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Nr. 80 — 10. Jahrgang D»««er-tag den IO. April 1S1L MchslscheNMsMmg erscheint tSglich nachm, mit Ausnahme der Sonn- und Festtage. «u»gab« I mit .Die Zeit in Wort und Bild- vierteljährlich L' .4" Dresden durch Boten 2.4« In ganz Deutschland frei Hau» 2 82 in Oesterreich 4,4» L ohne illustrierte Beilage vlerteljührllch 1>U» Z"Dresden durch Bote» 2,1«^ In ganz Deutschland frei Haus 2,22 in Oesterreich 4.07 L — «inzel-Nr. I« ^ Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht unb Freiheit Inserate werden die «gespaltene Petitzcile oder deren Raum mit iS 2, Reklamen milk« ^ die Zeile berechnet, bei Wiederholungen entsprechenden Rabatt, Buchdruikeret, Redaktlou und Geschäftsstelle! Dresden, Ptlluitzer Strafte 4». - Fernsprecher 1»««» Für Rückgabe unverlangt. SchrtststüikekeineVerbiudltchsri« RedaktionS-Sprechstunde: II bis 12 Uhr. 7rote ovcli nie claLöwesener Kaktee - "reuerunx kostet unser be liebter, vorrÜLlicker k?amilien-t<afkee nur 150 PL. riss k>kun6. kerlilix L kockslroli, vresäeii. blieäerlllxen in allen Stsätteilen. Pariser Brief. (Von unserem Pariser ^-Mitarbeiter.) (Nachdruck verboten.) Gin Bürgerkrieg war es, nichts mehr und weniger, als die von Finanznöten bedrängten Winzer der Champagne zu den bekannten Gewaltmitteln schritten. Revolutionäre Banden konnten ein Departement verwüsten, ein Dutzend Häuser verbrennen, zwanzig Champagnerkeller plündern, 1500 Fässer zerschlagen und Ruinen und Entsetzen säen. Die siegreiche rote Fahne hat auf Barrikaden, rauchge schwärzten Mauern und rauchenden Trümmern geflattert. Uird während die von den anarchistischen Genossenschaften viel gerühmte „direkte Aktion" ihre Triumphe feierte, be trachteten sechs Husoreneskadronen, die keine Ordre zum Eingreifen hatten, Flammenschauspiel und Barrikaden i it stoischer Ruhe. Der Marnepräfekt erhielt erst den Befehl zum Widerstande, als die Meuterer ermüdet waren und die Schlacht eingestellt hatten. „Das ist eine Seite der Trauer und der Schande, die der Geschichte der dritten Republik angefügt wurde," ruft ein angesehenes Pariser Blatt aus. Dieser Satz gibt die Stimmung weiter Kreise wieder. Heute ist das Marne departement allerdings militärisch besetzt. Ein ganzes Armeekorps ist auf die immer noch bedrohten Punkte ver teilt worden. Inzwischen beziffert sich der Schaden auf mindestens 30 Millionen Franken. Mächtige Handelshäuser sind zerstört oder werden auswandern. Gescksiiftlich ge sprochen werden die deutschen Champagnerfabrikanten von der französischen Winzerkrisis profitieren. Die Konkurrenz ist geschwächt. Obwohl der deutsche Champagnerankauf in letzter Zeit etwas nachgelassen hat, sind die Engländer und Deutschen immer noch die besten Abnehmer. Nach Deutsch land wurden noch im Vorjahre 1 300 000 Flaschen exportiert. Selbstverständlich hat die Revolution im Kleinen ihre politischen Ursachen und Folgen. Die Politik des citoyen Browning, das heißt der brutalen Gewalt, ist zum Aus drucke gekommen. Das Gesetz gegen die Weinpantscherei stand seit Jahren nur auf dem Papier. Wer die Protektion eines einflußreichen Politikers oder Logenmannes hat, braucht sich uni gewisse Gesetzesparagraphen nicht sonder lich zu kümmern. Man hat das Vertrauen zur Gesetz gebung, deren Vertreter seit zehn Jahren mit hohlen Phra sen an die arbeitende Wählermasse herautreten, verloren und greift, dem gallischen Temperament entsprechend, zur Selbsthilfe auf dem Revolutionswege. So ist es auch er klärlich, warum der Sozialistenführer Jaurös die Tage des in den Karnevalstagen mit Blitzeseile entstandenen Kabi netts Monis eifrigst beschützt. Eine Regierung, unter der des Privateigentum und die öffentliche Finanz über Nacht in Flammen aufgeht, ist ein Ideal für die kollektivistische Propaganda, die den Zusammenbruch der Gesellschaft her- bcisehut. „Die Ereignisse in der Champagne," schreibt das Blatt „Guerre sociale", „erwecken in uns dieselben Hoff nungen tvie der Eisenbahnerstreik. Ein bißchen mehr Dis ziplin und die Revolte ist da." Wenn der Ministerpräsident Monis, dessen flaue Haltung selbst in den extrem radikalen Zirkeln eine scharfe Kritik erfuhr, und sein Ministerium beute nicht am Boden liegen, so verdankt er es in erster Linie der sozialistischen Unterstützung. Die Kammer hätte ihm das Vertrauen entzogen, hätte der Staatschef seine Reise nach Tunis nicht unternommen und wären die parla mentarischen Ferien nicht vor der Tür gestanden. Mit knapper Mühe ist das Budget vom Unterhause noch vor Torschluß erledigt. Die Beratung wird vom Senat noch erfolgen. Da aber der Wiederzusammentritt der bei den Kammern erst am 16. Mai erfolgt, muß zum'sechsten provisorischen Zwölftel geschritten werden. Ein Rekord des Versagens der parlamentarischen Maschine. Und das unter dem erzradikalen Ministerium Monis, das eine Reihe weltbeglückender Refornren in Aussicht stellte! Im übrigen hat die Medaille neben der Schatten- auch eine Lichtseite. Die berüchtigten Schulgesetzentwürfc, die den Familienvätern die Unterrichtskontrolle entziehen wollen, sind aus dem Finanzgesetze ausgeschaltet worden. Die mit großer Spannung erwartete äußerst hitzige Schul- dcbatte war also erledigt, bevor sie begonnen hatte. Aller dings ist aufgeschoben nicht aufgehoben. Die Debatte wird nachher um so gründlicher. Es liegen bereits über hundert Zusatzanträge vor. Es sind 60 öffentliche Abstimmungen vorgesehen. Die kommende Schlacht, die über die franzö sische Schulfrage ein entscheidendes Wort spricht und von den Radikalen mit allem Eifer vorbereitet ist, wird zwei Wochen dauern In Logenkreisen agitiert man für eine rasche Erledigung. Kein Ministerium ist der jakobinischen Lösung der Frage so günstig wie das gegenwärtige Kabi nett, das im Zeichen der Kelle und des Antiklerikalismus geboren wurde. Politische Rundschau. Dresden, den IS. April ISN. — Der Kaiser auf Korfu. Der deutsche Kaiser der- weilte am 18. d. M. von 12 — 4 Uhr bei den Ausgrabungen in der Nähe von Garitza, die Kaiserin etwas kürzereAZeit. Nachmittags fand beim Kaiserpaare im Achilleion ein Diner statt, woran auch die Königin-Mutter von England und der König der Hellenen teilnahmen. — Eine ve>egu»u- Kaiser Wilhelm» mit dem Zaren soll während seines Aufenthalts in Deutschland im Schloß Wilhelmshöhe bei Kassel stattfinden. — Im Reich-Postamt finden gegenwärtig Erwägungen darüber statt, wie beim plötzlichen Verlegen der Draht leitung die Uebermittelung der Depeschen durch drahtlose Telegraphie erfolgen kann. Stationen sind in Aussicht ge nommen in Swinemünde, Königsberg, Norddeich. Cuxhaven, Helgoland und auf der Insel Sylt. — Der Rücktritt des uordamertkauische« Botschafter» iu Berlin, David Hill, ist auf seine Stellungnahme in der Kalifrage zurückzuführen. Der Botschafter, der sich gegen- wärtig in den Vereinigten Staaten befindet, soll von der nordamerikanischen Regierung eigens nach Washington be rusen worden sein. Bei seinen Konferenzen mit dem Staats- sekretär Knox und dem Präsidenten Last erkannte er sofort, daß seine Haltung der der nordamerikanischen Regierung direkt zuwider läuft. Hill zog sofort die nötigen Folgen hieraus und beschloß, von seinem Posten in Berlin zurück- zutreten, obgleich er erst vor kurzer Zeit wieder eine neue Wohnung auf ein Jahr gemiet-t und sich darauf eingerichtet hatte, bis zum Ende der Präsidentschaft Tafts der Vertreter der nordamerikanischen Republik in Berlin zu bleiben. Hill nahm in der Kalifrage eine „energische" Haltung ein. Präsident Taft und der Staatssekretär Knox wollen einen Zollkrieg mit Deutschland vermeiden. Hill ist der Ansicht, daß Deutschland nachgeben werde, sobald ein Druck auf die deutsche Ausfuhr auSgeübt werde. — Der 12. Historikertag wurde am 18. d. M. in Braunschweig in Gegenwart des Herzogregenten Johann Albrecht und der Frau Herzogin feierlich eröffnet. — Da» Büudni» der Natioualliberaleu mit dem Frei sinn stößt immermehr auf Schwierigkeiten. Der bisherige Vorsitzende des nationalliberalen Landesausschusses für Bayern. Dir. W. Tafel, ichließt die Begründung seiner gemeldeten Amtsniederlegung mit den Worten: „Würde die Einigung (mit den Linksliberalen) er- zwungen, so würde dies >te rechtsstehenden Elemente aus dem Liberalismus hinaus zu den anderen Parteien drängen, ein Prozeß, der sich leider schon jetzt langsam vollzieht." Aber nicht 'nur der -Fusion mit den Linksliberalen zeigen sich die rechtsstehenden nationalliberalen Wähler ab geneigt, sondern auch dein taktischen Zusammengehen mit dem Linksliberalismus, dos ja auch im Reichstage selbst sich oft genug seit der Finanzreform als unmöglich erwiesen hat Auf die lehrreichen Symptome in einzelnen Wahl kreisen. sogar im Königreich Sachsen, wo die Herren vom Hansabunde den Ton in den Versammlungen angeben, haben wir aufmerksam gemacht. Je länger der Wahlkampf dauert, desto mehr wird den besonnenen Wählern klar werden, daß das Zusammengehen mit den Bundesgenossen der Sozialdemokratie, der fortschrittlichen Volkspartei, nichts anderes bedeutet, als den Kampf für die Sozialdemokratie. Die Freisinnigen führen diesen aus Abneigung gegen das Zentrum so lange, bis sie restlos von der roten Flut be- festigt werden. — „Niemals vorher erlebte ungünstige Verhältnisse" hat nach der demokratischen „Franks. Zeitg." die Neichs- finanzreform für die Champagnerfabrik und Aktiengesell- ichaft Burgeff u. Co. in Hochheim a. M. gezeitigt. Die Er höhung der Schaumweinsteuer soll den Erfolg gehabt haben, daß die Dividende des Vorjahres von 17s^ Prozent auf 151/; Prozent — verteilt auf 1714 268 Mark Grund- kapital — zurückgegangen ist. Fürwahr, wir sind weit gekommen, wenn ein „demokratisch" sich nennendes und für das „Volkswohl" angeblich eintretcndes Blatt es noch wagt, seinen Lesern derartige Klagen vorzusetzen, oder wären viel leicht 25 Prozent „volkstümlich" und „im Interesse des Mittelstandes", wie die Phrasen der Schutzheiligen der „Franks. Zeitg." lauten? Handwerker, Kleinkaufleute, ja der gesamte Mittelstand halten schon 6 Prozent oder weni ger für gute Gewinne und hier wird offen Lamento in die Welt geschrien, wenn die Champagneraktionäre sich mit 16s/; Prozent „begnügen" müssen! Doch das demokratische Blatt hat wenigstens einen Trost, und der wird es auch darüber hinwegsetzen: Seine innigsten Freunde, die So- zialdemokraten, haben ja auch gegen die Schaumweinsteuer gestimmt und sich damit als würdige Vertreter der „Inter essen der Arbeiter" erwiesen. — Die Osterhoffnung der „Freisinnigen Zeitg." lautet: „Ob das Zentrum an Mandaten verlieren wird, steht dahin. Vielleicht wird auch diese für unerschütterlich gehest- tene Partei, in deren inneren Reihen nicht mehr die alte Geschlossenheit herrscht, geschwächt werden. Im Allgäu, in dem zu 90 Prozent katholischen Wahlkreise Jinmenstadt- Lindau hat es sein Mandat an einen Liberalen verloren. Wie dem aber auch sein wird, es genügt, wenn die Konser- vativen und Agrarier derart verringert werden, daß die schwarzblauen Parteien aus der Mehrheit in die Minder heit geschoben werden. Die Wahlen von 1907, die den Zweck hatten, das Zentrum auszuschalten, haben dieses Ziel er- reicht, auch ohne daß das Zentrum geschwächt wurde, durch Zurückdrängung einer anderen Partei, der Sozialdemo kratie. Diesmal gilt, unbeschadet der nicht zu Überdrücken- den Gegensätze zwischen Sozialdemokratie und Liberalis mus, der Kampf in erster Reihe den mit dem Zentrum pperierenden Konservativen. Ohne die Konservativen wäre das Zentrum nicht wieder in die unselige ausschlaggebende Stellung zurückgekehrt. Die Eiterbeule war glücklich aus- gestochen, die Konservativen haben sie wieder mit sanfter Liebe geschlossen und Bülow und Dernburg weilen fern vom Krankheitsherd." Die Antwort der gesamten Zentrumswählerschaft auf diese Herausforderung wird lauten: Unter keinen Nmstän- den einem freisinnigen Kandidaten eine Stimme! Schärf sten Kampf gegen die kulturkämpferische fortschrittliche Volkspartei! — Ans der Bauarbeiterbewegung. Der Zentralver band christlicher Bauarbeiter hat kürzlich eine löseitige Agi tationsschrift verbreitet, worin eine sachliche Schilderung der praktischen Gewerkschaftsarbeit enthalten ist. Die ein zelnen Perioden der baugcwerblichen Tarifentwickelung treten deutlich aus dem Gesamtbilde hervor. 1. Der Klein krieg von 1903 bis 1907; 2. die Bewegung vom Jahre 1908 und dann das gewaltige Ringen 1910. Die Erfolge dieses Niesenkampfes sind in übersichtlicher Weise zahlenmäßig dargestellt. Der Zentralverband christlicher Bauarbeiter ist demnach an insgesamt 245 Tarifverträgen mit fast sämt lichen Mitgliedern beteiligt. 221 Tarifverträge wurden im Jahre 1910 abgeschlossen. Die direkten materiellen Er- folge der Bewegung vom letzten Jahre bestehen in einer Arbeitszeitverkürzung von je einer halben Stunde täglich für 2655 Mitglieder, von einer Stunde und mehr für 1349 Mitglieder. Für 1167 Mitglieder wurde eine kürzere wie zehnstündige Arbeitszeit erzielt. Ferner beträgt die nach zurechnende Lohnerhöhung für die dreijährige Tarifdauer und die 33 271 Mitglieder des christlichen Bauarbeiterver bandes 7 509 096 Mark. Pro Kopf beläuft sich der Mehr verdienst auf 60 bis 564 Mark oder im Durchschnitt 225,70 Mark. — Der Skandal in Landsbcrg a. W. Wir hatten be richtet , daß das Stadtverordnetenkolleginm in Lands berg a. W. de» Antrag der katholischen Bevölkerung, in den Lehrplan der Mädchenbürgerschulen und Knabcnmittel- schulcn, die 46 Katholiken zähle», katholischen Religions unterricht aufznnehmen, abgclehnt habe und zwar mit der Begründung, daß die Geistlichen den Modernisteneid ge leistet hätten. Darauf erschien in der „D. Tagesztg." eine Berichtigung dieser Meldung. Wir nahmen davon Notiz. Wie steht es in Wahrheit mit dieser Sache? Am 17. Februar wurde über den Antrag der katholischen Geistlichkeit auf Einführung des Religionsunterrichtes beraten. Nack dem Berichte des „Generalanzeigers für die gesamte Neumark" erklärte der Referent im Stadtverordnetenkollegium: „Nach dem Anträge solle die katholische Geistlichkeit den Unterricht erteilen. Dies solle man nicht zulassen. Als Knltnrhemmnis sei die katholische Geistlichkeit gebrand- markt worden durch die letzten Vorkommnisse mit der Borroinäusenzyklika. Wenn man den Geistlichen den Fin ger gebe, dann nehmen sie die ganze Hand." Nach dem Berichte der freisinnigen „Nenmärkischen Zeitg." hat der Referent erklärt: „Ich könnte mich ans den Standpunkt stellen, daß. nachdem die Katholiken die Simultanschnle nicht »vollen, wir auch nicht verpflichtet sind, katholischen Unterricht zu bezahlen. Am wenigsten aber könnte ich dafür sein, zu honorieren, wenn er von den Geistlichen erteilt wird, wenn eS sich auch nur um 420 Mark handelt. Hindern würde mich der Modernisteneid und andere Vorgänge der letz ten Zeit." Der Antrag der katholischen Geistlichkeit wurde ein stimmig abgelchnt. Der Magistrat hat nun wegen dieser Haltung des Kollegiums in der Sitzung vom 31. März d. I. einen neuen Antrag eingebracht, demgemäß der katholische Religionsunterricht durch katholische Lehrer erteilt werden soll. Der Magistrat beantragte, zwei katbolisck)e Lehrer mit der Erteilung des Religionsunterrichtes zu betrauen. Die Kosten würden 300.Mark betragen, — und wie stellte sich das Stadtverordnetenkollegium dazu? Man verfolge die Debatte hierüber, die wir hier ebenfalls nach dem Be richte der freisinnigen „Märk. Zeitg." (Nr. 79 vom 2. April 1911) folgen lassen: „Referent Stadtverordneter Rechtsanwalt Dr. Binttg hat gegen den neuen Antrag das Bedenken, daß die Stadt keine Verpflichtung habe, diesen Unterricht erteilen zu lassen und zu bezahlen. Wenn man sich im Osten nachgiebig zeige, wisse man nicht, ob dasselbe in dem katholischen Westen ge- schehe. Der Magistrat habe darüber Erhebungen nicht ans