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Herr Mareskat versuchte zu esseu, aber nach dem ersten Bissen legte er den Lössel nieder. „Schmeckt es Dir nicht, Papa?" fragte Maria-Angela mit einen: Versuch zu scherzen. „Mein Meisterstück ist gewiß mißraten? Habe ich die Suppe versalzen oder vielleicht zu wenig Gewürz binzngetan?" „Im Gegenteil, liebes Kind, niemals habe ich eine bessere Suppe ge gessen. Aber ich dachte an die Mutter.... Die Erinnerung an sie nimmt mir allen Appetit." Maria-Angelas Antwort war ein Seufzer. Ach gewiß, auch ihr be ständiger Gedanke weilte bei der liebenswertesten, der zärtlichsten aller Mütter, aber sie fand, es sei seht im Augenblick ganz verfehlt, sich dem Trübsinn hinzngeben. Es hieß zuerst leben, sich erhalten, um die Teure glücklich wiederznlehen. Denn Maria Angela zweifelte keinen Moment an der Rückkehr der Mutter. Sie gab ihrer Meinung auch Ausdruck. „Wir reden noch darüber," schloß sie, „aber jetzt müssen wir alle essen." Um die fürsorgliche Tochter nicht zu betrüben, zwang sich Herr Maraskat, sein Teil zu verzehren. Dann räumte Marie-Angela mit Hilfe der Schwestern das Geschirr ab. Sie half dem Vater ins Bett, überwachte das Anskleiden der Kinder, öffnete noch einige Min nten die Fenster, damit die Schlafenden bessere Luft atmeten, und setzte sich dann an das Lager Isabellas, nachdem sie derselben die Arznei gereicht und ihre Kissen wieder in Ordnung gebrack,t hatte. Auf merksam betrachtete sie die starren Züge der Kranken. Vor diesem Anblick schwand die Maske der Fröhlichkeit, welche sie den Tag über zur Schau ge tragen. Träne um Träne rann über ihr bleiches Gesicht, „O Mutter, liebste Mutter", stöhnte sie, „kommst du nicht bald wieder? Ich fürchte, die Ausgabe, die Du nur gestellt, übersteigt meine Kräfte! O, Gott, wie bin ich so müde!" Sie drückte den Kopf gegen die Kissen der kranken Schwester und schluchzte znm Erbarmen. Endlich schlosse» sich die nassen Angen, und über wältigt von der Mattigkeit erlag sie dem Schlafe. Eine Bewegung Isabellas rüttelte sie ans. „Was für eine schlechte Krankenwärterin bin ich doch!" schalt sie sich — „nicht einmal eine Nacht kann ich wachen!" Sie vergaß, daß sie schon die dritte Nacht außer dem Bette znbrachte. Da cs noch nicht Zeit war, Jsabella die verordnetc Medizin zn geben, und sie fürchtete, wieder einzuschlafen, so beschloß sie, an die Mutter zn schreiben. Beim trüben Schein der Nachtlampe ließ sie die Feder lange über das Papier gleiten. „Teure Mutter, ich will Dir nicht sagen: komm! habe Erbarmen mit Deinen Kindern, denn ich weiß, wenn Du fernbleibst, wenn Tn nicht schreibst, so ist eS, weil eine höhere Macht stärker ist. als Dein Wille und Dich hindert, nach Deinen Wünschen zn handeln. Aber für uns ist es ein grausames Schicksal, nichts von Dir zn hören, nicht zu wissen, ob der gütige Gott Dich uns erhält. Freilich erklären die Zustände in unserem Lande manches sonst Un erklärliche, aber eS muß Dir doch zngestoßen sein, da wir seit Monaten ver geblich auf die kleinste Nachricht von Dir warten. „Aber Ihr Fräulein Schwester wäre im Hospital viel besser gepflegt als selbst von Ihnen". „Das ist möglich. Ich will jedoch, daß Jsabella bei uns bleibt. Ich werde Tag und Nacht bei ihr wachen und sie dein Tode entreißeil." „Es ist zn viel Anstrengung für Sie!" „Gott wird mir die nötige Kraft geben." „lind die Medikamente sind so kostspielig." „Wenn ich auch betteln sollte, so wird eS der Aermsten an nichts fehlen." Herr Mareskat schwieg zn der Diskussion. In der Furcht, daß seine älteste Tochter im Krankenhanse, sern von ilnn sterben könnte, zog sich sein Herz schmerzhast zusammen. War jedoch anderseits Maria-Angela dieser aufreibenden Pflege gewachsen? Würde sie nicht znsammenbrechen? Er konnte und durfte zwischen den zwei Kindern nickst wählen. Ach. warum kam Pepa nicht zurück? Was konnte ihr zngestoßen sein? Lebte sie noch, oder hatte ein hartes Geschick sie den Ihrigen entrissen? Diese Ungewißheit war fürchterlich! Tief und tiefer sank der Kops des armen Mannes ans seine Brust, dicke Tränen rannen ihm über die Wangen. Znm Glück war Ponpee zn sehr in ihrer Erörterung mit dem Doktor vertieft: so sah sie nicht, was ihr zärtliches Kinderherz ergriffen hätte. Bald darauf trat der Herr Vikar ein. Der würdige Priester wollte seine Schntzbefolstenen ans ihrem Kreuzwege begleiten, ihnen Elnmtignng und Hilfe bringen. Ta man ihm die Frage betreffs der Kranken vorlegte, so enthielt er sich nickst der Mahnungen, welche unter solchen Umständen die Klugheit diktierte. Aber vor dem freimütigeil Eifer und der heldenhaften Liebe der kleinen Ponpee mußte er ans untreres Zureden verzichten. „Nun, dann lassen wir sie ihren Opfermut betätigen", schloß er. „Gott wird so viel Anhänglichkeit segnen und vielleicht eilt Wunder tim." So besorgte aenn der Herr Vikar einen Krankeinvagen, und man bettete Jsabella, die bei jeder starken Bewegung einen schmerzlichen Laut ansstieß, sorgfältig hinein. Dann belud man eine Handkarre mit einigen Betten und drei Kostern, welche die nötigsten Kleidnngsstücke bargen. Der Vikar überwachte selbst diese Anstalten. Der Arbeiter war überdies einer seiner Schützlinge, dem er volles Vertrauen schenken konnte. Zuletzt, nach den anderen wollte er das Hans verlassen und Jsabella begleiten, denn wenn die Kranke einträse, müßte doch ein Lager für sie bereit sein. Maria-Angela nahm den Arm des Vaters und ließ die Kinder vor sich hergehen. Die armen Kleine», ernst und traurig, wußten nicht, wie ihnen geschah. Dann stiegen alle in den Omnibus nach la Billette bis zur Nne Elichh und stiegen von da zn Fuß in das abseits gelegene Viertel Batignolles. Sie kamen gleichzeitig mit den: Krankenwagen an. Als Maria-Angela die Tür ihres ärmlichen neuen Heims geschlossen und Jsabella sanft in das Bett einer der entlassenen Dienerinnen gelegt hatte, empfand sie ein Gefühl der Dankbarkeit gegen die gütige Vorsehung, welche die Schwester vor den Eindrücken dieser Stunde bewahrte. Herr Mareskat, gebrochen unter der Last seiner Nutzlosigkeit, saß nn- 7