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Onter^clltun^ und wissen k^r. 123 - 30. jVIlli 1424 LLciisisclie VoHisreiluritz Die l^eisluns ei»tsel»e!cket ^ubiläumsunkuA Edelsteine sind deshalb so geschäht und kostbar, weil sie selten sind. Könnte man sich mit ihnen die Wege pflastern, schwände ihr Wert dahin. Aehnlich geht's uns mit den Jubiläen und Geburtstagen mehr oder minder berühmter Menschen. An ihrer Lebensstraße steht ein Wegweiser auf gepflanzt, an dem sorgfältig die zurückgelegte Fahrtstrecke vermerkt ist. Mit dem 35. Jahre beginnt bereits die Ver messung und hört beim 80. auf oder auch nicht. Wem geschieht eigentlich mit dieser Registrierung eine Freude? Den Gefeierten? Kaum. In den seltensten Fällen. Mit einem nassen, einem heiteren Auge müssen diese Opfer der Oeffentlichkeit Gratulationsstunden, Festgedicht und Blumenspenden sowie den pünktlichen Antritt von Illu stratoren über sich ergehen lassen. Für die Prominenten schließt sich daran meist noch im größeren oder kleineren Kreise ein geselliger Ehrenabend mit Zubehör. Dann wird di« Persönlichkeit, die es so weit auf den Sprossen der Lebensleiter gebracht hat, nach allen Regeln der Ueberlieferung gefeiert, auch wenn sie noch lange keine Lust bezeigt, sich „auf die Postille gebückt, zur Seite des wärmenden Ofens" zu halten. Aber dieser „Siebzigste Geburtstag" von I. L. Voß. in fließeirden Hexametern geschrieben, im Jahre 1771, scheint sozusagen das Musterblatt für alle Festredn bei solchem Anlaß ge liefert zu haben. Eine bekannte Schriftstellerin sagte in ihren Dankesworten: „Man hat mir soeben «inen Spiegel vorgehalten, in dem ich mich zwar nicht erkenn«, aber ich weiß ja, daß es üblich ist, einer Dichterin an dieser Zeit» grenze alles nur denkbar Schöne und Liebenswürdig« zu sagen, um sie darüber zu trösten, daß sie siebzig Jahre alt geworden ist!" Bedarf es denn eines Trostes? Fast scheint es so. Denn gedankenlosen Leutchen gibt eine solche genaue Fest stellung des Datums die Berechtigung, die Jubilare zum alten Eisen zu werfen. Für die Beteiligung an irgend einem Wettkampf gelten sie als erledigt. „Bringe nur gar nichts über meinen sechzigsten Geburtstag in die Oeffent lichkeit, sonst erhalte ich keine Aufträge." Obschon sie weit besser malte, in ihrer Kunst weit vorgeschrittener war als vor dreißig Jahren, mußte ich ihrer Auffassung recht geben. Ich habe zahlreiche Abschiedsfeiern von Bühnen künstlern mitgemacht, bei denen das dankbare Publikum sich in Ovationen nicht genug tun konnte. Aber ich habe auch den Trauerflor gesehen, der unsichtbar durch alle diese Blumenspenden sich zog und das von Glückslächeln müh sam versteckte, schmerAiche Zucken des Mundes. Das nagende Weh, wenn der Vorhang zum letzten Mal« sich gehoben hat, und nun alles befriedigt nach Hause geht von diesem „Begräbnis erster Klaffe". Einmal muß nicht nur der Mime, sondern auch jeder andere Menschen abtreten von der Bühne, auf der er gewirkt hat. Das ist Natur gesetz. Aber dieser Zeitpunkt braucht durch den Jubiläums» unfug nicht künstlich beschleunigt zu werden. Die Lei stung entscheidet, nicht der Kalender. Als man den greisen Sophokles entmündigen wollte, verteidigte er sich, indem er dem Tribunal eine Szene aus dem „Oedipus in Kolonos" vorlas. Grillparzer war nichts weniger als erbaut, als bei seinem achtzigstem Geburtstag die Mimer, die ihren größten Dichter jahrzehntelang vernachlässigt hatten, nun plötzlich von hochgehender Begeisterungsflut erfaßt wurden. Muß man das Gedächtnis der Menschen mit dem Hinweis auf ein bestimmtes Datum erst künstlich wach rütteln, so hat ihre Anteilnahme wenig Wert. Die Hauptsache aber ist, daß weder der 50., 60. oder 70. Geburtstag einen fühlbaren Einschnitt in unserer Lebensbahn angibt. Die eigentlichen Wendepunkte, die entscheidenden Momente unseres Lebens liegen an ganz anderen Stellen. Aeußere Schicksale und innere Erlebnisse bestimmen sie, und gerade letztere kaffen sich von der Sta tistik nicht erfassen. Ob unsere Lebnskurve steigt oder fällt, hängt nicht von der Zunahme der Jahre ab, sondern von unserem körperlichen Befinden einerseits und unserer seelischen Szxmnkraft andererseits. Es ist durchaus verkehrt zu den ken, daß man in vorgerücktem Alter schon mit dem Rest seiner Kraft arbeitet. Man kann sich als Sechziger weit frischer und arbeitsfreudiger fühlen als mit vierzig oder fünfzig. Wenn Jmanuel Kant sein« epochemachenden philosophischen Werke in Jahren schrieb, wo andere Geistes arbeiter sich schon zur Ruhe setzten, so bezeichnet das keine Anomalie, sondern sagt nur an, daß bei dem Königsberger Denker die Lebenskurve anders lag. Auch die Abnahme oder das Nachlassen des Gedächtnisses, das gewöhnlich als ein Kennzeichen des höheren Alters gebucht wird, als Wirkung zunehmender Verkalkung, ist letzten Endes auf ganz andere Ursachen zurückzuführen, vor allem auf den Mangel an ständiger Hebung. Wer sein Gedächtnis gut trainiert, erhält es frisch und leistungsfähig. Ein Schul beispiel hierfür ist Ernst Possart, der noch als Achtziger große neue Rollen auswendig lernte. Unter den Leben den gleicht ihm, was das Äuswendigrezitieren anlangt, Ludwig Wüllner, der als Deklamator noch gang auf der Höhe steht. Bei der Frau stellt sich mit fünfzig Jahren, wenn gewiss« Krisen überwunden sind, sehr häufig ein« ziveite Jugend ein, die sie tüchtig macht zu neuen Aufgaben und Leistungen. Es ist eine oft gemachte Erfahrung, daß im 8 chulbetrieb -. B. di« älteren Lehrerinnen weit län ger durchhalten und weit seltener vertreten werden müssen als die jüngeren Kolleginnen, di« noch nicht gelernt haben, den rechten Ausgleich zwischen Arbeit und Erholung zu fin den und deshalb nur zu leicht ihre Kräfte überspannen. Nichts reibt so sehr auf als Enttäuschungen und innerer Zwiespalt. Kein Jubiläum hilft dem Menschen über Ver- Von vr. LII» Llensel» bktterung und Vereinsamung hinweg, bringt ihm höchstens die fragwürdige Ueberzeugung bei, daß es mit ihnen nun bergab gehe. Ein festes Eotivertrauen jedoch und die Ge wißheit, daß das Leben mit jedem Morgen neu angcfaßt und gelebt lverden muß, läßt die gewaltsam nach dem Ka lender herbeigeführten „Ehrentage" entbehrlich und lästig erscheinen. LeäiirKTnrx Notar lk. Vrsckvinovor. Klupsch wohnt bei seinem Freunde Mindermann. Die Woh nung weist erhebliche Mangel auf, und die Miete ist nicht gerade niedrig. Am 1. spricht Klupsch mit seinem Freunde Mindermann über eine Instandsetzung. Die Aussprache führt zu einer allgemeinen Klärung der Lage. Klupsch berichtet seiner Frau: „Der Mindermann will alle Kosten übernehmen." Alle Kosten?" ^a." 'Hast du ihm gesagt, daß der Ofen im Arbeitszimmer gründlich überholt werden mutz?" „Der Ösen soll gründlich überholt werden." „Hakt du ihm gesagt, daß im Schlafzimmer von Linoleum keine Rede mehr sein kann? Datz dort nur noch Fetzen die Dielen bedecken?" „Wir werden im Schlafzimmer neues Linoleum bekommen." „Und die Tapeten im Wohnzimmer." „Wir kriege neue Tapeten im Wohnzimmer." „In der Küche laust das Wasser von den Wänden. Mir brauchen dort eine Klapp« im Fenster, damit man auch im Winter lüften kann." den» Ii»I»aIt: D r. Ella Mensch: Jubiliiumsunfug. Heinz F. Breve meyer: Bedingung. Gottfried Kölwel: Fahrt nach dem Süden. Hans Wirtz: Im Mai . . . Joh. o. Kunowski: Tausend Worte Deulsch. L. Kressin: Zähmung eines Widerspenstigen. Fünf Minuten Kopfzerbrechen. „Auch das wird gemacht werden, mein Schatz." „Im Keller fällt der Verputz von der Wand; lügt Minder- mann das auch dort machen???" „Ja, er will auch die Wände verputzen lassen." «Das Dach mutz nachgesehcn werden. Bei dem starken Regen leckte es neulich durch die Decke im Kinderziinmcr." „Der Dachdecker ist schon bestellt und der Maler auch. Die Decke im Kinderzimmer wird neu gestrichen und Linoleum soll dort endlich auch gelegt werden." „So, wie es jetzt bei uns zusteht," sagt Frau Klupsch, konnte dein Freund Mindermann uns auch nicht zumuten, länger darin zu Hausen . . . Aber ich glaube, du umrst in Remmcrs Altdeutschen Bierstuben und hast dort zu tief ins Glas gesehen, datz du mir erzählst, er will alles machen lassen und auch be zahlen???" „Ich war nicht bei Nemmer und es ist so. Mindermann zahlt" „Es ist ja auch sein Haus .... Aber hat er denn geerbt?? ?" „Nein, auch nicht die Miete gesteigert .... Aber eine Be dingung hat er mir gestellt." „Ich darf dir in den nächsten zwölf Monaten kein neues Kleid, keinen neuen Mantel und nur einen neuen Hnt kaufen. . . . . Sonst hast du ja seine Frau immer veranlasst mit deinem guten Vorbild, sich auch mal wieder modern einzukleiden .... Wenn sie das nicht tut, sagt Mindermann. kan» er bequem die Kosten tragen. Er macht noch ein Geschäft dabei." „Emil," sägt da Frau Klupsch, „soo nötig wären die Repa raturen doch nicht gewesen " I^anäselrakÜielre Lrlekirisse kakrt nael» 8üäen Urber den Brenner. Im Gebirge wohnt noch der Winter. Je weiter der Zug hinter Kufstein in die Täler eindringt, je höher er dem Brenner zustrebt, desto deutlicher wird der weitze Ries« sichtbar. Hier sitzt er noch mit ungebrochenen Gewalten auf den Riesenstühlen der Berge. So breit und wulstig sitzt er da, datz ihm der Schnee wie dickes Fett nach allen Seiten über die Sitze hängt. Die starren Falten seines Gewandes läßt er schwer zur Tiefe fallen und stampft mit seinem eisigen Klumpfutz bis in die Täler. Dem Brennersee. der schon ziemlich zur Höhe ge- langt ist, als wollte er hinübersehen über den Patz, hält er mit einer grauen Eisplatte tyrannisch das Auge zu. Doch so grausam er sich auch vermißt, jenseits des Bren ners beginnt seine Macht wie durch ein Wunder zu brechen. Denn hoch oben im blauen Gewölbe des Himmels, da hängt die Sonne wie «in herrlicher Gong, an den der Klöppel des Frühlings immer unaufhaltsamer schlägt. Er schlägt so laut und klingend darauf, daß die Luft ringsum erbebt und golden ertönt. Es ist ein Schwingen und Klingen wie in einem an deren Reich. . . . In Eossensaß spitzen die Knospen neugierig die Ohren. — In Brlxen dringen die ersten Blüten hervor, weiß und rot backig. wie neugierige Gesichter am offenen Fenster. — Immer dichter scharen sich Bäume und Büsche als Zuhörer, alle in grünen Gewändern, und mit einem Male, in Bozen steht alles dicht versammelt wie bei einem festlichen Konzert. So nah an einandergedrängt stehen Blätter und Blüten, datz durch sie hin durch nichts mehr zur Erde fallen kann. Es ist ein Ecwogc und ein Gedränge, datz viele nicht mehr Platz haben auf der ebenen Erde, und so klettern die noch braunen Scharen der Weinstöcke ringsum an allen Hängen empor und bleiben in kaum abseh baren Reihen mit hochgehobenen Besten wie in horchender Er tast stehn. . . , Toskanisch« Landschaft. An den Hügeln und Bergen von Toskana probiert der noch ferne Sommer seine Farben aus. Eine merkwürdige, feine Pastellmischung von gehauchtem Karmin, von braunen und goldenen Tönen, ist über alle aus gegossen wie eine einzige Helle Freude. Dabet ist die Erde so bewegt, datz ein Berg dem andern in den Weg zu laufen scheint. Ja, es ist, als entsprängen all diese Im « » » Blumen Hab ich dir gebracht im Mai. Die ganze Seele hineingedacht: wir Zwei. Lohend« Liebe flammt ich hinein: brennend« Blumen sollten es sein. Die Blüten vergehen Wie Wogen im Meer. Di« Brände bestehen, verlösche« nicht mehr. Nun muß ich wandern und weiß nicht wohin. Muß immer dich suchen, wo ich auch bin. Nana Wirt». Von Oottkrreä Kolvvel glatten und reinen Linien der Höhenzüge wie Strahlen aus dem Brunnen der Erde und bögen sich spendend nach alten Seiten. So lebendig ist hier alles geworden, datz kein Ding, auch kein kleinstes, mehr trag zu verweilen scheint. Sehen sie nicht wie riesige Herden aus, all die geörntcn Weinstöcke, die da aus den Tälern an den lichten Hängen hoch- ziehn, als triebe Gott selbst sie über seine gesegnete Weide? Ziehen dazwischen die dunklen Pinien mit ihren breiten runden Rücken nicht wie Scharen von wohlgenährten, schwarzen Schafen dahin? Haben es die Zypressen nicht so eilig, datz sie kaum mehr aufzuschnaufen wagen aus ihren schlanken Lungenflügeln und im sausenden Lauf nur immer schmaler und schmaler werden? Und doch sind es hier gerade die steinernen Häuser — diese futz- und beinlosen Geschöpfe — die vor allem oben anlangen auf dem Gipfel der Berge. Wenn auch der Raum noch so eng und schmal ist, eines drängt sich an das andere, und auch da» letzte findet noch seinen Platz. O, es mutz ihnen sehr, sehr gefallen da oben: denn wo die Sonne auf ihren breiten und flachen Gesichtern liegt, lachen sie hellauf, als wollten sic es von allen Höhen ausrusen, wie schön Gott die Welt gemacht hat! Morgen im Tyrrhenischen Meer. Wenn der Dampfer nach mild verflossener Nacht allmählich in den Morgen schwimmt, wölbt sich über den graujilbernen Wassern, aus unendlichen Horizonten herauf, der Himmel mit riesigen Schultern hock), als schwebte Gott selbst über den Wassern und streckte sich. In der einen Hand hält er den blassen verfallenden Mond, als hätte er die ganze Nacht wie im Traum damit gespielt und ließe ihn wieder zur Tiese fallen. Mit der andern aber fischt er aus den Wellen einen neuen, viel größeren Ball herauf, Er ist glutrot, und die Wasser scheinen zu zischen, als er feurig aus der Tiese kommt. Hat ihn ein Meerungeheuer während der langen Nacht im schwarzen Leib getragen und erst ausgespuckt, als Gott ihn zum Spiele brauchte? Es ist die Sonne! Lang sam hebt Gott den Arm, der Himmel geht aus wie sein eigenes lächelndes Gesicht, und der glutrote Ball wird golden in seiner Hand. . . . Gelb wie eine Zitrone hängt er ihn schließlich an einem Strahlenstiele als Zeichen des nahenden Sommers über dem Meere auf. — Aber nun beginnt auch in den Wassern das Spiel. Hügel an Hügel wogt aus den Wellen, und da gewahrt man in den morgenhellcn Wassern plötzlich riesige Fische schwimmen. Es sind Delphine. Freudig wie Hunde den heimkehrenden Herrn begrüben, tummeln sie sich um das Schiff. Sie schießen vor und zurück, sie werfen sich auf den dunklen Rücken und zei gen den silbernen Bauch. Sie drehen sich drei-, vier- und süns- mal um sich selbst, als wären sie unbändig vor Lust geworden. Wie da die nahende Küste Siziliens das goldbraune Auge aufschlägt! Heben sich die blauen Vorgebirge nicht wie herrlich geschwungene Augenbrauen? Aus der Pupille hell und strahlend, blickt Palermo.., vir Sonneninsel. Wo sich zwischen den blanken, seltsam geschwungenen Ber gen Siziliens das Land gegen das Meer senkt, gleicht es meist einer hohlen Hand, die gierig Sonne sammelt. Wenn du mittags auf der staubigen Straße dahingehst, wo dt« kochend« Luft flimmert, wo grüne und blaue Eidechsen wie