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Sächsischer Landes-Anzeiger : 24.03.1893
- Erscheinungsdatum
- 1893-03-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512384622-189303240
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512384622-18930324
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-512384622-18930324
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsischer Landes-Anzeiger
-
Jahr
1893
-
Monat
1893-03
- Tag 1893-03-24
-
Monat
1893-03
-
Jahr
1893
- Titel
- Sächsischer Landes-Anzeiger : 24.03.1893
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— Nr. 69. — 1893. — Diese verbreitetste unparteiische Zeitung erscheint Wochentags Abends (niitDatum des nächsten Tages) und kostet mit den sechs wöchentlichen Beiblättern: 1. Kleine Botschaft, 5 Sächsischer Erzähler, S. Sächs. Gerichts-Zeitung, 4. Sächsisches Allerlei, s. Jllnstrirtes (achlseitigcs) ««iterhaltnngsblatt, 6 LnstigeS Bilderbuch monatlich S0 Pfennige (in Chemnitz frei ins HauS). (Pollliste: 8. Nachtrag Nr- 50»!),) Tclegramui-Ndresse: Generalanzeiger. Ferusprechstelle Nr. iS«. Sächsischer Landes-Arrzelaer. General- Freitag, 24. Mürz. erg er für Chemnitz VW und Umgegend. Gegründet 1873 als „Anzeiger" und „Allerlei". Verlag von Alexandrr Wiede, Chemnitz. «nzeigenpreiS: Sgespaltene CorpuSzeile (ca.9 Silben fassend) oder deren Raum IS Pfg. (Preis verzeichnisse ü Zeile 30 Pfg.) — Bevorzugte Stelle (Sgespaltene Petitzeile circa 11 Silbe» fassend) 30 Pfg. — Anzeigen können nurbis Vormittag > 0 Uhr angenommen werden, da Druck und Verbreitung der großen Anslage längere Zelt erfordern. Geschäftliche Anzeiger-Inserate finden für billigsten Preis zugleich Verbreitung durch die täglich erscheinende Chemnitzer Eistiibahn-Zeitimg. Politische Rundschau. Chemnitz, den 23. März 1893. Deutsches Reich. — lieber die Kaiserrcise nach Rom wird jetzt folgendes offizielle Programm bekannt gegeben: Am 20. April Ankunft des deutschen Kaiscrpaarcs in Nom; am 21. Wettrennen und Abends Galavorstellung im Argcntina-Theater; am 22. Galadiner im Quirinal; am 23. Hofkonzert: am 24. Parade auf den Prati di Castello; am 25. Nciterfcst und Abends Ball beim Bürgermeister von Rom; am 26. Gartenfest im Quirinal; am 27. Abreise nach Neapel; am 28. Rundfahrt im Golf; am 29. Ausflug nach Pompeji; am 30. Nachmittags Abreise von Neapel nach Spezia; am 1. Mai Ankunft in Spezia und Frühstück an Bord der „Savoia". — Grokherzog Karl Ludwig von Hesse» stattet den Höfen von München und Karlsruhe Besuche ab. — Die in Petersburg erscheinende „Noivosit" will aus guter Berliner Quelle wissen, daß sich augenblicklich verschiedene hoch gestellte Persönlichkeiten eifrig bemühen, eine Aussöhnung zwischen Kaiser Wilhelm und dem Fürsten Bismarck zu Stande zu bringen, damit der Fürst seine gewichtige Stimme zu Gunsten der Militär vorlage in die Waagschale werfe. — Die Kapelle des Mausoleums zu Charlotteuburg Prangte am Dienstag, als am Geburtstage Kaiser Wilhelm 1., in reichem Blumenschmuck. Rechts und links vom Altar sind seit einigen Tagen zwei bunte Marmorsäulen aufgestellt worden, die in Pompeji ansgcgrabc» wurden und dem Mausoleum als Kandelaber dienen. Nur zwei Kränze waren am Sarge des Verewigten zu schauen, von denen der eine, aus Lorbeeren, mit Veilchen, Rosen und Kamelien be stehend, vom Kaiserpaar nicdergclegt wurde, während der zweite, gleichfalls 'ans Lorbeer und mit Rose» und Kamelien unterbunden, vom Erbgroßhcrzog von Baden gespendet wurde. Der Kaiser hatte bei seinem Besuche die Uniform der Husaren angelegt, während seine Gemahlin ebenfalls in Schwarz erschienen war. Nachmittags war der Besuch sehr zahlreich und es wurden weitere Blumcnspenden nicdergclegt. — Fürst Bismarck hat dem Rheder Peter Rickmers aus Bremerhaven, welcher am Sonntag dem Alt-Reichskanzler einen Besuch abstattcte, versprochen, wenn seine Gesundheit es gestatte, zur Kirschenblnthezeit den 19. hannoversche» Wahlkreis zu besuche». — DaS „Armee-Verordnttugsblatt" veröffentlicht die kaiserliche Kabinetsordre betreffend die grauen Mäntel und Paletots für Generale. — Prentzifcheö Avsteordnetenhans. Am Mittwoch wurde die letzte Sitzung vor den Osterferien abgehalten, in der nur kleine Vorlagen und Petitionen erledigt wurden. Die nächste Sitzung findet am Dienstag, 11. April statt, in derselben wird die ver fassungsmäßige zweite Abstimmung über das neue Wahlgesetz erfolgen. — lieber die Stimmung im Reichstag während der Ahlwardt Debatte am Mittwoch schreibt die „Nat.-Ztg.": Eine erregte, erbitterte Stimmung lagerte über dem Saale; nur die Sozialdemokraten waren gegen ihre sonstige Gewohnheit in ein — un verkennbar schadenfrohes — Schweigen gehüllt. Es war keine Ver handlung mehr; es war xine Sturmfluth der Empörung, unter der einstimmig der Beschluß gefaßt wurde, den Seniorenkonvent zu ver sammeln und die Sitzung zu vertagen, Die Ausrede» Ahlwardts, der sich auf der Rednertribüne hin und her wandte, um die Ver handlung zu verschleppen, fanden nicht einmal mehr bei seinen Intimsten Unterstützung. — Eine Sitzung, wie die des Mittwoch, ist im Reichstag noch gar nicht dagewcscn, und sic wird nicht die letzte Zwillingsschwestern. Novelle von Claire von Glümer. (Fortsetzung.) Nachdruck verboten. V. Die Festfreude war gestört; Heloisens Verschwinden, Jsabellens verdüstertes Gcsichtchcn, der Brätigam, der nicht tanzte, sondern mit finsterer Miene — „wie der steinerne Gast," sagte das sentimentale Fräulein — durch die Zimmer irrte, Frau von Lindens mühsam be herrschter Verdruß über Heinz Wartenberg's Ungeschick — Alles ver einigte sich zu einer Atmosphäre des Unbehagens. Vergebens suchten der Herr und die Frau vom Hause ihre Gäste zu halten — wenige Minuten nach Mitternacht fuhr der letzte Wagen ans dem Thor der Liudcnbnrg. Hcloise war nicht schlafen gegangen; so ermattet sie sich fühlte, ihre qualvollen Gedanken ließen sie nicht ruhen. War sie bisher, wie eine Nachtwandlerin, mit der dumpfen Empfindung der Gefahr, den, Abgründe zugcschritten, jetzt sah sie mit wachen Augen hinein, fühlte sich hinabgezogen, fühlte sich verloren. — Was schwatzende Zungen als Phantastische Möglichkeit hingestellt, war für sie in Er füllung gegangen: sie lieble den Mann, der ihrer Schwester gehörte, wurde dazu von unerbittlicher Nothwendigkeit gezwungen, von jener Naturgcwalt, die ihre Schwcsterseelen so gleich besaitet und gestimmt, daß immer derselbe Ton darin erklingen mußte. Klang er wirklich noch wie sonst? — Heiße Schamröthe stieg ihr in's Gesicht, als sie sich eingestand, daß die Mutter recht hatte, daß sie — die bisher nur danach gestrebt, ihrer Jsa jedes Ungemach, jede Mißempfindnng zu ersparen — sie jetzt um ihr Glück beneidete. Und dann — das war die schlimmste Qual — sagte sie sich, daß Kurt, der ihr Bild gesehen, doch eigentlich sie geliebt hatte, und ein Zweifel an der gütigen Vaterhand Gottes, ein Grauen vor der Macht des Zufalls kam über die arme, geängstigte Seele. Ei» leichter Schritt, der im Gange hörbar wurde und an ihrer Thür stehen blie-, schreckte sie jäh empor. Es war Isabelle, die eine» Augenblick lauschte, dann aber weiter ging und in ihr eigenes Stübchen trat. Aufathmend sank Heloise in ihren Sessel zurück. Nur jetzt nicht mit der Schwester zusammen sein müssen! Sie fühlte fich nicht werth, in ihre liebevolle» Augen zu sehen, ihre liebevollen Worte z» hören. dieser Art sein. Nach den Osterferien wird Abg. Ahlwardt seiner Ankündigung gemäß in seinen Anklagen fortfahrcn. Während der Debatte am Mittwoch ereignete sich übrigens noch folgender Zwischen fall: Kaum hatte Ahlwardt die am Tage vorher von Rickert ver langten Akten auf den Tisch des Hauses niedergelegt, so stürzte Abg. Schmidt-Elberfeld darauf zu, ergriff sie und eilte damit zum Finanz minister Miguel, worauf Beide eifrig darin blätterten. Vergeblich rief der Präsident: „Kollege Schmidt, Kollege Schmidt, die Akten, die Akten!" Die Herren blätterten eifrig weiter, bis der Präsident ihnen schließlich durch den Diener die Akten abnehmen ließ. Die Akten beziehen sich nach der „Staatsbürger-Zeitung" auf die Thätigkeit Miquel's als Direktor der Diskonto-Gesellschaft. — Der „Reichsanzeister" schreibt: Aus der zum 1. April dieses Jahres bevorstehenden Einführung der mitteleuropäischen Zeit als gesetzlicher Zeit in Deutschland erwächst den Eisenbahnen die Auf gabe, dem richtigen Gange der Stationsuhreu eine erhöhte Fürsorge umsomehr znzuweudcn, als zahlreiche Ortschaften gewohnt und darauf angewiesen sind, ihre öffentlichen Uhren nach den Eisenbahn-Stations- uhrcn zn stellen. Bisher ist es vielfach üblich gewesen, daß nur die auf der Bahnseite angebrachten Stationsuhren die richtige Zeit an- gebcn, dagegen die Uhren auf der Zugangsseite der Stationen im vermeintlichen Interesse des Publikums einige Minuten Vorgehen zu lassen. Die Ortsbchörden wiederum haben nicht selten aus über triebener Vorsicht ihre Uhren noch einige Minuten vorgestellt, so daß Unterschiede von 10 und mehr Minuten zwischen der richtig gehenden inneren Bahnuhr und den Uhren in den Ortschaften bestanden haben. Nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes, das Ueberclnstimmung in den Angaben der Uhren im ganzen Reiche verlangt, sind derartige Ab weichungen von der gesetzlichen Zeit nicht zulässig. Im westlichen Reichsgebiet muß künftig ein Vorgehen der öffentlichen Uhren auch deshalb sorgfältig vermieden werden, weil die mitteleuropäische Zeit schon ohnedies je weiter nach Westen desto mehr gegen die soge nannte mittlere. Soniicnzeit voraus ist, und dieser Unterschied durch ein Vorgehen der Uhren noch vergrößert werden würde. Das Reichs eisenbahnamt hat deshalb die Eisenbahnverwaltungen darauf hin gewiesen, daß fortan ein Unterschied in den Zeitangaben der Uhren auf der Zugangsseite der Stationen und der Uhren auf der Bahn seite nicht mehr bestehen darf, daß vielmehr alle Uhren überein stimmend und genau nach der gesetzlichen Zeit gerichtet werden müssen — Dev Schneiderstreik in Berlin. Am Mittwoch haben in Berlin an 4000 Schneider die Arbeit niedergelegt. 26 Firmen haben die Forderungen bewilligt. Am Vormittag hatten sich etwa 3000 Schneider und Schneiderinnen im „Feenpalast" eingefunden. Die Versammlung erklärte, sie stehe im vollsten Einvernehmen mit der Agitationskommission; man werde die Arbeit nicht anfnehmen, außer in den Geschäften, deren Lohnverhältnisse von der Kommission als geregelt erklärt werden. Alle übrigen Geschäfte gelten als ge sperrt! — Ein Antrag, die jungen unverheirathetcn Kollegen zum Wegzug von Berlin aufzufordern, wurde angenommen. Ausland. Oesterreich-Ungarn. Bon der österreichisch-russischen Grenze werden heftige Zusammenstöße galizischer Bauern mit der russischen Grenzwache gemeldet. Letztere wies bei Szczucin galizische Auswanderer zurück, welche die Grenze überschreiten wollten, wobei ein blutiger Kampf stattfaud. Mehrere Auswanderer ertranken in der Weichsel. Frankreich. DaS soeben verkündete Urtheil im Panamaprozeh, durch welches Charles von Lesseps zu einem Jahre, der Abg. Blondin zu zwei Jahre», der frühere Minister Baihaut zu fünf Jahren Gefängniß, Letzterer unter Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte, verurtheilt werden, während alle übrigen Angeklagten freigesprochcn worden sind, findet im Ganzen die Zu stimmung der Pariser Zeitungen; sie hoffen vor allen Dingen, der Panamaskandal werde nun todt und vorbei sein. Das ist möglich, l vielleicht ist er aber nur scheinbar todt und dann können wieder bunte Sachen an den Tag kommen. — Die Beerdigung JnleS Ferry'S hat am Mittwoch unter großer Theilnahme der Bevölkerung und auf Staatskosten stattgefuudcn. Sämmtlichc Schulen waren zu Ehren de- früheren Unterrichtsministcrs der Republik geschlossen worden. — Die französische Negierung fährt fort, die Dinge in Dahomcy in West afrika als so gut wie möglich darzustellcn. Die Mittheilungen aus englischer und privater Quelle lauten aber ganz anders; der König hat darnach wieder eine größere Macht gesammelt und bedroht die Franzosen ernstlich. Daß er nebenbei die europäischen Mächte um Hilfe gegen seine Feinde anruft, kommt weniger in Betracht, denn das ist ein einfaches „Plaisirvergnügen". — Nebenbei ist auch ein ernenter Kolonialkonflikt mit England ausgebrochen: Am Gambiafluß in Westafrika hat ein französischer Offizier eine britische Flagge entfernt, woraus sich ein englischer Dampfer an den Ort des Attentates be geben hat. Nähere Meldungen fehlen noch. — Rntzland. Bei dev Stadthanptmannwahl in Moskau, am 21. März, feuerte der Kleinbürger Andrejanow auf das Stadthaupt Alcxejew nach Ueberreichung einer Bittschrift zwei Schliffe ab. Die Schüsse trafen den Bürgermeister in den Leib oberhalb der ' M linken Leiste. Die Verwundung war eine so gefährliche, daß alsbald zur Operation geschritten werden mußte, welche der Bürgermeister glücklich Überstunden hat, so daß Hoffnung auf Erhaltung des Lebens vorhanden ist. Es liegt übrigens kein Racheakt vor, sondem die That eines Wahnsinnigen. Andrejanow ist bereits wegen Wahn sinns im Jrrenhause in Petersburg dctinirt gewesen. Asien. Wie anö Bangkok gemeldet wird, lehnte Siam endgiltig alle Forderungen des französischen Gesandten betreffs der Grenze, namentlich aber die Forderung ab, daß der Mekong als westliche Grenze der französischen Besitzungen zu gelten habe. Aber es sollte ihr nicht erspart bleiben. Nach einer Weile wurde leise, leise die Tapctenthür zwischen den beiden Zimmern ge öffnet, und im Nachtkleide, das Licht mit der Hand beschallend, trat Isabelle ein. „Du schläfst nicht?" rief sic, als sie ans dämmrigem Hinter gründe die weiße Gestalt der Schwester hcrvorleuchten sah, stellte das Licht ans den nächsten Tisch, kniete — wie sie von Kindheit an zn thun Pflegte — vor Heloise nieder und sah mit angstvoll forschenden Augen in ihr blasses Gesicht. „Wie Du aussichst!" klagte sie. „Du bist ernstlich krank." Ihre Bestürzung gab Heloise die Kraft, sich zu fassen; Jsa be kümmert zn sehen, hatte sie nie ertragen können; sie zwang sich auch jetzt zu einem müden Lächeln und bat: „Sei ruhig, Liebling! Mein ganzes Unwohlsein ist nur Feig heit . . . nur Furcht vor Mama. Sie will mich mit Heinz Warten berg verhcirathen..." „Davon hast Du Dich erschrecken lassen!" rief Isabelle, indem ie das Köpfchen zurückwarf. „Das thust Du nicht... wir leiden es nicht... Du gehörst uns, mir und Kurt.. Du bleibst immer, imnier bei uns . . . sage nichts dagegen," fuhr sie eifrig fort; „ich weiß cs, Du bildest Dir ein, Du könntest Kurt nicht leiden . . . aber Du bist nur eifersüchtig. Das wäre ich wahrscheinlich auch, wenn Du einen Mann so lieb hättest, wie ich ihn . . . aber glaube mir, cs ist ganz, ganz nnnöthig! Meine Liebe zu Dir ist nicht kleiner, nicht anders geworden, und wie er Dich versteht und hochhält! . . . Erst gestern, als ich ihm erzählte, wie Du von klein auf für mich gesorgt und oft die Strafe für meine Unarten auf Dich genommen hast, sagte er mit einem Ton, der mir ins Herz ging: ,Ja, sie ist gut — sic ist einzig!"' Isabelle schwieg und sah mit strahlenden Augen zn Heloise auf; aber diese hatte kein Wort, keinen Blick für die Schwester; regungslos, mit gesenktem Kopfe saß sie da; ihr Herz schlug znm Zerspringen, ihre Kehle war wie zugeschnürt. Unmnihig sprang Isabelle auf. „Du bist eigensinnig, bist ungerecht, hast mich nicht mehr lieb!" rief sie heftig; „sonst würdest Du Dich überwinden und ihn um meinetwillen ein bißchen lieb haben." Mit diesen Worten eilte sie in ihr Schlafzimmer. Heloise blieb mitten im Zimmer stehen und sah wie Hülfe suchend mit irren Augen umher. Vater, Mutter, Schwester — all Dentscher Reichstag. 73. Sitzung vom 22. Marz 1893. 11/e Uhr. AmBiindeSrathslische: Graf Caprivi, Finanzininistervr.MIqnel, von Bötticher, von Marschall, von Mallzahn ». A. Das HanS ist stark besetzt, die Tribünen find überfüllt, vor dem ReichS- tagSgcbäiide warte» noch Hunderte von Menschen. Vor Eintritt in die Tagesordnung erklärt Präsident von Lcvetzow: Ich muß den Abg. Ahlwardt nach Durchsicht des stcnograplnscheu Berichtes über die gestrige Sitzung noch nachträglich zur Ordnung rufen. (Beifall.) Ter Abgeordnete hat gesagt, daß i» diesem Hanse auf allen Seiten Leute sitzen, die ihr Vaterland verrathen in der Hossinnig, den Juden eine» Brocke» abznlocke». Diese Aciißeriing ist nicht am Platze »ud kau» gar nicht scharf genug gerügt weiden. Was der Abg. Ahlwardt gestern wegen Vorlegung von bezüglichen Aktenstücken gesagt hat, war so weuig klar, daß ich eine Beeidigung der Mit glieder der Negicrnug oder dieses Hauses darin nicht erblicke» kau», obwohl ich jene Aeußernugen aiif das lebhafteste bedauere. (Beifall.) Hieraus wird in die Tagesordnung eiiigelretc». Zunächst werden einige Ncchniingssachc» erledigt, dann wird die dritte Berathling des ReichshauShaltes beim Etat des Jnvalidcusoiids fortgesetzt. Nach Erledigung mehrcrcr Titel bemerkt Abg.Richter (sreis.): Ich Hab« erwartet, daß Abg- Ahlwardt heute versuche» wird, sei» Bcweisiuntertial für die Behauptung seiner gestrigen Aussage», daß Machinationen hinter de» Konlissen mit Börscnjude» im Jahre 1871 stattgesunde» haben, bciznbringe». Präsident von Levetzow: Das HauS hat gestern einen diesbezüglichen Beschluß gefaßt. Ich kan» den Abg. Ahlwaidt aber doch nicht zwingen, sein Material vorznlcgcii. Abg. Richter (sreis.): Ich kan» »nnmchr nur konstatire», daß der Abg. Ahlwardt mit seinen Beweise» ansgcbliebe» ist. (Zuruf: Hier ist er ja» Unter grober Bewegung des Hauses betritt die Nedoertribüne Abg. Ahlwardt (Antisemit): Ich habe mein gcsammtcs Material in waren mit ihr unzufrieden, verstanden sie nicht. Und Stauffen . . . „ein bißchen lieb haben" sollte sie ihn . . . arme, thörichte, kurz sichtige Jsa! Und doch — welch ein Glück, daß sie so war . , . welch ein Elend, wenn die Schwester sie je begriff! Wie Bcrgeslast lag cs Heloise auf der Seele . , . ihr war, als ob sie ersticken müßte, und, nach Athem ringend, trat sie an das offene Fenster. Kühler Nachthauch wehte ihr entgegen, leises Rauschen klang von der Lindenallee, leises Plätschern vom Springbrunnen herüber ... da war Frische und Frieden. Mechanisch hüllte sie sich in ihr weißes Ball- mäntelchcn, huschte hinaus, die Hintertreppe hinunter, schob geräuschlos den Riegel des Gartcnpförtchens zurück und war nach wenigen Schritten unter den alten Bäumen. Es regnete nicht mehr — leuchtend stand der Vollmond über zerrissenem Gewölk; goldene Lichter spielten durch die bewegte», tropfenden Zweige, rieselten an den Stämmen nieder, lagen auf Weg und Gräsern — aber Heloise sah cs heute nicht. Ihre Schmerzen und Zweifel waren ihr gefolgt. „Was soll ich thnn?" fragte sie sich immer wieder, während sie hastig, von der Unruhe ihres Herzens getrieben, dahineilte. Ihre Liebe zu Kurt, ihre verbrecherische Liebe trennte sic ans immer von Isabelle und machte ihr zur Pflicht» Wartcnbergs Werbung ab zulehnen. Aber wie sollte sic Kraft finden, ohne die geliebte Schwcsterscele in der Lindenbnrg weiter zu leben und den Wünschen des Vaters, den Befehlen der Stiefmutter zu widerstreben? Plötzlich — sie hatte das Ende der Allee erreicht und war, in ) versunken, unter der Thränenwcidc am Teiche stehen geblieben — plötzlich knirschte der Kiesweg unter einem festen raschen Schritt, der ihr nur zn wohl bekannt war. Unwillkürlich trat sie tiefer in den Schatten der nicdcrhängcnden Zweige — umsonst! Stauffen hatte sie gesehen. „Hcloise!" rief er so flehend, so befehlend, daß sie gehorchen mußte; zitternd trat sie hervor, und im nächsten Moment war er bei ihr, umfaßte sie mit starken Armen »nd bedeckte ihr Haar, ihre Augen, ihren Mund mit leidenschaftlichen Küssen. Einen Augenblick ließ sie sich gehen, von Wonne durchschaucrt, dann machte sie sich los und verbarg aufstöhncnd das Gesicht in den Händen. Er zog sie wieder an sich. (Fortsetzung folgt
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