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Rr. 1LV. Donnerstag, den S. Juni 1V04. b. Jahrgang. Sächsische KolksMung LUchkint »Sgltch »«ch». mit «uSicahme der S,nn. und Frltlag». ,,, jj UnabdSngigez cageblaitkür lllMbeit.IKcdtii.fleibeit. Inserate werden die 6qelpnllene Peliljcile oder deren Raum m lS Pf. bereidner, bet Wikderko!»n>r dedculendcr Rabatt Uiichdrurkerct. Redaktion und «cschästsftelle; Tre-dea, PiUnlqer Lrratze 41 — j>er»lpre»er vcmi I Rr U-N. Die „Maifestkalamität". Eins ums andere von den sozialdemokratischen Idealen wandert auf den strotzen politischen Kehrichthaufen, ja es wird von Genossen selbst auf diesen geworfen, und die so zialdemokratischen Arbeiter finden kaum genügend Zeit, um all die friiher so prangenden Gewänder auszuziehen. Wie viele herrliche Festwesten hatte nicht anfangs die Sozial demokratie; wie der Verwaudlungskünstler aus der Bühne konnte sie eine um die andere ablegeu und immer bleibt noch eine andere bunte Weste da. Jetzt aber soll eines der wichtigsten Festgewänder auch in die Rumpelkammer wandern: Tie rote Maifeier. Sie findet allerdings in derselben schon sehr viele Bekannte! Da liegt in der Ecke das „eherne Lohngesetz", ein stens von Lassalle erdichtet und bis 1890 im Programm wcitergesührt, obwohl die führenden Genossen schon 15 Jahre früher sich sagten: es gibt ein ehernes Lohngesetz gar- nicht, aber es war in der Agitation so wunderhübsch zu ge brauchen. Tann die „V e r e I e n d u »» g s t h e o r i e", die dem schuftenden Arbeiter das Nutzlose des VorwärtsstrebenS vor Augen halten sollte; aber der Arbeiter merkte bald am eigenen Leib, das; seine Verhältnisse sich besserten und das; seine sozialdemokratischen Führer, in ihren Villen nicht „ver elendeten". Daneben sitzt die „Konzentrations theo r i e", die für das große Gebiet der Landwirtschaft nicht stimmt und die Genosse Tr. David mit seiner Schleu der vollends für die eignen Leute zu locken strebte! Tie „K r i s e n t h c o r i e" ist schon verschimmelt neben den andern abgetanen Sachen. Und gar die mächtige Trompete des BrotwucherS? Sie hat ein großes Loch erhalten; Ge nosse Schippe! hat eS ihr geschlagen, nnd so wird sie von den andern Sozialdemokraten anch nicht mehr benutzt nnd wer sie je noch einmal an den Mund setzen will, so gibt sie einen schnatternden und klagenden Ton von sich; das ist keine Musik mehr, mit der man wie einstens der Ratten fänger von Hameln die Massen locken kan». Der „Zuknnftsstaat!" Ei, wer an den noch glaubt, dem zahlt Bebel selbst einen Taler! Derselbe läßt zwar die üppigen Schilderungen immer i» seiner „Frau" leuchten, um die Dummen zu ködern, aber wenn er im Reichstag Rede und Antwort stehen soll, dann schweigt der redelnstige Bebel, denn „nur ein Narr oder Tuminkopf kann noch den Zukunftsstaat hegen!" so hat es ja einstens Genosse Lieb knecht verkündigt und Bernstein war deshalb so klug, ihn auf den „St. 'Nimmerleinstag" zu verlegen. Es ist also in der politischen Rumpelkammer der So zialdemokratie bereits sehr viel ansgestapelt. Man denke sich die Mühe, bis dieser Wink all in die Arbeitertöpfe lnn- eingebracht war und nun erst die Arbeit bis er entfernt ist. Genosse Bernstein hat kürzlich geklagt, das; in der Par tei kein Erfolg stattfinden könne, nachdem ihm der „Vor wärts" den Stuhl vor die Tür gesetzt hatte; wir schlagen vor, ihn znm P a r t e i t a m i n s e g e r in e i st e r zu er nennen! Tann bat er Arbeit in Hülle nnd Fülle nnd die Parteikasse mutz diese Arbeit glänzend honorieren, da sie ja im Dienste der Wissenschaft geschieht und die sozialdemo kratischen, mittelalterlichen, verrosteten und überlebte» Ideen beseitigt. Bis er bei den Genossen nur die jetzt schon für unhaltbar erklärten Ideen beseitigt, braucht es sehr lange; dann aber kommen andere und werfen die noch übrig gebliebenen Ideen weg. So tritt im Iunibest der „Sozialdemokr. Monats hefte" ein Genosse Georg Schmdit aus und spricht der Mai feier das Todesurteil, er spricht von einer „Maiseierkalami- tät" und verkündet daher: Die Maifeier habe weder irgend etwas zur Befestigung des Weltfriedens noch zur Verkür zung der Arbeitszeit beigetragen. Aber an dem noch nicht genug, wirst der genannte sozialdemokratische Publizist die Frage auf, wer denn überhaupt noch an der Maifeier An teil nehme. Und wie lautet die Antwort? DaS Haupt- kontingent stellen die Arbeitslosen, die Hausin- dustriellen, die Arbeiter in kleinen Betrieben, die Ange stellten an den Krankenkassen und Gewerkschaften. Da gegen feiere weder der Großbetrieb in den Städten, nnd auf dem Lande merke man von der großartigen Maiseier über haupt nichts. Wobl aber habe diese nnnmehr schon 15 Jahre fortgesetzt ins Wasser gefallene Demonstration Un summen gekostet infolge der durch sie veranlaßten Aus stände und Aussperrungen, Ans dem Verbandstage der Steinsetzer und Pflasterer wurden die hierdurch notwendig gewordenen Ausgaben ans etwa 10 000 Mart innerhalb 2 Jahre angegeben. Was hätte mit diesem nutzlos vertanen Gelde, so fragt Georg Schmidt mit Recht, nicht alles geleistet werden können? Aber diese verunglückte Demonstration, an welcher noch immer sestgebalten werde, habe, anstatt das Solidari tätsgefühl unter den Arbeiter» zu stärken, nunmehr zur Vermehrung der Mißstimmung innerhalb der Partei bei getragen, denn die Minderheit füge sich bei den über die Maifeier in den einzelne» Werkstätten vorgenommenen Ab stimmungen nur sehr widerwillig der Mehrheit. Ansdrück lich bemerkt Schmidt ans Grund eigener Erfahrungen, daß Arbeiter in Werkstätten, in denen sonn die Mai sei er gestattet wurde, sich garnicht sträubten, wenn der betreffende Arbeit geber erinchte, mit Rücksicht auf zahlreiche Aufträge, die üb lich gewordene Feier anszugeben und am I. Mai wie an jedem gewöhnlichen Tage lieber zu arbeiten. Er kommt daher zu dem Schlüsse: Fort mit dieser unnützen Maifeier demonstratio»! AIS die radikalen Genossen dies Wien, haben sie sicher lich einen leichten Schlagansall erlitten, zumal bei der jetzi gen Hitze. Man denke sich auch das Schreckliche! Ein Ge nosse wirst die Maifeier zum alten Eisen. Welche Kämme sind nicht um dieser Torbeit willen geführt worden! Wie viele Streits, Anssperrunge», Terrorisierungen anders ge sinnter Arbeiter »iw,! lind jetzt nach ll Iabren kommt ein Genosse selbst und hat den Mut, einmal die Wahrheit zu sagen. Kantskp, Bebel, Mehring, Wurm, Stadtliagen, Singer ans die Schanzen und erschlagt das Ungeheuer! Aber die sozialdemokratische Riiinvelkammer darf sich freuen. Sie erhält einen neuen Zuwachs. Der Volksbetrng der Sozialdemokratie wird immer mehr den eigenen Leuten enthüllt. Die Feit wird kommen, in der die W nt de r V e r s ü h r t e n über ihre Verführer zu Gericht sitzen wird. Die „Werbekraft" des Lozialisnms. Angesichts der Mißerfolge bei den Nachwahlen sieht sich die Sozialdemokratie zu dem Bekenntnis veranlaßt, daß in dem Drei-Millionen-Heer doch eine große Zahl von Mit läufern sich befinde, die mit dem roten Zettel nur ihre Un zufriedenheit hätten ansdrücken wollen. Lv liest man in der sozialdemokratischen Presse: „Für diejenigen, welche den Gradmesser des Fortschrei - tenS unserer Parteibewegung lediglich in der Zunahme der Stimmenzahl und der Mandate finden, mag dieser Ausfall schmerzlich sein, für alle diejenigen aber, welche wissen, das; ein Großteil unserer Wähler aus Purer Unzufriedenheit den rote» Stimmzettel abgeben, vom Wesen nnd den Endzielen der Partei nichts Nüssen und nichts wissen wollen, das; also die Ueberzengung mangelt, ist dieser Ausfall begreiflich nnd daher ein zwingender Ansporn zu weiterer Aufklä rungsarbeit." Dieses Urteil ist zweifellos richtig, steht aber in argem Gegensatz zu dem, was die sozialdemokratische Presse nach der vorig jährigen Reichstagswabl der Welt über die„Werbe kraft" nnd „Sieghastigkeit" des sozialdemokratischen Pro- graimns zu erzählen wußte. Man tat so, als wenn ledig lich der feste Glaube an das Marr'sche Evangelium die drei Millionen zur Abgabe eines roten Stimmzettels veranlaßt hätte, nnd sang dementsprechend in allen Tonarten Lob lieder aus die „Wnndermacht des Sozialismus". Gegen über der Zentrnmspresse, welche es entschieden bestritt, daß alle, welche sozialdemokratische Stimmzettel abgabe». über- zcngte Sozialdemokraten wären, führte die sozialdemokrat». sche „Rheinische Feitnng" den Wahlerlolg der Sozialdemo kratie gerade daraus zurück, „daß die Sozialdemokratie die einzige Partei ist, die ein bestimmtes, klares Programm bat, das in Massen verbreitet nnd. wenn möglich, jeder Agi tationsschrift beigedruckt wird," Die Elbenelder „Freie Preise" meinte sogar, wenn die Sozialdemokratie noch mehr, als schon geschehe», den Wählern ihre „Endziele" gepredigt hätte, „wir hätten beute »och eine halbe Million Stimmen mehr"!! Das alles war der sozialdemokratischen Presse natürlich nicht ehrlich gemeint. Tatsächlich war die ganze Hvmnen ungerei aut die „Wnndermacht" des sozialdemokratischen Programms nichts anderes als ein Beschönignngsmanöver, bestimmt zu dem Fivecke, den Früchten ihrer maßlosen Hetze ein besseres Aenßere zu geben. Hat doch die Sozialdemo kratie im Wahlkampfe ihren Endziel Eoder möglichst tief in der lautersten Rocktasche verborgen gehalten. „Soweit »ns. so schrieb nach der Wahl die deine lralnche „Frauksnrter Zeitung" das Material aus dem i Walillampf zugänglich ist. bat die Sozialdemokratie den i Untergrund ihres Wesens dabei vollständig verleugnet. Sie i bat nirgends für die Vergesellschaftung der Arbeitsmittel ! Propaganda gemacht, sie bat den ganzen Fnlunstsslaat und s die ilnn zugrunde liegende Lehre in so gut wie allen Kreisen ; ans dem Spiel gelassen und in der Agitation o>! direkt ver- ! lcugnet." In der maßlosen Hetze, weniger in. Predigen der „End ! ziele" erkannte die Sozialdemokratie beim letzten Wahl i kample ihre besondere Stärke. Die weit verbreitete Unzu Protestantismus und voranssehnirqslose Forschung. Wenn wir dieses Thema anschneiden, so geschieht es, weil neuerdings »nieder in protestantischen Literaturbe sprechungen bezüglich katholischer Verfasser die Redewen düng eine stehende werden zu wollen scheint: „die Grenzen, welche seine Konfession ihm gezogen, bindern den Ver sasser nsw." Aber haben denn die Herrci» ein Recht, solche Anklagen zu erheben, selbst »venu ihre sire Idee der Wahrheit ent spräche, sie, die doch selbst das Spier der Voreingenommen beit sind. Harnack bezeichnet einmal den Protestantismus als „de zidicrten Antikatholizisinns". Da ist ja schon bewiesen, was »vir gesagt haben. Oder glaubt man, daß rin S»»stein, »vel ches sich selbst nur als ausgesprochenen Gegensatz zu einem andern betrachtet, diesem letzteren gerecht »neiden könne oder auch nur gerecht werden »volle? Für die protestantische Behandlung der Wissenschaft in den verschiedensten Zweigen ist diese grundsätzlich sestgelegte Gegensätzlichkeit zum Verhängnis geworden, zu einer fort »nährend wirkenden Weichenstellnng, welche diesen Zug fort fetzt, auf ein immer weiteres Geleise hinüberdrückt, bis er zuletzt beim vollständige»» Rationalismus und Radikalismus anlangt. An Merkzeichen hierfür fehlt eS ja heutzntage nicht! Man vergegenwärtige sich doch mal den geschichtlichen Werdegang. „Wider das Papsttum" lautet der erste Kriegs- ruf! also ein Katholizismus »ninnu Papst die Programm forderung. Aber man vergaß, das; das katholische Leb»ge bäude kein Bankasten ist, dessen einzelne Steine man her ausnclunen kann, wie man will, sondern das; dieses Lehrge bäude innerlich untrennbar zusaumienhängk und sich auf den» christlichen Zentraldogma der Gottheit Christi so auf baut, daß wohin immer der Verstoß sich richtet, dieser zu letzt nach diesem Zentrum geht. Das zeigte sich alsbald bei der nähere»» Begründung des Kriegsruf: wider das Papsttum! Dieses und der Ka tholizismus soll ein Abfall sein dom wahren Christentum: das war leichter gesagt, als das Datum bestimmt, an »vel cbem dieser „Abfall" »'»altgesunden haben soll. Die protesiantnche Forschung machte sich jetzt daran, das Urchristentum zu durchleuchten. Und das iß nun inter essant. den Verlaus der Sache zu verfolgen. Grund'aß für diese Arbeit war: der Katholizismns darf nicht recht haben: also darf im Urchristentum keine Spur von Katholizismus gesunden werden, und nichts, was zu dessen Gunsten spricht. Die Folge war natürlich, daß »ür das Urchristentum das Vorhandensein des Episkopats, des Primats, ja selbst der Aufenthalt Petri in Rom über banpt trotz aller gegenteiligen Zeugnisse bestritten ivnrde; ebenso das Vorhandensein der Sakramente, der Marienver elwnng nsw. nsw. Trat solcher „wissenschaftlicher" Arbeit ein Katholik entgegen mit dem Hinweis aus die Tatsachen, ko wnrde er abgeiviesen mit der hochmütig süffisanten Bemerkung, „die Grenze», welche seine Konsesiion ibm gezogen, hindert ihn, unsere F-orlchiingsre'nItate anzuerkennen!" Heute lacht man »über jene wunderlichen Hnpottieien und trampshaste» Anslrengnugen. dem Urchristentum seinen Katholizismus zu bestreite», auch in Kreise» der Protestant! scheu Gelehrten selbst. 'Aber der Katholizismus darf doch nicht recht haben: alio verlegt man de» Abfall vom wahre» Ehristentnm »och früher: die Folge davon ist jenes 'Billard kngelspiel mit Schriststellen, welches für die protestantische Schristerklärnng der Gegenwart »o ungemeiu bezeichnend ist. Alles was zu gunsteu des Katholizismus spricht, muß spätere Zutat, Einschiebsel »uv. sein. An» diesem Wege ist man dann glücklich bis zur Leugnung der Gottheit Christi nnd dessen Opsertod gekommen, alles unter der Flagge, das wahre Ehristeiitum ansgraben zu »vollen, in Wirklichkeit aber getrieben »um dem Bestreben, den Katholizismus um jeden Preis ins Unrecht zu setzen. Im Zentrum von dessen Kultus stellt das Meßopfer; der „dezidierte Antikatholizis »ms" kaun selbstredend nicht kalt und gleickigiltig daran vorübergehen, er bestreitet das Spser nnd in der Folge selbstredend den Opsertod Christi, aiis dem daS katholische Meßopfer ja beruht. Fu welchen geradezu lächerlichen Irrtümern diese Fest legung des Protestantismus ans einen Antikatholizisinns in Sache» der Sittenlehre, wo man den Popanz der „römi scheu Werkheiligleit" fabriziert bat, oder in der Beurteilung der evangelischen Räte gesübrt bat und noch sortwäbrend führt, iit ja bekannt. Wer Luther ans ein möglichst hohes Piedesla! stellen will, kann dem katholischen S>densleben und dessen Bedeutung niemals gerecht werden, weder in seinem Wenn noch in »einer Geschichte. Letztere wird ent sprechend zngcsintzl nnd so läßt man z. B. die Mittelalter lieben Theologe" eine Verachtung des Weibes lehren. Tank der kallioli'cheu Detailsorschung au» diesem Ge- bie»e der Geschichte der 'pälmitlelallerlichen Theologie wird auch vielem Märlein der 'Boden entzogen. 'Betrachtet inan das alles, io wäre man versucht, über jcne Teklainalionen protestantischer Kritiker über die Gren zen, hinter welchen die katholische Konfession ihre Bekenner seslhalten soll, herzlich zu lachen, wenn die Sache nicht ihre furchtbare ernste Seite hätte, lind diele zeigt fiel» darin, daß aiis diele Weile die katholische Literatur grimd'ätzlich ans jenen Krenen serngel»alten wird, um ja besser im Dun kein nmnkel» zu lönnen. Wer darüber einmal seine Beobachtungen angeileilt bat. dem erscheint Deuilles Sclmbplalllertan; ü In Tnrolienne mit die'en Herren in einem ungleich anderen Lichte als dem Fernstehenden. Es ist die Entrüstung des ehrlichen 'Mannes, dem dieses hochmütige 'Aburteilen und diese ständige 'Anklage an» Blindheit infolge der konfessio nellen Voreingenommenheit von Leute», die es leibst drin gend nötig hätten, ihre eigene Blindheit und konsessionelle Voreingenommenheit abznlege», das BInt in Wallung ge bracht bat. So lange es Grnndsatz aus jener Seite ist: ...Kirchengeschick,le vom Standpunkte der Reformation zu schreiben, das ist wahre .Kirchengeschichte" tHarnack, Reden nnd Aussätze. Gieße» lool. I 20, dürsten die Herren ruhig ihre Deklamationen über katholische Beschränktheit in der wissenschaftlichen Forschung in ihren Tinten krüge» lassen!