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Nr. 4S — LO. Jahrgang kVretraft den L4. Februar IV1L SlichslschkUolksreilmg rrschetvt »glich »ach«, mit Ausnahme der Tonn- und Festtage. Deutschland' »ab« t mit .Die gelt «n Wort und Bild- viertelstthrltch 1,1« Ft. In Dresden durch Boten »4« Ft. In ganz Seutschland stet HauS LS» Ft; In Oesterreich 4,4» L » ohne illustrierte Beilage viertelsührltch 1,8« Fl. -»den durch Boten L,1« Fl. In gan» Deutschland stet r.rvr F»: in Oesterreich 4,«7 L - Linzel-Rr. I« z. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit Inserat» werden die »gespaltene Vetitzeile oder deren Raum mtt 18 F, Reklame» mit kt» 4 die Zeile berechnet, bet Wiederholungen entsprechende» Rabatt. Buivdriiikeret, »tedaktton nnd «ieschitft-ftellri Dresden, Ptllnttzer Strafte 4». — Fernsprecher I»«« FürRitikgabe unverlangt. SchrtststUcke »eine Perbtndltchkett RedaklionS.Sprechllunoe: I I btS I» Uhr. Kakkee - Oenult ist teuer, wertlos, gesunätieitsschLäigencl. 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Hat der Kaiser den Marine staatssekretär in diesem Jahre zum Großadmiral erna, «t, so steht die Marinedebatte als das ehrende Zeugnis ?er deutschen Volksvertretung ebenbürtig daneben. Es soll nun allerdings nach der Ansicht linksstehender Politiker ein ungeheuerliches Verbrechen sein, wenn ein Abgeordneter einem Minister die Anerkennung ausspricht, daß er sein Ressort gut verwaltete und daß er mit den be willigten Millionen etwas Ordentliches geleistet hat. Für solche Männer scheint sich die einzige Tätigkeit des Parla mentes in der Kritik zu erschöpfen. Gewiß, Kritik muß da sein, denn auch auf der besten Maschine setzt sich immer et- lvas Staub ab; aber die Kritik kann und darf nicht Lebens zweck sein. Namentlich dann, wenn die Kritik ihren Zweck der Besserung und des Fortschrittes erreicht hat, muß auch der Abgeordnete dies anerkennen, nur dann kommt man voran. ES erscheint als ein Zeichen politischer Unreife und spießbürgerlicher Kleinlichkeit, wenn man es Parlamen tariern verübeln will, daß sie Fortschritte offen anerkennen. Wenn aber ein Rückblick über das Flottengesetz und der Vergleich mit anderen Marinen zeigt, daß wir vorangekom men sind und daß gut gewirtschaftet worden ist. so bedeutet die Feststellung dieser Tatsache nicht nur eine Anerkennung für den Staatssekretär, sondern auch eine Unterstreichung der Mitarbeit des Reichstages, der die Gesetze annahm und die Gelder bewilligte. Wenn der Reichstag so dem Volke zeigen kann, daß die durch ihn erfolgte Annahme der Flot tengesehe eine ausgezeichnete Tat gewesen ist so hat er denselben Vorteil hiervon wie der Staatssekretär, unter dessen geschickter und energiscl^r Hand sich der Ausbau der Flotte vollzogen hat. Und an diesem Zielpunkte steht heute das Reich und seine Seemacht, die sich in 18 Jahren hob und stetig ver besserte. Die Zeiten der Neubauten sind nach dem Flotten gesetze vorüber. Ein weitschauender Plan konnte konsequent durchgeführt werden: die sonst in der Politik unvermeid lichen Konzessionen an die Tagesmeinungen bl'eben dem Reiche erspart. Heute hat es die moderne Schlachtflotte. deren es zu seinem Schutze bedarf. Mil jedem Jahre ver bessert sich der Gefechtswert der Flotte. Das Flotteugesetz stand keinem schiffsbautcchnischen Fortschritt hindernd im Wege, Wohl aber hat es dafür gesorgt, daß das große Linien schiff als Rückgrat der Flotte erhalten blieb. Was würde Frankreich geben, wenn cs dieselben Wege im letzten Jahr zehnte zurllckgelegt hätte? Heute hat unsere Flotte eine solche Abwehrkraft, daß das Risiko für jeden Gegner zu groß wird. Der Ausbau Helgolands, die Vervollkomm nung der Torpedoboote und die neue Unterseebootsflottillc geben dem deutschen Volke die erhöhte Garantie des sicheren Friedens zur See. Der Friede in Ehren wird von Deutschland gehalten. Kein ruhiger Deutscher denkt an einen Angriff: aber an ein Ansgeben des Flottengesetzes ist auch nicht zu denken: es stellt die Decke dar, die Deutschland für seinen Schutz braucht und diese läßt es sich nicht kürzen, es sei denn, an dere Nationen gehen mit dem Beispiele voran. Nicht Deutschland ging zuerst zum Typ der Dreadnoughts über, nicht Deutschland forcierte den Ban der Unterseeboote, son dern es waren dies Staaten, deren Vertreter sich in Ab rüstungsvorschlägen entwickelten, damit man die Rüstung des eigenen Landes nicht so deutlich sehen sollte. Die eng lische Abrüstungsidee verfolgte bisher nur das eine Ziel: „Ich bin groß und du bist klein, und so soll es sein nnd bleiben!" Auf diese politische Selbsterniedrigung konnte sich eine Nation von 65 Millionen Köpfen nicht einlassen. Wenn die deutsche Flotte völlig ausgebaut ist, dann kann man über die Frage spreche», daß England nicht wieder um alle Nationen zu erhöhten Ausgaben treibt. Es muß mit aller Entschiedenheit gesagt werden, daß das Jnselreich dann am lautesten nach Abrüstung rief, als es den Tonnen gehalt der Schiffe ungeheuer emporschnellen ließ: ein ganz schlauer Gedanke, denn der Zwei-Mächte-Standpunkt, das Abc des englischen Flottenbundes, erschien ihm im Ueber- gangsstadium gefährdet und da suchte man nach Dummen ans dem Kontinent, die sich bereit finden ließen, England einen Vorsprung einzuräumen. Wenn unsere Schiffs baukunst wieder einmal eine grundstürzende Aenderung vollzieht, wird man von England aus die Abrüstungsidee noch mehr poussieren. Das deutsche Flottengesetz aber hat dafür gesorgt, daß unsere Nation nicht nur ein „Volk der Dichter und Denker" ist, sondern zur Stärkung seiner Exi stenz tatkräftig sich einsetzt. Dieser Grundgedanke be herrschte die gesamten Marinedebatten und daher kam es auch, daß die Erzählungen über „Wasserlöcher", versenktes Gerümpel usw. mit Gleichmut entgegengenommen wurden, nachdem man aus dem Verjähre gelernt hatte, den Wert solcher Angaben zutreffend einzuschätzen. M. Erzberger, M. d. R. Vollkschp Rundschau. TreSden, den 2^. »ekr a- 1011. — Der Reichstag, genehmigte am Mittwoch in zweiter Beratung den Justizetat ^ie Debatte brachte nichts Neues Der Prozeß Becker und die Vorgänge in Moabit nahmen einen breiten Raum ei». Bei der Behandlung des letzteren Themas holte sich der Sozialdemokrat Ledebour zwei Ord- nungsrufe. Werner (Antis.) forderte größeren Schutz der Redakteure und der Pole Sayda sprach über die Verhältnisse in den. Ostmarken. — Donnerstag: Militärvorlage. — Das preußische Herrenhaus befaßte sich am Mitt woch mit der Beratung des Entwurfes betreffend Abände rung der Gemeindeordnung für die Nheinprovinz. — Nächste Sitzung Donnerstag. — Im preußischen Abgeordnetenhaus» bildeten anl Mittwoch die Gleichstellung der preußischen Eisenbahn assistenten mit denen des Neicl>es im Gehalte und eine wei tere Fürsorge für die Eisenbahnarbeiter den Kernpunkt der Debatten. Sämtliche Redner traten für die erstere Forde rung ein und Minister v. Breitenbach stellte eine wohl wollende Prüfung der Wünsche in Aussicht. — I» der Budgrtkommissio» wurde über den Antrag der Nationalliberale» auf Streichung von zwei Armee-In spektionen. vier Gouverneuren und fünf Kommandanten, ergänzt durch de» Antrag der Volkspartci auf Streichung auch einer sechsten Konimandantur, der in Glogau, verhan delt. Die Nationalliberalen zogen de» Antrag zurück, Nunmehr wurde der Antrag von der fortschrittlichen Volks- Partei und den Sozialdemokraten ausgenommen. Die Ab stimmung ergab die Beibehaltung sämtlicher Stellen, Gegen die beiden Armee-Inspektionen stimmten nur dis Sozialdemokraten, gegen die anderen Stellen auch die Volks- parwi. Am Donnerstag findet die Verhandlung über das Tempelhoser Feld statt. — I» der Schifsahrtsabgabcnkommission sprach ein sächsischer Abgeordneter gegen die Schiffahrtsabgaben. Er hält sie für durchaus verfehlt. Ob eine Verfassungsände rung notwendig sei, wolle er ganz dahingestellt sein lassen, es komme auf die Mehrheit des Reichstages an. Aber das Vorgehen Preußens müsse Mißtrauen erwecken. Der Red ner bemerkte, er habe gehört, daß nun auch die Reichsregie rung eine Verfassungsändernng für notwendig halte. Er erhebt grundsätzlichen Widerspruch gegen die Einrichtung von Strombauverbändeu. die er auch gar nicht für nötig hält. Es sei unmöglich, das Gesetz für verschiedene Strom gebiete zu verschiedenen Zeiten einzuführen. Er äußert! die Befürchtung, daß, wenn das Gesetz fertig sei. für die Zustimmung Oesterreichs ein zu hoher Kaufpreis gezahlt werden müsse, daß dann daS Deutsche Reich werde bluten müssen. Der Redner richtet an die Negierung die Anfrage, ob die Festsetzung der Tarifsätze in die Hände der einzel- staatlichen Regierungen gelegt werden solle. Der Regie rungsvertreter behauptet, daß die Tarifhoheit den Einzel- staaten zustehe. Das sei allerdings bei den Eisenbahnen der Fall, beweise aber für die Streme nichts, d'.e staatliche Gren zen nicht kennen. Die Tarifhoheitsfrage sei sehr wichtig; wenn sie den Einzelstaaten zusiehe. so könne Preußen zunl Beispiel auf seinen Stromstrccken beliebig Abgaben erhebet. Gerde einmal der Artikel 5^ der Reiclisversassung durch brochen, so gebe et. allerlei Mittel, SchüßstnSabgaben ein zuführen. Die Nachprüfung dcr Denk'hrift ergebe, daß deren Unterlage«! in dies'/ Beziehung u.,zutreffend, die An gaben also falsch seien. Auch sonst widerspricht der Redner den Angaben des von d u Regierung vorge'egten Materials. Er empfiehlt Anträge, d:e die Namen der sächsischen natio nalliberalen Aba-'ordnet-il Tr. Junck u> ^ Dr. Heinze tra gen. Danach .ollen nur kür sichtbare An'aaen Abgaben er hoben werden: wnst könnten auch alle Verwaltungskosten in Anrechnung ^mmcn und da sei ein M ßtrauen sehr be rechtigt. Der Rcdner svricli sich in dießr Beziehung sehr scharf gegen die Vorlage aus Der Deg -ist der Gebühr werde verlassen, wenn mrch diese auch Verwaltungskoster, i i Religion und Charakterbildung. Dr«»den, den 2g. Februar ISll Der Kursus, welchen Professor Dr. F. W. Foerster (Zürich) über Grundfragen der Charakter- bildung in fünf Vorträgen im Vereinshause behandelte, fand am Dienstagabend seinen Abschluß. In dem ersten Vortrag: „Was ist Charakter, und wie wird Charakter ge bildet?" hatte er auf den Wert der Jnnenkultur aufmerk sam gemacht und moderne Charakterlosigkeit als Außen- kultur gekennzeichnet, ging sodann auf die zwei Grund bedingungen wirksamer Erziehung über, welche als höchstes Ziel die Seelenbildung hat. Er besprach das Ideal der Kraft und das Ideal der Liebe, bekämpfte den einseitigen Kultus des Willens im Amerikanismus und in der Philo- sophie Nietsches und suchte die Vereinigung des männlichen und des weiblichen Seelenelementes im Christentum nach zuweisen. Der zweite Vortrag beschäftigte sich mit: „Willens bildung und soziale Erziehung." Nachdem er die funda mentale Bedeutung der Willensbildung für normale und abnorme Kinder klargelegt, besprach er den Zwiespalt im menschlichen Willen, die religiöse Inspiration des Willens, die praktische Methodik der Willensübung und die Er ziehung deS Willens durch die Erziehung zur Liebe. Der dritte Vortrag beschäftigte sich mit einigen prak tischen Erziehungsfragen in Schule u. Haus, so mit Autori tät und Freiheit in der Erziehung, Tierdressur und Men schenbildung. die pädagogische Behandlung der Lüge, Sexualpädagogik, Coedukation und ästhetische Elementar bildung. Die Selbsterziehung des Erziehers forderte Redner als Grundbedingung eines Erfolges. Jni vierten Vortrag erörterte der Gelehrte das Pro blem der verwahrlosten und verbrecherischen Jugend. Er behandelte verschiedene Anregungen auf dem Gebiete der Jugendfürsorge und wies die Unhaltbarkeit der Parole: „Erziehung statt Strafe" nach. Tie Strafe soll pädagogisch verfeinert, aber nicht abgeschafft werden. Sodann kam er auf die Eliminierung des Schuldbegriffes in der neueren Kriminalistik zu sprechen und zeigte die Aufgaben und Probleme für Jugendgerichte und Jugendpfleger. Der fünfte und letzte Vortrag am Dienstag beschäftigte sich mit dem Thema: „Religion und Charakter bildung." Dieser setzte den ganzen vorhergegangenen Vorträgen gleichsam die Krone auf, indem er die Konse- auenzen zog und die notwendige Verbindung zwischen Reli gion und Charakterbildung darlegte. Ich will nicht, be gann Redner seinen Vortrag, neue Wahrheiten bringen, sondern nur die alten Wahrheiten von neuen Erfahrungen und Beobachtungen aus beleuchten, die alten Wahrheiten, die die gotischen Dome gebaut haben, die Millionen im Innern bekannt haben, die eiserne Charaktere gebildet und den Menschen Kraft verliehen haben, das Leben zu ertragen und im Verborgenen treu zu sein. Nun sagen die modernen Menschen, wir wollen keine alten Wahrheiten, wir wollen neue Wahrheiten. Das aber gerade ist das große an den alten Wahrheiten, daß sie zugleich alt und ewig jung und cwig neu sind. Gerade je tiefer der Mensch mit dem wirk lichen Leben in Berührung tritt, desto beredter und leben- diger werden die alten Wahrheiten, während die neuen Wahrheiten, die vorher so beredt waren, gerade dann nichts mehr zu sagen wissen, wenn der Mensch den wirklichen Lebensmächten Angesicht zu Angesicht gegenübersteht. Ge rade der moderne Mensch hat heute die alten Wahrheiten nötiger als je, die Wahrheiten, die aus der Stille, auS den R) Tagen der Einsamkeit in der Wüste kommen, während die modernen aus der Unruhe kommen und darum auch! niemals Ruhe geben können. Ich habe in meinen Vorträgen häufig Nietsche zu Worte kommen lassen nicht etwa aus Vorwurf zunl Ideal, sondern gerade als Typus des modernen Menschen, als Märtyrer des modernen Standpunktes, der das, was eigentlich moderne Position heißt, bis in die letzten Konse quenzen durchgedacht und durchgelitten hat und der daher auch das ganze oft verborgene Elend des Menschen kennt. Viele betrachten Nietsche für einen Meteor, der aus einer fremden Welt in unsere Atmosphäre dringt, dort zerplatzt und nun in unfruchtbaren Steinbruchstücken auf unsere Uecker niederfällt. Ich erblicke in Nietsche nicht einen solchen Fremdkörper: er ist ein Teil von unS allen. Sein ge waltiger Einfluß ist nur so zu erkläre», daß in ihm der moderne Mensch blitzartig zum vollen Bewußtsein seiner Lage kommt und nun mit einer Mischung von Frechheit und wilder Verzweiflung seine ganze Zerfahrenheit hinauS- schreit: „Ich bin alles, was nicht aus noch ein weiß." Ge rade indem Nietsche die Modernen zwingt, sich zu allem zu bekennen, was sie sind, nachher von allem Abschied zui nehmen, was ihnen nicht mehr angehört, was noch unbewußt christliche Erbschaft ist, hilft er die Situation klären und die moderne Position durch ihre eigenen Konseauengen ack abmirclnm führen. Viele Menschen glauben heute, ohne Christentum leben zu können, weil sie unbewußt noch von seiner Kraft gespeist nnd gehalten werden, weil die ganze Oede des Antichristen- tums ihnen noch nicht zum vollen Bewußtsein gekommen ist. Noch vor zehn Jahren hörte nian den Triumphgesang der Diesseitsphilosophie. Heute kündet sich bereits die Ent täuschung an: denn es gab Steine statt Brot. Man beging )