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In der Thronrede heißt es: „Die sozialpolitische Gesetz gebung auf den in früheren Kundgebungen vorgezeichneten Grundlagen sortzuführen, den Bedürftigen erweiterte Für sorge, den Schwachen erhöhten Schutz zu gewähren, sind die Verbündeten Regierungen — unbeirrt durch Politische Strömungen — fest entschlossen." Dabei sind dieselben sich sehr wohl bewußt, daß ihre Tätigkeit und „die Opfer- sreudigkeit des deutschen Bolkes noch vor große Aufgaben gestellt sind, wenn wir den Anforderungen steigender Kultur entsprechen sollen." Sieht mau von dem in der Thronrede angekündigteu Gesetzentwürfe über Kaufmanusgerichte ab. so enthält dieselbe keine weiteren bestimmten Vorschläge und Maßnahmen, die von den Regierungen für eine sozial- reformatorische Betätigung des neuen Reichstages zu er warten sind. Diese sehr platonisch gehaltene Liebeserklärung der verbündeten Regierungen zur Wetterführung der Sozial reform hat der Zeutrumsfraktiou des Reichstages selbst redend nicht genügt und sie ist deshalb um so entschiedener vorgegangen. Zehn Anträge sozialpolitischer Natur konnten aus ihrer Mitte am Freitag abend auf dem Bureau des Reichstages abgegeben werden, und sie waren alle mit Unterschriften über und über bedeckt. Noch nie seit 1871 sind sofort zu Beginn der Tagung Vonseiten des Zentrums so viele sozialpolitische Anträge gestellt worden, wie diesmal. Kann es eine entschiedenere und mehr energische Willenskundgebung für den Ausbau der sozialpolitischen Gesetzgebung geben, als diesen Schritt? Dabei würde es völlig falsch sein, cmzuuehmen, daß hier mit das Zentrum alle seine Wünsche geäußert hätte; die große sozialpolitische Debatte im Februar kommenden Jahres bei der Beratung des Etats des Innern wird weitere Resolutionen aus diesem Gebiete zeitigen. Dieses entschiedene Vorgehen ist auch die beste Antwort auf die im Februar d. I. aufgestellte Behauptung des nun glücklich durchgefallenen sozialdemokratischen Abg. Hoch, daß das Zentrum nur vor den Wahlen mit seinen sozialpolitischen Anträgen komme. Widerspricht diese leere Aufstellung schon ganz offenkundig der ganzen Geschichte der Sozialreform, so ist mm dieser jüdisch-russische Parteifanatiker vor der Oesfentlichkeit doppelt lächerlich gemacht. An der Spitze der sozialpolitischen Anträge steht die Interpellation Trimborn über Ausführung der Kaiserlichen Februar-Erlasse, die bezüglich der Berufsvereine und der Arbeitskammern immer noch auf dein Papiere stehen; wenn das Zentrum gerade diese beiden Fragen jetzt in den Vordergrund rückt, so wird damit im Reichstage ein Echo des ersten deutschen Arbeiterkongresses in Frankfurt geweckt. Das Zentrum hat allerdings schon anfangs der 90 er Jahre des verflossenen Jahrhunderts diese beiden Forderungen ausgestellt; die Arbeiterwelt wird aber mir Freuden ver- nehmen, wie hier die ganze Zentrumsfraktiou hinter sie tritt. Um die Angelegenheit möglichst bald zur Sprache zu bringen, ist auch der Weg der Interpellation gewählt worden, die auf seiten der verbündeten Regierungen hoffent lich günstige Beantwortung findet. Die neun übrigen sozialpolitischen Anträge behandeln teils alte Wünsche, teils neuere Forderungen. Zu guusteu der Bergarbeiter soll das gesamte Bergrecht für das Deutsche Reich einheitlich geregelt werden, die Bergarbeiter aber hierbei in allen Teilen der Gewerbeordnung unterstellt und diese eigens für sie passende und notwendige Bestimmungen enthalten; auch die Bekämpfung der Wurmkrankheit soll einheitlich erfolgen. Für den Schutz der Fabrikarbeiterinnen sind zwei Anträge gestellt worden. Der eine will die Maximalarbeitszeit auf 10 Stunden festsetzeu, während es seither deren 11 sind; aber für die verheirateten Fabrikarbeiterinnen soll diese Zeit nur 9 Stunden sein und an den Vorabenden der Sonn- und Festtage nur 6, um mit der Zeit den freien Sonnabend nachmittag zu erhalten, im Interesse der Familie wie dem der Sonntagsruhe. Auf dem Gebiete des Bau arbeiterschutzes sieht es derzeit noch recht mangelhaft aus und es herrscht eine Buntsarbigkeit sondergleichen; deshalb fordert ein Antrag eine einheitliche Regelung für ganz Deutschland und will zur wirksamen Durchführung eigene Aufsichtsbeamte anstellen, die insonderheit auch aus dem Arbeiterstande selbst zu nehmen sind. Die Angestellten auf den Kontoren der Notare, Rechtsanwälte usm. entbehren noch jeden Schutzes, ein Antrag will ihnen diesen zuführen. Die Sonntagsruhe im Handelsgewerbe ist infolge der vielen Ausnahmebestimmungen fast keine mehr; das Gesetz hat ein Loch neben dem andern und fast jeder Ort andere Bestimmungen. Ein Zentrnmsautrag will diese nun ein- heitlich regeln und das ganze Gesetz strenger durchführen. Für das Handwerk und den Mittelstand sind 3 An träge eingebracht worden; zunächst soll die Befugnis zum Halten von Lehrlingen nur dem zustehen, der die Meister- Prüfung abgelegt hat; der Befähigungsnachweis für die Bauhandwerker wird sofort verlangt und ebenso ein Entwurf, der die Sicherung der Forderungen der Bau- Handwerker enthält. Ferner soll das Gesetz über den unlauteren Wettbewerb verschärft und das Ausverkaufs wesen geregelt werden; die Bestimmungen über die Ab- zahlungsgeschäfte sind zu verschärfen und den Beamten des Reichs soll die Anteilnahme an Warenhäusern untersagt werden. Diese zehn sozialpolitischen Anträge umfassen alle ge werblichen Stände ohne Ausnahme; neben dem Arbeiter schutz ist die Mittelstandspolitik besonders berücksichtigt worden, weil hier eine große Aufgabe der Zukunft liegt. Erhaltung eines kräftigen Mittelstandes ist die Grundlage für das Blühen Deutschlands. Und nun zum Bundesrat zurück! Was nützen die schönsten Gesetze, welche der Reichstag anuimmt, wenn die Bremser im Kreise der Negierung sitzen. Es sind fast 3 Jahre verflossen — am 10. Juni 1901 —, daß der Reichstag mit großer Mehrheit sich für die Errichtung von Arbeitskammeru aussprach, und zwar tat er es im Sinne der Arbeitererlasse des Kaisers vom -1. Februar 1900. Bis jetzt hat der Vundesrat für die Erledigung dieses dringenden Gesetzes noch keine Zeit gehabt. In der vorigen Session trat der Reichstag mit großer Mehrheit für die Schaffung eines einheitlichen und freiheitlichen Reichs-Vereinsgesetzes ein; dafür hatte die Engbrüstigkeit mancher Regierungen noch keine Energie übrig. Der Reichstag hat weiter die Anerkennung der Berufsvereiue gefordert, er hat die Sicherung und Erweiterung des Koalitionsrechtes befür- wartet, vonseiteu des Bundesrates stoisches Schweigen. Wohl sind nicht alle Regierungen rückständig gesinnt inbezug auf sozialpolitische Forderungen; lobend heben wir die wohlwollenden Aeutzerungeu hervor, welche die Regierungen von Baden, Württemberg, Hessen. Bremen über die Er richtung von Arbeiterkammeru getan haben. Aber andere Regierungen — darunter die von Sachsen —, haben ihr Herz mit einem undurchdringlichen Wall umgeben. Des Reichstags Aufgabe wird sein, diesen durch fortgesetzte Pionier- und Miuierarbeit zu sprengen. So lauge sich der Vundesrat als solcher nicht ent- schließt, die Anträge des Reichstages zu Gesetzen zu erheben, wird es dessen Aufgabe sein, dieselben immer wieder von neuem eiuzubriugen, bis sie als Gesetze aus dein Bundesrate wiederkehren. Ilebrigens herrscht auch im neuen Reichstage hinsichtlich der Forderung der Arbeitskammeru, des Vereins-, Koalitionsrechts usw. volle Uebereiustimmung: eine große Mehrheit ist auch für dieselben vorhanden, da der zahlenmäßige Bestand derjenige!: Fraktionen, Zentrum, Nationalliberale, Freisinn, die eine Mehrheit für sozialpolitische Vorlagen und Anträge bisher gestellt haben, durch sie Wahlen kaum geändert worden ist. Um so mehr bleibt zu wünschen, daß diese Fraktionen im neuen Reichstage bezüglich ihrer Forderungen nament lich in formaler Beziehung sich einigen und dieselben ge meinsam unterstützen; ob dann der Bundesrat endlich ein mal aus seiner Reserve heraustreten und Farbe Ja oder Nein, bekennen bezw. etwaige Bedenken äußern wird? Hoffen wir, daß im neuen Reichstage endlich einmal mit dem jetzigen Zustand aufgeräumt wird, der den Arbeitern noch immer das Gefühl raubt, „daß sie ein gleichberechtigter Stand im Staate sind." Wird erst dieses Kaiserwort zur Tat. daun werden auch alle übrigen Maßnahmen der Arbeiterfiusorge in unserem Volksleben erst au Segen und Wirkung gewinnen. Politische Rundschau. Terrtschland. — Ter Reichstag wird vor Weihnachten nur die erste Lesung zum Etat und über die Finanzreform erledigen. Am 18. Dezember wird derselbe vertagt werden und am 12. Januar kommenden Jahres die Sitzungen wieder auf- nehmen. — Die Regierungen bestreben sich, durch Reformen den Finanzen wieder auf die Beine zu helfen. Hierbei bekämpfen sie nur die Folgeerscheinung und legen nicht die Axt an die Wurzel des UebelS. Hier sei auf eine Ursache unsrer schlechten Finanzlage hingewicsen, es ist die ost- asiatische Expedition. Diese hat bis heute gekostet: im Rechnungsjahre 1900 . 146 632 218 Mk. 1901 . 64 383 231 - 1902 . 36 046 438 - 1903 . 12 332 826 - angefordert pro 1904 . 14 109 712 - zusammen . 273 504 435 Mk. (außerdem sind in den gleichen 5 Jahren aber auch noch 57 410 142 Mk. für Kiautschou als Zuschuß ausgegeben bezw. angefordert worden), zusammen also in 5 Jahren 331 014 577 Mk. Ausgabe für die ostasiatischen Unter- nehmungen. — Daß solche Riesenauögaben. bei gleich zeitigen enormen Ansprüchen für die Marine, die Reichs finanzen in Unordnung bringen müssen, liegt auf der Hand. Warum sucht mau den Etat des Reiches nicht von den Ausgaben für Ostasien zu entlasten? Der neue Etat bringt abermals eine Erhöhung der Ausgaben um 1 776 886 Mk., anstatt eine Verminderung. — Drei weitere Anträge der Zentrnmsfraktion des Reichstages. 1)r. Jäger hat in Verbindung mit anderen Parteien den Antrag gestellt, zur Förderung der Wohnungs frage eine eigene Kommission einzusetzeu und diese mit der Förderung einschlägiger Fragen zu beauftragen. 10r. Bachem brachte mit Unterstützung der Fraktion seinen früheren Antrag auf Bildung von Heimstätten wieder ein. Gröber fordert mit Unterstützung der gesamten Fraktion die Ein führung von Tagegeldern an Neichstagsabgeordnete. — Die sozialdemokratische Rcichstagsfraktion bestimmte in ihrer Sitzung ani Freitag abend die Genossen Bebel und Singer als Redner zur ersten Lesung des Etats. So dann wurde über die einzubriugeuden Initiativanträge Be schluß gefaßt. Ein Antrag verlangt die Wiederherstellung der früheren Bestimmungen in der Geschäftsordnung des Reichstages über die Wortmeldung „zur Geschäftsordnung". Ein zweiter Antrag verlangt für alle Bundesstaaten und für Elsaß-Lothringen eine Volksvertretung, die auf Grund des allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechtes für alle über 20 Jahre alten Einwohner ohne Unterschied des Geschlechtes gewählt wird. Beschlossen wurde ferner die Einbringung der Anträge betreffend die Aufhebung der Majestütsbeleidigungs-Paragraphen und der Erweiterung des Artikels 31 der Verfassung, der von der Immunität der Mitglieder des Reichstags handelt. Ferner wurde be schlossen einen Antrag einzubringeu, der die geheime Wahl für die Knappschaftswahlen verlangt. — Handclsvcrtragsvcrcin. Wie die „National-Zeitung" erfährt, hat Geheimer Kommerzienrat Herz das Präsidium im Handelsvertragsverein niedergelegt. — Die polnische Rcichstagsfraktion hat sich konstituiert, zum Vorsitzenden den Fürsten Nadziwill, zu dessen Stell vertreter den Abg. v. Czarlinski, zum ersten Schriftführer Graf Mielzhnski, znm Onästor v. Wolszlegier gewählt. Die Eingabe des polnischen Zentralwahlkomitees wegen der Wahl des Abg. Knlerski in Könitz-Küchel gegen den Willen des zuständigen Zentralkomitees ist bereits in der Fraktion zur Sprache gekommen. — „Eine ekelerregende Tat." Unter dieser Ueberschrift berichtet der Gewertvereiu, das Organ des Verbandes der Hirsch-Duuckerscheu Vereine, in Schkeuditz sei ein 19jähriger Handarbeiter namens Bach, Mitglied des Orts vereins und treuer Anhänger der Gewerkvereine, ein ruhiger Mann, schon seit längerer Zeit zum Uebertritt in den sozial demokratischen Holzarbeiter-Verband gedrängt worden. Als am 18. November erneute Bekehrungsvcrsuche an Bach von demselben ruhig abgewiescn wurden, wurde der sozial demokratische Arbeiter Jnrisch so wütend, daß er den Bach mit den Worten: „Na, dann leck' Fett" seinen ansgekauten Primtabak ins Gesicht warf. Der Gcwerkverein bemerkt dazu: Hört ihr's, ihr Gewerkvereiuler allüberall?!! Man beschädigt eure geleistete Arbeit, man ruiniert oder versteckt euch das Arbeits- und Werkzeug, mau schimpft und schmäht euch, mau bringt euch aus der Arbeit, mau scheut euren Umgang, inan spuckt euch ins Gesicht, man bewirft euch mit Unrat, warum? weil ihr — anders organisiert seid, weil ihr nicht zu einer Organisation gehört, deren Mitglieder zu solchen Mitteln greife», um für „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" neue Anhänger zu werben. Werdet ihr nun bald klug und wendet euch mit Abscheu und Entrüstung weg von solchen „Arbeitsbrüdern, die mit Mitteln kämpfen, die zu den schmutzigsten und ekelhaftesten gehören!" — Nationallibcralc und Evangelischer Bund. Das Stöckersche „Volk" hatte es als unerhört bezeichnet, daß ein süddeutscher nationalliberaler Professor den Bund für seine Parteizwecke ausnütze. Die „Krcuzztg." deutete durch eine Einschaltung an. daß dieser Hinweis sich nur auf den Prof. I)r. Hieber beziehen könne. Jetzt sendet mm der Regierungspräsident v. Huzel aus Ludwigsburg der „Kreuz zeitung" ein Schreiben, in dein der Vorwurf des „Volk" gegen jenen natiouallibcralen Führer ungerecht und un wahr bezeichnet wird. Man könne ja. so führt Präsident v. Huzel u. a. aus, bezüglich des Evangelischen Bundes, der in den verschiedenen Teilen des Reiches einen ver schiedenen Charakter trage, geteilter Meinung sein. Aber der Vorsitzende des würlteinbergischeu Hanptvereins, Or. Hieber, habe den Bund niemals zu Parteizwecken miß braucht und namentlich kein Geld zu guusteu der national liberalen Partei verwendet, er habe im Gegenteil stets betont, daß der Bund sich von der Politik fern halten müsse, und eben dadurch sei erreicht worden, daß auch positive und konservative Christen — zu denen sich auch Präsident Huzel rechnet — dem Bunde beigetretcn sind. DaS mag stimmen, aber das eine steht unbestritten fest, daß I)r. Hieber sein Rcichstagsmandat lediglich seiner Eigenschaft als Vorstand des Evangelischen Bundes ver dankt. Der Bund der Landwirte wollte ihm anfangs einen Wegen des hohen Feiertages Mariä Empfängnis erscheint die nächste Nummer erst Mittwoch nachmittag