Suche löschen...
Sächsische Volkszeitung : 22.04.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-04-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192304228
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19230422
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19230422
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-04
- Tag 1923-04-22
-
Monat
1923-04
-
Jahr
1923
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 22.04.1923
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Nr. 55, Seile 3 Eouulag, !t2. Slpril 1023. Die lächfische Wer»- dkßmt sich! Dresden, 21. April. Die Iiachrichtenjtelle in der Staatskanzlei teilt »üt: I» der Oesfentlichkeit wird zu leicht erkennbaren politischen Zwecken die Anschauung verbreitet, daß die Regierung den an einigen Orten vorgekoinmenen Ausschreitungen von sogenannten Selbst schutz-Organisationen tatenlos zusehe oder sie gar begünstige. Es ist durchaus falsch, sämtliche Ausschreitungen den genannten Or» ganisationen zuzuschrciben. In mehreren Fällen steht fest, daß die Ordnerorganisationen an den Vorkommnissen überhaupt nicht beteiligt gewesen sind. ES ist ferner festzustellen, daß der Mi nisterpräsident, nachdem er schon in der Regierungserklärung vom 10. April unzweideutig die Stellung der Regierung zu die ser Frage dargelegt hatte, auf Angriffe in der Sitzung d:S Land tags vom 13. April folgendes erklärt hat: „Es besteht zweifellos die Möglichkeit, das; diese oder jen» der Abwehrorganisationen im Verkennen ihrer Aufgaben sich Exebntivbefngnisse anmaht, und es mag sein, das; das schon vor- gckommen ist. WaS richtig ist, gebe ich zu. Wir habe» noch keine abschließenden Berichte darüber, aber eS wird richtig sein. Ja, eS wäre denkbar, daß die Organisationen in irgendeiner politischen Situation glaubten, gegen die Regierung Front machen zu müs sen. um ihre eigene Meinung durchzusetzen. Diese Gefahr be steht, und diese Möglichkeit zu leugnen, wäre ganz zwecklos. ES fragt sich bloß, welche Gefahr größer ist, die ganz konkrete Gefahr, die von der äußersten Rechten her droht, oder die entferntere Gefahr von der äußersten Lin ken, die wir allerdlngs zu bannen glauben . . . (lieber diesen Kernpunkt gehen allerdings die Meinungen gerade arg ausein. ander. D. Red.), lind glauben Sic, eine notwendige Maß nahme dadurch diskreditierenzu können, daß jetzt in der ersten Ue b e rg a n g S z e > t (?), wie es scheint, allerdings bedauer liche Mißgriffe vorgekommen sind, Kompctenzanmaßungen, welche die Regierung nicht dulden kann und auch nicht dulden wird, und stünden die betreffenden Organisationen der Rcgiermcg poli tisch noch so nahe. Wenn Ihnen Erklärungen dieser Art nicht genügen, dann weiß ich nicht, was Sie überhaupt verlangen. Die Regierung ist fest entschlossen, etwaigen Uebergriffen zu be° gegner und ihrer Herr zu werden. Die Parteien haben in dieser Beziehung Verpflichtungen übernommen und wir müssen ab- warten, ob diese Verpfiichtungen verletzt werden." In folgerichtiger Ergänzung dieser unmißverständlichen Ec- klärung lat das Ministerium des Innern sofort den sämtlichen in Frage kommenden Behörden des Landes erneut die Beach tung des Paragraph 132 des St. G. B. eingeschärft nd sie dar- auf aufmerksam gemacht, dass sie gegen die Exekutivhandlungen von Privatpersonen und gegen das Einmischen von Privatper sonen in Exekntivmaßnahmen der zuständigen Polizeibramten- fchast mit Entschiedenheit einzugreifen haben. Das M'nisterium hat in dieser Berrodnung deutlich zum Ausdruck gebracht, das» die Exekutive ausschließlich bei der Regierung nnd ihren pesevlich bestimmten Organen liegt. Es hat darüber hinaus zur Vermeidung von Reibungen und zur Sickerung einer zweckmäßige» Durchführung von diesbezüglichen Anordnungen bestimmt, daß die Behörden bei etwaigen Maßnahmen gegen vebergriffe von Privatpersonen die RecnerungSkommissare zur Beratung hinzuzuziehen haben. Damit sind auch die Maßnahmen getroffen, um allen Staatsbürgern die VereinS- und Versammlungsfreiheit innerhalb der gesetzlichen Bestimmungen zu sichern. Die Regierung hat zu den beteilig ten Kreisen das Vertrauen, daß sie die Anordnungen der zuständigen Behörden zugunsten der oegen Wnck-'-. Willkür und pofitiscke ttebergriffe zu schützenden Kreise energisch unterstützen und olles unterlassen werden, was einen Schutz dieser Kreise gefährden könnte. M kill IM Ml- »Illl WkilMn! -kM »n» StterMsmdicn Anfragen nnd Anträge im Landtag. Dresden, 20. April. Die Deutsche Denwkratische Lanv- tagSfraktion hat nachstehende Anfrage au die Regierung ge- richtet: Obgleich sich in letzter Zeit ein Preisabbau auf dem deutschen Holzmarkte vollzogen hat, ist ini Gegensatz hierzu die für die Lederherstellung erforderliche Gerbrinde nicht un wesentlich im Preise gestiegen. Die Konkurrenzfähigkeit des sächsischen G e r b e r g e w e rb e s ist damit schwer geschädigt. Im Interesse des sächsischen Gerbergewerbes erscheint eS daher dringend geboten, die Preise für Gerbrinde angemessen herab, zusctzen und für das sächsische Gerbergewerbe die erforderliche Gcrbrinde aus den sächsischen Staats-, Gemeinde- und Privat forsten sicherzustellen. Ist die Regierung bereit, wie eS bereits Bayern, Baden, Württemberg und die Tschechoslovakei getan haben, die von dem bodenständigen sächsischen Gerbergewerbe be nötigte Gevbrinde, die in Sachsen gewonnen wird, sicherzustellen, nnd die in den sächsischen Staatsforsten gewonnene Gerbriude zu angemessenen Preisen abzugeben? — Die Sozialdemokratische Landtagüfraktion beantragt, die Aushebung deS Landtags- beschlusfcS vom 14. Juni 1921 über die Elternratswahlen n»d Neuwahlen z» den Eltrrnräten in diesem Jahre «n unterlassen. Verband fiir KeruMalwtse» Dresden, 20. April. Der Deutsche Verband für das beruf liche Schulwesen (Deutscher Gewerbeschnlvcrband) hält in der Pfingstwoche d. I. seine Wanderversammlung in Dresden ab. Dabei werden sich die Lehrkräfte der Bau-, Maschinenbau-, Kunstgewerbe-, Textil-, Gewerbe-, Fach- und Frauenschulen sowie der Techniken versammeln. Den EhrenauSschuß bilden: Der Wirtschaftsminister der Freistaates Sachsen Fellisch, der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Blüh er und der Dresdner Stadtschulrat Dr. Hartnacke Beauftragter des Wirtsck-astSministeriums: OberregierungSrat Be irisch. Be merkenswerte Vorträge stehen auf der Tagesordnung: Gesund heitspflege und Berufsausbildung, Geh. Med-Rat Prof. Dr. Thiele. Arbeitssorfchung und gewerblicher Unterricht; Dr. ing. Riedel. Die Volkswirtschaftliche Bedeutung des Alumi niums, Prof. De bar. Die Bedeutung der Kinos für de» ge- werbe-technischen Unterricht: Dr. Phil. Meinet. Eine Aus stellung von Schülerarbeiten und eine solche über LehrlingS- wesen werden ein Bild über das sächsische gewerolich-techniiche Schulwesen geben. Eine betriebstechnische Woche, die alle wich tigen Aufgaben der deutschen Volkswirtschaft behandelt und eine Hochschulwoche für Lehrkräfte an Frauenschulen gehen der Tagung voran. Besichtigung der Dresdner Sehenswürdigkeiten (Gemäldegalerie. Museum für Sächs. Volkskunst nsw.) und Aus flüge in die (Sächs. Schweiz und Meißen) schöne Umgebung Dresdens versprechen den Teilnehmern angenehme Stunden. Teilnehmerkarten 5000 Mk. Sie berechtigen gleichzeitig zum Eintritt in die Ausstellung „Sport und Spiel" vom 23.-26. Mai 1023. Die Teilnehmerliste wird am 80 April geschlossen. Alle Zuschriften sind an den geschäftsführcnden Vorsitzenden des Orts ausschusses, Gewerbe-Studienrat Karl Küth, Gewerbe- und tech- »ischc Mittelschule, Dresden °A., Dürerstr. 48, Feruspr. 35 012, zu richten. Zahlungen können an das Bankhaus S. Mattersdorff, DreSdcn-A., Sccstraße 14, Postkonlo Dresden 2401 bewirkt werden. kimllmdtl «xd pttispMllgslikllkii Dresden, 2l. April. Der gcschäftSfübrende Vorsitzende t er Sächsischen EinzclhandelSgemeinschast. Syndikus Prof. Dr. Käst- ner, hat einen Brief an den sächsische» Wirtschaftsminister Fel lisch gerichtet, in dem er um eine Unterredung über die vom Wirtschafts-Ministerium erlassene neue Verordnung über die Einrichtung von Preisprüfuugsstellen bittet. In dem Briefe heißt es u. a: „Ohne auf die Frage der rechtlichen Zulässigkeit der erlassenen Verordnung einzugehcn, muß gesagt werden, daß aus rein sachlichen Erwägungen heraus die getroffene» Anord nungen gerade in den Kreisen des soliden und anftändigeii Ein zelhandels schwerste begründete Besorgnisse auszulösen geeignet sind . . . Die Richtlinien, die zwischen der sozialdemokratischen und der kommunistischen Pariei als Grundlage für die Regie rungsbildung vereinbart worden sind und die auch die Grund lage der vorliegenden Verordnung bilde», mußten die Befürch tung auslösen, daß die KontrollauSschüsse. abgesehen vo» ihrer politischen Bestimmung als „proletarisches Kampsorgau", eine Bekämpfung deS wirklichen Wuchers nicht herbeiführeu würden, vielmehr nur, und zwar ausschließlich dem Einzelhandel gegen über, unsachlichen, die breite Oesfentlichkeit ungerecht »ich un günstig beeinflussenden „Revisionen" Tor und Tür öffnen würden." Aus aller Welt f Wrlstaiislik der Geistesarbeit im Jahre 1021. Au neuen Veröffentlichungen erjchieueu 1921: tu den Vereinigten Staaten 8329 (1920: 8122); i» Dänemark 3673 (3757); in den Ländern deutscher Zunge (Deutsch-Oesterreich, Schweiz) 31 252 <4920: 32 345; 1913: 35078); in Frankreich 7683 (>020: 5012): in Grostbritaunien 11026 (11 004); >n Italien 6293 (6230); in Luremburg 92 (90); tu den Niederlanden 4131 (3047); in Norwegen 1033 (919); n, Rußland schätzungsweise 2500; in der Schweiz l 332 (1153); in Spanien 1194 (1577); in der Tschechoslowakei 5838 (3572); in Ungarn 2318 (2377). ch Eine katholische Universität in Nymwegen. Tie abge- ordneten Staaten von Geldernland (Provinziallandtag) haben den Beschluß der Gemeinde Nymivege» betreffend einen jährliche» Beitrag von 100 000 Gulden an die zu stiftende katholische Uni versität gntgeheißen. Dadurch ist dieser Stadt die Ehre und der Vorteil gesichert, der Sitz einer katholischen Univer- sttät zu sein. Ihrer Eröffnung dürsten im kommende» Herbst keine Schwierigkeiten inehr «ntgegentreten. Inzwischen hatte der Kampf gegen den Beschluß des Gemeinderats nicht geruht. Meh rere Petitionen sind an den Provinziallandtag abgegangeu, um die Bestätigung zu verhindern. Aber auch die Katholiken Nym- tvegenS reichten eine ausführliche Darlegung der Grunde ei», die die Gutheißung des Zuschusses als gerechtsertigt ernhcinen lassen. Auch außerhalb Nymwegens interessierte man sich ge gen die Universität. In liberalen Zeitungen erschienen lange Artikel, die darzutnn versuchte», daß gläubige Katholiten überhaupt nicht wissenschaftlich arbeiten können, wegen ihrer Gebundenheit an die Dogmen. f Englands günstige Finanzen. Im Unterhause reicbte der Schatzkanzler Baldwin sein Iahresbudjet ei». Es schließt mit einer Einnahme von 852 Millionen Psund Sterling gegen 8l6 Millionen Ausgaben ab, also mit einem Saldo von 36 Mil lionen Pfund. Der Kanzler trat daher für möglichste Herabsetzung der Steuern ein. Ebenso will er die Portotarife sür Paiete in England und Ausländsbriefe herabietzen, ebenso die Telephon gebühren. Dce Gewinnsteuer bei Aktiengesellschaften wird von 1 Schilling auf einen halben Schilling verringert, während die Einkommensteuer vo» 5 Schilling auf 1.5 Schilling herabgesetzt wird. Durch diese Maßnahmen wird das Schatzamt e.lva 34 Millionen Pfund weniger erln»lten nnd der Jahresnberschnß nominell nur 2 Millionen betragen. Baldwin sagte schließlich noch, daß der Plan einer Besteuerung von Wetten nicht sehr angebracht erscheine. AuS seinen Ausführungen ist bemer kenswert, daß die auswärtige Schuld Englands von 1090 Mill. auf 1150 Millionen Pfund gestiegen ist. Spender von Wärme und Kälte In England ist man eben daran, einen merkwürdige» nnd nützlichen Apparat zu erfinden. Dieser hat das Aussehen eines Heizapparates, ist jedoch imstande, im Winter Wärme und im Sommer Kälte zu spenden. Eine einfache Kurbel regelt nach Be lieben das Ansströmen von kalter oder warmer Lust. Unerläß lich ist natürlich, daß man sich bei der Regulierung dieses Ap parates nicht irrt. kür- l-'. Lu 8 kLli Vsk'ksufskokltok' Mmeier H Lo. I^SI'NSP»'. 2606 Zwischen Himmel und Erde Von Otto Ludwig (17. Fortsetzung.) Das Leisegehen nnd Leisereden aber war wirklich und bauerte fort; und eine Leiche war in der Stube, eine schöne Kin derleiche. Während Fritz Nettenmair von Leitern und Fahr zeugen träumte, hatte des kleinen Aennchen» Seele sich zu einem bessern Vater gerettet. Der Leib lag starr in dem kleinen Bett- chen. Der Zwist der Eltern hatte das Kind krank gemacht; Schmerz über die wilde Tut des Vaters an der Mutter hatte ihm daS kleine Herz gebrochen. Fritz Nettenmair schlief noch den Schlaf eines Bewahrten, als der neue Tag anbrach. ApolloniuS war schon lange munter; vielleicht hatte er gar nicht geschlafen. AuS seinen Gedanken und Empfindungen schreckte ihn Valentin, der ihn hinunterrief. Ec kam unrlchiger wieder herauf, als er hinuntergegangen war. ES »var nicht allein AennchenS Zustand, die er wie ein Vater liebte, was auf seiner Seele lag; mich daS Mitleid mit Aenn,- chenS Mutter war gewachsen, und eine Furcht war neu hinzu- gekommen. di« er sich gern anSgcredet hätte, wäre solch ein Ver. fahren mit seinem KlarkeitSbedürfni» -und seiner Gewissenhaftig keit vereinbar gewesen. Als der erste Schimmer deS neuen Tages durch sein Fenster fiel, stand er auf von dem Stuhle, auf dem er seit seiner Zurückkunft gesessen. ES war etwas Feierliches in ver Weise, wie er sich aufrichtete. Er schien sich zu sagen: „Ist es, wie ich fürchte, muß »ch für uns beide'ernstesten; dafür bin ich ein Mann. Ich habe gelobt, ich will meines Vaters HauS und seine Ehre aufrecht erhalten und ich will in jedem Sinne erfüllen, was ich gelobt!" — Fritz Nettenmair erwachte endlich. Er kleidete sich an und ging hinunter. Aber er stand plötzlich vor einer Leiche. Ein Schänder faßte ikn an. Da stand das tote Kind vor ihm wie ein Warnungszeichen; nicht weiter auf diesem Weg, den du ein geschlagen hast! Da lag da» Kindd. das sein Kind war. tot. Jetzt weiß er, was daS bleiche, stumme Antlitz der Mutter rief: „Du tötest daS Kind; schlag nicht!" Und er hat dock geschlagen. Er hat das Kind getötet. DaS trifft ihn wie ein Wetterstrahl, daß er znsammensinkt vor dem Bette des Kindes, über da? bin er die Mutter geschlagen; vor dem Bette, in dem sein Kind starb, weil er seines KindeS Mutter schlug. Dort lag er lang. Der Blitz, der ihn dahingestreckt, statte zurückgelciichtet mit grausamer Klarheit: er hatte die beiden unschuldig gesehen, die er verfolgt. Nnd keine Schnld, als die seine. Er allein hat daS Elend ausqetürmt, das erdrückend auf ihm liegt, Last auf Last. Schuld auf Schuld. DeS KindeS Tod ist der Gipfel. Und vielleicht ist er ek noch nichdi Der Elende sieht, er muß zurück. Er hascht »ach jedem Strohhalm von Ge danken, der ihn retten könnte. Sein Weib trat ein. Er streckte der Eintrctenden die Hand entgegen. Sie sah ihn und schrak zusammen. Sie war so bleich, wie daS blonde Aennchen, selbst ihre sonst so blühenden Lippen waren bleich. Der Hals, die schönen Arme, die weichen Hände Waren bleich: das sonst so glänzende Auge war matt. All istr Leben hatte sich in ihr tiefstes Herz zurückgezogen »nd weinte da um ihr gestorben Kind. Mit zwei Schritten stand sie zwischen der Leiche nnd ihm; als wollte sie das Kind noch jetzt vor ibm schützen. Nnd dock, nicht so. Weder Furcht noch Angst bebte um den kleinen Mund; er war fest geschlossen. Ein ander Ge fühl war es, was die schön gewölbten Augenbrauen drängend herabfaltete und aus den sonst so sanften Augen flammte. Er sah, eS war nicht mehr das Weib, daS die schmelzenden Frie- densworte gesprochen; daS war mit ihrem Kinde gestorben in dieser schrecklichen Nacht. DaS Weib, das vor ihm stand, war nicht mehr die Mutier, die zn ihm hinhosste, deren Kind er retten konnte; eS war die Mutter, der er daS Kind getestet. Eine Mutter, di« den Mörder fortwieö aus der heiligen Näb>- des KindeS. Ein bleichschreckender Engel, der den befleckenden Berübrer forlzürnt von seinem Heiligtum. Er sprach — o hätte er gestern gesprochen! Gestern hatte sie sich »ach dem Worte ge sehnt; heute hörte sie eS nicht. „Gib mir deine .Hand. Christiane," sagte er. Sie zog ihre Sand krampfhaft zurück, als hätte er sie schon berührt. „Ich habe mich geirrt," fuhr er fort; „ich will'S euch ja glauben, ich seh eS ein; ich will'S nickt wieder! Ihr seid besser, als ich." „Das Kind ist tot," sagte sie und selbst ihre Stimme klang bleich. „Laß mich in dieser schrecklichen Angst nicht ohne Trost. Kann ich anders werden, lo kann ich'S nur jetzt, und wenn du mir die Hand gibst, nnd richtest mich auf," sagte der Man». Sie sah auf das Kind, nicht auf ihn. „DaS Kind ist tot." wiederholte sie. Hieß das. eS war ihr gleichgültig, tvas mit ihm werden sollte, da seine Besserung daS Kind nicht mehr rettete? Oder batte sie ihn vergessen und sprach mit sich selbst? Der Mann richtete sich halb auf; er faßte ihre Hand mit angstvoller Gewalt! und hielt sie fest. „Christiane," schluchzte er wild, „da lieg ich wie ei» Wurm. Tritt mich nickt! Tretet mich nickt' Um Gottes willen, er barme dich! Ich könnt'S nicht vergessen, hätte ich vergebens ge legen wie ein Wurm. Denk daran! Um Gotteswillen, denk daran: dn hast mich jetzt in deiner Hand. Du kannst aus mir machen. waS d» willst. Ich mach dich verantwortlich. Du bist schnld an allem, was noch werden kann." — Endlich war es ihr gelungen, ibm ihre Hand zu entreißen; sie hielt sie weit von sich, als ekelte istr davor, weil er die Hand berührt hatte. „DaS Kind ist tot." sagte sic. Er verstand, sie sagte: Zwi schen mir und dem Mörder meines KindeS kann keine Gemein schaft mehr sein, auf Erden nicht, und nicht im Himmel. Er stand auf. Ein Wort der Verzeihung hätte ihn viel leicht gerettet! Vielleicht! Wer weiß eS! Die Klarheit, die ihn jetzt zur Reue trieb, war die Klarheit eines Blitzes, waS jetzt m ihm wirkte, nahm seine Gewalt von der Jäheit der Ueber- raschung. Wenn da» Kind in der Erde ruht,, dessen plötzlicher Anblick ihn zurückgebäumt, wird sein Warnungsbild bleicher und bleicher werden; jede Stunde wird dem Gedanken an diese» Augenblick von der Macht seiner Schrecken rauben. Zu tief hat er die Gelcis,- de» alten WabngedankenS eingedrückt, nm ihn für immer verwische», z» weit ist er gegangen auf dem gefährlichen Weg, um noch ilinkehreil zn können. Di- Klarheit deS Blitze- müßte schwinden und der alte Wahn hüllte die Dinge wieder in seine verstellende» Nobel. Fritz Nettenmair beulte auf oder lackte auf; die Fra» fragte sich nicht, was er tat; tiefer Abscheu gegen ihn verschloß ihr Ostr, ihre Augen, ihre Gedanken. Er taumelte in die Kammer zurück. Sie sah es nicht, aber sie suhlte es, daß seine Gegenivart nicht mehr den Raum entweihte, darin daS Heiligenbild ihres Mutterschmerzes stand. Leise weinend sank sie über ihr totes Kind. 12. Die Reparatur deS Kirchendaches hatte begonnen Apollo- ninS wollte diese erst beende», bevor er die Krönung des Turins niit der gestifteten Blechzier unternahm. Daneben mußte er da» Begräbnis des kleinen AennchenS besorgen; Fritz kümmerte sich nicht darum. Er mußte sich auch dieser HauSvalerpflicht unter ziehen. Er fühlte sich schmerzlich n bl darin. Kosteten ihm doch die schwereren kein OpferI Er hatte ja nicht andere, süßere Wünsche zu bekämpfen und zu besiegen gehabt, als er die P'lichl gegen deS Bruders Angehörige auf sich genommen: er war ja eben nur dem eigensten Triebe seiner Natur gefolgt, ES lag in dieser Natur, daß er ganz fein mußte, waS er einniat war. Seit er die Hoffnungen seiner Jugendliebe und damit diese selbst aufgogeben hatte, war ihm ohnehin der Gedanke eines eigenen Hausstandes fremd geworden. Er kannte keinen andern Lebens zweck, als die Erfüllung jener Pflicht. Aber- sie stand nickt als dürres, despotisches Gesetz außer ihn, vor den Angen seiner Ver nuiist; sie dnrchdrang sein ganzes Wesen mit der befruchtenden Wärme eine? unmittelbaren Gefühles. So war eS seit Mona ten gewesen. Wenn er auf seinem Fahrzeug da? Tnrmdack »in- flog, wenn er hämmernd auf dem Dachskiblc kniete, waren d:e Gestalten der Kinder seines Bruders, seine Kinder, nm ihn. Schneller, als sein Schiff flog seine Phantasie der Zeit vor aus, Wie sein Schiff um das Tnrmdach, drehte sich sein ganze? Denken nm die Stunde, wo die Söhne erwachsen waren nnd er ihnen daS schuldenfreie Geschäft übergab, wo Aennchen anSiab, wie ihre Mutter nnd er ihre jnnqfräuliche Hand in die Band eines braven Mannes legte. Aennchen? rosiaeS Gefickt itand vor ihm, so oft er anfsah von seinen Schiesi-rplatten, AIS e? ihn so schalkhaft anlachte, war es sein Liebling: wie daS Gest blckea immer trüber und bleicher wurde, war sic eS nur immer inehr. ec sah ne oft doppelt durch da? Waist-r in seinen Augen. I t t — o manchmal war eS ihm. als arbeite er »nn umsonst! lind war noch etwas binznaekommen. wo? ibn iniiner mebr l- ängstigte. AuS dem Mitleid niit der gegnoli.-n Frau, di,- nm ihn geanält wnrde, blnlite die Blume «einer Ing -nd!i-he wi der auf und entfaltete sich von Tag zu Taa mebr, WaS des Ben ders Hobn nnd Undankbarkeit gegen ibn nickt vermocht da? gelang seinem Benehmen gegen die Fra», AvoüoninS »üblt- sein Herz erkalte» gegen den Bruder, Es trieb jh», die Frau zn schützen, aber er wußte, seine Einmischung gab sie nur Harrer---! Mißhandlungen preis, Cr konnte nicht mehr für sie tun alS daß er sich so entfernt hielt von ihr. wie möglich. Und nicht allein wegen de? Bruder?: auch in» ihrer selbst willen, wenn er richtig gesehen hatte. Hatte er richtig gesehen? Cr sagt sick hundertmal Nein. Cr sagte eS sich mit Schmerze»; desto oiler nnd dringender sagt er e? sich, und sühlle, er dürfe sic nicht sehen, auch in» seinetwillen. ES peinigte um. wenn gleichgültig' Dinge verworren und unsymmetrisch lagen, und er sie nick! ordnen konnle; hier sah er Mißverhältnisse nnd Widerspru ch- in daS innerste Leben dessen, waS ihm da? Heiligste war. ge drungen, in da? Herz seiner Familie, in sein eigene?, »nd e- mußte sie wachsen sehen »nd die Hände waren ibm gebunden. 'Fortsetzung folgt,)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)