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Sächsische Volkszeitung : 04.11.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-11-04
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-190311042
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19031104
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19031104
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1903
-
Monat
1903-11
- Tag 1903-11-04
-
Monat
1903-11
-
Jahr
1903
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 04.11.1903
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Sehr anerkennenswert ist es. was die „Bautzener Nachrichten" darüber schreiben: Das will in dieser unserer Zeit sonderlich bedacht sein. Denn da finden sich Lobredner und vermeintliche Anhänger der Reform«' tion, die jedoch in Wahrheit an Stelle der Reformation die Ne gation sehen, d. h. die Berneinung aller höheren kirchlichen Auto rität. Wenn es diesen Leuten nach ginge, so dürfte es kein für alle verbindliches kirchliches Bekenntnis, keine kirchliche Zucht und Ord nung mehr geben; es mühte jedem gestattet fein, innerhalb der Kirche -u lehren, was er will. Da finden sich „evangelische" Christen, die doch herzlich wenig vom Evangelium, d. h. vom Worte Gottes wissen wollen, weil es sie Zeit und Mühe verdrießt, darin zu lesen, es zu hören und zu lernen. Da sind „Lutheraner", die Luthers einziges oder hauptsächliches Verdienst darin sehen, das', er so wacker gegen Papst, Möncherei und Psassenlum gestritten, und die nun ihre Stärke und ihren Ruhm darin suchen, über alles, was katholisch heißt, weidlich herzuziehen, wogegen sie aus das, was Luther angestrcbl und vorgelevt hat, nämlich auf wahrhaft christliche» Glaube» und Wandel, und auf daS, was Luther dem deutschen Volke geschenkt hat, nämlich Bibel. Katechismus und Ge sangbuch, nicht eben viel geben, und auch weit davon entfernt sind, all ihr Vertrauen und Hoffen im Leben und im Sterben, sowie Lurher es lat, allein ans Christum zu setzen. Da sind „Protestan ten", die unter Berufung auf ihre persönliche und Gewissens freiheit gegen alles mögliche, lvaS ihnen unbequem und unannehm bar erscheint, Einspruch erheben, aber gegen Gvlttvsigkcil und Sünde zu protestieren, von Luther ganz und gar nicht gelernt haben. „Reformation!" Das Wort ist so alt, wie die Welt. Der einzelne Mensch, alle Korporationen und Staaten müssen fortgesetzt sich reformieren. Haupt und Glieder sollen sich reformieren nach den Gesetzen Gottes und den Grundsätzen der christlichen Lehre. Tie „D. Wacht" sagt, das; eine „religiöse Wiedergeburt" notwendig sei; „alle Bemühungen ernster evangelischer Kreise, mit dem Lnthergeiste »nieder unser Volk zu erfüllen, haben nur schivachen Wiederhall gefunden", klagt das Blatt. Mit dem Lnthergeisl? Man versuche eS doch einmal, mit dem Geiste Jesu Christi die Volksseele zu reformieren, »nie es die katholische Kirche fortgesetzt tut. Tie „T. W." klagt, das; „überall eine feindselige Gleichgültigkeit gegen die evangelische Kirche Platzgreise", die schlechten Erfahrungen, die Enttäuschungen, das Beispiel der Glanbenslosigkeit, welches von den Pastoren selbst oft offen zur Schau getragen wird, vernichtet den letzten »liest des Ansehens. Das Blatt beklagt sich auch über das „Honoratiorenchrntentmn", welches sich im Volke heransgebildet habe. Es ist das umso verderblicher, »veil der Protestantismus sich dadurch als unfähig erweist, die Masse des Volkes von den nnglänbigen Elementen der Sozialdemokratie abznziehen oder znrückznhalten. In der katholischen Kirche findet man häufig das Gegenteil: der Arme und Notleidende, der Arbeiter schließt sich fest an sie an, »veil sie ihm Stütze und Trost ist; das Honoraliocen- christentnm stößt in» Protestantismus die arbeitende Bevöl kerung vollständig ab; die Fühlung mit dem Arbeitervolke ist verloren gegangen. Leo XIII. hat in seinem Rundschreiben, das er zum Feste seiner Bischofsweihe erließ, dem Wunsche Ansdruck verliehen, daß alle Bekenner des christl. Glaubens der kath. Kirche angehören mögen. Darauf gab Herr Superintendent I). Meyer, l l. November 1.891. zu Leipzig die Antwort: „Wir würden eine große Vergangenheit und eine größere Zukunft wegwerfen." Es kann hieraus nur eine Antwort geben: „Riemals!" Wer noch von einer größeren Zukunft des Protestan tismus angesichts der drohenden allgemeinen Zersetzung sprechen will, der will nicht sehen. Es wäre verfehlt, sich über die historische Tatsache der vergangenen Reformation zu srenen, ol»ne zugleich an die Reformation zu denken, welche die Gegenwart so dringend fordert. Wenn die Liebe zu Christus größer sein wird, als der Haß gegen Rom, dann wird für unser deutsches Volk die Zeit echter Reformation in» Geiste deS Christentums Hereinbreche». Gott gebe, daß es bald geschehe und ein zweiter Reformator an» deutschen Volke den Schaden wieder gut mache, den der erste ihm zngefügt hat. V>,'. Politische Rundschau. 'T eutjfchlaud. — Ein Gesetzentwurf, enthaltend eine Reform des Reichsgerichts, wird demnächst dein Bnndesrate zngehen. Wie die „Tägl. Rnndsch." „ans bester Quelle" erfährt, sind die Ministerkonferenzen zu den» Beschlüsse ge langt, vor den Handelsverträgen keine Stcnervorlnge an den Reichstag gelangen zu lassen. ' Zum 7,0 jährigen Anitsjnbiläum des Rcichsbauk- präsidcnten I>i. Koch »vnrde diesem der Rote Adlerorden 1. .Klasse mit Eichenlaub verliehen. R'amenS der Mitglieder des Zentralansschnsses der Reichsbank überreichte Gebeimer Kommerzienrat Frenzel den Betrag von 18l6>>>> Mk. zur Begründung einer Stiftung sür hilfsbedürftige Beamte der Reichsbank und deren Hinterbliebenen. Das Lokalkomitee für die ül. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands in RegenSbnrg hat sich kon stitniert und »vnrde gewählt als Präsident .Kommerzienrat Karl Pustet, als l. Vizepräsident der bewährte Führer der Katholiken Regensbnrgs, Fabrikbesitzer Karl Mayer. als 2. Vizepräsident der König!. G»)n»nasialprofessor I)r. Link, als l. Schriftführer Redakteur Heinrich Held, als 2. Schrift führer Lokalschnlinspektor und DoinPfarrerpositnS Johann Hiederer von Stadtamhof, als ll. Schriftführer RegiernngS- akzessist I)r. für. Anton Schlecht, als 4. Schriftführer Rechts- ainvalt Anton Zeltler und als Schatzmeister Kassierer Max Kummer. Kommerzienrat Pustet gab dann bekannt, daß das hochsürstliche Hans Thnrn und Taxis habe »nitteilen lassen, es bringe der 5, l. Generalversainnilnng der Katho liken Deutschlands die lebbaftesten Sympathien entgegen. Mvmmscn, der an» Sonntag gestorben ist. war eilt bedeutender Historiker, aber kein ..voranssetznngsloser" Historiker. Moinmsens Manier war. in alles dreinznreden. Im Namen der ..Voraussetzungslosigkeit" der modernen Wissenschaft war er gegen den Plan der katholischen Fakultät zu Straßbnrz zu Felde gezogen »nid hat sich dadnrcb, wie überhaupt durch den Liberalismus, den» er huldigte, die Begeisterung neu erworben. Theodor Moinmsei» »vnrde am 30. November >817 zu Gardiug (Schleswig) geboren, wo sein Vater Prediger war. Von 1838 bis 1843 widmete er sich zu.Kiel juristischen und historischen Stildien und lebte dann einige Zeit als Privatlchrer z» Altona. Nachdem er die Fahre 1844 b»S 1847 ans wissenschaftlichen Reisen in Fralien und Frankreich, zngebrachl hatte, war er eine Zcitlang Redakteur der „SchleSwig-Holsteinischcn Zeitung" in Rendsburg. In» Herbste 1848 Leipz der E. . setzung zur Folge. Moinmsei» wandte sich dann nach der Schweiz, »vo er im Frühiahre 1852 die ordentliche Professur des römischen Rechtes an der Universität Zürich übernahm. Fm Fahre 1854 ging er in gleicher Eigenschaft »ach Breslau und 1858 nach Berlin, wo er 1874 zum ständigen Sekretär der königlichen Akademie der Wissenschaften geivählt »vnrde. Dieses Amt legte er jedoch 1895 nieder. 1895 wurde er Mitglied der Pariser Akademie, 1896 Ehren bürger von Rom. 1873 bis 1882 gehörte Mommsen dem preußischen Abgeordnetenhause an, »vo er sich erst zur nationalliveralen Fraktion hielt, später der liberalen Vereinigung beilrat. Von der großen Zahl seiner bedeutenden Geschichts- nnd rechtswissenschaftlichen Werke ist vor allein hervor- znheben seine „Römische Geschichte", durch die. er seinen Weltruf begründete. — lieber den mehrfach an dieser Stelle erwähnten Arbeiterkongresr in Frankfurt a. M. urteilt die „Soziale Praxis": Alles in allem genommen ein glänzender äußerer Verlauf des Kongresses mit bedeutsamen Ergebnissen! Neben die unter sozialdemokratischer Führung stehende Arbeiterschaft tritt jetzt eine in der Gesamtzahl der in ihren einzelnen Gruppen vereinigten Arbeiter gleichstarke Be wegung auf monarchischem und nationalem Boden, die nicht in der Verneinung der bestehenden Ordnung, nicht im Klassenkampf allein, aber auch nicht in der blinden Befehdung ihrer andersdenkenden Brüder den Weg zur Verbesserung ihrer Lage erblickt, sondern durch positive Arbeit mit der Regierung, der Volksvertretung und der Gesellschaft auf der Grundlage der Gleichberechtigung der Arbeiter mit den anderen Ständen ihre Aufgabe lösen will. Das Ziel ist der soziale Friede. Möge deshalb der Ruf, der jetzt von der alten Mainstadt ausgegangen ist, überall eine verständnisvolle Aufnahme finden. Des Kaisers Wort an den Kongreß ist dafür ein gutes Wahrzeichen. Tie „Allg. Evang.-Lnth. Kirchenztg." hatte Pros. Ladenburg, dem wirklichen oder vermeintlichen Kasseler Gottesleugner, vorgeworfen, daß er vor „etlichen Jahren" bei der Uebersiedelnng von Kiel nach Breslau in Leipzig „abgestiegen" sei, sich (so an im^aiit) habe taufen lassen und nun schwerster Vernnglimpfnngen der christlichen Religion sich crdreiste, zu der er selbst erst den Zutritt gesucht habe. Jetzt veröffentlicht das „Leipziger Kirchenblatt" eine Zu schrift des reformierten Pfarramts Leipzig lgez. I),-. Mehl horn), in welcher eS heißt, nach dein Tansbnche sei Laden- bnrg «Professor in Breslau» schon 1889 «also vor lll Jahren), im reifen Alter von 47 Jahren in Gegenwart von vier Zeugen durch Pastor 1)r. Drehdorfs in der Leipziger evan gelisch reformierten Kirche getauft worden. Er sei zu diesem nicht ans der Durchreise gekommen, sondern ausdrücklich zum Zweck der Taufe von Berlin hergereist; vor dieser habe Pastor I)r. Drehdorss mehrere Besprechungen mit ihm gehabt, denen die Bergpredigt zu gründe lag; bei der Taufe habe Professor Ladenbnrg folgende Fragen des Kon- firmationsformnlars mit „Ja" beantwortet: „Wollt Ihr von ganzem Herzen den segensreichen Glauben der Ehristen mit uns bekennen den Glauben an Gott, an Ehristns und an den heiligen Geist?" Tie Zuschrift verfolgt offen bar den doppelten Zweck, das reformierte Pfarramt gegen den Vorwnrf übereilter Konversion und Prof. Ladenbnrg vor dem weiteren Vorwnrf zu schützen, er habe das Christen tum vernnglimpft, nachdem er kann» erst Christ geworden sei. Die „Evang.-Lnth. Kirchenztg." meint dagegen, ob auf der Durchreise oder in Form eines Abstechers von der Reise nach Breslau, darauf komme es nicht an; die Zu schrift bestätige nur das Flüchtige bei einem so hochernsten Schritte. In der Bergpredigt, über die man sich besprochen habe, komme das Schibboleth des christlichen Glaubens mit keiner Silbe vor. Nun werde beinahe verständlich, warum der bisherige Jude seinen „Abstecher" gerade nach Leipzig machte. Gin bemerkenswertes Urteil über den Evangelischen Bund hat der protestantische Stadtdekan Oberkonsistorialrat 1)r. v. Braun-Stuttgart abgegeben, als er den Stutt garter Oberbürgermeister ersuchte, die Tagung des Gustav Adolf-Vereins namens der Stadt zu begrüßen. Um etwaige Bedenken zu zerstreuen, meinte ec gegenüber dem Ober bürgermeister: „Ich könnte solche Bedenken aber verstehen gegenüber dem Evangelischen Bunde und bei dem diesem Bund im Anschluß an seine Aufgaben und Ziele öfters eigenen polemischen und aggressivem Tone!" Dieses Urteil gibt der protestantische Stadtdekan im liberalen „Schwäb. Merkur" selbst zu; nach der Darstellung des Stuttgarter Oberbürgermeisters aber hat die Aenßcrung noch viel schärfer,dahin gelautet: „Der Evangelische Bund habe eine Spitze gegen die katholische Konfession, und darum könne er es nur billigen, wenn eine Stadtverwaltung, die auch der katholischen Konfession Rücksichten schuldig sei, dem Bunde keine offizielle Auf merksamkeit erweise." So spricht ein protestantischer Ober konsistorialrat in Stuttgart! Wie sehr zutreffend sein geradezu vernichtendes Urteil ist, hat auch der Chefredakteur des „Bayerischen Kurier", Siebertz, in seiner zeitgemäßen Broschüre „Wer stört den konfessionellen Frieden?" aktcn- mäßig beiviescn. Der Evangelische Bund »vird an dem Urteil seines Freundes noch lange zu verdauen haben! — Erwerbs- und Wirtschaftsgeuossenschaftcil gehören gewiß zu den markantesten Erscheinungen des be wegten wirtschaftlichen Lebens der Gegeinvart. Nach Hnnderttansenden bereits zählen die Mitglieder der Konsum- Vereine, der Produktiv-, Einkaufs- und Betriebsgenossen schaften, der Vorschuß- und Krcditvereine und wie sie alle beißen. Es ist mm gewiß nicht allein für die Mitglieder von hohem Interesse, den volkswirtschaftlichen und sozialen Gründen nachzngehen, welchen diese Genossenschaften ihre Entstehnng verdanken. Das soeben ansgegebene Heft 48 von „Herders Konversationslexikon" untersucht die wichtige Frage in einem vortrefflichen Artikel. „ES ist", so heißt es dort, „ein überaus merkwürdiges, unser volkswirtschaft liches Leben und Treiben gewissermaßen auf einen andern Boden stellendes Prinzip, was sich in den Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaftcn durchringt. Schon in der offenen Handelsgesellschaft und in der Aktiengesellschaft ist eS nicht der egoistische Erwerbstrieb allein, der die Betriebe beherrscht und ermöglicht, trotzdem hat er aber hier noch eine über- wiegende Bedeutung. Die Genossenschaft will auch geschäfts mäßig verfahren und kaufmännisch erziehen, aber sie will stets auf brüderlichem Geist beruhen, ihre Psychologischen und sittlichen Elemente sind um ein gutes Stück andere als dort. Sie erwuchs in den Kreisen der Gesellschaft, in denen der moderne Erwerbstrieb noch nicht seine volle Ausbildung erhalten, die noch stärker von lebendigen Gemeinschafts gefühlen beherrscht waren, in den Kreisen, die von der modernen Wirtschaftsentwicklung bedroht waren. Die alten Mittelstände in Stadt und Land sahen sich in die Not wendigkeit versetzt, entweder in den alten Betriebsformen nnterzngehen oder sich technisch und kaufmännisch zu ver vollkommnen. Zu den idealistischen Strömungen der hoch herzigen Brüderlichkeit, die die Bewegung belebten, kam das erwachende Standes- und Klassenbewusstsein, die radikale Entrüstung über die Mißbräuche des Bestehenden und ebenso die Hoffnung auf Gewinn und Dividende, auf bessere und billigere Waren, auf bessern Absatz, erleichterten Verdienst. Entsprechend diesen volkswirtschaftlichen und soziale»! Ent stehungsgründen sind die Wirkungen des Genossenschafts wesens. Es läuft in seiner wirtschaftlichen Tendenz allein auf den rationelleren Einzelbetrieb hinaus, ist aber zugleich auf dem besten Weg, eine wirtschaftliche Korporation der einzelnen Stünde herbeiznführen. V. A. Huber bezeichnet»: die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft als die „Ver bindung atomistischer Elemente der arbeitenden Klasse in gemeinsamen Bestrebungen zur Besserung ihrer Lage"; Schulze-Delitzsch nannte sie „Innungen der Zukunft". Der Sozialismus in seiner strengeren marxistischen Form war bis in die neueste Zeit Gegner des Genossenschaftswesens. Ist die wirtschaftlich organisierende Wirkung der Erwerbs- nnd Wirtschaftsgenossenschaft für die schwächeren Existenzen in unserer kapitalistischen Wirtschaftsperiode nicht hoch genug zu veranschlagen und in ihren Konsegnenzen noch kaum abznschätzen, so liegen die individuellen auf das einzelne Mitglied um so klarer zu Tage, sie sind ökonomischer, geistig erzieherischer und sittlich fördernder Natur. Das Genossen schaftswesen erzieht zu gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Einsicht, hebt das Volk an Kultur und Pflanzt und fördert in ihm die allgemeine Bildung neben den wirtschaftlichen Tugenden und der Krone aller bürgerlichen Tugenden, dem Gcmeinsinn." Tie statistischen Daten, Angaben über den Geschäftsbetrieb der großen Verbände, stammen sämtlich ans jüngster Zeit. So erfahren »vir, daß der seit 1864 bestehende „Allgemeine Verband der auf Selbsthilfe be ruhenden deutschen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften" «Sitz Charlottenbnrg) 1608: 1651 Genossenschaften mit 980000 Mitgliedern umfaßt. Der „Allgemeine Verband der auf Selbsthilfe bernhenden deutschen Eriverbs- und Wirtschaftsgenossenschaften in Oestereich" (Sitz Wien) zählt September 1908: 546 Genossenschaften; im ganzen besitzt Oesterreich 9246 Genossenschaften. Auch das Nevisionsgesetz vom 10. Juni 1908 ist erwähnt. Für die kleine, aber auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens so rührige Schweiz ist die Gesamtzahl der eingetragenen Genossenschaften sür 1908 mit über 5000 angegeben. Der Verband der 140 Schweizer Konsumvereine allein arbeitet «1903» mit einem Umsatz von 6 Millionen Franks; gewiß ein schöner Beweis dafür, was „die Krone aller bürgerlichen Tugenden", der Gemeinsinn, zu leisten imstande ist. — Das Dreiklasscu-Wahlrecht. Ein interessanter Ur- Wahlbezirk in Berlin ist der 41., welcher im ersten Land- tagswahlkreise der Stadt Berlin unter anderem Teile der Wilhelmstraße und den Wilhelmplatz umfaßt. Dort ge hören zu den Urwählern dritter Klasse, »veil sie weniger als 12898 M. Stenern jährlich bezahlen, der Herr Reichs kanzler Graf Bülow und seine Staatssekretäre Graf Posadowsky und Freiherr v. Nicht Hofen, ferner aus dem preußischen Staatsministerium der Justizminister und der Eisenbahnminister. Ebenso der Hausminister v. Wedell, der Obergewandkämmerer Graf Perponcher und der Kabinetsrat v. Lncanns. Alle diese Herren wühlen zusammen mit 294 Urwählern dritter Klasse, dar unter die Portiers und Diener der Ministerhotels. Im 84. Urivahlbezirk von Berlin schließt die erste Abteilung mit einer Stenersnmme von 89178 M. ab. Einziger Wähler dieser Abteilung ist der Hofschlächtermeister Hefter. — Es kommt also lediglich auf das „liebe Geld" an, ob man mehr oder minder wahlmächtig ist. — Die badischen Landtagswahlcn vom letzten Freitag bringen keine wesentliche Veränderung in der Stärke der Fraktionen. Das leider noch immer bestehende indirekte Wahlverfahren läßt heute noch nicht genau Vorhersagen, wie das Endergebnis ausfallen »vird, da noch zuvor die Wahlmänner zu sprechen haben. Das Zentrum behält seine sämtlichen Mandate; der Ansturm der Gegner hat ihm keinen Verlust znfügen können. In Frciburg-Stadt hat das Zentrum glänzend gesiegt, obwohl hier die National- liberalen große Rosinen im Sacke hatten. Die Sozial demokraten träumten sogar, daß sie den Sitz Wackers in Ettlingen erobern könnten; doch „Träume sind Schäume". 28 Mandate sind bereits dem Zentrum gesichert und es hat alle Aussicht, noch einen weiteren Sitz dazuznbekommen; in Eberbach-Bnchen stehen erst 68 liberale Wahlmänner, daneben besitzt das Zentrum 58 Stimmen, der Bund der Landwirte 5, der Freisinn 8 nnd 2 Stimmen sind unbe kannter Parteirichtnng. Füllt auch dieses Mandat dem Zentrum zu. dann »vird dieses die stärkste Partei in der Kammer und hat den Präsidenten zu stellen ; wenn es aber die Liberalen behaupten, dann stehen sie mit 24 Abge ordneten obenan. Das Zentrum kann denmach mit Genng- tunng auf die Wahlen zurückblicken; möge das eilt gutes Vorzeichen sein für die preußischen Landtagswahlen I Die Nationalliberalen haben Konstanz an die Sozialdemokraten verloren; diesemVerlust steht der Gewinn vonPforzheim gegen über. das die Nationalliberalen den Sozialdemokraten abge- nommen haben. Als einzige leidtragendePartei steht bis jetzt die Sozialdemokratie da. die keinen Gewinn, »vohl aber den Verlust eines Sitzes zu verzeichnen hat: der Führer des radikalen Flügels, Geck, ist durchgefallen. Von einschneidender Bedeutung ist der Wechsel der Persönlichkeiten: der Geist!. Rat Wacker kehrt nicht wieder, doch wird die ZeutrumS- fraktion in seinem Geiste weiterarbelteu, weil eben in Baden eine andere Politik, als die von Wacker, ganz unmöglich ist. Bei der Sozialdemokratie ist der Revisionist Dresbach und der Vebelianer Geck ausgeschicden, die Konservativen senden
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