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Sächsische Volkszeitung : 08.04.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-04-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192304088
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19230408
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19230408
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-04
- Tag 1923-04-08
-
Monat
1923-04
-
Jahr
1923
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 08.04.1923
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Sonntag den 8. April 1S23 Sest»j»!«ßraft»»«»8 I-tre» Li« «euer Rrichsbanknmenrinl». — Ardeiterbizk»»«. Bonn, 7. April. D«S »rir-S-ericht i« von» vernrtetltr folgende Pokibramtr: Der Präsident der Oberooftdirettio» i» Koblenz Franz erhielt 8 Jahre Gefängnis na» » Millioe» Mark Geldstrafe, Trlegraphrndirektor Moseler («oblraz» 4 Jahr« GelängniS ubd 5 Millionen Mark Geldstrafe, Postmeister Gerte tFlammerfeldel 3 Jahre Gefängnis und 5 Millionen Mark Geld, strafe, Postamtmann Landmann (Tiegburg) 8 Jahre Gksänguis und 5 Millionen Mark Geldstrafe. Essen, 7. April. Ter Bürgermeister »er Stadt Esse«. Schäfer, wurde am 23. Februar von dem französischen Kriegs, gericht in Men zu zwei Jahren Gefängnis und fünf Millionen Mark Geldstrafe verurteilt «egen Niäitbcfolgung eines Nequisi- tionSbrfelilcS. Dieses Urteil ist auf die Revision des Angeklag ten durch das Revisionsgericht wegen eines Formfrb» lerS ausgehoben worden. Nun stand vor dem französischen Kriegsgericht in R cklinghausen dir neue Verhandlung an. Das Gericht erklärte den Bürgermeister Schäfer von neuem schuldig und erkannte mit vier gegen eine Stimme auf eine Strafe von 3 Jahren Gefängnis und K Millionen Mark Geldstrafe. Bier der Richter waren Offiziere dcS aus Buer hinlänglich berüchtig ten Alprnjägcr-Nkgimenttz. Berlin, 7. April. Rach sicheren Mitteilungen findet der Prozeß gegen dir Krnppdirektorrn bereits heute Sonn, abeud vor dem Kriegsgerichte in Bredeney statt. BiS fetzt ist der Betriebsrat von der BesatzungSbehörde zur Voruntersuchung überhaupt noch nicht hernngezogcn worden. Die Direktoren haben noch keine Verbindung mit ihren Rechtsanwälten gehabt. Gestern sind die Direktoren anS dem Zuchthaus Werden inS Amtsgericht Werden übrrgefiihrl worden, wo bequemere Räumlichkeiten sind. Aber niemand ist bisher mit ihnrn in Verbindung gewesen. Die Ucberktiirzung dcS Prozesses weist auf die Entschlossenheit der Franzosen hin, die Kruppschen Direktoren zu schweren Strafen zu »wnirtellen. — Vor dem Kriegsgericht ln Werden wurde gegen die seinerzeit in de» Bureauräumen der Deutschen VolkSpartci verhaftete» sieben Essener Herren verhandelt. Ter Schristfüh. rer der Partri Dreschen wurde zu drei Monisten Gefängnis und 100 RIO Mark Geldstrafe verurteilt. Die gleiche Strafe erhielt daS Borslaudömitglied Rinke, während der technische Angestellte Glonm, der sich zufällig im Hause befand, als dir Verhaftung der übrigen Herren vorgen em men wurde, zu 5 Jahren Gefäna- niS und 5 Millionen Mark Geldstrafe verurteilt wnrde. Ein Drogistrnlrhrling, bei dem man vorgibt, deutsche Flugblätter ge- funden zu hab n, wurde zu 2Jahren Gefängnis und 8 Millio nen Mark Geldstrafe verurteilt. Mülheim, 7. April. Am Freitag wurde daS GcschästSge» bäude der Druckerei Marks, die N e i ch 8 b a n k n o t e n her. stellt, von den Franzosen liesest. Dir Druckplatten und das Papier für die NeichSbanknoten wurde beschlagnahmt. Nach den bisherigen Feststellungen raubten die Franzosen zwei Milliarden, davon 1.8 Milliarden fertiges Papiergeld. — Im Hofen van DuiSbura beschlagnahmten die Franzosen drei Schleppkähne mit Kehlen, die für die Kruppsche Fabrik bestimmt waren. Die Be. schlagnabme erfolgte, weil die .Kohlensteuer nicht bezahlt war. Im weiteren WelaernngSfalle soll auch der Kruppsche Hafen von Mheinhausrn blockiert werden. — In Bochum erbeuteten die Franzosen bei der gestrigen Besetzung der Großbanken insgesamt 3 »st Millionen Mark. Drei Bankbeamte sind verhaftet worden. Bochum, 7. April. Die leitenden Stellen der Arbeiterschaft im Ruhrgebiet haben einmütig beschlossen, solche Knufleute, welche dem strikten Kaufverbo» an die Franzosen zuwiderhan- dein, durch ereignete Maßnahmen der Arbeiterorganisation-n zu bestrafen. Waren für solche Kauflrute werden von den Eisen- bohnern und TrnnSpnrtarbeitern nicht mehr befördert. Ferner werden solche Geschäfte von den Oraanisationen bobkottlert. — DaS energische Eintreten deS Betriebsrates der staatlichen Zeche BergmannSglück bei Buer gegen die versuche der Franzosen, die Zeche selbst zu besetzen, bat zu einem vollen Erfolge geführt. Heute morgen waren sämtliche Zech"n«ore von den Franzosen geräumt. Der Raum an den Abladestellen, wo sich die Fron nsen frei bewegen, ist mit Stnchcldraht umzogen. Die Belegschaft ist beute wieder eingefahrcn. Die ersten amerikanische» Kohlen ln Deutschland Hamburg, 7. April. Die ersten amerikanischen Kohlen sind am Donnerstag tu Hamburg eingctrofscn. Zwei norwegische Dampfer haben etwa 12 Nüst Tonnen gebracht. Weitere Sendun gen werde» folgen. Sine «mI« Kassel Ei» »weiter „Anspach" Kassel, 7. April. v»r de« Feiertage« wurde« hier mehrere Personen feftgruommen, wcil sie dem fran,-fischen Spionage, burea» in Düsseldorf Nachrichten über angebliche rechtsradikale Organ isatiaur« überbrachi haben fallen. Diese Nachrichten hat ein Njährigrr Kaufmann Bruening, der als Dr. Börner in WilhelmSHLbe bri Kastei wohnt, nach drm Muster dcS Fälschers Ansprach erdichtet. Das den Franzosen in die Hände gespielte Material war geeignet, den Eindruck zu erwecken, als ob gegen Frankreich gerüstet würde. Bei Bruening wurden etwa 4V der- schledrne Strmprl gefunden. Aus zahlreich ausgefundeucn Schriftstücken, die außerordentlich geschickt gefälscht sind, geht her vor, daß Brucming nicht nur Meldungen erfunden, sondern auch den von ihm erfundenen angeblichen Gehe imverbänden ge fährlich klingende Name» gab. Bruening war bis vor kurze!» Mitarbeiter der in Hannover erscheinenden deutschvölki- fchen Zeitschrift .Der Sturm", deren Geschäftsstelle in Kassel er leitete In dieser Stelle hatte er naturgemäß Zutritt zu zahlreichen rechtspolitiscbcu Kreisen. Neben der politischen be. trieb er auch militärische Spionage. Weiterhin wurden der 82jährige Hagem ann, der 81jährige Waßmuth aus Kas sel und der 31jährige Franz Wanderer auS Hannover-Min den verhaftet. Wer»Wlikijk i« siiitn Polnisch-tschkihischeS Bündnis. — Judenpogrome. — Polrntrrror in Oberschlrsirn. Warschau, 7. April. Nach den Osterbcratungen in Spala bei Lodz scheint die polnische Kabinettskrise in den letzten Tagen akut werden zu wollen. Unsicher ist zurzeit, ob ein WitoS. Korfanth-RechtSblock-Kabinett zustande kommt, oder ein S i t o r S k y - Kabinett mit scharfem rechtparteilichen Einschlag. Der sozialistische „Robotnik" tritt für die Fortdauer deS gegenwärtigen Kabinetts rin. Warschau, 7. April. Im Zusammenhangs mit der Anwesen, heit des General? Lerond in Warschau und dem bevor- stehenden Besuch Marschall Fachs verdient ein Artikel der «Gazetta WarSzawSka" Aufmerksamkeit, der die Notwendigkeit einer starken polnischen Front gegen Deutschland betont. Diese Front müsse durch ein polnisch-tschechischeö Bündnis gefestigt werden. — Bei den antijüdischen Ausschreitungen am Donnerstag wurde eine große Anzahl jüdischer Geschäfte demo. liert. Heber- 40 Straßenpassanten sind zum Teil schwer ver letzt worden. Königbbütte, 7. April. Die am Donnerstag abend im katho lischen BereinShause abgehaltene Versammlung deS Deutschen katholischen Jugcndbundes wurde durch 18 bewaffnete polnische Banditen gesprengt. Dies ist in der letzten Zeit der vierte Fall der Sprengung einer deutschen Versamm lung. Deutsche Straßen- und Firmenschilder in Königs hütte und Tarnowitz sind abgerissen und mit Teer be. sudelt worden. Eine Reihe von Schaufenstern deutscher Geschäfts, leute wurde eingeschlagcn. Die Polizei ist gegen die Täter, die einer polnischen deutschfeindlichen Organisation angehören, nicht eingeschritten. Rücktritt des schwedischen Kabinetts Stockholm, 7. April. DaS Kabinett Branting hat seine Demission eingereicht. Der König, der gegenwärtig in Nizza weilt, ist vom Rücktritt deS Kabinetts telegraphisch verständigt worden. Der Rücktritt deS Kabinetts Branting ist auf inner politische Faktoren zurückzufübrcn. Die sozialdemokra tische Presse bezeichnet einstimmig die Ablehnung deS AuS» sckmßantrages in der Frage der Arbeitslosenunter stützung alS Herausforderung. Von konservativer Seite be- grüßt man die Demission a!S eine Erleichterung. „Stockholms Daabladet" betont, daß der Sturz der Negierung durch den Miß griff, die Frage dcr Arbeitslosenunterstützung zu einer politi schen Machtfrane zu machen, crfolcst sei. DaS zurückgetreteue Kabinett Branting bestand a S. schließlich aus Sozialdemokraten. Es ist anzunchmen, daß sich an dieser Zusammensetzung auch bei der Neubildung nichts ändern wird. Zusommenschlutz der Gewerkschaften Zwi'chen dem Allgemeinen Deutschen Gewerk- schaftsbund, dem Allgemeinen A n g e st e l l t e n b u » d und dem Allgemeinen Deutschen Beamtenbund wurde am 27. März ein Organisation-vertrag unterzeichnet. Ter Ar. 4». Seiles Vertrag sieht ein Zusammenwirken der drei SplhenverbSnbe in allen gewerkschaftlichen, sozial- und wirtschastSpoliil chen Auge» legenhelten vor, die Iuterejsen der Arbeiter, Angestellten und Be- amten gemeinsam berühren. Für die Wirtschaftspolitik wird ganz allgemein der Grundsatz ausgestellt, daß die gemein- wirtschaftlichen Interessen stets den priva en Einzelintr e 'en vor- -anzustellen sind. Politisch verpflichtet der Vertrag die Spitzen- organisationen, jeder Verletzung der republikanischen Verlasun- im Reiche und in den Ländern mit allen zu Gebote stehenden Mih teln entgegeuzutreten. Ter Allgemeine Deutsche Beamtenbuno schließt sich mit dem Vertrag der Amsterdamer Gewerlsch.-stsinte» nationale an. * Um einen deutsch-spanischen Handelsvertrag. Die deutsch spanischen Wirtschaftsbeziehungen leiden darunter, daß der? Handelsvertrag noch immer nicht abgeschlossen worden ist. Seit vielen Monaten werden immer wieder neue Provisorien abge schlossen, und der endgültige Vertrag wird nicht getätigt, weil es bisher nicht möglich gewesen ist. zu einer Verständigung zu gelangen. Die für diese Zwecke als unbedingt nötig erachtete deutsche Handelskammer >n Madrid läßt immer noch auf sich warten. Wer die Verhältnisse in Spanien kennt, weiß, daß unsere deutsche Vertretung in Barcelona für einen Vertragsabschluß, der in Madrid getätigt wird, gar nicht in Frage kommt. Die Zentralisation geht in Spanien so weit, daß nicht nur Telegramme, sondern selbst die zum Beispiel in Vigo per Schiff ankommende und für Vigo bestimmte Post nicht dort bleibt, sondern erst nach Madrid weiter geht und dort zur Ver teilung gelangt. Deshalb muß sich die deutsche Han- delSkammer gerade in Madrid fest setzen. Da» letzte Provisorium soll Mitte April ablausen. Im Interesse der deutschen Exportindustrie muß darauf gesehen werden, daß bei der endaültigen Regelung auch die Valntazuschläge fallen gelas sen werden. Letzte Telegramme . / ' "'i Wieder drei Milliarden Mark beschssaqnahmt Darmstadt, 7. April. (Drahtbericht.) Aus der Rhein« brücke wurden gestern anS allen von Mannheim kommenden Kraftwagen drei Milliarden NeichSbankgcldcr von den Franzose« beschlagnahmt. Die Reise des Reichsernährunstsministers Darmstadt, 7. April. (Drahtbericht.) NeichSernäh« rungSminister Dr. Luther ist gestern von Karlsruhe in Darm, stadt ringetroffen und am Bahnhof von dem Minister für Wirt schaft und Arbeit Naabe empfangen worden. Am Sonnabend finden in verschiedenen Minsterirn Konferenzen namentlich übeij ErnährnngSfragen statt. Loucheur ist zufrieden Paris, 7. April. sD ra ht ber i ch t.) Einer Meldung de? „Ehicago Tribüne" zufolge bat Lonckienr vor seiner Abreise von London geäußert; daß er immerhin mit feiner Reise zufrieden sei. Wenn England auch nicht mit Frankreich, gehe» so sei eS deS« wegen auch nicht gegen Frankreich. Die Amerikareise Dr. Faulhabers Hamburg, 7. April. (Drahtbericht.) Die Abrrik« deS Kardinals Erzbischofs von Müncheu-Freising Dr. Michael Faulbober nach Amerika erfolgte am Donnerstag auf dem Dampfer „Bahern" drr Hambnrg-Amerika-Linie. VarlainentsauflösunE in Spanien Madrid. 7. April. (Drahtbericbt). Der König hat gestern beim Ausgang der Ministersitzuug die von den Ministern abgegebene Erklärung ge'e'en und ein Dekret un'eneichnet, durch das die Auflösung des Parlaments beschlossen wird. Die Neu wahlen wurden auf den 29. April festgesetzt. Das neue Parla ment soll am 20. Mai zusammeutreten. Bei verschlossenen Türen Paris. 7. April. (Drahtbericht). In Abwesenheit der deutschen Delegierten hat die Kommission für Rheinjchtssabrt ihre Arbeitern gestern früh sortge'etzt. Wie immer wurde die Sitzung bei geschlossenen Türen abgehalten. ES wurde über ihren Ver lauf kein osstzieller Bericht gegeben, lieber die beschlossenen Maß nahmen ist man daher vollkommen im unklaren. ist unükertrolken rum Reinizen empfindlicher Oevveke, wie V/olls und Zeide, ereilt ckle Ltokkv nickt an Vek'ksufskonioi' Mmier tz 60. s^Sl'lispl'. 2606 Zwischen Himmel und Erde Von Otto Ludwig (8. Fortsetzung.) Im Gärtchen kann der alte Valentin einem ebenso allen Herrn im blauen Rock nichts recht machen. Er ist zu aufgeregt und sicht viel durch den Zaun- nach der Straße, darüber tut er bald zu wenig, bald zu viel; und der alte Herr schilt manch- mal. scheint cS auch nur, um seine eigene Bewegung zu der- bergen. Die Hände zittern merklich, mit denen er untersucht, ob die BiichSkxnimeinfassung der kleinen Beete auch so eigen sinnig gleichmäßig geschoren ist. wie er sie geschoren haben würde, besäße er noch daS scharfe Auge von ehedem. Der alte Valen tin müßte eine Träne von den hohlen Backen wischen, wie es so oft geschieht, über die Hilflosigkeit des alten Herrn und tausend Vergleiche zwischen sonst und jetzt, die ihm der An. blick derselben herbeiruft: aber seine Bugen und seine Ge danken sind auf der Straße vor dem Zaun. Hinten am Ende des Ganges neben der Tür deS Schup pens sitzt auf einem Haufen Sekieferplatten ein ungemütlicher Gesell in Hemdärmeln. Der Ausdruck seines Gesichtes wechselt ohne sichtbaren äußeren Anlaß zwischen widerwärtiger Zutun- lichleit »nd tückischem Trotz. Er kramt, scheint cS. unter sein-n Gesichtern, wie ein Mädchen in ihrem Schmuck. Er hält beide bereit, um das rechte gleich bei der Hand zu haben. Er weiß noch nicht, welches er brauchen wird. Vor» durch den Spalt der wenig geöffneten HauLlüre lauscht das Dienstmädchen. Aber keine ihrer Bekannten geht vorbei. Bald wird sie auf einen Vorwand sinnen, die erste bcste twrüberwandclnde Gestalt anzubalatcn, nur um wie qe- legentllch aiizubringen, daS Hau? erwarte heute seinen jün geren Cohn aus der Fremde zurück. Einstweilen sagte sie eS dem alten Hunde, der, bemüht, die verschiedenen Gruppen durch sein Ab- und Zugeben in Verbindung zu erhallen, eben bei ihr angekommcn ist. Und sogleich wendet er sich nach dem Hofe zurück wie um weiter zu sagen waS er vernommen. Dcr alle Hund ist von der Unruhe der Menschen angesteckt. Ist doch jetzt die Stunde die er an andern Tagen vor seiner Hütte schla fend verbringt. D>e alte Gewohnheit scheint ihn zu mahnen, als er an seiner Hütte Vvrbeilaufen will. Er legt sich daneben, aber er schließt die Augen nicht; er scheint in tiefe Gedanken versunken. Denkt er sich die weite Erde mit ihren Bergen und Tälern und Flüssen, mit ihren Siädten und Dörfern? Und von Ort zu Ort Straßen und auf jeder Straße Wanderer, foriziehende und beim kehrende? Wer ein scharfes Auge hätte, die Herzensfäden olle zu sehen, die sich spinnen die Straßen entlang über Hügel uno Tal, dunkle und Helle, je nachdem Hoffnung oder Entsagung auf der Spule saß, ein traumhaftes Gewebe! Manch« reißen, Helle dunkeln, dunkle werden hell; manche bleiben auSgespannr. so lang die Herzen leben, auS denen sie gesponnen sind; manche ziehen mit unentrinnbarer Gewalt zurück. Dann eilt deS Wan derers Seele vor ihm her und pocht schon an dcS Vaterhauses Tür und liegt an warmen Herzen, an Wangen, von Freuden tränen feucbt, in Armen, die ihn drücken und umfangen und ihn nicht lassen wollen, während sein Fuß noch weit davon auf frenidem Boden schreitet. Und steht er auf der Flur deS Vaterhauses, wie anders dann, wie anders oft ist sein Empfang als er geträumt! In einer Minute sagte er zweimal: sie sind es, uxd zweimal: sie sind eS nicht. Dann sucht er die altb§- kannten lieben Stellen, die Häuser, den Fluß, die Berge, di daS Heimattal »mgürten; die müssen doch die alten geblieben sein. Aber auch sie sind anders geworden. Oft sind eS die Dinge, die Menschen, oft nur das Auge, waS sie wiedersieht. Die Zeit malt anders, als die Erinnerung. Die Erinnerung glättet die allen Falten, die Zeit malt neue dazu. Und die, mit denen er in der Erinnerung immer zusammen war, in der Wirklichkeit muß er sich erst wioder an sie gewöhnen. Ob ApolloninS das dachte, als er immer etwas vergeben» erwartete und nicht wußte, daß eS derBruder war, der ihm entgegenkommen sollte? Ob der Bruder fühlte, ApvlloniuS müsse nach ihm auSsehen, als er so schnell von seinem Stuhle ausstand? Er hatte schon die Türklinke in der Hand. Er ließ sie fahren. Fiel ihm ein, er könne ihn verfehlen, und blieb, wcil er Frau und Bruder die Peinlichkeit des Augenblicks er. sparen wollte, in dem sie einander allein gegenüberstehen müß ten? Sie mit dem Widerwillen und er mit dem Bewußtsein jenes Widerwillens. Jetzt stieg die alte Gestalt deS Ge- schiedenen vor dem Bruder auf und e? war, als chefreite sie ihn von schweren Sorgen. ES war die Wendung, mit der er sich sonst von dem Gegenwärtigen abwandte, und dabei aussah, als sagte er zu sich: „Der Träumer!" Und eine rasche Bewegung machte, wie um recht zu fühlen, welch' ein anderer er sei, wie besser er sich auf daS Leben verstehe und auf die Art, »die lange Haare bat und Schürzen trägt". Er musterte mit einem beruhigten Bl'ck in dem Spiegel seine gedrungene Gestalt, sei» volles rotes Gesicht, daS tiefer in den Schultern stak, als er meinte. wenmstenS. nicht tiefer, als er für schöner hielt; er steckte die Hände in die Beinkleidertaschen und klapperte mit dem Gelde darin. Er besann sich, schon dem Gesellen am Schuppen gesagt zu haben: „CS bleibt beim alten in der Arbeit. Du nimmst von niemand Befehle, als von mir. Ich bin Herr hier " Und der hatte so eigen zweideutig gelacht, als sagte er ein lautes Ja zu dem Redenden, und zu sich: .ich laß dich so reden, weil ich eS bin." Fritz Nettenmair dachte: „lange wird er nicht bleiben; dafür will ich schon tun". Uns über die Bewegung, die wiederum sagte: „ich bin ein Kerl, der da» Leben versteht," fiel ihm du: Ball ein, an dem er das heut« Abend noch viel genugtuenber empfinden wird, weil er eS ,n aller Augen lesen kann, wa» er ist, und kein anderer so, außer ihm. Seine junge Frau scheint ähnliches zu denken. Auch sie sieht in den Spiegel; ihre Blicke begegnen sich darin. Die Ehe soll die Gatten sich ähnlich machen Hier traf die Bemerkung. DaS Zusammenleben hatte hier zwei Gesichter sich ähnlich ge macht, die unter andern Umständen sich vulleicht eben jo un ähnlich sehen würden. Und eS hatte eigentlich nicht beide ein ander ähnlich gemacht, sondern nur eins davon dem andern. Die übereinstimmenden Züge, das konnte ein scharfes Angi sehen, waren nur ihm eigen; er hatte nur gegeben, aber nicht empfangen. Und doch wäre eö umgekehrt bester gewesen für beide, wenn er eS auch nicht eingestehen würde und sie es nicht fühlte, wenigstens in diesem Augenblicke nicht. Vielleicht auch morgen und übermorgen noch nicht. Wieviel Zeit mag nötig sein, wieviel Schmerzen wird sie zu Hilfe nehmen müssen von einem ursprünglich so schönen Menschenbilde abzuweichen, womit die Gewohnheit von Jahren es beschmutzt! Die Tür flog auf, daS hochgerötete Antlitz deS Dienst mädchens erschien in ihr. »Er kommt" Wer in der Straßr zufällig am Fenster steht, schaut mit Wohlgefallen auf dir ftische, schlanke, männliche Gestalt herab, die daher kommt, den Tornister auf dem Rücken, den Stock unter dem Arm. Denn er hat keine Hand frei. An der rechten führt er ein Mädchen, zwei kleinere Knaben halten sich zugleich an seiner linken fest; ein Umstand, der das Fortkommen nicht erleichtert. Die Nach- barn, die wußten, wer erwartet wurde, füllen Fenster und! Türen. Er hat nun nicht bloß den unermüdlich auf ihn cin- rcdenden Kindern, er hat auch andern zu antworten. Den Alten mutz er auf Grüße und Scherze erwidern. Schulkamera den zuwinken, vor errötenden Mädchengesichtern sich verneigen. Den Hut kann er nicht abzichen; die Kinder geben seine Hände nicht frei. Aber die Grüßenden verlangen eS auch nicht; sie sehen, wie unmöglich eS ihm ist. Und wo er vorübergegauacn, da sagt ein Winken hinter ihm her; „er ist noch der alte, hübsche, bescheidene Junge," und ein gehobener Finger setzt hinzu: „aber er ist kein Junge mehr; er ist ein Mann geworden, und wat für einer!" Ist daS Fenster geschlossen, wird alles zu seinem
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