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Sächsische Volkszeitung : 14.06.1925
- Erscheinungsdatum
- 1925-06-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192506143
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19250614
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19250614
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1925
-
Monat
1925-06
- Tag 1925-06-14
-
Monat
1925-06
-
Jahr
1925
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 14.06.1925
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Der Personalabbau -er Reichsbahn M L WWen WWl I« KSM m. Der Dirigent der zweiten Festaufführung war Siegfried Ochs. Auch er ist ein Auserwahlter seines Faches, der Be herrscher des „vielköpfigen Instrumentes", der Chorleiter, der „in keiner Ecke ein Stäubchen liegen läßt". Geboren wurde er 1858 in Frankfurt a. M. Sein Hauptverdienst ist die Grün dung des jetzigen „Philharmonischen Chors" in Berlin, dessen Leiter er auch ist und den er zu ganz außergewöhnlichen An sehen gebracht hat. Als Hauptwerk hörte man an diesem Abende Handels Oratorium „Israel in Aegypte n". Den Text hat Händel nach Worten der heiligen Schrift zusammengestellt. Komponiert wurde es in 27 Tagen im Jahre 1738. Die erste Ausführung war am 4. April 1739 in London. Da Händels Werk ziemliche Außenmaße hat, so erfordert es auch eine geivaltige Aufbietung aller Kräfte. Es ivar ein Wagnis mit einem Riesenapparat, dessen Konnex sehr lose ist und nur durch einige Gesamtproben geschossen mar, an die Tonschöpfung heranzutreten. Es kann garnicht genug anerkannt werden, daß dieses Unternehmen so hervorragend gelungen ist. Noch heute fesselt dieses Werk im reichsten Maße, zumal, da die textliche Grundlage (die Knechtung Israels durch die Aegypter) für unser eigenes Volk mit Leich tigkeit in Parallele zu stellen ist. Händel erweist sich in diesem Oratorium als Meister der Chorbehandlung. Ist doch diese Komposition eine echte Chorkomposition: den» der Chor behält durch das ganze Werk die führende Linie. So sind auch die Chöre der bestechendste Teil dieser Händelschen Tonpoesie. Sie sind noch so jung und frisch wie in den ersten Tagen ihrer Ent stehung. In den Solopartien hingegen findet sich schon manches, was der Vergangenheit zum Opfer gefallen ist, was uns heute recht verstaubt, geschraubt und zopfig vorkommt. Hier fehlt vor allem der dramatische Funke. In ihnen gibt sich Händel zwar sehr treuherzig und bieder, aber diese unbefangene Kind lichkeit bedeutet für diese Teile eine Gefahr, die nur durch die glanzvollen Chöre beseitigt und iiberbrückt wird. Diese Chöre weisen eine prachtvolle Tonmalerei aus. Die Klagechöre dürsten mit zu den besten gehören, was die Chor- literatur besitzt. Besonders wirkungsvoll gestalteten sich der Doppelchor: „Er sprach das Wort: und es kam der Fliegen Ge wühl", ferner der Chor: „Er sandte dicke Finsternis" und end lich der Doppelchor: „Er gebot es der Meeresslut." Schon ein mal betonte ich, daß die meist achtstimmigen Doppelchöre an die Sänger immense Anforderungen stellen. Sie wurden in prächtiger Weise erfüllt. Zwar machte sich gegen das Ende des ersten Teiles hin eine Abspannung bemerkbar, so daß der Sopran in Trübungen geriet und überanstrengt erschien — was zufolge der vielen Proben und der schwülen Saaltemperatur immerhin erklärlich ist —, aber nach der Pause leuchtete der Chor, der besonders ausgezeichnete Männerstimmen hatte, in glanzvollem Lichte wieder auf. Unvergeßlich wird mir der Ein druck bleiben, den der himmclhochjauchzende Schlußchor heroor- ricf. . Solistisch beteiligt waren Lotte Leonard, deren klang schöner Sopran (der auch in der höchsten Lage der Wärme nicht entbehrt) über dem Ganzen schwebte. Eva Liebenberg, deren füllige und wohlklingende Altstimme genau so fesselte wie im Te Deum, Alfred Wilde, dessen Tenor aber scheinbar ermüdet war und sich nicht durchzuringen vermochte, und die Bassisten Hans Hermann Nissen und Wilhelm Guttmann, die ihrer Aufgabe mit Geschmack und Musikalität gewachsen waren, aber in der Tiefe nicht allen Anforderungen entsprachen. Fritz Kleiner, der mit der D-Moll-Toccata von Bach den Abend eröffnete und sich auch hierin als Orgelmeister zeigte, bediente den Orgelpart, und am Cembalo saß Grete Markus. Eine Riesenaufgabe hatten auch die Berliner Phil harmoniker zu bewältigen: denn Händel gibt im orche stralen Teile allerhand Nüsse zu knacken. Das Orchester spiclre prachtvoll und besonders die Bläser holten sich goldene Lor beeren Ueber allem stand Siegfried Ochs der das Werk mit voller Hingabe und allen Eigenschaften eines glänzenden Chm- dirigenten leitete. Am Schlüsse brach ein unbeschreiblicher Jubel aus, und man bedachte den greisen Meister mit Lorbeer. — Leider konnte ich mir den dritten Festabend, der Werke von Beethoven sEroika, Violinkonzerts und Wagner (Vorspiel und Chor „Wach auf", sowie Sachsens Ansprache „Verachtet mir die Meister nicht" und den Schlußchor: „Ehrt eure deutschen Meister!"s brachte, und der. wie mir erzählt wurde, in einer gigantischen Ovation für Furtwängler, der die dritte Fcst- aufführung leitete, ausklang, nicht mehr anhören, da mich andere Verpflichtungen wieder nach Dresden entführten. — Die nur mittelgroße schlesische Provinzstadt Görlitz hat sich durch ihr 19. Musiksest wieder in den Mittelpunkt des deutschen Musiklebens gestellt. Man muß sich nach den gewaltigen Ein drücken, die nur deutsche Meister erweckten, beglommen fragen: „Warum bringt es unser Dresden, das man doch so gern als Der 24. Ausschuß des Reichstages, der bei der Beratung des Verkehrsetats, besonders aus Antrag des Abgeordneten Groß sZcntrum) zur Prüfung der Rechtsverhältnisse der Reichsbahn und des Reichsbahnpersonals eingesetzt worden ist, hielt eine Sit zung ab, in der insbesondere zu dem von der Reichsbahnverival- tung geplanten Abbau von 38090 Kündigungsbeam. ten, die in das Arbeiterverhältnis zurückversetzt oder entlassen werden sollen. Stellung genommen wurde. Diese Maßnahme der Ncichsbahnverivaltung fand scharfe Kritik, insbesondere deswegen, weil nunmehr offensichtlich ge worden ist, daß der bisherige Personalabbau nicht die gewünschte Entlastung gebracht hat, vielmehr als eine unsinnige Maß. nähme bezeichnet werden muß. Plan will nunmehr den Para graphen 24 des Neichsbahngesetzes in der Form anwenden, Saß die Rückversctzung dieser Kündigungsbeamten durch die Aushe bung der erworbenen planmäßigen Beamteneigenschaft und durch die Entlassung von ebensoviel Arbeitern keine Neubelastung an Wartegeldern und Abfindungssummen bringt. Der Vorgang ist insofern ungeheuerlich, als bei der Beratung des Reichsbahn gesetzes im Auswärtigen Ausschüsse die damaligen Vertreter des Reichsverkehrsministerium, die bindende Erklärung abgegeben ha ben, daß dieser Paragraph 24 nie zu Massenkündigungen bezw. zu Massenabbau benützt werden, sondern lediglich ein Regulator zur innere» Reform der Beamtenschaft sein soll. Vom Berichterstatter, dem Sldgeordneten Groß wurden zu nächst verfassungsrechtliche Bedenken f» bezug aus den Schutz der wohlerworbenen Rechte geltend gemacht. Nun kommt aber hinzu, daß die Art, in der der Massenabbau vollzogen werden soll, mehr als rigoros ist. Die Neichsbahndirektion Frankfurt a. M. l>at z. B. angeordnet, daß derjenige, der sich nicht in das Arbei terverhältnis zurückversetzen lassen will auf dem Disziplinar- wege ohne Wartegeld und ohne Abfindungssumme entlassen wer den soll. Hierdurch wird die Entscheidung des Beamte», ob er auf das erworbene Planverhältnis verzichten und in das Ar- beiterverhAtnis zurückkehren ivolle, unter Anwendung von Mit tel» erzwungen, die ebenso unmoralisch wie gesetzwidrig sind. Ein anderer Direktionserlaß, auf dein die Zustimmung der Zurückversetzung durch Unterschrift erklärt werden soll, geht da hin, daß, falls das Arbeiterverhältnis später wegen Abbau oder Kunststadt" bezeichnet, nicht zu solchen Musikfesten?" und „Wann werden auch wir endlich eine so prächtige Musikhalle bekommen, wie sie Görlitz schon seit 1910 hat?" . . . Otto Hollstein. ArlMSsM öes LeiMr Senders Loiinta,,' o.n 11- Juni. Y30-9 bm.: Org.'lkouzcrt ans der Leipziger Unlvcrsitätskjrche (Prof. Ernst Müller.) 11-12 vm.: HanS-Bredow-Schule. 11 -11.30 vni.: 2l. Vorlesung über Chacafterköpse aller Zetten. Prof. Tr. Georg W'tlowskt,: „Rainer Maria Rilke". tl.30-12 vm.: l9. Vortrag: Prof. Tr. Bangert-Chemnitz: „Ans dem Gebiete der Elektrotechnik". 12 >12.15 »in.: Vortrag (von TreSdcn an:-): M>». T>r. vo i t'Pstugk: „lieber den Noten Kreuz-Tag." 12.1Ü—1 »>».: Musikal sche Stunde der Mitteldeutschen Sendr- stelle Dresden (Zum Roten-Kreuz-Tag). Mitwirkeude: Frau Hosslnger-Thnmer (Gesang), Polw'-n (Violine), Kantor Hossinger (Klavier). 4.30 -0 um.: E>n Sonntagnachmittag >m Leipziger Zoo. Ter Mitteldeutsche Rnndsunksender wird an diesem Sonntag nachm, seinen Hörern ein aknstischeö Bild von dem Leben und Treiben im Leipz ger Zoo vorfiihren. W>r Horen die Kapelle jm Garten spielen, das Gisumme der Besticher, belauschen o e Kinder beim Ponyreiten, höre» d>! stimmlichen Acusjerungen der Raubtiere, Elefanten n. a. Herr Direktor Dr. Gebb'ng wird außerdem m>t dein M krophon im Arm eine Wanderung durch den Garten unternehmen und den Hörern eine ans schlußreiche Führung durchsprechen. — Tie Darbietung kann jedoch nur bei gutem Wetter stattsindeu, be> schlechtem Wet ter wird vom Sendecaum ans ein Konzert der Nundsn lkhanS- kapelle gegeben werden. 7-7.30 abds.: Kunstgeschichte durch Nundsnnk: 1. Vortrag zu unserer aus dem Verlage von E. A. Seemann stammende» Kniistmappe„Aus der Blütezeit der klassischen Malerei": Prof. Dr. Julius Zeltler: „L'ouardo da Vinci". aus einem anderen nicht in der Person des Betreffenden liegen den Grunde beendigt wird, der betreffende Beamte so behandelt werden soll, wie wenn er im Zeitpunkt der Rücküberführung in das Arbeiterverhältnis aus dem Dienste der Verwaltung ausge schieden wäre. — Derartige Praktiken sind einfach unverständ lich. und sie deuten auf eine sehr rigorose Handhabung des be vorstehenden Abbaues hi». Die Regierung wurde sowohl vom Berichterstatter als auch von de» übrigen Parteien gefragt, ob sie ein derartiges Borgehen billige und was sie zur Abwehr dieser Maßnahme getan habe. Es wurde als Mindestes von der Regierung verlangt, daß die Berweigerung der Annahme des Arbeiterverhältnisses nicht als Grund für die Vorentlialtung der gesetzlich zustehendcn Warte- gelder und Abfindungssummen angesehen wird. Die Regierung erklärte, daß gegenüber Sem Jahre 1913 bei verkleinertem Netz die Personaikopszahl noch um etwa 50 000 Köpfe größer sei, das im Interesse der Wirtschaftlichkeit und der Rentabilität, auch in Rücksicht auf die ungünstigen Verkehrsverhältnisse der Abbau nicht umgangen werden könnte, man werde aber nach Mittel» und Wegen suchen müssen, um die schweren Härten, die damit verbunden seien, nach Möglichkeit zu mildern. Die Reichsbahn- Verwaltung stützt sich auf die Paragraphen 20 und 25 der Per sonalordnung, die an Stelle des Reichsbeamtengesetzes getreten ist. Die erhaltenen Auskünfte befriedigten nicht. Sie wurden im allgemeinen, insbesondere von sozialdemokratischer Seite, als völlig ungenügend bezeichnet. Die Zahlen, wonach die Pcrsonalausgcben gegen früher von 50 Prozent auf 65 Prozent gestiegen sind, seien höchst anfechtbar, da mit solchen Sta tistiken schon von vornherein ein gewisser Zrveck verfolgt wurde. Auch die Zahlen iibec den schwächeren Verkehr seien nach der Richtung mit Vorsicht zu genießen. Da die einzelnen Rechtssra- gen sehr kompliziert sind, und die Reichsbahngesellschast aus der Durchführung dieser Maßnahme» besteht, wurde ein Unteraus schuß eingesetzt, der im kleineren Kreise die Materie unter Zu- Ziehung der Negierungsvertreter zu klären und dem Ausschuß das Ergebnis alsbald vorzulegen hat. Der Ausschuß beabsichtigt, diese Vorgänge mit einer Reihe anderer Zusammenhänge im Ple num des Reichstages einer Besprechung und Beschlußfassung zu unterziehen. 8.15 -sl 1.30 abds.: Tanzabend. Nusgesührt von der Nundfnnk- liciuskap.'lle. Dazwischen ietwa 9.30) Hackebeils Sport',unk- dienst. Hans-Bredow-Schule. Montag' de» 15> Iiml. 130-6 »in.: Konzert der Hansknpelle. 6 abds.: Wirtschajtsnachrichte»: Landwirtschaftliche, Baumwolle, Devisen und Mitteilung des Leipziger Meßamtes ,ilc Handel und Industrie. 7 -7.30 abds.: Vortrag: Dir. Schöwitz vom Ortsamt ,ttr Kr>e- gerfürsvrge zu Leipzig: „T>e soziale Fürsorge snr Kriegs beschädigte und Kriegshinterbliebene und diesen in der Per- soranng Gleichgestellten." 7.30 abds.: „Ter Troubadour", Oper in 4 Akten von Verdi. Italienischer Text (nach dem spanischen Drama von Gnttierez) von Salvntvre Enmniarano. Dirigent: Alfred Szendrer. Per sonen: Leonore, Gräfin von Sargostv, Palastdaine (Eva Gras), Jsncs, ihre Vertraute (Lene E'chler), Graf von Luna lErnst Pvssoi!>>>. Fcrrando, sein Anhänger (Ernst Wächter), Azn> e»a. eine Zigeunerin (Helene Ncnkegg von der Altenburger Oper), Maurico e'n Troubadonr (Fritz Büttner), Rniz, sein Pec- trauter (Ofen Behrens), ein alter Z'geuner (Herbert Stork mann), e>» Bote (Gustav Wnnderl'ch) — Ort: Teils in Biscapa, teils >n Nragonie. — Zejt: Anfang des 15. Jahr hunderts. Chor: Leipziger Oratorienvereinignng. Orchester; Leipziger S»isonie-Orchcster. Anschließend (etwa lO Uhr) Pressebericht und Hackebests Sportfnnkd>enst. Cndwestsachsen. boiel "ürflentzol ° mMg botrl Oer Leipzig desuchenOen Katholiken 7Me Limmer mit «alt- vna Warmmalier »o VSOer kreise mäßig «onsercnrsM Sladtrichler und Abbe Eine heimatgeschichtliche Erzählung aus den ersten Jahren der Republik Schirgiswalde. Von Franz Röster. I. Der gnädige Herr Stadtrichter. Die schreckliche Schlacht bei Aspern und Eßlingen im Jahre 1809 halte ausgetobt. Es ivar die erste, die der Kaiser Napoleon nicht gewann. Die deutschen Herzen jubelten dem Sieger Erz herzog Karl entgegen. Sie faßten neue Hoffnungen. Leider vergebens. Des Korsen Stunde war noch nicht gekommen. Die Schlacht bei Wagram schlug den Oesterreichern neue tiefe Wun den. Am 14. Oktober schrieb Napoleon den Friede» vor. Hart waren die Bedingungen für den guten Kaiser Franz. Oester reich verlor ein Gebiet von 2058 Geviertmeilen. Bayern, Polen und Frankreich heimsten sie ein. Da auch der sächsische König initgeholfen hatte, den Bruder Oesterreich darniederzuschlagen, sollte auch er seinen Lohn erhalten. An der Landesgrenze der sächsischen Lausitz lagen einige Gebietsteile, die bisher noch zu Böhmen gehörten. Diese wurden dem Sachsen zugesprochen. In der Kanzlei im Schlosse zu Schönbrunn schrieb man für jeden Gebietsteil ein Aktenstück. Darunter befand sich auch das kleine Städtchen Schirgiswalde an der Spree. Alle die dem Sachscn- taate überwiesenen Ortschaften wurden natürlich pünktlich und renndlich von dem neuen Vater ausgenommen — nur das kleine Schirgiswalde nicht. Wohl halte sein Name auf der Wiener Liste gestanden, und die Schreiber wußten ganz genau, daß ein „diesbezügliches" Aktenstück „ausgefertigt" worden war. Aber weih der Kuckuck, die Urkunde mußte Beine gekriegt haben. Sie war weg und blieb verschwunden b>- ans den heutigen Tag. War es Absicht oder Zufall? Wir wissen cs nicht. Tatsache ist, daß die Dresdner Kanzlei nichts in den Händen hatte, das ihnen das Städtlein zusprach. Die Wiener jedoch konnten es auch nicht mehr als ihr eigen nennen, denn in ihren Akten stand es ganz deutlich, daß Schirgiswalde abzutretcn war. Es heimlich wieder zunehmen war zu gefährlich, denn der Napoleon verstand keinen Spaß. Die Wiener zogen also ihre Beamten aus dem Städtlein zurück. Damit war die Sache für sie erledigt. Und da die Welt damals In Waffen starrte und alles vor dem Korsen zitterte, so vergaß man in Dresden gar bald mich das verlorene Schäslein und überließ es seinem Schicksal. So blieb das arme Städtlein verlassen und vergessen. Gar viel haben die Sachsen zwar durch diese Vergeßlichkeit nicht eingebüßt denn das ganze Gebiet zählte samt seinen Bei dörfern etwa 2000 Einwohner, die zumeist arme Schlucker waren und sich mühselig durch Strumpf- und Leineweberei ernährten. Mit den Hai» und Ganzbauern, die noch dazu gehörten, war auch nicht mehr viel los und mit den wenigen Kleingärtnern gleich gar nicht. Keiner von ihnen halte viel zu beißen. Reiche Leute kannten sie nur vom Hörensagen. Ansangs waren die guten Schirgiswalder totunglücklich darüber, daß man sie vergaß wie einen alten Hut. „Mein Gott," jammerten die Leute, „was wird aus uns weiden? Verlassen sind wir". Aber gar bald merkten die Bewohner des Städtchens, daß sie mit ihrer Verlassenheit gar kein so übles Los gezogen hatten. Sobald der Sommer nahte, war nämlich jedes Jahr ein Mann über die Grenze zu ihnen gekommen, den die Leute gar nicht gerne austauchen sahen: Der Steuereinholcr. Zu ihrer freudigen Verwunderung blieb dieser gefürchtete Mann, der sich in Begleitung mehrerer Soldaten einzustellen pflegte und gar nicht sanft mit den Leuten umging, zum ersten Male weg. Da gab's fröhliche Gesichter. Und ein zweites Wunder: Die Werber blieben aus. Ringsum preßten die Sachsen die Burschen und Männer zu Soldaten, denn der Napoleon brauchte frische Truppen. Ins Städtchen Schirgiswalde waren bisher österreichische Werber gekommen und hatten sich ihre Opfer geholt. Und nun blieben diese verhaßten Menschenfänger weg! War das eine Freude! Das ließ man sich schon gefallen, solch ein Geschenk. Lieber wollten die Mütter und Mädchen hungern, wenn ihnen nur die Söhne und Brüder erhalte» blieben. Hatten die Leute zuerst gejammert, daß sie keinen Herrn mehr besaßen, so frohlockten sie jetzt. 'S ivar doch schön, Republikaner zu sein! Und so dumm waren die Schirgiswalder schon lange nicht, sich von selbst nach einem neuen Herrn umzusehen. Im Gegenteil. Sie fühlten sich auf einmal und sahen mit leidig auf ihre sächsischen und böhmischen Nachbarn, wenn ihnen die Büttel die Steuerpsennlge, deren es damals gar nicht genug geben konnte, abnahmen, ihnen einen Gesetzeserlaß nach dem andern vorlasen und Jagd aus junge Soldaten machten. Wer wollte ihnen gram sein, weil sie sich aus einmal als vom Glück Bevorzugte fühlten? Als sie verlassen waren, hatte sich kein Mensch um sie gekümmert. Jetzt sah man neidisch aus die Repu blikaner, die hocherhobenen Hauptes einhergingen. Am stolzesten fühlte sich aber das Oberhaupt des jungen Freistaates, Herr Adam Reiner, seines Zeichens Stadtrichter und oberster Herr der Republik. Bis vor kurzem war der Kaiser und seine böhmischen Beamten über ihm gewesen. Jetzt war er Alleinherrscher. Zwar hielt er sich früher auch nicht gerade krumm: aber jetzt suchte er seine Würde zu verkörpern und schritt stolz wie ein Spanier durch die Gassen. Sein Reich war srellich nicht groß. Es bestand ja nur aus seiner Hauptstadt, eine Stück Sprcesluß und zwei winzigen Dörfern. Aber schöne Berge trug sein Land und prächtiger Nadelwald wuchs darauf. Da konnte er schon stolz sein, der Herr Stadtrichter. Und er verstand das voerchaupt zu spielen. Schade, daß er kein Fürst war und weder Krone noch Zepter besaß. Das Zeug, beides zu meistern, hatte er dazu. „Er hat ein saumäßiges Glück gehabt, der Adi, sagten seine Freunde. Aber sie gönnten ihm seinen Posten und hätten gar keinen besseren finden können. Sie meinten, dem Herrn Stadt richter fehle es nun an nichts mehr und sitze mitten im Glück. Hatten aber nicht recht damit. Der Herr Stadtrichter hatte genau so gut Sorgen wie jeder andere. Da ivar zunächst der Kaiser Napoleon. Zwar hätte Herr Adam ihm dankbar sein müssen dafür, daß er durch ihn ein unabhängiges Staatsoberhaupt ge worden mar. Aber der Herr Stadtrichter war Nim gar nicht dankbar, sondern haßte den Korsen grimmiger wie zuvor. Hätte er nur ein Heer gehabt! Herr Adam wäre mit ihm sicher gegen den Napoleon marschiert. Aber leider besaß er nur einen ein zigen Büttel. Und der war schon alt. Mit dem konnte er wirk lich keinen Staat machen. Vor dem hatten nicht einmal die Schirgiswalder Schulbuben Respekt. Immerhin, Landesoberhaupt war der Stadlrichter doch. Das mußten ihm seine Neider zugestchen: Herr Adam oersland seine hohe Würde nach außen zu zeigen. Hoch erhobene» Haup tes schritt er durch die Gäßchen seiner Residenz. Huldvoll und gönnerhaft dankte er seinen Bürgern sür ihre Grüße. Mit scharfen Augen spähte er umher, ob irgendwo ivos nicht in Ord- »ung wäre. Und wehe, wenn er einen Sünder erwischte! Wie einen Schulbuben kanzelte er ihn ab. Und die Cchirgisivalder? Sie ließen sichs ruhig gefallen. Ja, sic freuten sich, daß ihr Oberhaupt so selbstbewußt und kraftvoll, so vornehm und streng austrat. Bei ihnen gewann Herr Adam Reime dadurch nur an Achtung. Und die Nachbarn der neuen Republik? Mit unver hohlener Verwunderung blickten die Bewohner der umliegenden Ortschaften auf den Herrn Sladtrichler. Das schmeichelte den Schtrgiswaldern. Keine Frage. Herr Adam besaß die aufrich tige Zuneigung seiner Untertanen, trotz seiner Strenge und seines leichtentziindbaren Zornes. Wenn sachte der Herr Stadtrichter durch die Gassen ging, da vergaß keiner der Hansbewohner. ihn anzuslannen. Hundert Mal hatte sie das schon getan. Sie wurdcns nicht müde. „Wie ihm die weißen Hasen sitzen!" Und das Bäuchlein wird von Tag zu Tag dicker!'^ „Ja. ja. die rote Wests spannt bedenklich! Nächstens platzt sie." So unterhielten sich die Einwohner, wenn der Stadtrichter vorüber ivar. Pom Kopf bis zum Fuße muster ten sie ihn. Die kleinen Buben spielten zuweilen „Stadtncktsr". Sobald sie ein Paar hohe Stiefeln erwischen Konnten und einen Schößelrock mit blanken Knöpfen, ahmten sie den „gnädigen Herrn" nach. Und manch einer der Sprösslinge fand sich gar gut in die Rolle. Er schwenkte den Stock und wippte mit den Schößeln, daß die Alten vor Verwunderung in die Hände klatschten und sagten: „Akkerat" wie der Herr Stadtrichter Nein, so was!" ».§>'.' . . . , ' - - (Fortsetzung folgt.)
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