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— 2 — wieder mahnte er: „Laßt euch nicht verführen" von solchen, welche die Auferstehung leugnen?) Als später dieser Apostel sich in Milet von den „Ältesten" aus Ephesus verabschiedete, sprach er die berechtigte Befürchtung aus: „Ich weiß, daß nach meiner Abreise reißende Wölfe unter euch eindringen werden, die der Herde nicht schonen. Und aus euch selbst werden Männer aufstehen, welche Verkehrtes reden, um die Jünger nach sich zu ziehen."-) Ja bereits in den Zeiten der Apostel begann die erste Herabwürdigung der Person Jesu Christi des Sohnes Gottes zu einem Geschöpfe und Mittelwesen zwischen Gott und Welt. Des Heilands Lehre und Werk ward als einer Er- gänzung bedürftig erklärt. Darum erhoben auch die Apostel in dem Pflichtbewußtsein, Lehrer und Leiter in der „Kirche Gottes" zu sein, ihre warnende und mahnende Stimme, die erhaltene Wahrheit treu und rein zu bewahren. «Lasset euch von niemanden täuschen mit eitlen Worten!"") Und weiterhin er füllte sich des Herrn Weissagung, als aus der Vermischung christlicher Gedanken mit dem alten Heidentum die zahlreichen gnostischen Irrlehren in den ersten Jahrhunderten entstanden, als die Offenbarung über den einen und drei persönlichen Gott bekämpft, die Gottheit Christi und des Heiligen Geistes geleugnet, die Notwendigkeit der Gnade Gottes bestritten und die Macht der Kirche, jedem reuigen Sünder Ver zeihung von Gott zu vermitteln, verneint wurde. In jahrhundertelangem Ringen ward die Wahrheit über die Person des Mensch gewordenen Gottessohnes siegreich behauptet. Aber es zerstörten später teils alte wieder erneuerte Irrlehren, teils Spaltungen, teils verschiedenartige „andere" Lehren, als bisher verkündet worden waren, insbesondere die Verwerfung der Überlieferung in der Kirche und eines letzten entscheidenden Lehramtes die Einheit in der Christen- heit. Und wie ist es bis zur Gegenwart geworden? Wir wollen nur erinnern an die Veranlassungen zur Abfassung der früheren Hirtenbriefe! ES waren diese die Leugnung eines übernatürlichen und ewigen Zieles für den Menschen, die Bestreitung der Gottheit Jesu Christi, die Behauptung, daß die Lehre Christi keine vollkommene und für alle Zeiten gültige sei. und daß ') I. Kor. 15. 33. -) Apg 20, 29. 80. ') Sph. 5. 6; Vgl. Kol. 2. 18; I. Tim. I. 3 f. 4, 1 ff.; II. Tim. 2.16 ff.; 4. 3 f.; Tit. 1. 9; II. Pel. 2.1 ff.: Jnd. 4; I. Ja. 2, 18 ff. 8, 1 ff. der Mensch einer übernatürlichen Gnade, die es über- Haupt nicht gebe, auch nicht bedürfe. Weil dadurch die Grundwahrheiten des Christentums zerstört werden, ist es für das Herz des Christen ein tiefbetrübendes Bild, das sich in der Gegenwart uns zeigt. Allein es darf uns das dennoch weder verzagt noch wankend machen, denn „Sehet" — so sprach einst Jesus — „ich habe es euch vorhergesagt." Geliebte Diözesanen! Wenn man bedenkt, in welchem Umfange, mit welcher Kühnheit und Be stimmtheit und leider auch vielfach mit welchem Er- folge mit Christi Lehren gebrochen wird, wenn man ferner erwägt, in welch rücksichtsloser und von Haß erfüllter Weise das Heiligste der Gläubigen verspottet und gelästert wird, und wenn man endlich sehen muß, wie man dieses alles als Ergebnis „wissenschaftlicher Forschung" und darum als „Fortschritte" in der Er- kenntnis der Wahrheit und leider bei vielen erfolgreich mit einer Sicherheit hinstellt und Preist, die — zur Entschuldigung sei es nach dem Beispiele des Herrn gesagt — mit der Größe der Unkenntnis dessen, was man bekämpft, Schritt hält; dann wird man an das Wort des Herrn erinnert: „Und viele falsche Propheten werden aufstehen und viele verführen."*) Ein modernes Schlagwort ist das von der „Geistes- sreiheit" geworden, in welcher der einzelne selbst die Wahrheit suchen und finden soll. Wie ein Hohn klingt es. solches dem Volke zn sagen, das seine Kraft wesentlich in den täglichen Mühen und Sorgen um des Lebens Unterhalt verwenden mutz und höchstens die Zeit gewinnen kann, um einen Vortrag zn hören oder eine populäre Schrift zn lesen oder in eine Zeitung zu sehen. Und wenn es daraus Belehrung schöpft oder zu schöpfen vermeint, so folgt das arme Volk der Autorität des betreffenden Verfassers. Und wer bürgt dem Volke, daß es nicht in die Irre geführt wird? Daß nicht seine Lehrer und Meister, die sich anbieten und ausdrängen, ein „verdorbenes Auge"") haben, mit dem sie sehen, oder gar „blinde Führer" sind?") Und wie oft wird dem Menschengeiste statt des Brotes der Erkenntnis ein Stein oder Gift geboten! Es kann die Menge nicht abgespeist werden mit den Worten eines Dichters, daß dem Menschen nicht die Wahrheit, sondern nur das Forschen nach Wahrheit bestimmt und daß — wie das tatsächliche Leben es >) Matth. 24. 11. -) Matth. 6. 23; Luk. 11, 34. -- Matth. 15, 14; 23. 16. daß sie alle verurteile und des ewigen Heiles für verlustig erkläre, die nicht zu ihrer sichtbaren Gemein schaft gehören. Gemäß dem Worte des Apostels Paulus*): „Denn in einem Geiste sind wir alle zu einem Leibe getauft worden" und: „wie der Leib nur einer ist und viele (Meder hat, alle Glieder des Leibes aber, obschon ihrer viele sind, dennoch ein Leib sind, so auch Christus." ist von Christus nur eine Kirche gestiftet worden. Diese Darstellung des Apostels weiter verfolgend, unter- scheiden wir bei der einen Kirche Christi zwischen Seele und Leib. Nur zur Seele dieser Kirche gehörig zählen wir alle jene Getauften, die im Zu stande der Gnade verharren und die sich nicht Lurch eigene Schuld von der äußeren Gemeinschaft fern halten; als nur zum Leibe gehörig sind jene zu be trachten, die zwar zur äußeren Gemeinschaft gehören, durch verschuldeten Unglauben oder Irrglauben oder eine schwere Sünde sich aber von Christus getrennt haben, und so den vom Weinstocke abgebrochenen Reb- zweigen vergleichbar geworden sind. Zur Seele und zum Leibe der Kirche gehören alle Gerechtfertigten, die auch Glieder der sichtbaren Gemeinschaft sind. Aber so notwendig es nach unserer Überzeugung ist, daß Christus nur eine Kirche ge stiftet hat, so wissen wir aber auch, daß uns, die wir keine Herzenskenntnis haben, ein Urteil über jene, die sich nicht zur sichtbaren kirchlichen Gemein- schast mit uns bekennen, nicht zusteht. Wenn wir aber Mitmenschen sehen, die als Getaufte mit festem Glauben und in inniger Liebe an Jesus Christus hängen, nach bestem Wissen seine Gebote, besonders das große Gebot von der Liebe, ohne Selbstsucht erfüllen, dann erhoffen wir. daß sie mit uns in Christo als Brüder und Schwestern vereint seien, und erkennen freudigen und dankbaren Herzens auch in ihnen das Wirken der Gnade unseres Erlösers an. Seine Barmherzigkeit ist ohne Schranken. Von ihm sagt mit dem Propheten der Apostel, daß er seine „Hände den ganzen Tag ausgestreckt Hot gegen ein Volk, das ungläubig ist und widerspricht? ') Am Karfreitage betet die Kirche im Namen. Jesu Christi auch für alle, die von ihr getrennt sind, und schließt Juden und Heiden in besonderer Weise ein. Darum wolle man uns, wenn wir in treuester Weise an unserer heiligen Kirche hängen, nicht Lieb losigkeit gegen Andersgläubige vorwerfen, noch weniger uns zutrauen, daß wir sie verurteilen. DaS Gericht gehört dem Herrn! Wir selbst aber, die wir unsere heilige Kirche über jegliche Vereinigung hochschätzen, wollen uns selbst nicht überschätzen noch rühmen gegen jene, die ihr nicht wie wir zugehören, sondern in aufrichtiger Demut uns des heil. Paulus*) Mah- nung zu Herzen nehmen: „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel dich. ... Du aber stehest durch den Glauben ; sei nicht hoffärtig, sondern fürchte dich!" Als Jesus einst aus Erden wandelte, lehrte er durch Wort und Beispiel, wirkte seine Wunder zu- meist durch Worte. Berührungen, Handauflegungen, taufte, indem er seine Jünger laufen ließ?) vergab durch sein Wort Sünde», hauchte seine Apostel an und übertrug ihnen durch Worte Gewalten. Diese Weise der Wirksamkeit — äußeres Zeichen und innere, geistige Wirkung — zeigt, daß er uns einerseits mittels seiner angenommenen mensch lichen Natur lehren, heilen und begnadigen will, und entspricht anderseits unserer Natur, die eine körperlich.sinnliche und eine geistige ist. In der Weise, wie Jesus einst selbst auf Erden sein ihm vom Vater übertragenes Amt ausgesührt hat. so setzt er es auch fort bis zum Ende der Zeiten. „Wie mich der Vater gesandt hat. so sende auch ich euch"") — lauten seine Worte zu den auserwählten Aposteln, ehe er die Erde verließ und zum Vater zurückkehrte. Wie der Vater den Sohn, auf daß er einer aus unserer Mitte sei, in einer menschlichen Natur sandte, die für das übertragene Amt ausgestattet war, so sendet der Sohn ausge» wählte Menschen zur Fortsetzung seines Werkes und stattet sie aus als Apostel und Jünger. Damit knüpft er an die Vorstellung des Volkes Israel an. aus welcher er die Erstlinge seiner Kirche ge- nommen hat. Diese kannten das alttestamentliche „Volk Gottes" als eine umgrenzte und sichtbare Ein heit, dem ans Grund göttlicher Anordnung Lehrer und Führer bestellt worden waren. Darum sind verständlich die Gleichnisse des Herrn vom guten Hirten, der in ordnungsmäßiger Weise „durch die I, Kor. 12, 13. 12. ^ Jsai. es, 2; Röm. 10, 21. >) Röm. 11, 17. -) Joh. 4, i. -2. ') Joh. 20, 21.