaum hörbar. „Mir bleibt nichts anderes übrig, als — mich zu verheiraten. Eine — Geldheirat'" Sie schweigt und rührt sich nicht. „Ich habe nie ein Wort von Liebe zu dir gesprochen, Arabella," fährt er aufs neue, beunruhigt durch ihre Starre, fort. „Es wäre ehrlos gewesen, da ich wusste, daß ich dich niemals würde besitzen können. Aber es gibt an dere Wege, einer Frau zu zeigen, daß inan sie liebt. Auch du wirst wissen, daß du mi'' mehr warst, als die Jugcndgespiclin!" „Ich weiß es," preßt sie mühsam hervor. „Ich hätte diesen wichtigsten und schiverstcn Schritt meines Lebens tun können, ohne dich vorher davon in Kenntnis zu setzen. Aber ich halte es für ehrenwerter, wenn ich dir offen sage, wie die Sachen stehen. Wir werden unS noch oft im Leben begegnen. Wir werden gute Freunde sein wie bisher. Nie wird ein Wort, ein Blick daran erinnern, daß wir vielleicht beide —" Eine heftige Bewegung ihres Kopfes unterbricht ihn. „Du hast reckst," fügt er rasch hinzu. Reden wir nicht davon, was hätte sein können! Wenn ich dir Schmerz zufüge, so verzeihe mir! Und bedenke, das. ich noch mehr leide! Du bist jung, schön, klug — du wirst vergessen —" Noch tiefer senkt sie den blonden Kopf. Einer- Augenblick ist ihm. als müsse er ihn an sich ziehen. Aber er unterdrück: die Aufwallung. „Hast du — hast du — deine Wahl bereits getroffen?" Atemlos, stockend bebt es über ihre Lippen. - « ,..^a. Sie sieht ihn an — voll zitternder Erwartung. „Wer " stammelt sie." „Miß Arcvallo." „Wie -?" Sie ist wie erstarrt — das Haupt einer Medusa. Nur die Augen leben. Und die glühen in einem Haß, der Norbert mit plötzlicher Angst erfüllt. Er will sprechen, will erklären Dach schrill lacht sic auf — höhnisches Lachen, das ihm noch lange in den LH ren nachklingt. „Di? kleine Wilde? Dieses Mädchen ohne Namen? Diese ungebildete Person?" -- Vor einer der Türen liegt ein Niesen-Neufundländer. Bei Norberts Nahen erhebt er sich majestätisch, geht auf ihn zu und reibt den klugen Kopf an seinem Knie. „Brav, Nero! Kusch!" Norbert klopft. Ein alter Diener öffnet. „Ist der Herzog in seinem Zimmer?" „Nein, Mylord. Er ist in der Bibliothek. Mit Lord Henry." Ein unangenehmes Gefühl beschleicht Norbert. Was brachte den Onkel gerade heute nach Schloß Eichwald? Er tritt ein in die Bibliothek. Trotz der Sommerwärme brennt in dem marmornen Kamin ein Hellers Feuer. — Und neben den knisternden Flammen sitzen in bequemen Armstllhlen zwei Männer. Ter eine ist Lord Henry. Der andere, mit den vornehmen, leidenden Zügen und den unzähligen Falten und Fältchcn im Gesichte, der Herzog von Edinburgh. „Guten Tag, lieber Vater!" Mühsam rickstet der Herzog sich ein wenig aus seiner halbliegenden Stellung auf. „Willkommen, mein Sohn! Wie gut von dir, daß du dich wieder ein mal nach deinem alten Vater umstehst! Auch dein Onkel ivar so freundlich es ist manchmal gar so einsam hier draußen —" Beivcgt drückt Norbert die bleiche Hand, die sich ihm zitternd entgegen streckt. Dann begrüßt er Lord Henry, dessen undurchdringliche Züge ruhig freundlich wie stets erscheinen. „Es ist mir besonders lieb, daß ihr beide heute hier seid." fährt der alte Herr mit seiner sanften, monotonen Stimme fort. „Ich weiß nickst, was Virginia hat. So viele Reparaturen und Veränderungen sind nötig in Schloß Eichwald, und ich kann sic nicht dazu bewegen, die Leute kommen zu lassen." Unwillkürlich wechseln Lord Henry mrd Norbert einen Blick des Einver ständnisses. Ter Herzog scheint keine Ahnung von dem Stande der Dinge zu haben, und seine Tochter will ihm die furchtbare Erkenntnis ersparen, die dem alten kranken Manne den Tod bringen könnte. „Ich bitte dich. Norbert, sprich nachher einmal mit deiner Schwester!" fährt der Herzog mit seiner kraftlosen Stimme fort. „Gewiß, lieber Vater!" Der alte Herr nickt befriedigt. „Es freut mich, daß du meiner Ansicht bist, inein Sohn . . . Und nun lassen wir dies Thema! Erzähle mir von London und den Ereignissen in der Politik »ist» dem gesellschaftlichen Leben. Mein guter Cousin hier —" mit einer kleinen Vorbeugung gegen Lord Henry hin — „hat bereits etwas von einem neuen Stern angedeutet, der am Gesellschaftshimmel aufgetaucht ist —" Wieder wechseln Norbert und sein Onkel einen Blick, wobei es in den dunklen Augen des jüngeren Mannes unmutig aufzuckt, während die klugen grauen des älteren ruhig und gelassen bleiben. „Die wilde Rose vom K^vlond.