Suche löschen...
Sächsische Volkszeitung : 14.06.1925
- Erscheinungsdatum
- 1925-06-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192506143
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19250614
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19250614
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1925
-
Monat
1925-06
- Tag 1925-06-14
-
Monat
1925-06
-
Jahr
1925
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 14.06.1925
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
! > >» > ! „Junge Mannschaft" „Junge Mannschaft". Tine Symphonie jüngster Dichtung. Herausgegeben von Dr. Mar tin Nocken buch. 1924. Verlag Eugen Kuner, Leipzig und Köln. Zunächst bekenne ich, daß ich kein Fremch sogenannter „Symphonien junger ober jüngster Dichtung" bin. Einmal liegt es am Herausgeber, dann an den jungen Dichtern selber, daß lediglich das heraus- oder hervorgesucht wird, ivas alle verbin det, um eine Art Symphonie mit „Ach und Krach" zusammenzu bringen. Das Eigene, Eigenste manchen jungen Talentes kommt gar nicht oder nur schwach zum Ausdruck und oft erscheint es einem, als ob unter dem Sammeltitel des Herausgebers des Bu ches alles zusammengeholt wurde, wie bei einem Preisausschrei ben oder einer Zeitungsrundfrage: „Wo gedenken Sie diesen Sommer zu verleben?" — Ich kenne eine ganze Anzahl solcher Sammeliverke, mögen sie „Symphonie", „Anthologie junger Lyrik", „Dokumente der geistigen Wcltenwende" oder „Novellen der Zeit" als Untertitel führen, sie sind meist künstlich auf einen grossen Sammeltitel, der viel verspricht und ivenig hält, geschraubt. Ich will auch keinem der Herausgeber oder Verleger zu nahe treten, aller Ab sicht war gut, die Jugend zu fördern, aber so manchen Leser mag die Tendenz eines solchen Buches verstimmt haben, oft auch die Form, in der die Jüngsten (es sind ja jeweils die Jüngsten) ihren Gefühlen Ausdruck gaben, sie war zum Teil oft recht ge- auält, gesucht, erfunden, konstruiert und man ^agte sich mit Recht, „nenn das der Ausdruck unserer Zeit ist, wann werden wir wieder gesunden, wann wird die Dichtung entpolitisiert sein, wann werden unsere jungen Geister aus der Welt der Extreme zur Natürlichkeit, zur gesunden Klärung ihrer Lebensauffassun gen, die ihren Ausdruck in ihrer Dichtung findet, den richtigen Weg finden, der zu unserem Herzen führt." — Es war erschreckend, dah in einem solcher Sammelbänüe, in dem die politische Dichtung ihre Verfechter fand, diese Rich tung noch besonders dick unterstrichen ivurde. Man mutzte mit Recht befürchte», datz unsere Jüngsten, auf die wir' stolz sein wollten, sich in eine solche Sackgasse verrennen, aus der sie nie wieder heraussinden könnten. Echlietzlich lehnte ich es ab, der- artige Sammelwerke zu lesen, verfolgte aber doch die Entwick lung dieses oder jenes Talentes, sah sein Wachsen und Werden, seine Wandlung und ich kann mit Freuden feststellen, datz ich so manchen lieb gewonnen, datz wir viele Berührungspunkte haben, die wir bisher nicht im entferntesten auch nur ahnen konnten. Der neue Sammelband „Junge Äiannschaft" fuhrt > un lei der auch wieder einen jener unglückseligen Untertitel: „Sym phonie", es war wirklich nicht nötig, in einen solchen Fehler zu verfallen. Ich will hier nicht weiter auf den Begriff „Sym phonie" eingehcn, jeder, der das Buch liest, wird sich selbst sagen, der Untertitel ist verfehlt. — Das Buch als solches dagegen — ausgezeichnet! — Zunächst etwas über die Einführung. Das Nachwort — diesmal nicht Vorwort — erscheint mir bei aller Offenheit, etwas gefährlich, es wird darin zu viel und zu sehr von der „Kultur sendung der sreckt verstanden) ewig jungen katholischen Ideen" gesprochen, so datz der unbefangene Leser zunächst leicht stutzig werden und an eine tendenziöse Sammlung glauben kann. Nichts liegt aber dem Buche ferner als das, im Gegenteil, ich bin überzeugt, datz es auch in jenen Kreisen, denen der Katholizis mus weltenfremd ist, — viele Freunde finden wird. Denn das ist der Vorzug des Buches, datz es in keinem Gedicht, in keiner Prosadichtung irgendivelche tendenziösen Absichten verfolgt. Ich möchte es ein Werk der Erbauung nennen. Der Er bauung an dem starken dichterischen Willen und Empfinden unserer Jüngsten. Sie sprechen alle zu uns, jeder in seiner Sprache, in seiner Empfindung. Der tiefe Ernst, wie die aus gelassenste Fröhlichkeit, sie finden in unserm Herzen Widerhall, weil alles von Herzen kommt. Gewiss Hütte man aus diesen oder jenen Beitrag oder Dich ter verzichten können. — denn auf Vollständigkeit kann ein solcher Band ja ohnehin nie Anspruch machen —, und dadurch diesem-oder jenem der ausgeführten Jüngsten mehr Raum zur Entfaltung eingeräumt, aber diese Erwägungen sind gewiss dem Herausgeber auch gekommen und er hat sicher geglaubt: „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen." Sehr schade, datz man nicht, wie in ähnlichen Sammel werken, einen ganz kurzgefatzten Uebcrbltck über Geburtsort, Geburtsjahr jedes Einzelnen usw. beigegcben hat. Gerade un sere Jüngsten, die man mit wenigen Ausnahmen noch nicht so genau kennt, prägen sich dadurch unserm Gedächtnis ganz anders ein, wenn man weih, wo sie geboren usw. Man suhlt dann oft ein Verwachsen mit der Heimat, man versteht di« Uripriinglich- k:t des Ciiarakters, der dem BolksäMaktcr entspringt, man kann sich manche seelische Hemmung, manche Eigenart erklären. Auch «in Hinweis auf das bereits Geschaffene oder Er schienene jedes Einzelnen würde vielleicht das Interesse für die sen oder jenen erwecken, amregen, fördern. Es Ist natürlich gänzlich unmöglich, bei den ca. 60 aufge- führten Jüngsten unserer Zeit jedem Einzelnen gerecht zu wer den. Es sei festgestellt, was hier von Martin Rockenbach zu sammengetragen wurde, ist mit großer Liebe und Sorgfalt aus gewählt, mit feinstem Verständnis für die schwer« Aufgabe fer- tiggostellt worben. Sehr zu danken ist ihm, datz er das Inter esse beim Leser dadurch zu heben verstand, indem er zwischen die Poesie, köstliche Proben von Prosadichtungen streute. Ueber die Veröffentlichung szenischer Bruchstücke aus Dramen läßt sich streiten, aber auch hier verrät sich manch starke dichterische Be gabung für das Drama. — Wundervoll ist die Wandlung der Ausdrucksform in der Poesie gegen früher. Man findet bereits wieder jene einfache, schlichte und doch mitunter so glühende Farbenpracht der Sprache, die sich gegen früher von allem Schwülstigen, Verzerrten, künst lich Gewollten gründlich abwendet, ohne dabei farblos zu iver- den oder an Schönheit und Reichtum etwas entbehren zu lassen. Im Gegenteil, man hat oft das Gefühl einer stillen Feier, einer tiefen Erschließung zärtlich behüteter, heill/ter Empfindungen. Rückfälle in früher bevorzugte, geschraubte, erkünstelte und er klügelte Ausdrucksforme», die unverständlich wirkten, sind sel ten. — Die 10 Stufen oder Abschnitte, In die Rockenbach seine Jüngsten einordnet, kiingen harnionisch — nicht symphonisch — zusammen in tiefem Erfassen alles irdischen und göttlichen Seins, des Dies- und Jenseits. — Hier gibt es kaum noch jene Dissonan zen und Miszakkorde, in denen sich früher die junge Dichter- generation wohl fühlte. Man ist ruhiger, froher und beschaulicher geworden, ohne deshalb an Temperament, Glut oder Feuer eingebüht zu haben. Man ist auch verständlicher, weniger grüblerisch, verhärmt und verbissen wie in früheren Jahren! Ich möchte sogar sagen, man trügt Schmerzen mit Würde, ohne in jene dekadente Ekstase zu verfallen. — Es leuchtet Licht! Es strahlt Sonne, die Herz und Seele erwärmt, die auch brennt! — Und Sonne tut wohl nach all den schwere» Schicksalsdichtungen, nach all dem Trüben, Krankhaften, Verzweifelten. Man ist gesünder geworden, er löster, freier, es ist. als wenn ein Alp von »ns genommen. Vor allem ist man verständlich geworden, früher mar die Losung: „je unverständlicher, um so tiefer der dichterische Geist!" Auch das ist überwunden! — Der frühere, revoltierende, revolutionäre und politisierende Geist der Dichtung l)at meiner Ansicht nach in dem vor mir lie genden Bekenntnis unserer Jüngste» seine» ichwerstcn Zusam menbruch erlitten. Eine politisierende Dichtkunst, wie sie noch vor wenigen Jahren bestand, mutzte elend Schiffbruch erleiden, das zeigt die „Junge Mannschaft". Und es ist eine Freude, unter den Jüngsten auch einige jener damaligen Zeitrichtung wieder zu finden, sie haben sich geläutert, hoben manä)en Irrtum ein- gesehcn und stellen heute in den Reihen dieser Jüngsten, ver jüngt! Sie können heute Führer sein. Vieles ist noch im Werden, im Entstehen begriffen, man ches erblüht bereits lieblich, hier gilt es, die einmal betretenen Wege zur Höhe bis zum Ziele zu verfolge», um so köstlicher dann die reife Frucht. Ein Abirren vom Wege dieses oder jenes Einzelnen soll uns nicht mehr schrecken, die Klärung ist da und das ist das Erfreulichste au der Arbeit Rockenbachs. Dem Verlage Eugen Kuner, Leipzig-Köln, gebührt der Donk dieser Jüngsten, der sich ihrer so liebevoll annohm. Möge die „Junge Mannsclzaft" sich selbst treu bleiben, dann ist sie auch des Lorbeers gewiß. Dresden-N., den 6. Juni 1925. Heinz Bernecker. Moderne Musik in den letzten Jahrzehnten Don Dr Bernhard Zeller sHamm) Moderne Musik? Man pflegt oft von vornherein den Stab darüber zu brechen wie vor einer böswilligen Ausgeburt häß lichen Zeitgeistes. Auch möchte man über die Schranke klassisch- romantischer Ueberlieserung nicht hinaus und sich in ein gefähr liches Land begeben, wo die Musik aushört und die Unmusik an fängt. Als Richard Wagner seine Overn nach dem herkömmlichen Ozilnschcina gestaltete und der schönen, mohlgegliederten Melo die seinen Tribut zollte, leistete ihm das große Publikum willig Gefolgschaft. Da änderte sich die Sachlage: Wagner schrieb den „Lohengrin". schuf aus dem Geiste der Dichtung eine neue Musik. in der es viel Ueberroschungen gab: eine stärkere Berwendung des Leitmotivs im Dienste des dramatischen Ausdrucks, neue Klangfarben, eine Melodiebildung, die aus dem Rhythmus der Worifprache hervorging. Das machte nicht nur den Meistern, sondern auch dem Volke Pein. Ein noch größerer Widerspruch setzte ein, als Wagner im Tristan und im Nibelungenring die letzten Konsequenzen seiner musikdramatischen Theorien zog. Da boten die Vertreter einer konservativen Musikanschauung alles auf, die neue Kunst unmöglich zu machen. Offenbar hatten sie aber vergesse», datz ihr Schutz Herr Beethoven gegen rückständige Kritiker und ein oberflächlich gebildetes Publikum zu Kämpfen gehabt hatte. Seine Eroika-Sinfonie, deren Kühnheiten mir heute ohne Kopfzerbrechen hinnehmen, wurde von vielen als eine maß- und formlose Schöpfung eines ungezügelte» Tempera ments betrachtet. Allein das Genie geht über solche Urteile zur Tagesordnung über und schreibt der Kunstcntwicklung seine Bah nen vor. Die sogenannte moderne Musik ruht auf den Schultern der beiden Führer der neudeutschen Schule: Wagner und Liszt. Letzterer, der in bezug aus die Lebensdauer seiner Mu sik das Wort aussprach: „Ich kann warten", lxtt eine Reihe von sinfonischen Dichtungen geschrieben, die durch das Medium der dichterischen Vorstellung hindurch gegangen, eine neue musi kalische Form erhielten, welche von der zum Ertönen gebrachten dichterischen Idee bestimmt wurde. Im Grunde genommen ist Beethoven in seinen bedeutendsten Sinfonien der Vorläufer dieser sinfonischen Richtung. Die Bereicherung des Ausdrucks- gcbictcs durch Befruchtung mit dichterischen Vorwürfe», das Streben, poetisch Geschautes in die Vcrsinnltchung des Klanges zu übersetzen, gebar verfeinerte Ausdrucksmittel. Was der geniale Franzose Bcrlioz an Klangfarbenmischungen ersonnen hat. wurde in kurzer Zeit in der Aera Liszt-Wagner weit über- boten. Die Harmonik erhielt eine Ausoestaliung. die dem Ton dichter gestattete, jede Nuance des Gefühls deutlich nachzudilden, sie schreckte vor den kühnsten Dissonanzen nicht zurück, ja, sie suchte förmlich nach eigenartigen harmonischen Wendungen, um die Regionen übersinnlicher Vorstellungen durch die Zauüermocht der Töne zu erobern. Auch die Melodiebildung hatte mit der der Klassiker und Romantiker nichts mehr zu tun: die neue Me lodie schrumpfte oft zur melodischen Phrase zusammen, es scheint, als ob der moderne Komponist bei seinen verfeinerten Neroen- und Sinnesfunktionen gar nicht Zeit hatte, eine Melodie in ge gliederten Bogen auszusimniien. Eine Fülle von Aehnlichkeit.m init der modernen Malerei könnte man hier .'um Veroleich hin zuziehen. Ein Grund für diese aphoristische Art der Melodie ist auch die moderne Vielstimmigkeit: Deutlich macht sich in der neuen Musik das Bestreben bemerkbar, viele Stimmen selbständig nebeneinander hergehen zu lassen; es würde aber vergebliche Mühe sein, sie in das Schema herkömmlicher Perioden einzu- spannen. da sie sich ganz individuell geben und sich nur gelegent lich zu bekannten und vertrauten Harmonien vereinigen. Groß ist es. Vorbildern nachzueifern, doch notwendig, sich von ihnen sreizumachen, wenn inan selbst Neues schassen will. Stillstand bedeutet mich in der Kunst Rückgang. Eine neue Ge neration von Musikern kam aus den Plan, die mit schwärmeri scher Verehrung an den Klassikern hing, die aber erkannte, datz der Musik neue Bahnen frcigemocht werden müßte», wenn man mit der fortschreitenden Kulturentwicklung Deutschlands in den 80er Jahren Schritt halten wollte. Als Wagner im Jahre ln Venedig die Augen schloß, wußte man, datz einer der Größten sein Erdendasem vollendet hatte, dessen Lebensiverk mehr be deutete als die Aufrüttelung der Geister, die sich um klassische Ideale scharten. Wie Pilze schassen da Talente aus der Erde, die da anfingen, wo der Meister aufgehört hatte Bezeichnend ist, dah Felix Weingärtner, ein hoffnungsvoller Fcuergeist. sein ihm eigentümliches Temperament zügelte, als er seine Over „Sakuntala" im Parseval-Stil schrieb. Man übernahm eben ohne weiteres die modernen Errungenschaften mit allen Rütteln gesteigerter Technik und glaubte, nur durch sie die schwersten Probleme zn lösen und die Welt aus den Anaeln zu heben. Aus dem Gebiete der Instrumentalmusik war fern vom Geschrei titanisch sich gebärdender Himmelsstürmer ein Meister erstanden, den man den „Wagner der Sinfonie" nennt, ohne da mit das Richtige zu treffen: Anton Bruckner. Ein T.äu- mer voll Gott- und Weltversunkenheit, ein Grübler, der sich in den Älerästclungen seiner Gebilde verstrickte, so datz man ihm den Vorw-urf der Formlosigkeit macht, ein Optimist voll glühen der Lebensbesahung. Man kann sich z» seiner Wesensart keinen größeren Gegensatz denken, als Gustav Mahler, den beltz- umstrittcnen Sinfoniker der Jetztzeit. Mag man nun tür oder gegen ihn sein, das Eine ist immer wieder zu bewundern: Diese zyklopische Nnsnannung aller Willenskräfte. bis zur Ekstase ge steigerte Vorstellungen transzendenter Gesichte ins Klauaücbe übersetzen. Allein der Gegensatz von Wollen und Vollbring n erzeugt Hemmungen, die oft geradezu lähmend wirken, bis die gemachte Verstandcsmusik von dem befreiten Strom intuitiven Schaffens abgelöst wird. In merkwürdigem Genenmtz. hart aneinan'er gerückt, stehen Ütanalitäten und wundervolle Ein- Die Gesiihlsreligio« / Von H. Wilms O. Pr. In seinem Buche „Religion und Welt" lFreiburg s. Br., Herder) tut P. Wilms die falsche» Anschauungen über Religion, wie sie in vielen Schlagwörtern zum Ausdruck kommen, gründlich ab. Das Folgende ist ein kleiner Ab schnitt daraus. Mau möchte dos Büchlein in jedes katholische Haus wünschen. In dem wundervollen Gedicht Christian Stolbergs: An weinen Bruder, sindcn sich die Zeilen, in die unsere denkende Zeit sich nicht mehr hineinzudenken vermag: „Eile, der du mir schivebst Auf der lechzenden Lippe, Brudcrkutz! Lagre behend aus seine Lippe dich. Träufle deinen Honig, und laß das Bild, Ach, mein Bild, Bor seiner ahnenden Seele schweben, und mit ihm Schmachtende Sehnsucht, ach, nach mir!" . Wenn sich das lagtägliche Leben unter solch überschweng lichen Ergüssen des überreizten Gefühles absprelte, mutzte sich bei der Religion die Rückwirkung zeigen. Schleiermacher ge bührt der nicht beneidenswerte Vorzug, den entscheidenden Schritt getan zu haben. Er hat die Religion zur Sache des Ge fühls gemacht, so. zwar, datz der Religiöse und -der Gefühls mensch gleichbedeutend sind. Heute ist im tagtäglichen Leben die Gefühlsduselei längst aus der Mode gekommen; in der schönen Literatur und Kunst hat man mit den schmachtenden Blicken und dem Sich-zu-Tode- jeufzen gründlich ausgeräumt. Die Wahrnehmung drängt sich einem auf, das gerade Gegenteil habe Platz gegriffen und sich so der Satz bewahrheitet: Von einem Extrem in das andere. Nur in der Religion wollen viele Moderneit nichts wissen von einer Aenderung in der Auflassung. Da halten sie der größ ten Mehrzahl nach auch heut« noch Schleiermachcr für den Haupt apostel und seine Ansicht für das einzig moderne Evangelium. Religion ist und bleibt bei ihnen Gefühlssache. Mit tiefem Mitleid und innigem Bedauern sehen sie auf die Katholiken herab, die nicht echt religiös sind, weil sie die Reli gion als Sache des Verstandes und des Willens ousfassen. Schleiermachcr erklärt sich nämlich dahin, datz di« Religion nichts weiter sei als Gefühl, als schlechthlniges Abhängigkeitsgefühl des Menschen in bezug auf Gott. Religion sei der flüchtige und durchsichtige erste Duft, womit der Tau die erwachende Blume anhoucht, ebenso rasch verschwindend wie dieser. Von Moral- vorschristen. von Glaubenssätzen ist keine Rede, nicht einmal mehr von den durch die bloße Vernunft erkannten Wahrheiten über Gott und unsere sittlichen Verpflichtungen. All dieses ge hört »ach Schleiermachcr nicht zur Religion, es ist später ent stellende Zutat, die abgestreist werden mutz. Zur Ausbrütung dieses Systems war die schwüle Zeit der Sentimentalität recht geeignet, und der begeisterte Anklang, den es fand, zeigte, datz die kränkelnden Herzen dafür empsänglich »raren. Aehnliche Gründe sichern ihm jetzt noch zahlreiche An hänger. Die Religion mit den strengen Forderungen im Dies seits und den drohenden Strafen im Jenseits patzt nicht mehr; vollständig möchte der Mensch auch nicht aus Religio» verzich ten, denn es könnle zuletzt an de» kalholiscl>en Glaubenslehren etwas Wahres sein. Deshalb einen Mittelweg suchen! Weder kalt noch warm ist der modern, Religiöse: «r ist lau; «in biß chen Gcsiihlsschwürmerei ohne ernste Verpflichtung toll den even tuellen Richter des Jenseits gnädig stimmen. Damit glaubt man Nachweisen zu können, datz man auch Religion gehabt. Der wei testgehende Genuß der irdischen Freuden wird dadurch nicht im mindesten beschränkt. Ja nach den nervcncrschütterndcu Anstren gungen des Balles, der Oper, des Theaters ist es sogar eine tröst liche Erholung, sich im weichen, wohligen Mondschein, wo alle Umrisse ins Ungewisse verschwimmen und die Tatkraft ein schläft, zu ergehen und sich in süße» Träumereien von einer über uns wallenden liebenden, alles zum Gu!e„ lenkenden Macht zu verlieren. Bei solchen Anschauungen dienen die ärgsten sündhaften Reize der Religion, denn sie heben dos Gefühl, das als das We sentlichste der Religion betrachtet wird. Bei solchen Ansclgru- ungen mutz man selbst dem Tiere Religion zuschreiben, denn das Tier l>at Gefühl. Allen Ernstes spricht Braubach vom Reli giössein des Hundes, und Vogt hatte bei den Assen religiöse Acutzerungen konstatieren wallen; sie sollen augenverdreherisch, mit flehenden Mienen und ausgespreizten Vieren in den Zwei gen der Bäume gesessen haben. Zu solch kindischer, ja tierischer Spielerei sinkt das Hei ligste im Menschen herab, ivcnn die Religion aus dem Geistigen in das Sinnliche, aus dem Verstand und dem Willen in das Ge fühl verwiesen wird. P. Pesch macht das System Schlciermackers mit den Worten lächerlich: „Tröste dich, du verlottertes Menschen kind, der du dir selbst gestehen mutzt, datz du ein Perbrecher bist, und der du. was du bist, auch bleiben willst; trotz deiner moralischen Niedrigkeit darfst du noch religiös heitzen, und zivor echt religiös, denn du kannst ja sagen: Geblieben ist »ns in jedem Falle der Grundbestandteil der Religion, das Gesühl der unbe dingten Abhängigkeit."
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)