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Drittes Blatt Nx. 33 Sächsische Volkszeitung vom 9. Februar 1908 P»lityche «„»Vs«»». (Fortsetzung au» dem Havptblatt.) — Ter konservative Prvfeffvr DeldrSck tritt in dem neuesten Heft der..PreußischenJahrbücher" mtlEntschiedenheit für dis geheime Wahl ein und meint: „Wer die Macht bat. wendet sie an. Regierung und Magistrat gegen ihre Beamten, Arbeitgeber gegen ihre Arbeiter. Kunden gegen ihre Lieferanten. Gläubiger gegen ihre Schuldner, Besitzer gegen ihre Pächter, Arbeiter gegen ihre Genossen. In den ländlichen Wahldistrikten ist heute noch bei Gutsherrn und Bauern bie öffentliche Stimmab gabe populär, weil sie so ihre Tagelöhner und .Knechte kontrollieren können. Umgekehrt hat jüngst die Sozialdemokratie bei einer beruflichen Abstimmung bei Bergleuten in Westfalen dieOeffentlichkeit durchgesetzt, um die Minorität ihrer Genossen einzufchüchtern. Der Finanziniuister von Reinbaben hat, wie man sich erinnern wird, von einem unglücklichen polnischen Subalternbeamten verlangt, nicht etwa bloß, daß er sich der Abstimmung fernhalte, sondern, daß er bet Bor- lust seine» Amte», da» für ihn und feine Familie Brot und Existenz bedeutete, für die deutsche Partei stimme, und hat den Borgesetzten Provinzialsteuerdirektor, der solche Maß nahmen nicht billigte, veranlaßt, sich pensionieren zu lassen. Der Landtag bat diese Erziehung des Beamtentums zu UeberzeugungLtreue, Ehoralterfcstigkeit und nationaler Gesinnung vollkommen gebilligt, und ein solche» Beispiel wirkt für alle Angestellte, sei e» de» Staate«, sei e» als Privater." Delbrück bestreitet weiter mit schlagenden Gründen, daß da» Gefühl der Verantwortlichkeit bei geheimer Ab- stimmung abgeschwächt werde. Nicht ander» steht e» mit der Vorstellung, daß die geheime Abstimmung Lüge und Verstellung befördere, die öffentliche Wahrhaftigkeit und Gradheit. „Ganz gewiß wird es bei geheimer Abstimmung nicht selten Vorkommen, daß ein Untergebener ander» ab- ftininit als er seinem Vorgesetzten weißmacht. Aber diese Fälle von Unwnhrhaftigkeir verschwinden, gegen den erstickenden Rebe! von Heuchelei, den dis öffentliche Abstimmung herauf- weht. Wer ander» absttmmt, als sein Gewalthaber wünscht, wird bei geheimer Abstimmung in den meisten Fällen damit davonkommen, daß er sich gar nicht äußert, und dis Wahrheit ist in dein wichtigsten Pnnk'e auf olle Fälle zum Ausdrucke gekommen, insofern der Wähler nach seine* Uebel- zeugnng gewählt hat. Bei der öffentlichen Abstimmung fallen allerdings die Fälle der Belügung fort, dafä, aber haben wir die ungeheure Masse der üborzeuguugSwidrigeu Ab- Kimmungen, wobei nicht ein einzelner, sondern der Staat belogen wird." — Da» mag sich Fürst Bülow au den Spiegel stecken, der für Preußen selbst lue gehime Wabl avgelehnt hatte. — In der nationalliberalen Partei gärt es stärker, als es die Oeffentlichkeit erfährt; die Führung der Oppo sition lxrt die „Nat.-Zeitg." übernommen, die ein „demo kratisches Parteiregiment" fordert. Schon anfangs De zember habe man beschlossen, eine Zusammenkunft der Fraktionsvorstände abzuhaltcn. Und zur Ausführung dieses sehr verständigen und nützlichen Beschlusses brauck-e nian mehr als sechs Wochen. Das wäre lediglich ein wei- terer Beleg für seine frül)ere, bisher nicht widerlegte Be hauptung, das; die Geschäfte der Partei nicht so geführt würden, wie es im allgemeinen Interesse gefordert werden müsse. Wenn die großen Parteiblätter draußen im Lands die Berechtigung abstreiten, sich um die Erledigung der ParteigesckMe überhaupt noch zu kümmern, sei es schlimm. Das Blatt möchte doch dringend davor warnen, diese Auf fassung sozusagen als die offiziöse der Partei weiter zu verbreiten; dagegen Einspruch zu erheben, hätten alle be sonnenen Mitglieder der Parteileitung den ernstesten An laß. Tenn draußen „im Lande", da wohnten schließlich doch auch — die Wähler, und cs sei ein wunderliches Unter fangen, denen ein paar Monate vor Neuwahlen, gewisser maßen von Partei toegen zu verstehen zu geben, sie seien zum Iasagen gerade gut genug, zu mehr aber auch nicht I Man lerne doch endlich von den Gegnern! Was habe bei- spielslveise der konservativen Partei in den letzten Jahren zu ihrem überwiegenden Einfluß auf die innere Politik — und die äußere auch — verholfen? Was anderes, als die große, auf breitester demokratischer Grundlage aufgebaute Organisation des Bundes der Landwirte? Ob die kleinen Bauern und Landwirte wohl daran taten, sich der Führung des Großgrundbesitzes anzuvertrauen, sei eine Frage für sich, worüber die Zukunft wesentlich anders denken werde, als die Gegenwart. Tatsache sei aber doch, daß der Agrarkonserva- tivisinns seinen herrschenden Einfluß auf die Gegenwart nur dem Drucke der Masse verdanke, die er mit bewunderns wertem Geschicke zu organisieren und für die von ihm ver tretene Sack« zu interessieren verstanden habe. Diese weit verzweigte Organisation sei durch und durch demokratisch in ihrem Ausbau, mögen ihre Ziele sein, wie sie wollen. Auch ein Beitrag zur liberalen Einigkeit. Kr««kreiÄk — ttebcr die auswärtige Politik Frankreichs veröffent licht die „Corrispondenza Nomana" folgende Aeußerungen eines „gewiegten Politikers": Marokko sei eine beständige Krielsgefahr. wovor die Machthaber in Frankreich zurück schreckten: sie fürchten aber nicht den deutschen General, son dern der französische General mache ihnen Angst. Gerade jetzt könne ein tüchtiger französischer Heerführer versucht sein, die prekäre Lage der französisck)en Negierung zu einem Staatsstreiche zu benutzen. Dazu komme, daß der Wert des französisch-rnssischen Bündnisses andauernd geringer werde in dem Maße, wie der deutsche Einfluß in St. Petersburg wachse. Afrik«. — Nachrichten an« »er Misst«» Kasifi in Rhodesia gibt der Generalleiteriii der Et. Petcur-Llaver-Sodalität in Nom (via. Oimata. 16) unterm 20. Juli v. I. 1'. Tvrrend. Derselbe schildert ihr die Schwierigkeiten, aber auch die erfreulichen Fortschritte seiner erst seit einem Jahre gegründeten Misst»«, welcher als einem „Vorposten" der Mission in Rhadesia, eine ungemein wichtige Aufgabe zu- kanlmt. Soviel ich au» meinen Erfahrungen der ver- flassenen zwölf Mansie schließen kann, wird die hiesige Rifsion sich erst in 3—4 Jahren durch Feldbau erhalten können und selbst dann noch werden voraussichtlich die Fortschritte, langsam sein, aber all»» läßt mich hoffen, daß in 7—S Jahren unsere Missian in jeder Hinsicht eine sehr blühende sein wirb. Katechinnenen-Familien siedeln sich bereits um unsere neue Kapelle an und ich muß offen sagen, daß mich dieselben außerordentlich erbauen, sowohl durch ihre Arbeit samkeit. al» ihren Eifer beim Unterricht, ihre Aufrichtig keit rc. Ich glaube in meinem letzten Briese erwähnt zu haben, daß mein sehnlichster Wunsch ist, sobald al« möglich Schwestern hierher zu bekammen. Leider muß ich für dieses Jahr auf die Erfüllung meine» HerzenawnnscheS verzichten, weil mir alle Mittel hierfür fehlen. Solange wir aber keine Schwestern haben ist ein regelrechter Unterricht der Mädchen nicht denkbar und solange wir keine christlichen Mädchen haben, ist e» eine wahre Gefahr, die jungen Burschen zu taufen. Katholisches Arbcitersekrelariat DreSde» - A-Kta«, IR. Da» Sekretariat bleibt bi» z«« 17. Februar geschloffen Katholischer Frauenbund, Dresden jede« Mittwoch O'.ußrr an Feiertagen) nachm, von 4 bi« 8 Uhr Eprechstlrvde i* allen Aug-legentzei'^eu de« Franenvunde« IN der Eleschilfwstelle llSufferstraße 4, l. Unsere verehelichen Leser werden gebeten, ihre Einkäufe möglichst nnr bei den in unserer Zeitung inserierenden Firmen zu machen und sich dabei ausdrücklich auf unser Blatt zu beziehen. — 104 - Einige Worte hätten genügt, um ihm die Gewißheit zu verschaffen, daß Vcgumil Mintrop sich in seiner Nähe befand, und daß er in der Lat der Schuft war, den er in ihm vermutete. Wie ganz anders würde diese Enthüllung auf den Vater Kurts einge- wirkt haben! Er hätte dann auch Wohl erfahren, daß sein Patient Schüller der Er zieher Kurts gewesen war, und diesen Mann vielleicht zu einem Geständnis belvcgen können. An diese Möglichkeit dachte er nun auch nicht mehr. Schöller hatte ja damals mit der größten Gleichgültigkeit erklärt, er kenne den Kranken nicht, und auch Kurt schien keinen Wert auf diesen Punkt gelegt zu haben. Ter Doktor setzte einstweilen seine Hoffnungen auf den Brief, den er an den alten Baron schreiben wollte; das Weitere mußte dann später sich finden. In seinem Sinnen wurde er plötzlich gestört, man hatte ziemlich derb an geklopft; er wandte sich um und sah sich der Frau Schlau gegenüber. „Was wollen Sie hier?" fragte er barsch. „Bringen Sie mir das Me- daillon und das Portefeuille?" „Herr Doktor, ich bin keine Diebin," erwiderte sie und ihr ohnedies rotes Gefickt färbte sich noch dunkler. „Sie haben mich unglücklich gemacht, das verzeihe Ihnen Gott, der jedes Unrecht bestraft —" „Lassen Sie unseren Herrgott aus dem Spiele!" brauste der Doktor auf. .Sie haben wahrhaftig keine Berechtigung, ihn gegen mich anzurufen. Wenn Sie nicht schon entlassen wären, so würde es jetzt geschehen. Sie riechen so entsetzlich nach Branntwein, daß Sie Ihre Trunksucht nicht mehr leugnen können." „In der Verzweiflung tut man manches, was man unter anderen Ver hältnissen nicht tun würde," seufzte die Wärterin. „Ja. ich habe ein kleines GlaS Branntwein getrunken, weil mein Elend mich trostlos machte; vornehme Herrschaften berauschen sich in Sekt, und dann sagt man nur, sie seien heiter gelaunt. Es ist keine Kleinigkeit, wenn man einer armen Frau die Ehre abschneidct und ihr dann auch noch das tägliche Brot nimmt. Sie haben das wohl nicht bedacht, Herr Doktor. Ich bin immer ehrlich gewesen, habe immer meine Pflichten gewissenhaft erfüllt, und nun werde ich eines bloßen Ver dachtes wegen vor die Türe gesetzt! Klagen Sie mich an, lassen Sie das Ge richt Haussuchung bei mir halten, dann werden Sic sich überzeugen, daß ich schuldlos bin. Aber nein, ohne Urteil und Beweis wird der Stab über mich «ebrocben, was liegt auch an der Ehre einer armen alten Frau! Sie kann inS Armenhaus gehen und dort ihr Leben beenden, Ihr Gewissen —" „Na, nun ist's genug!" rief der Doktor zornig. „Die Sachen sind dem Manne im Hause Ihres Schwagers abhanden gekommen —" „Auch das ist noch nicht bewiesen," fuhr sie forr. „In jener Nacht tvar die Frau Schlau im Spital —" „Wollen Sie nun den Verdacht auf andere lenken? Sie wissen selbst, daß Sie damit nicht durchkommen. Suchen Sie den Dieb; wenn Sie ihn gefunden und die gestohlenen Gegenstände entdeckt haben, mögen Sie wieder »u mir kommen. Dürfen Sie alsdann eine Ehrenerklärung beanspruchen, so werden Sie mich bereit finden, sie Ihnen zu geben." „Erhalte ich dann auch den Dienst im Elisastifte wieder?" fragte sie mit ynem lauernden Blicke. — 101 — Ich sagte ihr. daß ich nichts zu bereuen habe, versprach, ihren Rat zu befolgen, ich nahm mir vor, dann in meine Heimat zurückznkehren, trenn ich jedem frei in» Auge schauen durfte. In Gegenwart eines Notars wurde mir das Geld aus gezahlt. ich mußte die Absindungsurkunde unterschreiben und noch in der selben Stunde abreisen. Ich wandcrte nach Australi'n aus; was dort aus nur geworden ist. Sie sehen es! Ich habe gearbeitet, rastlos und unver drossen. aber meine Körperkräfte reichten nicht aus, und die Erinnerung an das mir zugefügte Unrecht ließ mir Tag und Nacht keine Ruhe. Die Sehn sucht, heimziikehren und noch einmal hier nachzusorschen, erfaßte mich mit unwiderstehlicher Gewalt, ich mußte ihr Folge geben, aber schon auf der Reise hierher erkannte ich, daß ich eine Torheit beging, und jetzt habe ich nicht den Mut mehr, die Nachforschungen zu beginnen." Er schwieg; Doktor Grollinger, in dessen Zügen tiefes Mitleid sich spiegelte, nickte, als ob er sagen wolle, er verstehe diese Mutlosigkeit, tvenn er sie auch nicht billige. „Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen, Herr Baron —" „.Halt!" sagte Kurt hastig. Nennen Sie mich nicht so, Herr Doktor, »vaS ich Ihnen mitgeieilt habe, muß streng unter uns bleiben, geben Sie mir den Namen, den ich selbst genxhlt habe, der Freiherr Kurt von Holbach muß ver schollen bleiben!" „Ich hoffe, nicht lange mehr," fuhr der alte Herr fort. „Sie haben meine Fre»ndscl)aft angenommen, nun sollen Sic auch erfahren, >vaZ ein echter Freund vermag. Ich sehe nicht so hoffnungslos in die Zukunft, wie Sie, ich nx'rde mich Ihnen wieder Mut und Hoffnung einflvßen. Mir scheint, Sie haben schon damals die Flinte zu früh ins Korn geworfen. — lieber eines vor allem muß ich mir noch Auskunft erbitten. Sie nannten in Ihren Fieber- delirien häufig den Namen Schöller und gaben ihm dabei keine sehr liebe vollen Beinamen. Wer war dieser SclMer?" „Er war mein und meines Bruders Erzieher, und ich vermute, daß er mir das Herz meines Vaters entfremdet hat. Beweisen kann ich ihm nichts, er U>ar mir gegenüber stets liebenswürdig und unterwürfig. Aber er be fand sieb damals in meiner Garnison, ich bin ihm mehrmals begegnet, und ich glaube nicht zu irren, wenn ich annehme, daß er die Briefe geschrieben hat, die meinen Vater gegen mich anfhctzten." „Haben Sie diesen Schöller im Hospital wiedergesehen?" „Nein." „Es ist dort ein schwindsüchtiger Lehrer, der sich Schöller nennt, ich habe ihn an Ihr Bett führen lassen, aber er hat Sie nicht erkannt." „Schöller ist kein ungewohnlick>er Name," erwiderte Kurt mit einem leichten Achselzucken. „Hm. wie standen Sie mit Ihrem Bruder?" „Auf dem besten Fuße. Herr Doktor. Ich will nicht behaupten, daß wir einander sehr lieb gehabt hätten, dazu gingen unsere Charaktere zu nxit aus einander, ich glaube auch, daß er mich im Herzen um das Majorat beneidete. Ich verstehe Ihre Frage sehr wohl, errate auch, welche Vermutungen Sie zu derselben veranlassen. Ueber diese Vermutung habe ich drüben oft nachge dacht. aber ich finde nichts, tvomit ich sie begründen könnte." ..War dieser Mintrop nicht der Freund Ihres Bruders?" „DaS schrieb mein Bruder selbst." „Hoffen und Harren." LS 1 I