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Die Wurzeln des Zentrumsprogramms. Die Geschichte der Zentrumspartei ist, wenngleich eine Reche tüchtiger Monographien vorhanden ist, noch keines wegs gründlich erforscht. Vor allem gilt dies für die Vor geschichte der Partei, für die Jahre, in denen der Zentrums gedanke seine Bildung und Ausprägung erfuhr. Justiz rat Dr. Karl Bachem, der seit Jahren mit dem Studium dieser Epoche beschäftigt ist, hat am Dienstag in einer Ver sammlung der Windthorstbunde in Berlin die wichtigsten Resultate seiner Forschungen in dankenswerter Weise zur Mitteilung gebracht. Da sie auch in weiteren Kreiten Jn- terege erwecken dürften, so wird ein kurzes Referat nicht unerwünscht sein. Der Zentrumsgedanke, führte Redner aus, ist viel ölte» als das Programm, als der Name des Zentrums, als die Fraktionen und die formellen Organisationen. Unter dem Zentrumsgedanken ist zu verstehen der Wille und der feste Entschluß des katholisck)en Volksteiles, sich an den po litischen Aufgaben im Staate zu beteiligen. Der Zentrums- gedanke ist entstanden im katholischen Westen, als sein Ge burtsjahr ist das Jahr 1837 anzusehen, jenes Jahr, in dem Clemens August gefangen genommen und auf die Festung Minden gebracht wurde. Dieses Ereignis hat in ganz Deutschland einen ungeheuren Eindruck geinacht, ganz be sonders aber im katholischen Rheinlande. Die Katholiken wollten für ihren Bischof eintreten, aber sie hatten keine politische Organisation und keine Presse. Die Zensur strich unbarmherzig alles, was das katholische Bewußtsein festi gen wollte. Sogar die katholischen Katechismen und die Hirtenbriefe der Bischöfe wurden von protestantischen Zen soren zusammengestrichen. Es gab keine Vereins- und Der- sammlungsfreiheit. Damals ist den Katholiken zmn Be wußtsein gekommen: 1. die Notwendigkeit der politischen Freiheit, um die Rechte der Kirche verteidigen zn können; 2. die besondere Aufgabe der Katholiken, die Rechte ihrer Kirche zu verteidigen. Bis in das Jahr 1837 gehen auch die Wurzeln des Kampfrufes: Für Wahrheit, Freiheit und Recht! zurück. Im Jahre 1837 entstanden die Historisch- politischen Blätter. In der Ankündigung dieser Zeitschrift wurden diese Ideale hervorgcrufen, und in ein-w Zuschrift des Legationsrates Lieber, des Vaters des späteren Ze, LrumsführerS, hieß es: „Sie haben erklärt. Sie wolle , kämpfen für Wahrheit, Recht und Freiheit." 1818 war dieser Grundsatz schon Allgemeingut der katholischen Be wegung. In der Reaktionszeit wurde das Wort „Frei heit" gestrichen, 1871 aber »nieder aufgenoinmen. Im Soefter Programm wurde zuerst der Wahlspruch: Für Wahrheit, Recht und Freiheit! an die Spitze gestellt. Diese Fachung ist bis heute in den Wahlaufrufen beibehalten, während iin Volke gewöhnlich eine kleine Veränderung da hin vorgenoinmen wird, daß der Spruch lautet: Für Wahr heit, Freiheit und Recht! Im Jahre 1818 ging durch das ganze katholische Volk das Verlangen nach politischer Freiheit und nach einer freien Presse. Die Entwickelung brach sich zuerst Bahn in Kökr, wo sich zuerst eine Partei auf konfessionellem Boden bildete. Es war eine katholische Partei, von der als das erste Programm das „Programm deS Wahlkomitees der Katholiken" stand. Trotz dieser Bezeichnung ist es ein rein politisches Programm, es geht vom Staatsganzen aus und behandelt die Forderungen für Kirche und Presse nur als einen Teil der gesamten politischen Betätigung. An die Spitze ist die Forderung der politischen Freiheit gestellt: Allgemeines Staatsbürgerrecht, Gleichberechtigung aller Bürger jeder Konfession zu Gemeiirde- und Staatsämtern, Schutz der persönlichen Freiheit und Unverletzlichkeit des Hausrechtes, unbeschränkte Lehr- und Unterrichtsfreiheit, unbeschränkte Korporationsfreiheit, volle Rede- und Preß freiheit. Als eine der Hauptforderungen wird aufgestellt das Festhalten an dem konstitutionellen Königtum. Hier liegt eine der Wurzeln des Zentrumsprogramms: das Fest halten an der Verfassung und das Festhalten an dem König tum des Hohenzollernhauses. Weiter wird gefordert un beschränkte Freiheit des Gewissens und des Kultus, Frei heit für alle Kirchen in allen deutschen Staaten. An das Programm des Wahlkomitees schloß sich an das Programm der ersten Zeitung, der „Katholischen Volkshalle", der Vor läuferin der „Kölnischen Volkszeitung". Auch dieses stellt an die Spitze die Forderung der Freiheit. Daneben wird gefordert Förderung der unteren Volksklassen durch Staats hilfe: eine neue Wurzel des Zentrumsprogramins. Auf Grund dieser Bewegung wurden zahlreiche katholische Ab geordnete nach Berlin und nach Frankfurt gewählt. Die katholischen Abgeordneten in beiden Parlamenten gingen in dem Eintreten für katholische Forderungen Hand in Hand. Die Freiheit der Kirchen wurde in die Frankfurter „Grundrechte" ausgenommen und ging dann über in die preußische Verfassung. (Artikel 16, 17 und 18.) Zu einer förmlichen Fraktionsbildnng kain es nicht. Diese gelang erst 1852. Damals ging von den Ministern von Westphalen und Raumer das erste Attentat aus gegen die in der Verfassung gewährleistete Freiheit der Kirche, ein Erlaß wendete sich gegen die Freiheit der Missionen und gegen das Studium katholischer Kleriker in Nom. Ein Schrei der Entrüstung ging durch das katholische Denlsch- land, bei den nachfolgenden Wahlen wurden 63 katholische Abgeordnete gewählt, die dann die katholische Fraktion gründeten. Aber diese katholische Fraktion ist unter den» Zwange der Verhältnisse sehr bald zu einer allgemeinpoli tischen Fraktion geworden. Wir haben zwei Programm- entwürfe ans den Jahren 1862 und 1869. Zu einem offi ziellen Programm aber ist es nicht gekommen. In einer 1871 erschienenen Schrift über die Tätigkeit der katholischen Fraktion wird gesagt, daß sie kein Programm gehabt habe, was sie erstrebt habe, sei enthalten in ihrer Tätigkeit. Bis jetzt war die Entwickelung auf dem Boden einer spezifisch katholischen Bewegung vorangegangen. Die Um bildung in den rein politischen Charakter ging naturgemäß nur langsam vor sich. Zuerst tauchte der Ge danke auf, den konfessionellen Namen aufzugeben. 1869 wurde Fürst Karl Anton von Hohenzollern der erste katho lische Ministerpräsident. Er hatte den Wunsch, mit der ka tholischen Fraktion zusammenzuarbeiten, wußte aber, wie unangenehm am Hose die Existenz einer spezifisch „katholi- scheu" Fraktion empfunden wurde. Seine Anregung, den konfessionellen Namen fallen zu lassen, wurde von den Führern, die längst dieses Bedürfnis empfunden hatten, sofort aufgenoinmen. Die beiden Reichensperger und Mallinckrodt stellten in der Fraktion den Antrag, die Frak tion nur noch „Zentrum" zu nennen. Da sich starker Wider spruch erhob, kam es zu einem Kompromiß, die Fraktion nannte sich fortan „Zentrum (katholische Fraktion)". 1862 erneuerte Mallinckrodt den Antrag. Jetzt waren nur noch drei Mitglieder dagegen. Man wollte eine Einigung auf der Basis, daß der Name „Zentrum" angenommen, daneben aber ein Programm aufgestellt werden sollte. Mallinck rodt arbeitete einen Entwurf aus, in dein der Name „katho lisch" nicht enthalten war. Tie drei Mitglieder aber ver langten, daß in dem ersten Satze ausdrücklich die Bezeich nung „katholisch" enthalten sein müsse, die Einigung scheiterte deshalb. Dieser erste Entwurf von Mallinckrodt, der offiziell niemals veröffentlicht worden ist, ist als die wichtigste Vorarbeit für das spätere Zentrnmsprogramin zn betrachten. Es werden darin gefordert: Das Christen tum als Grundlage des Staates, der paritätische Charakter des preußischen Staates, starkes Königtum und selbst bewußte Volksvertretung, Geltung der Grundsätze der Mo ral und des Rechtes auch in der Politik. Alle diese Forde rungen gelten noch heute, dagegen ist der letzte Punkt des Mallinckrodtschen Entwurfes, der die großdeutsche Politik vertritt, durch die Ereignisse von 1866 und 1870 überholt »norden. Die Fraktion war längst eine politische Fraktion geworden, nur der Name noch war katholisch. 10 Jahre lang hat die Fraktion tüchtig gearbeitet, dann zerfiel sie langsam, »veil der politische Charakter noch nicht genügend herausgearbeitet war. Es war die Zeit des Militär konfliktes. Die Frage» des Bndgetrechtes und der Heeres organisation konnten von einein konfessionellen Stand punkte ans nicht entschieden »verden. Im norddeutschen Reichstage traten die katholischen Abgeordneten nicht zu einer Fraktion zu sammen. Die weitere Entwickelung setzt mit dem Jahre 1870 ein. Vor dem Kriege sah man das Wetterleuchten des Kampfes gegen die katholische Kirche. Einflußreiche Kreise hatten das Ziel, nach der politischen Einigung auch die religiöse Einigung dnrchzuführen und darin das Werk der Reformation zn vollenden. Die Führer des katholischen Volkes erkannten die dringende Notwendigkeit der Organi- sation und zwar einer rein politischen Organisation. Die Ereignisse folgten sich rasa», das berühmt gewordene Diner bei Savignt», der Artikel „Zn den nächsten Wahlen", den Peter Reichensperger in der „Kölnischen Volkszeitnng" ver öffentlichte, das Essener Programm und das Soester Pro gramm. Das letztere faßte die Forderungen Reichens- pergers und der Essener Versammlung zusammen: Unver- iehrtbeit der in der preußischen Verfassung gewährleisteten Rechte der Kirche, konfessioneller Unterricht, Wahrung des föderativen Charakters des Norddeutschen Bundes, Fest halten an dem christlick»en Charakter der Ehe, tatsächliche Durchführung der Parität der anerkannten Religions bekenntnisse, Forderungen der Sozialpolitik. Auf Grund dieser Vorarbeiten traten die für das Abgeordnetenhaus gewählten katholischen Abgeordneten zu einer politischen „Ach was - mit Geld läßt sich überall eine Heimat gründen. Hciurat das ist so sentimentales Zeug. Schwindel!" Tafinger sah ihn durchdringend an. „Ihr freilich, ihr in den Städten, ihr habt keine Heimat. Ihr seid Nomaden! Aber »vir — wir Bauern hängen «n unserer Scholle, wir sind mit ihr verwachsen, wie die Seele mit dem Leibe. Heiinat — das ist Glück, Friede, Liebe — das ist alles, was uns teuer ist." Der Ingenieur zuckte die Achseln. „Und daraufhin »vollen Sie Ihren Plan aufgeben?" „Nein —" sagte Tafinger hart. „Das tu ich nicht. Ich mnß ihn durch führen. Dem» »venu sie mich schwach und nachgiebig sähen, dann wäre das Ansehen weg. Es bleibt also bei den», was »vir verhandelt haben — im Frühjahre beginnen »vir mit dem Bau. Sobald der Schnee weg ist, »verden die Häuschen abgebrochen. Aber — es tut mir diesmal selber leid, daß ich hart sein muß." Inzwischen strömten die Leute aus den: Erlengrnnde herbei — Männer, Weiber und Kinder. Wie Katzen so flink schwangen sie sich über die Hecken und umringten Hans. „Was gibt es? — Brennt es denn?" „Ja — es brennt!" sagte Hans. „Die Hciinat steht in Flammen! Die Heimat ist in Notl" Die Männer mit den kühn geschnittenen Gesichtern und den blitzenden Augen starrten ihn an, als rede er irre. „Es ist schon so," sagte er. „Der Bauer vorn Seehofe will im Erlen- ««urde eine Fabrik bauen. Er wird alle eure Häuser niederreißen. Er will euch die Heimat nehmen, und alles, »vas ihr lieb habt, und euch zu Sklaven »nachen —" Die Leute schrieen laut auf. Drohend blitzten die Augen, die Fäuste ballten sich, aber vor dem zornigen Blicke Tafingers schraken sie zurück und verstummten. „Habt ihr »vas dagegen?" fragte er scharf. „Tut es nicht," baten sie und hoben bittend die Hände auf. „Laßt unS mrsere Häuser, unsere Heiinat." Dieses demütige Bitten der Lente ärgerte den stolzen Bauern. Er hätte es lieber gesehen, wenn sie im Zorne aufgefahren wären gegen ihn. kr dachte nicht daran, daß jahrelange Not und Armut diese Leute eingeschüch- tert und zu willenlosen Werkzeugen seine Tyrannei gemacht hatten; denn sie alle lebten von seiner Gnade, sie alle waren seine Schuldner, ein einziges Wort von ihm machte sie heimatlos und zu Bettlern. „Es ist genug," rief Tafinger protzig. „Was wollt ihr überhaupt hier in meinem Garten? Hinaus auf die Landstraße, da ist euer Platz!" Langsain wichen sie zurück. Ihre Augen glühten wie Raubtieraugen der auflodernde Haß stand darin zu lesen. Tafinger schallte ihnen finster nach; er vermochte sich seines Sieges nicht zu freuen. Hans und Fried! schlichen langsam davon. „Hans," sagte das Mädchen, „ich habe hundert Gulden in der Spar kasse — nimm sie, ich bitte dich!" „Fried!!" rief er jauchzend, „mein lieber Schatz, damit rette ich uns HauS und Zukunst und Heimat. Tafinger zum Trotz kämpf ich für den Srlengrund. Mädchen, du bist unser guter Engel!" 4.) -.. Da ward es stille im Gezweig des Apfelbaumes und nur die gold farbigen Aepfel schaukelten sich leise und der alte Baum lachte heimlich vor Vergnügen über die junge Liebe, die in den» luftigen Reiche eine Zuflucht gesucht hatte. — Eine halbe Stunde verging. Ten beiden Glücklichen auf dem Aepfel- banme erschien sie wie eine Minute so kurz. Das Glück peitscht die Räder der Ze»t zn eiligem Laufe. Die beiden Glücklich»» sahen weder, »vas am Himmel, noch »vas auf der Erde vorging. lieber ihnen am Himmel zog sich ein Gewitter zusammen. Und ga»»z in ibrer Nähe stand mit einen» Male der Tafinger voin Seehofe mit einem frem den Herrn. Hans und Friedl saßen mäuschenstill. — „Den führt der Kuckuck her," sagte Hans leise. Friedl gab ihm einen sanften Stoß. „Still — viel leicht gehen sie wieder." — Aber sie gingen nicht. Sie stellten sich in den Schatte»» des Baumes, und Tafinger zeigte seinen Begleiter den Erlen- grirnd. „Wie finden Sie das Terrain, Herr Inspektor?" Dieser betrachtete das Tal und den Fluß. „Vorzüglich," sagte er. „Das Flüßchen hat leichtes Gefälle, der Talgruird wird nivelliert. Dort hinüber kommen die Stallungen, oben fürs Vieh, »veiter abwärts für die Dchweine. Die Häiischen freilich müssen so ziemlich alle wegrasiert werden." Natürlich! Und die Molkerei?" „Wird dahin gebaut, wo die beiden letzten Häuschen stehen. Butter maschinen, Kühlräume usw. finden da gut Platz. Es wird eine Muster- Wirtschaft geben, Herr Tafinger! Ein paar tausend Liter Milch werden Sie wohl zusammenbringen pro Tag, das gibt ein ordentliches Stück Butter. Süßrahmbutter wird in den Städten gut bezahlt und findet reißend Absatz. Und mit den Nebenprodukten, Magermilch und Molken, können Sie eine flotte Schweinezucht unterhalten. Ein glücklicher Gedanke, das mit der Mol- kerei — -er ist Goldes wert. Das Häuschen da mit den grüne»» Läden muß zunächst weg. Gehört es Ihnen?" „Nein." „Wen» denn?" „Einem windigen Musikanten. Den» kauf ich's um hundert Taler ab. Was liegt an so einem winzigen Vogelhäuschen? Herr Inspektor, das machen wir!" „Oho!" klang es da aus dem Apfelbaum herab, „da red ich auch noch ein Wort niit. Es ist mein Hans!" Es raschelte im Baume und ein paar Aepfel fielen herab. „Ja, »vas ist denn das?" Der fremde Herr guckte ins Geäst und lachte. „Da seh ich ein rotes Röcklein schimmern und daneben weiße Hemdärmel. Herr Tafinger — Sie haben ein paar seltene Vögel auf dem Baume." Tafinger schaute nun ebenfalls in den Baum und stieß zugleich »nit dem Fuße an die Trompete. „Zum Kuckuck — das ist ja der Hans, der Spiel- mann." Er drohte mit der Faust. „Kerl — was tust du mif meinem Apfelbaum?" „Verlobung feiern," klang es herab, aber ein wenig spitz. „Willst du gleich herunter kommen? Ich Hab ein Wort mit dir »n reden." — . .Heimaterde.*