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Sächsische Volkszeitung : 18.04.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-04-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192304185
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19230418
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19230418
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-04
- Tag 1923-04-18
-
Monat
1923-04
-
Jahr
1923
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 18.04.1923
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Mittwoch. 18. April W2o Me „vntammlimzsftkiheit" I» Lachse» Chemnitz. 17. April. Der Christliche Verein junger Männer feierte am Sonntag sein 20. Stiftungsfest. Nach dem Fest- gvttesdienste in der Petri-Kirche spielte die Kapelle des Vereins auf dem Königsplatz einige Choräle, als sich plötzlich aus ein Pscifensignal einige Trupps kommunistischer Jugend einsanden und die Vorträge zu stören suchte». Als sich gegen 11 Uhr der etwa 800 Personen zählende Fcstzug durch die Königstraste nach dem Vcreiushause in Bewegung setzte, stürzte» dir Kommunisten an die Spitze deS Zuges und versuchten die geordnet Marschierenden zu zerstreuen. Als ihnen auch das nicht gelang und der Fest zug nach dem Vcreinshaus geführt wurde, um dort ausgelöst zu werden, begannen die Kommunisten ein wüstes Pfeifen und Johlen. Proletarische Hundertschaften, die bereits während der Feier auf dem Königsplatze alarmiert worden waren, marschierten au, und gleichzeitig erschien ein Aufgebot von Sckmtzleuten. Es fanden dann zwischen der Polizei und den Kommunisten Ver handlungen statt, in denen die Kommunisten forderten, dass eine Abordnung von ihnen zu der beschlossenen Bereinsveranstaltung im kaufmännischen Vereinshause Zutritt erhalten müsse. Diesem Ansuchen wurde von dem Christlichen Verein junger Männer entsprochen und die Versammlung verlief dann ohne Störung. — Das Chemnitzer Tageblatt, daS auch über einen ähnlichen Terrorakt in Limbach anläßlich der Ausführung deS Films: „Der Friedensvcrtrag von Versailles" berichtet, richtet an die Negierung die Anfrage, was sie angesichts dieser Vorgänge, die das Aussichtsrecht der Regierung zu einer Frage machen, zu tun gedenke. Diese Antwort sei — darüber solle sich die sächsische Regierung nicht ymwegtäuschen — von erheblicher Bedeutung für ganz Deutschland. Dieselbe Frage werde in geeigneter Form auch an die Retchsregierung zu richten sein. Man müsse schließ lich wissen, wer regiert; ob Moskau oder die verfassungS- mäßige Regierung. — Auch in Augustusburg haben kom munistische Hundertschaften die Versammlung einer Jugendver einigung, die sich mit Kunst- und Heimatfragen beschäftigte, ohne jede Veranlassung in der rohesten Weis« gestört. Sie miß handelten die Teilnehmer der Versammlung und verjagten sie noch am Abend aus der Schülerherberge Augustusburg. Gleichen Belästigungen waren 30 Turner, die auch dort übernachten woll ten, ausgesetzt. ' Numerus clausus für Studienafsessorenin Preußen Der Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung hat dem Preußischen Landtage de» Entwurf einer Verord nung zugchen lassen, in der der numeruS clausus für Studienassessoren geregelt wird. Der Entwurf sieht vor. daß aus den vorhandenen Studienassessoren zunächst 2000 Assessoren ausgewählt und in eine Anwärterliste eingetragen werden, wo- durch sie Stellenanwärter im Sinne des Beamtendiensteinkom- mensgcsctzeS werden. Diele 2000 Assessoren stellen die Zahl dar, die voraussichtlich in den nächsten fünf Jahren zur An stellung kommen wird. Die Anwärterliste soll dann alljährlich um die Zahl der AuSgeschirdcneu aufgefüllt werden. Die Aus wahl der Assessoren, die Anwärter werden sollen, trifft das ein zelne Provinzialschulkollegium; maßgebend für die Auswahl ist die Eignung als Lehrer und Erzieher. Als NcbergangSmaß- nahme ist zur Vermeidung von Härten gegen die älteren Asses soren vorgesehen, daß bei der erstmaligen Auswahl noch 80 v. H. wie bisher nach dem Dienstalter. auSgewäblt werde», und daß euch in den nächsten Jahren noch ein stets kleiner werdender Hundertsatz »ach dem Dienstalter einrückt; daS Eiguuiigsprinzip ,' >rd also erst in einigen Jahren voll zur Auswirkung kommen. Der Entwurf gilt auch für Studienassessorinnen, für die erst- malig die Anlegung einer Liste vorgeschriebe« wird. Die Ver ordnung soll nach Beratung im Landtage demnächst mit Rück wirkung vom 1. April d. I. in Kraft treten. Eine Stiftunq der Jentrnmspartei Die Deutsche ZeirtrumSpartei beabsichtigt, dem Vorsitzenden der preußischen Zentrumspartei und Vizepräsidenten deö preußi schen Landtags, Ehrenvorsitzenden der Deutschen ZcntrumSpartei, Geh. Justizrat Nr. Felix Porsch, der am 30. April seinen 70. Geburtstag begeht, eine Ehrengabe zu überreichen. Diese soll als Fclix-Porsch-Stiftung ein ZentrumöhauS in Berlin als Stätte der Arbeit und Treffpunkt für alle Zcntrumsfreunde schaffen. Einzahlungen sind erbeten an die Deutsche Bank Ber lin W. 8 smit dem Vermerk: für Fclix-Porsch-Stiftung), und an die Firma Wilhelm Katzscr und Cie. in Bielefeld, Echeckamt Hannover 1822 (mit demselben Vermerk). — " , 1, . Mahtliise KnWtklr«,»»» Die amerikanische Presse beschäftigt sich in den letzten Wo chen sehr eifrig mit der Frage, ob die drahtlose Telegraphie und Telephonie nicht soweit auSgebaut werden könnte, daß man an eine drahtlose Uebertragung von Kraft denken könnte. Zwei fellos würde dieser Triumph der Technik so umwälzend auf nu fere ganze industrielle Einstellung einwirken, daß es begreiflich erscheint, wenn sich nicht bloß Techniker und Industrielle, son dern auch Laien mit dieser Frage beschäftigen, und in den Abend- gesellsckmfte», in denen cS bis vor kurzem Mode war, Vorträge über die Einsteinsche Lehre oder über die Möglichkeiten wissen schaftlicher Durchforschung deS okkultistischen Gebietes zuzuhören, spricht man jetzt gern über die „NadiotranSmission von Kraft". Neben vielen Fachleuten, welche die Frage in daS Reich der heute noch unlösbaren Probleme verweise», haben sich ansehn liche Stimmen gefunden, die für die Lösbarkeit des Problems eintreten, und es ist ein charakteristisches Zeichen der Zeit, daß sich da? Interesse des großen Publikums- mit dieser Zukunfts- Möglichkeit intensiv beschäftigt. Nun hat Dr. Charles P. Steinmetz, der Chefingenieur der General-Electric-Compantz in Ncuhork, daS Wort ergriffen und ausgeführt, daß eS sich dabei um mehr als um eine theoretische Spekulation handele; eS komme nur auf die Möglichkeit an, Wellen von solcher Länge zu erhalten, daß die durch Absorption und ähnliche Verhältnisse bedingten Krasiverluste keine große Rolle spielen, und natürlich auch auf die Möglichkeit, für solche Riesenwellen auch Riesenaufnahmcavparate zu bauen. Wenn man heute auch die NadiotranSmission von Kraft für technisch unausführbar halten müsse, so sei doch die Wahrscheinlichkeit ge. geben, daß in näherer oder entfernterer Zukunft die Lösung deS Problems gelingen werde, wie es dem Menschcngeist schon ge. lungen sei, gewaltigere technische Schwierigkeiten zu überwinden. Denn die Entwickelung der Technik erfordere gebieterisch die drahtlose Uebertragging von Kraft, weit damit ein weiterer Schritt gemacht sein werde, um die Materie zu überwinden. , M«W itt MnAiW lli i!tt Pncki kM» Die unerhört hohen Fleischpreise haben «inen geradezu un heimlichen Rückgang der gesamten Volksernährung gezeitigt. Da ein sehr großer Teil der Verbraucher überhaupt kein Fleisch mehr kaufen kann, so weisen auch die Schlachtungen einen so erheblichen Rückgang auf, wie er zuvor noch niemals zu verzeichnen gewesen ist. Nach den Mitteilungen des statistischen Landesamtes wurden im ersten Viertellahr 1922 so viel weniger Tiere geschlachtet, als im gleichen Zeitraum des Vorjahres, daß ein weiterer Rück gang kaum denkbar ist. Nur die Pferdeschlachtnngen und — wahrlich sehr bezeichnend — die Hundeschlachtnngen haben zuge nommen. Dahingegen habe» alle anderen Schlachtungen, na mentlich dt^ an Schweinen, so bedentlich abgenommen, daß eS wwtrklich die höchste Zeit ist, bter helfend einzugreifen. Im vierten Vierteljahr 1922 wurden geschlachtet (die ent sprechenden Zahlen für das vierte Vierteljahr 1921 sind in Klam mern beigefügt worden, um Vergleiche anstelle» zu können) im Regierungsbezirk Magdeburg: 2199 (1497) Pferde, 9132 (9171) Stück Großrindviel), 13177 (17 073) Jnngrinder und Käl ber, 49152 (65104) Schweine, 6736 (8073) Schafe, 1296 (3072) Ziegen und 296 (101) Hunde. Regierungsbezirk Merseburg: 25.39 (1729) Pferde, 8835 (8973) Stück Großrindvieh, 14 564 (15 106) Jnngrinder und Käl ber. 29 121 (40 398) SckNveine, 7534 (11 411) Schafe, 949 (2672) Ziegen und 85 (1) Hunde. Regierungsbezirk Erfurt: 763 (438 Pferde, 5150 (4644) Stück Großrindvieh, 7823 (8908) Jnngrinder und Kälber, 12 889 (19 217) Schweine, 8590 (10 679) Schafe, 528 (929 Ziegen und 96 (10) Hunde. Die Neuordnung der Krankenkassen Am I. April ist ein „Gesetz zur Erhaltung leistungSsähiger Krankenkassen" in Kraft getreten. Es bringt für die Mitglieder von Ersatzkassen eine Anzahl sehr wichtiger Neuerungen, deren Beachtung allen versicherungSpslichtigen Angestellten und ihren Arbeitgebern anS Herz zu legen ist. Wer in eine Ersatzkasse ein- tritt, die daS Recht hatte, Arbeitgeberbeitcäge einzuziehen, ist mit dem Tage der Aufnahme in die Ersatzkasse von der Mitglied schaft in der Pflichtlrankenkasse befreit. Die Mitgliedschaft in der Pflichtkrankenkasse hört kraft Gesetzes von selber ans. Eines Antrages dazu bedars eS nicht. Der Arbeitgeber hat seine Ange stellten lediglich abzumeldcn. Dazu ist er verpflichtet, wenn ihm der Angestellte nachweist, daß er Mitglied einer Ersatzkasse ist. Re. 51. Seite 1 Den Ausweis liefert die Ersatzkasse dem Angestellten. Kranke», s versicherungSpslichttge Angestellte, die ihre Stelle wechseln, legen dem Arbeitgeber bei Antritt der Beschäftigung eine Bescheinigung vor, daß sie Mitglied einer Ersatzkasse sind. Die Abmeldung bei der Pslichtkrankenkasse hat tn diesem Falle zu unterbleiben. Di» Vorschriften über Ruheanträge gelten nicht mehr. DaS Gesetz bestimmt weiter, daß der Arbeitgeber seinen BeitragSieil für Angestellte, die bei Ersatzkassen versichert sind, unmittelbar an seine versicherungspflichtigen Angestellten anSzu.zahlen hat. Der Beitcagsanteil ist mit der Lohn- oder Gehaltszahlung an den An- gestellte» abzuführen, und zwar tn Höhe desjenigen Betrages, den der Arbeitgeber zu entrichten hätte, wenn der Angestellte nicht in der Ersatzkasse, sondern in der für Ihn sonst zuständig-» Pflicht krankenkasse versichert sein würde. Diese Neuerungen bringen eine Ersparnis an VerwaltungSkosten: sie sind mit den übrigen Be stimmungen das Ergebnis einer Verständigung der Crsatzkranken- kassen mit dem Pslichtkrankenkasse». Am 4. April ist eine Verordnung des Reichsarbeitsministers in Kraft getreten, die die Versuche, rungSgrenze in der Krankenversicherung für Angestellte auf 4.9 Millionen Mark Jahresarbeitsverdienst festsetzt. Alle Angestell ten, deren Monatsgehalt, bas sie Ende März ausgczahlt erhielte», den Betrag von 400 000 Mark nicht übersteigt, sind wieder ver- sicherungSpflichtig. Die VersichcrnngSpfltcht bleibt auch dann be stehen, wen» die neue Versicherungsgrenze überschritten wird. Der Versicherte scheidet frühestens mit dem ersten Tage des vierte» Monats nach Ueberschreiien der Bersicherungsgrenze aus der Ver« sichernngspflicht aus. Angestellte, die hiernach wieder versiche- rnngspslichtig werde» und Mitglied einer Erlatzkasie sind, brau chen bei der Pflichtkrankenkasse nicht angenieldet zu werden, wenn sie ihrem Arbeitgeber Nachweisen, daß sie Mitglied?'- einer Ersatzkasse sind. Aus Thüringen Jena. (Für Reisende!) Im Sommerfahrplan solle» wie der die Eilzüge 127 (ab Saalfeld nachmittags 7.51, .Halle an 10.32 nachts) »nd 128 (Halle ab vormittags 6.20, Saalfeld an 919 vor mittags) gefahren werden. Neu vorgesehen ist ein Persoiienzng 873 Saalfeld—Naumburg—Leipzig (an 1.07 nachts). In der Gegenrichtnng wird der Personenzug 854 Leipzig—Naumburg lab Leivzig 7.t0 vormittags) unter der Nr. 874 bis Saalseld durch- geführt als Gegenzug zu dem neu vorgesehenen Personenzug 873. Oberlind. (In den Flammen umgekonimcn.) In der Weiß scheu Getreidemühle enistand nachts Feuer, dessen erfolgreiche Be kämpfung der OrtSseuerwehr bei dem herrscbeiideu Sturm un möglich inar. Große Getreidevorräte wurden vernicklet und die jetzt besonders wertvolle Maschine,mulage erstört. Allem An schein nach ist auch ei» Menschenleben zu beflogen. Ter 27jährige Sohn deS Besitzers, Ewald Weiß, hat nach Aussagen von Zeugen die brennende Mühle wiederholt betreten, ist aber nicht wieder znin Vorschein gekommen. Salzungen. (Ein Bild aus der moderne» Pädagogik.) Eine für die modernen Schulverhältnisse, wie sie vom Tlniringi-chen Volksbildungsininisterium angestrebt werden, bezeichnende Glo se bot hier die Aeußerung eines kleinen Mädchens, welches über seine» am Vormittag stattgehabte» Schulbesuch am Nachmittag berichtete: „Wir haben heute einen neue» Lehrer bekommen, der hat uns gesagt: „Ihr könnt nun machen, was ihr wollt." Ans dieser Aeiißeruiig eines Lehrers geht zur Genüge hervor, wel chen Zuständen wir mit unserem Schulwesen znsteuern. Natür lich hat die Aeußerung dieses „modernen" Pädagogen bei den Kindern große Genugtuung ausgelöst. Inwieweit jedoch die schulische Diszivli», die doch überall die Grundlage jeder Pädagogik bildet, zu ihrem Rechte kommt, steht auf einem andere» Btatle. Bezeichnend ist schließlich auch, daß diesem modernen Lehrer ein anderer Schulmann weichen mußte, der sich außerordentlicher Beliebtheit ersreute und bei dem die Kinder gut aufgehoben waren. Schlitz. (Bnlter- nnv Flrilchprcisc.) Der Krciedirettor bot bestimmt, daß für Butter im Landkreis Schleiz ein Richtpreis von 2500 Mark für das halbe Pfund ab Erzeuger festgesetzt wird. .Hierzu darf der Aufkäufer, der die Butler an die Verbrämt er ab- gibt, einen Zuschlag bis zu 10 Prozent und der Händler beim Verkauf im Laden eine» weiteren bis zu 5 Prozent nevincn. Für die Sladtgemcinde Schleiz sind für den Kleinhandel folgende Preise festgesetzt: je ein Pfund Rindfleisch mit Knochen 2800 Mark, Schwrlncslci'ch 3000 Mark; Butter ab Gehöst 4000 Mark, ab Händler 4600 Mark, Margarine 2700 Mark, Quark ab Ge höft 290 Mark, ab Händler 3l0 Mark, Milch ab Stall für das Liter 290 Mark, ab Händler 310 Mark, ein Ei 230 Mark. Zwischen Himmel und Erde Von Otto Ludwig (13. Fortsetzung) War es Zufall, daß sie in diesem Augenblicke nach ihres Mannes Cchreibpult blickte? Sie sah, er hatte den Schlüssel abz-nziehen vergessen. Sie erinnerte sich, er war nie so nach lässig gewesen. Sonst hatte sie keine Achtung darauf gchaft; jetzt erst fiel ihr auf, er war, wußte er sie zugegen, nicht auf Augenblicke aus dem Zimmer gegangen, ohne zu schließen und den Schlüssel abzuziehen. Im obersten Fache rechts lagen Apol- lüniuS' Briefe; ihr Blick war sonst der Stelle auSgcwichcn. Jetzt öffnete sie das Pult und zog daS Fach heraus. Ihre Hände stierten, ihre ganze Gestalt bebte. Nicht aus Furcht, ihr Mann önnte sie dabei überraschest. Sie mußte wissen, wie es stand zwischen ihr, ApolloniuS und ihrem Mann; sie hätte diesen ge fragt; sie hätte sich nicht selbst geholfen, konnte sie ihrem Manne trauen. Sie bebt vor Erwartung, was sie finden wird. Ob sie etwas- davon ahnt, waS sie finden wird? Es waren viele Briefe in dem Fach; alle lagen offen und entfaltet darin, und alle schienen nur Abdrücke eines einzigen zu sein, so sehr glichen sic sich: mir daß die Züge in den ersten weicher erschienen. Sie berührte die Briefe alle, eine» um den andern, che sie las. Mit jedem schlug neue glühende Röte über ihre Wan gen, als berührte sie ApolloniuS selbst, und sie zog ihre Hand unwillkürlich zurück. Jetzt fiel nnt einem Briefe eine klein: metallene Kapsel in den Kasten zurück die Kapsel fuhr auf, und heraus fiel eine kleine, dürre Blunre. Ein kleines, blaues Glöckchen. Solck eines, wie sie einst auf die Dank gelegt, damit er eS finden sollte. Sie erschrak. Jene hatte ApolloniuS ja noch denselben Abend mit Spott und Hohn unter seinen Kame raden auSgjcboten und gefragt, waS sie gäben, und dann unter dem Lache» aller dem Bruder feierlich zugeschlagen. Dieser brachte sie ihr und erzählte ihr eö während deö Tanzes-, und ApolloniuS sah zum Saalfenster hinein, höhend, wie der Bruder sagte Jener hatte sie zerpflückt; daS junge Volk tvar über die Trümmer hingctanzt. Die Blume in der Kapsel war eine andere. ES mußte in dem Briefe stehen, von wem sie war. oder wem ApolloniuS sie schickte. Und doch war cS dieselbe Blume. Sie kaS eS. Wie ward ihr, als sie laS, eS >var dieselbe! Träne nm Träne stürzte ans daS Papier und auö ihnen guoll ein rosiger Duft und verhüllte die engen Wände deS Stübchens. I» dem Duft regte sich ein Wehen, wie vom leisen Morgenwind im Len.z, wenn er die leich ten Nebel flatternd lmllt, und durch die Risse blauer Himmel lacht und goldnc Höhen. Und immer weiter wird der Blick, und wie der Schleier wogend tief und tiefer sinkt, steigen rauschende Wälder auf, grüne Wiesen mit ihrem Blumenschmelz, trauliche Gärten mit laubigen Schatten, Häuser mit glücklichen Menschen. O, eS war eine Welt von Glück, von Lachen und Weinen vor Glück, die aus den Tränen stieg, jede färbte sich regenbogen- glänzender, jede rief: sie tvar dein, und die letzte jammerte: und sie ist dir gestohlen-! Die Blume war von ihr er trug sie ans seiner Brust in Sehnsucht, Hoffen und Fürchten, bis die des Bruders war, deren er dabei gedachte. Dann warf er sie, die Botin deS Glückes, dem geschiedenen nach. Er war so brav, daß er für Sünde hielt, die arme Blume dem vorzuenthalten, der ihm die Geberin gestohlen. Und an solchen! Manne hätte sie hängen dürfen, mit allen Pulsen sich in ihn drängen, ihn mit tausend Armen der Sehnsucht umschlingen zum Nimmer- wiederfahrenlasfent Sie hätte eS gekonnt, gedurft, gesollt! cS wäre nicht Sünde gewesen, tat sie eS nicht. Und nun wäre eS Sünde, weil der sie und ihn betrogen, der sie nun quäkte, uni daS, waS er zur Sünde gemacht? Der sie zur Sünde zwang; denn er zwang sie, ihn zu hasse»; und auch das war Sünde, und durch seine Schuld. Der sie zwang — er zwang sie zu mehr, zu Gedanken, die mit Gott im Himmel hadern wollten, zu Gedanken, die aus der Liebe und dem Hasse, die Gott verbot, ein Recht machen wollten zu schrecklich klugen, ver- führcrisch flüsternden, wilden, heißen, verbrecherischen Gedanken. Und wies sie diese schaudernd von sich, dann sah sie die unab sichtliche Sünde unabwendbar droben. Mit entsetzlich süßem Bangen wnßie sie den Mann so nahe, der ihr fremd sein sollte, der ihr nicht fremd war, vor dem sie in der Angst ihrer Schwäche keine Rettung sah. Sie floh vor ihm, vor sich seilst, in die Kammer, wo ihre Kinder schliefen, wo ibre Mutter gestorben war. Dorthin, wo ihr so heilig wurde, hörte sie das leise Regen der unschuldig schlummernden Lcbcn, zu deren Hüterin sie Gott gesetzt; die ruhigen Hauche hinflüstcrn durch die stille dunkle Nacht. Jeder Hauch ein sorglos süß aufgelöstes Sichbefehlen an die unbekannte Macht, die das All in ihren Mnttcrarmen trägt. Sic giirg von Bett zu Bett, und lag knicend regungslos davor, und legte die Stirn an die scharfen Bettkanten. Vom Sankt Georgentiurme her klangen die Glocken, wie sie der Schritt der Zeit berührte und er hielt nicht an im Wan dern. ES schlug Viertel. Halb, Dreiviertel, Clanz und wieder Viertel und wieder Halb. DaS leise Wehen der schlummernden Kinderleelen zitterte um sie. Sie lag, die beißen Hände gefaltet, lange, lang. Da stieg cS empor aus dem leisen Weben, silbern wie ein Ostermorgcnglockenklang. WaS fürchtest, du dich vor ihm? Und sie sah all ihre Engel nm sich knieen, und er war einer von ihren Engeln, der schönste und der stärkste und der mildeste. Und sie durfte zu ihm mvsschcn wie man zu seinen Engeln aufsieht. Sie stand auf und ging in die Stube zurück. Die Briefe breitete sie auf dem Tische anS, dann ging sie zur Ruhe. Ihr Besitzer sollte wissen, wenn er heimkehrte und die Briefe fand, sie hatte sic gelesen. Nicht nm ibn zu erschrecken nicht als Anklage, wie sie amch von ihn: denken mochte. Er las- davon ab, WaS daö Bewußtsein seiner Schuld darauf schrieb: er laS aus seiner Beleidigung ihr Machcdrohcn und ihre Pläne, eS in das- Werk zu setzen. Er kannte ihre Wahrhaftigkeit; wäre er so rein gewesen, als sie, er hätte gewußt, sie hatte nur dem Triebe ihrer ehrlichen Natur genügt. Sie schied schwer von den Briefen: aber sie gehörten nicht ihr. Nur die Kapsel mit der dürren Blume nahm sie weg und wollte ihm am Morgen sagen, daß sie es getan. Fritz Nettenmair saß noch ganz allein im WeinhauS. Da» Hapht hing ibm müde auf di« Brust herab. Sr rechtfertigte vor sich seinen Haß und sein Tun. Der Bruder und sie wrreo falsch; der Bruder und sie waren schuld, nicht er, daß er hier vergeudete, was seinen Kindern gehörte. Wer ibm ihr Herz gestohlen, konnte für sie sorgen. Eben war es- ibm gelungen, sich zu überzeugen, als- daheim die Kammcrtür ging. Die Frau war wieder vom Bette aufgesianden und legte auch die Kapsel mit der Blume wieder zu dc» Briefen. ApolloniuS batte sie nicht behalten, sie durfte es. auch nicht. Der G-otte dachte noch nicht an daS Heimgehc», als- sie die Decke wieder über ibre rei nen Glieder breitete lieber dem Gedanken, so fort sollte Apol- loninS ihr Leitstern sei», und wenn sie handelte, wie er, blieb sie rein und bewahrt, schlief sie ein und lächelte im Schlummer wie ein sorglos- Kind. 9. DaS Leben in dein Hause mit den grünen Läden wurde immer schwüler. Die gegenseitige Entfremdung der Gatten nahm niit sedem Tage z». Fritz Nettenmair behandelt die Fra» ittinnr rücksichtsloser, wie seine Oeuerzcuzuug wuchs, durch Schonung sei nichts mehr zn gewinne». Diese lleberzeugung floß aus- der immer kälteren Rnbe (er Verachtung, die sie ibm entgegensetzte; er dachte nicht, daß cr selbst sie zm dieser Ver achtung zwang. ES war eine n>i.z!ückliche. immer steigende Wech- selwirlung. So wenig Npollon-uS mit dem Bruder und der Schwägerin zusammentraf. ihr Zerwürfnis mußte er bemerken. Es- machte ihn unglücklich, daß cr die Schuld davon trug. In welcher Weise cr sie trug, das ahnte er nicht. Währenv die Schwägerin mit liebender Verehrung an ihm hing nnd sich -und ihrem ganzen Hauswesen seine Pnvsiognomic anfprägte, grübelte er über den Grund ihres nnvenegbaren Widerwillens. Der Bruder tat nichts, diesen Irrtum > ltrichtigen; er bestätigte ihn viclniehr. Zuweilen, wenn cr -hn üverlegen bei sich verlachte, wenn Weinlaunc und geickpiicich.-ste C't-Ikeit ihre Wirkung taten. Der Stunden der Erschlaffung, der 'inzufriedenheit mit sich selbst waren freilich mehr. Dann zwang cr gch, Verstellung darin zu sehen, nm an dem Mitleid mit sich selber den Haß ei gen di- andern, in dem ihm wohl wer, zu schärfen. Apolloniuk- wußte wenig von der Lebensweise de» Bruders. Fritz Nettenmair verbarg sie ihm a»S dem unwillkürliche» Zwang, den ApolloniuS' tüchtiges Wewn ihm okmötigte, den er aber niemand, am wenigsten nch J-Iber ci»gestanden haben würde, find die Arbeiter wußten, daß ste ApolloniuS mit nichts kommen dursten. waS »ach Zuträgerei auSsah, am wenigsten, wenn es- seinen Bruder betraf, den cr gern von allen geachtet gesehen hätte, mehr als sich selbst. Aber er batte bemerkt. Fritz sah ihn als einen Eindringling in sein: Rechte an, der ihm Ge schäft nnd Tätigkeit verleidete. Apcllonnis fühllc sich von dem Tage seiner Rückkehr nicht wohl daheim er war seinen Liebsten hier eine Last; er dachte oft an Köln, wo er sich willkommen wußte. Bis jetzt hielt ihn die moralische Verpflichtung, die er in Rücksicht der Reparatur auf sich gcno,-men. Diese ging »nt raschen Schritten ihrer Vollendung entgegen. So durfte der Gedanke seine Verwirklichung socdwn, und er teilt: ihn dem Brude- mit. (Fortsetzung folgt.)
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