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Momag oen 17. November 191k Sächsische VolkSzettung Nr. 20t; — Seite 5 Seine Hoheit, das „Werdauer Tageblatt". I» unserer Nr. 250 Hutten wir Umschau gehalten unter den Reformationsartikeln der sächsischen Presse. Dabei hat- ten wir gewagt — wir staunen heute noch über unsere Kühnheit — folgenden Satz ans dem „W e r d a u e r T a g e- blatt" zu erwähnen: „Und dann kam der Zeuge, der in prophetischer Kraft die Art der Heilsvermittelung der römischen Kirche als trügerisch und die Wege, die sie die Seele zum Himmel führen wollte, als falsch erwies, der daS echte Feuer des Evangeliums aus dem Schutt unglückseliger Jahrhunderte wieder hervorgrub und als eine Fackel durch das Volk trug." Unser Urteil dazu lautete: Kritiklos! . . . Welche An schauungen vom kirchlichen Mittelalter setzen diese Worte voraus! Das wir das „gewagt", hat Seine Hoheit, das „Wer- dauer Tageblatt", ans dem Häuschen gebracht. Es pustet uns an: Wir wären „von einer bewundernswerten Harm- losigkeit", daß wir uns „anmaßten", uns „Sächsische Volks zeitung" zu nennen; die breiten evangelischen Kreise unse res Volkes wüßten das wahrscheinlich noch gar nicht usw. Einigermaßen vernünftig wird Hoheit erst wieder, wenn sie am Schlüsse dieser scharfsinnigen Ouvertüre, welche die Hälfte ihrer ganzen Thronrede einnimmt, sich ermattet in den Sessel wirft und das Geständnis macht: „Natürlich kann jeder sein Blatt nennen, wie er wist." Aber immer noch erregt, tituliert Hoheit die „Sächsische Dolkszeitung" — „sächsisches Volksblatt" und doziert: Die kirchlichen Mißstände vor Luthers Zeit wären noch tausend fach schlimmer gewesen, so schlimm, daß man sie in einem öffentlichen Blatte znm Teil überhaupt nicht wiedergeben könnte, wie es katholische Zeugen reichlich genug bestätigen. Aber es gehörte wohl nicht zu den Forderungen der Wahr heit, daß man ehrlich eingestehe, was wahr sei und ver schweige, was nicht in den eigenen Kram Passe. Hoheit möge sich beruhigen. Am Schlüsse unseres Artikels hatten wir ausdrücklich von den Wunden der Kirche zur Zeit der Reformation gesvrochen. Widersprochen aber hatten wir der Behauptung von der trügerischen Heilsver mittelung und den falschen Wegen der Kirche, sowie von dem „Schutt unglückseliger Jahrhunderte". Das nannten wir „kritiklos": dazu wagten wir die Bemerkung: „Welche An schauungen vom kirchlichen Mittelalter setzen diese Worte voraus." Das „Werdaner Tageblatt" redet in seinem Neforma- tionsartikel vom „Schutt unglückseliger Jahrhunderte" und meint damit offenbar das ganze kirchliche Mittelalter. In der Erwiderung ans unsere Notiz aber zieht es sich — tapfer wie immer — auf die kirchlick>en Mißstände des Mittelalters vor Luthers Zeit zurück. Seine Unkenntnis mit dem Geiste des Mittelalters bekundet überdies der Satz: „Was hatte man an den himmelanstrebenden herrlichen Domen, wenn sie nur die Macht der .Kirche, des Papstes und der Priester versinnbildlichten und nicht die sehnsüchtigen Gedanken der Menschen zu Gott emportrugen?" Die von uns angeführten Urteile Kalthoffs über Luther passen dem „Werdaner Tageblatt" nicht in den „Kram". Sie finden wenig Beachtung. Vielleicht hat Hoheit von Kalthoff noch nichts gehört. Dürfen wir eine Belehrung svagen? Ter verstorbene Bremenser Pastor Albert Kalthoff war kei ner von jenen, der niit Hilfe der Evangelischen Vundes-Kor- respondenz oder ähnlicher Fundgruben geschrieben oder ab geschrieben hat. Kalthoff war ein selbständiger Forscher. Seine historische Begabung steht außer Frage. Sein Stu dium ging an die Quellen. Was er über „die Kraft der kirchlichen Frömmigkeit" im Mittelalter gesagt hat, ist Muster und Medizin für die, welche im „altgewohnten Hasse gegen das ganze mittelalterliche Papsttum" erzogen sind. Am Ende seiner Erwiderung erzählt das „Werdauer Tageblatt" von einem katholischen Priester, der nach der Lektüre des Kleinen Lutherischen Katechismus gesagt haben soll: „Selig die Hände, die dies heilige Blich geschrieben haben!" Den Namen des katholischen Priesters verschweigt das „Werdauer Tageblatt". Warum? Wir bitten, ihn uns nicht vorzuenthalten. Auch wir sind mit den evangelischen Geistlichen Kalthoff und Felden nicht hinterm Berge geblie- ben. Wir haben sie genannt und nennen heute Kalthoffs Meinling über Luthers Kleinen Katechismus im Protestan tismus der Gegenwart: „. . . und sein Kleiner Katechismus, der einst ein Volksbuch gewesen, muß heute mühsam genug mehrere Jahre hindurch erklärt werden, damit der klaffende Wider spruch zwischen dem Denken Luthers und demjenigen un seres Volkes nicht allzu klaffend hervortrcte." („Das Zeitalter der Reformation." S. 214. Die formellen Vor züge des Kleinen Katechismus sind katholischerseits immer anerkannt. Grisar nennt ihn „ein Muster von einfacher Deutlichkeit". („Luther." lll. 411.) Das „Werdauer Tageblatt", das vor Jahren unseren Lesern Spaß gemacht hat, scheint Lust zu verspüren, seine Vorstellungen wieder aufzunehmen. Wir begrüßen das. Und da wir einmal gewagt haben, Seine Hoheit das „Wer dauer Tageblatt" anzureden, so möchten wir diesmal um ernste; nicht um komische Vorträge bitten. Hoheit haben ge ruht, der katholischen Presse den Vorwurf zu machen, daß sie keine Zeugen aus dem eigenen Lager bringe, die einmal für Luther eingetretcn seien. Wollen Hoheit nicht mit dem guten Beispiele vorangehen und Zeugen aus dem eigenen Lager bringen, so für unsere katholische Kirche eingetreten sind? Das Wort hat: Seine Hoheit, das „Werdauer Tageblatt". Vörsenwockie Die pessimistische Beurteilung der Börseulage hat in der Berichtswoche einer beruhigteren Auffassung Platz ge macht. Die hoffnungsvolle Stimmung wurde ausgelöst durch die günstigen Darlegungen im Geschäftsbericht der A. E. G. Auch die Ausführungen Ballins in der General versammlung der Hapag, daß die wirtschaftliche Abschwächnng Wohl schon zum größten Teile als überwunden gelten könnte, wurde von der Börse hoffnnngsfreudig ausgenommen. Be sondere Erwähnung verdient die befestigende Wirkung des letzten Neichsbankansweises, der in llebereinstinunung mit der am offenen Geldmärkte bestehenden Flüssigkeit einen sehr befriedigenden Eindruck in Börsenkreisen machte. All diese Momente trugen dazu bei, daß der Gruudton der Börse zu Anfang der Woche entschieden fest war. Aber bald trat ein Tendenzumschwung ein, einmal im Hinblick ans die Vor gänge in Mexiko, und auf Befürchtung von größeren Geld- exporten von London nach Amerika, und dann infolge der Auslassungen des Generaldirektors der Phönix-Aktiengesell- schaft, wonach von Dezember und noch mehr von Jannar ab mit einem beträchtlichen Rückgang des Vetriebsüber- schnsses zu rechnen sei. Diese Mitteilungen gaben den An- laß zu Abschwüchungen auf fast allen Gebieten, doch wurde das Angebot nirgends dringend, da man in den Kreisen des Privatpnblikums immer noch die seitherige Politik des Zuschusses beobachtet. Wann sich diese Ungunst der Verhältnisse einmal ändern wird, läßt sich im Moment nicht absehen. Es darf aber vielleicht daran erinnert werden, daß das Knrsnivean durch die fortgesetzten Rückgänge ans einem Stande angelangt ist, der einer beträchtlichen Verschlechterung der Konjunktur schon Rechnung trägt, zumal wenn man berücksichtigt, daß die letzten guten Jahre den Gesellschaften die fast überall gern und wohl besser als in früheren Konjunkturperioden benutzte Gelegenheit geboten haben, die Reserven zu ver stärken. Charakteristisch für die ganze Marktverfassung ist, daß ein Angebot, das unter normalen Verhältnissen kaum be- sonders ausgefallen wäre, sich deshalb stärker bemerkbar machte, weil es an entsprechender Nachfrage fehlte. Und so kam es, daß ans fast allen Marktgebieten Knrs- abschwächnngen zu verzeichnen waren, die aber znm Schlüsse der Berichtswoche wieder einer festeren Grundstimmung laichen, als nach langer Zeit erstmalig Preiserhöhungen am heimischen Stabeisenmarkt gemeldet wurden, nachdem kurz vorher die Exportnotierungen für Stabeisen am internatio nalen Markt eine leichte Aufbesserung bekundet hatten. Der Geldmarkt zeigte in der Verichtswoche eine weitere Erleichterung. So hat der Status der Neichsbank in der letzten Vankwoche eine Besserung um 102 Millionen Mark erfahren. Auch das Wechselangebot war nicht sehr beträcht- lich und fand auch reichlich Käufer, namentlich aus der Provinz. Infolgedessen ging der Privatdiskont herunter auf 4V, Prozent. Tägliches Geld war leicht erhältlich und bedang -1—2>/. Prozent. Tie Seehandlnng stellte wie bisher Geld ans 5 Tage zn den Tagessätzen und bis 24. De zember zur Verfügung. Die Dresdner Börse verriet trotz der Zuspitzung des amerikanisch-merikanischen Konfliktes anfangs einen festen Grundton, neigte aber schließlich infolge der wenig günstigen politischen und wirtschaftlichen Nachrichten und der matten Haltung der Auslandsbörsen etwas zur Schwäche, war aber gegen Wochenschluß wieder ziemlich gut behauptet: die Knrsbildnug war nicht einheitlich: während auf dem Ma- schiuenmarkt das Kursniveau nach unten tendierte, wa'cn bei de» Brauereiwerten fast durchweg Kurs-Erhöhungen zn verzeichnen. Gerade für die Aktien der Brauereien zeigte sich ganz besonders Interesse. Es wurde darauf hinge- wiesen, daß die bisher veröffentlichten Abschlüsse ein recht günstiges Bild von der Lage der Brauerei-Jndnstrie geben, und daß auch die Aussichten als befriedigende »nzusehen seien, da die Beschaffung der Rohmaterialien in diesem Jahre zn besseren Bedingungen erfolgen kann. Es notierten höher Berliner Kindl 270 Prozent (2 Prozent), Deutsche Bier 01 >/, Prozent (>/5 Prozent), Schöfserhof 50 Prozent (2 Prozent), Waldschlößchen 105 Prozent (Itz^ Prozent). — 44 — Dame. Ihr kleines, versorgtes und verkümmertes Gesicht erzählte ihm eine ganze Geschichte. So saßen sie nun einander gegenüber und wechselten einige förmliche Worte, während sie einander viel Wichtigeres zu sagen gehabt hätten. Es fiel Prinz Joachim auf, daß das „Schwarzseideno" schon einiger maßen brüchig geworden war. Anscheinend bezog Fräulein von Birkhuhn durchaus kein fürstliches Gehalt. Um so mehr war er überrascht, als Prinzeß Renate hereinranschte. Sie trug ein sehr elegantes und modernes Kleid, das sie in einer langen, pompösen Schleppe hinter sich Herzog. Dieser Anzug verriet in keiner Weile die Armut der Prinzessinnen und stach jedenfalls gewaltig ab gegen den mehr als schlichten Anzug, den gestern ihre Schwester getragen hatte. In könig licher Haltung nahm Prinzeß Renate seinen Gruß entgegen und emittierte mit herablassender, kühler Höflichkeit. Aber in ihren Angen spiegelte sich doch etwas wie Wohlgefallen an der eleganten, schlanken Erscheinung des Prinzen. Hätte sie gewußt, daß sich hinter diesem Baron Schlegels ein Prinz verbarg, wäre ihre Begrüßung wohl weniger herablassend ausgefallen. „Herzog Albert teilt nur mit. daß Sie im Park zn skizzieren wünschen. Sie sind Maler. .Herr Baron?" sagte sie, als sie dann dem jungen Manne steif gegenüber saß. Prinz Joachim hatte aber bei sich konstatiert, daß ihn selten ein Franen- gesicht beim ersten Anblick so gewaltig abgestoßen hatte, als das dieser Prin- zessin Renate. Trotzdem es schön geschnitten war. machte es einen unange nehmen Eindruck. Hauptsächlich die kalten, halbgoschlossenen Augen und der verkniffene Zug um den Mund mißfielen ihm gründlich. „Eure Durchlaucht verzeihen — Maler bin ich nur sozusagen zu meinem Vergnügen, in meinen Mußestunden. Ich bin Offizier und möchte meinen Urlaub benutzen, um die mir sehr gerühmten, malerischen Stellen des Parkes zn skizzieren. Wenn Eure Durchlaucht mir gütigst gestatten, werde ich mich möglichst viel im Parke anfhalten, um recht viele Aufnahmen machen zu können." „Da Sie vom Herzog bereits die Erlaubnis erhielten, bedarf cs der meinen nicht. Sie können ungehindert ans- und eingelwn, Herr Baron." „Eure Durchlaucht sind sehr gütig," antwortete der Prinz, dachte aber dabei das Gegenteil. Wie verschieden die beiden Schwestern waren. Arme kleine Prinzeß Lolo. Wie mußte sie frieren mit ihrem warmen jungen Herzen neben dieser kalten, hochmütigen Schwester. „Ich hoffe. Eure Durchlaucht in keiner Weise zn stören." setzte er hinzu. Der Herzog hatte in seinem Empfehlungsschreiben Prinzeß Renate ge beten, Baron Schlegell freundlich anfzunehmen und ihn in jeder Beziehung entgegenkommend zu behandeln, da er ihm von seinem Freunde, Fürst Egon von Scharzcnfels, warm empfohlen worden sei. So fühlte sich Prinzeß Renate bewogen, das Gespräch noch nicht abznbrechcn. „Sic stören uns keineswegs. Der Park ist grob genug. Sie kommen von Schwarzenfels, nicht wahr, Herr Baron?" »Sehr Kohl, Eure Durchlaucht!" »Verkehren Sie am Hofe zu Schwarzenfels?" »Zuweilen. Euro Durchsancht." Prinzen eoloS Verzicht — 41 — <y. goriietzinig. Der Wirt schüttelte energisch den Kopf, und sich vorbeugend, flüsterte er, obwohl kein Mensch weiter zugegen war: „Prinzeß Lolo bekommt nicht einmal satt zu essen." Ter Prinz richtete sich hastig auf und sein Gesicht rötete sich ärgerlich. Das konnte doch nur böswilliger Klatsch sein. „Da sind Sie sicher falsch berichtet, Herr Wirt. Ich sah vorhin im Park Prinzeß Lolo, und ich kann Ihnen versichern, daß sic sehr Wohl und munter allssah, gar nicht, als fehle es ihr an Nahrung." Der Wirt beugte sich noch etwas tiefer herab und seine Aeuglein blin zelten vielsagend. „Das hat seinen Haken, Herr Baron. Im Vertrauen — Sie werden ja keinen Gebrauch davon machen — die Schwester unseres Portiers, Frau Bangemann, ist Köchin im Prinzessinnenschlößchen und da wissen wir hier allerlei, was andere Leute nicht erfahren. Sehen Sie, da ist noch ein Fräulein von Birkhuhn im Schlößchen, die ist Hofdame und Gesellschafterin der Prin zessin Renate und zugleich Prinzeß Lolos Erzieherin. Diese und die Frau Bangemann haben sich des armen, kleinen Prinzeßchens erbarmt, als sie sähe», daß Prinzeß Renate immer nur alles für sich in Anspruch nahm und ihre Schwester hungern ließ. Sie sorgen nun schon seit Jahren heimlich dafür, daß Prinzeß Lolo genug zn essen bekommt und hegen und pflegen das Prin- zeßchen, daß sie nur so aufblüht. Ja, das ist eine seltsame Geschichte, Herr Baron." Prinz Joachim hatte einen ganz roten Kopf bekommen. Was er da hörte, wurde mit solcher Bestimmtheit vorgebracht, daß er cs nicht nur für Klatsch halten konnte. Es widerstrebte ihm innerlich, sich das alles auznhören, aber zugleich sagte er sich, daß er sich auf diese Weise am besten orientieren konnte. Schließlich fand er doch später Gelegenheit, Wahrheit und lieber- treibung abzuschätzen. So sagte er ruhig: „Das scheinen ja sehr wenig erbauliche Verhältnisse zn sein. Prinzeß Lokandia ist Wohl sehr beliebt bei den Leuten?" Der Wirt nickte eifrig. „Das will ich meinen, Herr Baron. Sie ist aber auch ein zu liebes, freundliches Dingelchen. Keine Spur stolz und hochmütig. Dafür trägt ihre Prinzessin Schwester den Kopf um so höher und unsereiner ist nur Staub zu ihren Füßen. Ihr Hochmut ist geradezu sündhaft. Sie soll ihre Schwester direkt hassen, weil diese nicht eine geborene Fürstin, sonder» nur ein ein faches Fräulein „von" zur Mutter gehabt hat. Sie gönnt dem armen, kleinen Prinzeßchen kein gutes Wort. Immer nur schelten und zanken. Wenn das Fräulein von Birkhuhn nicht wäre, die heimlich Prinzeß Lola tröstet — denn auch das darf Prinzeß Renate nicht wissen — dann könnte einem das arme Ding noch viel mehr leid tun. Jedes arme Bürgermädchen hat einen Menschen, der lieb und gut zu ihr ist. Aber die arme, kleine Prinzeß ist viel schlechter dran, viel schlechter, lind es ist zn bewundern, daß sie alles so mutig erträgt." Prinz Joachim war ganz eigen zumute. „Armes Prinzeßchen, armes, kleines Prinzeßchen," mußte er immerfort denken, und eine Unruhe saß ihm am Herzen, als wenn er zn ihr gehen und sie trösten und schützen müsse. Hastig schob er den Teller zurück.