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2. Beilage z« Nr. 206 der „Sächsische« Volkszeitung" vom 10. September 1VV5. Die Ha»delSarrsficht in Asten. In Amerika ist man über die Zukunft in Ost- asien in rechter Besorgnis. So schrieben die „Newyork Times": Japan wird seine Versprechungen mit peinlicher Treue halten und mit dem höflichsten Lächeln „die Tür" ganz weit öffnen, allein es wird uns nie gelingen, einzu- treten, weil es mit seinen billigeren Waren uns überall unterbieten und den Markt beherrschen wird. Bei der Art, wie Japan seine gegenwärtigen Pläne betreibt, wird es in Ostasien eine handelspolitische Monroelehre — Ostasien den Ostasiaten — aufstellen, und zwar auf die einfachste Weise der Welt dadurch, daß es seine Erzeugnisse so billig darstellt und absetzt, daß wir keine Käufer zu finden vermögen." Dies wird allerdings auch mit absoluter Sicherheit eintreten und dadurch wird nicht nur Amerika, sondern werden auch die Europastvaten schwer geschädigt werden, sofern sie nicht rechtzeitig im fernen Osten, in China, Zweigniederlassungen gründen, um mit Hilfe des noch so billigen Chinesen ebenso billig ivie Japan zu fabrizieren. Rußland denkt noch nicht an die auf industriellem Ge. biete drohende japanische Gefahr, weil es in seiner industri- ellen Entwickelung eben noch gar zu weit zurück ist und weil es ihm ja nur ganz recht sein kann, wenn Japan als Kon- kurrent Europas auftritt, wenn es Rußland billiger als Eu- ropa und Amerika liefert. Rußland interessiert daher auch gegenwärtig mehr die neue Allianz zwischen England und Japan und nicht ohne Grund, denn die Bestimmungen des neuen Vertrages betreffen nicht allein den äußersten Osten, die Gewährleistung des Status quo, sondern sind auch gegen Uebergriffe und Ausbreitungsversuche Rußlands in Zentral asien wirksam. Und wenn auch Persien in dem Vertrage nicht mit erwähnt ist, so verleiht doch die Ausdehnung der russischen Grenze in Asien nach Süden hin den vereinbarten Bestimmungen eine Bedeutung, die sich von selbst erkennen läßt, da eben Japan von England verpflichtet wurde, Trup pen auf Englands Kosten nach dem Westen zu senden und zwar bis zu einen: gewissen Punkte am persischen Golfe. Diese ganz genaue Bezeichnung, bis wohin Japan seine Sol daten England zur Hilfe senden muß, ist es denn auch, die in Frankreich Sorge erregt. So schrieb das Pariser Blatt „Journal": „Offen gestanden kann man die Versicherungen und Bürgschaften für den Status quo in Asien nicht gerade angenehm finden, obgleich sie uns unsere Besitzungen in Ost asien zu sichern scheinen, denn solche Bürgschaften haben immer etwas Verdächtiges, Beweis: Korea. Und dann kön nen wir auch keinen Schritt weiter vorwärts tun. Die deutsche Presse feuert zudem bereits Rußland an, ein neues Port Arthur am persischen Meerbusen zu suchen. Hier liegt die Gefahr." Nun, die deutsche Presse hat noch nie Rußland angc- feuert, sich am persischen Golfe ein neues Port Arthur zu schaffen, aber das dies die Absicht Rußlands ist, ist zweifel los und nach dem Verlust des wirklichen Port Arthurs muß dies auch seine Absicht sein, denn sonst ist die wirtschaftliche Entwickelung von Russisch-Asien völlig gehemmt. Gerade gegenwärtig bemüht sich daher auch der Zar persönlich um die Gunst des Schahs von Persien und es wird ihm wohl auch sicher gelingen, Persien völlig auf Rußlands Seite zu bringen. Dann aber wird England seine zentralasiatischen und indischen Interessen als bedroht erachten und dann wird allerdings für Frankreich die unangenehme, vielleicht auch gefährliche Zeit kommen, wo es Farbe bekennen muß, ob es Rußlands oder Englands Freund ist, wenn es nicht eben schon vorher das beste Teil erwählt und sich zum Schutze gegen die japanisch-englische Allianz mit Rußland und Deutschland verbündet hat. Politische Rrrrrdsch««. — Zur Geschichte der christlichen Gewerkschaften. Das christliche Gelverksckiaftswesen steht zur Zeit im elften Jahre seines Daseins, verfügte aber ungeachtet dieser Jugendlich keit bereits am 1. April über 274 860 Mitglieder gegen 203 161 um dieselbe Zeit des Vorjahres. Der um die Ent wickelung des süddeutschen, speziell des bayrischen katholischen Arbeitervereinswesens so hochverdiente Priester Msgr. H u- ber tvar es, der gelegentlich des zweiten Derbandstages (3. Oktober 1892) der süddeutschen katholischen Arbeiterver eine in München mit fast sofortigem Erfolge die Idee des Eintrittes der katholischen Arbeitervereine in die Gewerk- schaftsbewcgung anregte, und zur Realisierung dieser Idee die Bildung von Fachsektionen empfahl. Solche Sektionen und zwar solche der Bauhandwerker, Holz- und Metallarbei ter, entstanden in München noch im November desselben Jahres. Im folgenden Jahre (1893) errichteten sich diese drei ersten Fachstationen der Mitglieder der katholischen Ar beitervereine auch eine Beschwerdekommission. Dieses bis herige Beschränktgebliebensein der Entwickelung der Msgr. Huberschen Idee auf München veranlaßte aber den über nächsten, das ist fünften Delegiertentag der kathol. Arbeiter vereine (Stuttgart 1895) zum Beschlüsse, die gewerkschaft liche Organisation der katholischen Arbeiter offiziell in An griff zu nehmen und zu betreiben. Als erste Folge dieses Beschlusses traten im Herbst desselben Jahres noch die Mün chener Fachabteilungen zur Konstituierung der ersten, älte sten süddentsckien selbständigen Gewerkschaft zusammen und nannten diese erste Vereinigung „Verein Anbeiterschutz", 1901 entstanden sodann aus diesem Verein Arbeiterschutz fünf Zentralverbände christlicher Gewerkvereine mit rund 25 000 Mitgliedern. So 1901 in München als eigentliche und regelrechte Fundierung unseres heutigen christlichen Ge werkschaftswesens. Erst ziemlich spät und erst auf die neuer liche Mahnung des Würzburger Delegiertentages (1897)) hin folgten dem Beispiele Münchens andere süddeutsche Städte. Und heute im elften Daseinsjahre haben diese so kümmerlich begonnenen christlichen Gewcrksckxstten einen Mitgliederstand von 274 860. Und ihre Mutter, die ver einigten süddeutschen katholischen Arbeitervereine, beziffern nach letzter offizieller Zählung (1904) 730 Vereine mit 95 784 Mitgliedern. — Zur Parteiorganisation fordert die Nat.-Ztg." in: Ansckstnß an die Beslchüsse des nationalliberalen Paretitages in Dresden ans und sie schreibt zur Begründung der Klein arbeit folgendes: „Wenn nun in Verfolg der Dresdner Be- Müsse zunächst die Vertrauensmänner in jedem einzelnen Reichstagswahlkreise sich versammeln, um die Erfüllung der organisatoriMn Aufgaben zu besprechen, so ist dies zugleich die gegebene Gelegenheit zu einer Betrachtung des politischen Horizonts, der, je näher die parlamentarische Session kommt und je mehr die radikale Unterströmung in der „regieren- den Partei sich bemerkbar macht, desto mehr sich mit Wolken umzieht." Eine radikale Unterströmung im Zentrum gibt es gar nicht, nie ist dieses einiger als jetzt und ebenso gilt es fiir seine Wählerschaft. Aber unsere Freunde sehen aus die ser Anforderung, daß auch wir alle Kräfte anzuspannen haben, um unsere Organisation auszubauen. Die Wolken können sich rasch verdichten, denn schon kündigt die „Deutsche Tageszeitg." an, daß die Flottenvorlage weit mehr fordern werde, als urskrllnglich geklant gewesen sei. Und von den neuen Steuern wollen wir gar nicht reden! Seien wir auf der Hut, denn es kann rascher der Tag der Wahlschlacht kom men, als man glaubt. — lieber die japanischen Arbeiter wird in einer franzö sischen Zeitschrift eine interessante Studie veröffentlicht. Nach den hier gegebenen Mitteilungen werden heute rund 400 000 Arbeiter in der japanischen Großindustrie gezählt. Das ist unendlich wenig im Vergleich zu England, Frankreich oder Italien, von dem viel stärker bevölkerten Deutschland und den Vereinigten Staaten gar nicht zu reden, aber cs ist eine große Zahl, wenn man erwägt, daß es vor 25 Jahren in Japan nur einen kleinen Trupp Arbeiter gab. Diese -100 000 Männer und Frauen jeden Alters verteilen sich auf etwa 1400 Fabriken: die Durchschnittsziffer auf jede Fabrik beträgt 120 Personen. Einige Fabriken lassen sich jedoch mit den Webereien und Spinnereien im Norden Belgiens, in Laneashire und in der Nheinprovinz vergleichen. Die Fabrik :n Kenefugashi in Tokio besitzt 45 000 Spulen und beschäftigt 3000 Angestellte: die Boseki Osakagruppe 4000 Männer, Frauen und Kinder, die Zigarettenfabrik Mourai in Kioko 5000 Arbeiter. Die großen Kontingente stellen die Seidenfabrikation (129 000), Spinnerei und Weberei (113 000), Hüttenfach (37 000), Maschinenbau (29 000), aber man würde sich einen ganz falschen Begriff von der wirtschaftlichen Organisation Nippons machen, wenn man den Großbetrieb von der Heimarbeit trennte. Die kleinerer: Industriellen werden allmählich Heimarbeiter. So hängen in Kioto 4000 Webereien von dem einzigen Hause Mitsoui ab. In keinen: anderen Lande der Welt spielt die Frau eine so wesentliche Nolle im Wirtschaftsleben. Selbst in Eng land, in Frankreich und Rußland bleibt ihr Anteil an der Fabrikation verhältnismäßig niedriger. In Tokio und Osaka kommt es manchmal vor, daß sechs- oder zehnmal so viel Frauen als Männer beschäftigt sind. Von den 3000 Angestellten in Kanefngash: gehören 2700 den: „schwachen Geschlecht" an. Uebrigens sind die Gesetze für den Schutz der Arbeiterin so wenig durchgreifend, daß die Unternehmer die Arbeiterin fast schrankenlos beschäftigen und ausnutzen kön nen. Gleich schleckst steht es mit dem Schutze der Kinder, und so bemerkt man überall im Lande eine unerhörte Ueberbür- dung der Jugend und der kleinen Kinder. Das erste soziale „denn so wie ich dich kenne, würden meine eindringlichsten Bitten kein Wort weiter aus dir herauslocken." „Du hast recht, ich bereue schon, so viel gesagt zu haben." Nach einer Weile fragte sie ganz unvermittelt: „Wie weit bist du mit -einem neuen Bilde?" Er seufzte verstimmt auf. „Ich komme nicht von der Stelle damit. Die weibliche Hauptfigur fehlt." Dabei überflog sein Blick verstohlen ihre hohe königliche Gestalt. Er liebte seine Schwester zärtlich, als Mensch sowohl, wie als Künstler. Ihr hoher, allen Kleinlichkeiten abholder Sinn imponierte ihn:, und ihre eigen artige Schönheit erwärmte und bezauberte seinen Künstlers!::::. Freilich verhehlte er sich nicht, daß sie sich gar zu sehr von anderen jungen Mädchen unterschied und daß sie möglicherweise ihren Weg allein gehen würde. Soviel Gediegenheit, wie sich in Wanda vereinigte, wird von den Männern wohl bewundert, aber nicht geliebt. Freilich an Bewerbern fehlte es Wanda Altmann, der Tochter des ersten Bankiers der Stadt, nicht, aber es handelte sich meist um Mitgiftjäger, die von der jungen Dame durchschaut und dementsprechend abgewiesen wurden. Die beiden Geschwister liebten sich trotz der Verschiedenheit der Charak tere mit einer rührenden Anhänglichkeit. Nur Harold gegenüber ging Wanda oft aus ihrer stolzen Reserve her aus: sein wahrhaft goldiges Gemüt erwärmte und begeisterte ihren kühlen ruhigen Sinn. Andererseits freilich fürchtete sie sein treffsicheres Urteil und war auf der Hut vor ihm, da sie ihre kleinen Schwächen nicht gern zugab. Sie besaß einen unbeugsamen Stolz und die Männer fanden selten Gnade vor ihren Augen. Nichtsdestoweniger schlummerte unter all diesem natürlichen Gleichmut die Anlage zu einer großen, alle Schranken kühn durch brechenden Leidenschaft, und unter Kälte und Unnahbarkeit verborgen lohte eine Helle Flamme, die nur auf den rechten Moment wartete, um zu sieghafter Stärke anwachsen zu können. Harold war anfänglich für den Kaufmannsberuf bestimmt gewesen, aber mit einer seltenen Willenskraft bot er allen Zumutungen seiner Eltern bezüg- lich des verhaßten Berufes die Spitze. Sein beharrlicher Widerstand siegte, er wurde Maler, und bald zeigte es sich, daß er ein gottbegnadeter Künstler war. Erklommen hatte er die Staffel des Ruhmes noch nicht, aber einen festen Platz hatte er sich bereits auf derselben errungen. Er war gesund, begeistert für seine Kunst, seit länger als Jahresfrist er- laubten ihm seine Einnahmen, die Zuschüsse seines Vaters zurückzuweisen, was wunder, wenn er sich berufen fühlte, das Beste und Höchste als Maler zu leisten. Freilich ging es ohne Kampf und gelegentliche Mutlosigkeit nicht ab, ober seine Denkfreudigkeit, die zähe Beharrlichkeit, mit der er eine erfaßte Idee zu verfolgen pflegte, halfen ihm zu immer glänzenderen Erfolgen, die Kritik prophezeite ihm eine große Zukunft. Auch jetzt, während er hier und dort mit der ihm eigenen nonchalanten Liebenswürdigkeit einen Gruß tauschte, beschäftigte ihn aufs lebhafteste seine neueste, noch unvollendete Schöpfung „Die Not", zu welcher die weibliche Hauptfigur, eine Samariterin, fehlte. — 5 — Der junge Mann sog wie berauscht den Duft des goldblonden Haares ein und es begann jenes törichte und dock: so beseligende Geflüster, das Lie bende noch einmal zu Kiirdern werden läßt. — Georg Frankes Aeußere bot wenig Bestechliches, seine hohe, schlanke Ge- sralt mackste einen vortrefflichen Eindruck, aber er besaß ein Alltagsgesicht mit blassen, schon etwas verarbeiteten Zügen, und einen reckst unmodernen Schnurrbart. Aber ein Hauch von selbstbewußter Kraft und gerader Ehrenhaftigkeit lag über seiner Erscheinung und aus seinen grauen Augen blickte ein fester Wille. — Martha konnte sogenannte schöne Männer überhaupt nicht ausstchen, sie liebte Georg mit jener wahrhaften Innigkeit, die nickst nach Aeußerlich- keiten fragt, sie kannte seinen Wert und schätzte sich glücklich, sein Herz zu besitzen. Sie war anspruchsvoller, als viele andere ihres Alters, denn ihr Bruder Gerhard, ein Muster an Treue und Pflichterfüllung, war der Maßstab, nach dein sie die Männer beurteilte. An Gerhard dachte sie auch jetzt, und ihren Gedanken Worte verleihend, sagte sie: „An meinem Bruder wirst du einen aufrichtigen, unschätzbaren Freund besitzen. Einen selbstloseren Menschen gibt cs nicht.. Er findet nur Befriedi gung in den: Glück anderer. Du musst ein guter herrlicher Mensch sein, daß ich dich so mit jeder Faser meines Herzens zu lieben vermag, und immer hiel test du den Vergleich mit Gerhard aus." „Die Liebe mackst bekanntlich blind," neckte er, „das Ergebnis der Prü- fung will also nickst viel besagen." Sie sah ihn aus den dunklen Augen, die io mutwillig blitzen konnten, mit einem tiefen Blicke an. „Tie Leidenschaft mag berauschen und das Urteil trüben, die Liebe aber, behaupte ich, macht hellseherisch." Er nickte ihr zärtlich zu, ohne eine Antwort zu geben. Mehr noch wie das Geständnis ihrer Liebe beglückte cs ihn, daß sie ihm so unbedingt ver traute, ihn so hochschätztc. Als sie dann zehn Minuten später Arm in Arm an den Bekannten grüßend vorüberglitten, nickte und lachte man ihnen verständnisinnig zu. Das Glück strahlte dem Paare aus den Augen, man sah es beiden au, daß das erlösende und zugleich bindende Wort gesprochen worden war. Die jungen Mädchen freuten sich auf die Derlobungsfcier und für die Mütter war Martha Plötzlich eine Art Respektsperson geworden. „Solch eine glänzende Partie! Nun die Kirchners waren aber auch prächtige, überaus sympathische Menschen, die ein solches Glück verdienten." Freilich ließen sich auch mißgünstige Stimmen hören. „Wer einem vor zehn Jahren prophezeit hätte, daß die Martha einen Prokuristen heirgten wiirde, den würde man für einen Spottvogel gehal ten haben." »Ja, ja, es soll den Kirchners früher traurig ergangen sein —" „Bettelarm waren sie, nachdem der Vater, ein Buchhalter, der eS wohl nie über einen Jahresgehalt von fünfzehnhundert Mark gebracht hat, ge storben war, bettelarm — Dunkle Stunden." »