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Stürmisch, in erregten Sechzehnteln setzt das Hauptthema des lebhaften Haupt- teiles ein. Es bestimmt mit seinem drängenden Charakter eigentlich das ganze musikalische Geschehen des Satzes, erst in der Durchführung gesellen sich ihm neue Gedanken hinzu, in den Posaunen, in den Holzbläsern (ein Marschmotiv), in den ersten Violinen (eine zarte Melodie, welche die Bedeutung des zweiten Themas erhält). Wie die Gedanken wechseln die Stimmungen. Doch der Schwung des Ganzen führt zu einem jubelnd-hymnischen Ausklang. Nach einem unerwar teten, schroffen d-Moll-Akkord wird man von einem volksliedhaften Thema der Solo-Oboe und des Solo-Violoncellos in die schwermütige Welt des zweiten Satzes, einer Romanze in a-Moll, eingeführt. Dieser klagenden Weise folgt unmittelbar in den Streichern die Achtelfigur der langsamen Einleitung, aus der vom Kompo nisten der etwas tröstlichere Mittelteil der Romanze entwickelt wird. Der klang lich fein ausgewogene Satz schließt wieder in der Anfangsstimmung. Energisch-freudig hebt das Scherzo an, ja sogar der Humor stellt sich ein. Aber die straffe Haltung entspannt sich im Trio mehr und mehr und geht fast ins Träumerische über. Beim zweiten Erscheinen des Trios löst sich das Thema förm lich auf, wodurch ein Übergang zur langsamen Einleitung des Schlußsatzes ge schaffen wird. Hier erklingt zunächst das Kopfmotiv des Hauptthemas aus dem ersten Satz, das den Hörer in die düstere Anfangsstimmung zurückverse'zt Jedoch schlagartig bricht strahlender D-Dur-Jubel mit dem Allegroteil herein. Das vor Kraft, Optimismus und Lebenslust überschäumende Hauptthema, dessen siegesgewisse Impulse vom Seitenthema weitergetragen werden, vermag sich gegen düstere Gedanken durchzusetzen. In der Durchführung kommt es zu einem Fugato über das Hauptthema, grell-dramatische Einwürfe erzeugen vorüber gehende Ungewißheit. Doch der glückliche Ausgang ist eigentlich schon ent schieden. Im hinreißenden Presto bricht heller, eindeutiger Jubel aus, herrscht ungebrochene Freude über den endlich errungenen Sieg über die Philister. Sergej Rachmaninow war Schüler Silotis, Arenskis und Tanejews am Moskauer Konservatorium. Bereits seine Abschlußarbeit, die auch von Tschai kowski gelobte Oper „Aleko" nach Puschkin, wurde ein beachtlicher Erfolg. Danach entstanden viele gewichtige Werke, so u. a. zum Tode des von ihm hochverehrten Tschaikowski das „Elegische Trio". Lange Jahre wirkte Rachma ninow als angesehener Operndirigent in Moskau. Während dieser Tätigkeit schloß er Freundschaft mit dem berühmten Sänger Fjodor Schaljapin. 1901 vollendete er eines seiner berühmtesten Werke, das heute erklingende 2. Klavierkonzert, 1904 die Opern „Der geizige Ritter" und „Francesca da Rimini“. 1917 begab sich Rachmaninow ins Ausland, ohne bis zu seinem Lebensende wieder in seine Heimat zurückzukehren. Als gefeierter, glänzend begabter Pianist erwarb er internationalen Ruhm in den Konzertsälen Europas und Amerikas. Nach mehr jährigem Aufenthalt in Deutschland und Frankreich wanderte er nach Amerika aus. Doch immer litt er schmerzvoll unter der Trennung von seiner Heimat. „Als ich aus Rußland fortging", bekannte er, „verlor ich den Wunsch zu schaffen. Als ich die Heimat verließ, verlor ich mich selbst." Von Heimweh verzehrt, starb Rach maninow 1943 in Kalifornien. Stilistisch kann man bei ihm im guten Sinne von einer Liszt-Tschaikowski-Nach- folge sprechen. Dabei ist Rachmaninow — selbst im Ausland — im Charakter und Wesen seiner Musik, auch in den Spätwerken der 20er und 30er Jahre, immer Russe geblieben, ein typisch russischer Künstler, dessen Schaffen deutlich natio nale Merkmale trägt. Das Klavierkonzert Nr. 2 c-Moll op. 18 gehört neben dem populären Klavier-Prelude cis-Moll zu den bekanntesten Schöpfungen dieses Meisters. Es wurde in seiner glücklichsten Schaffensperiode geschrieben und weist alle Kennzeichen seines Personalstils auf: virtuose Behandlung des Soloinstrumentes, Farbigkeit, eine Vorliebe für ausdrucksvoll pathetische Balladenstimmung, eine dunkel-schwärmerische Lyrik, eine Neigung zu stimmungshaft-melancholischer Elegie, andererseits leidenschaftliche Aus brüche, ohne daß die Eleganz seiner reichhaltigen Melodik durch heftige dra matische Auseinandersetzungen beeinträchtigt würde. Das Verstehen des Werkes bietet keinerlei Schwierigkeiten. Lyrische Intensität besitzt das Hauptthema (in der Klarinette und den Streichern) des großflächig und kontrastreich angelegten ersten Satzes (Moderato). Der zweite Satz (Adagio sostenuto) stellt eine typisch Rachmaninowsche Elegie dar, die sich leidenschaftlich steigert und in Kadenzen dem Solisten Gelegenheit zu virtuoser Entfaltung gibt. Das Hauptthema dieses Satzes erklingt zuerst in der Soloflöte. Während die ersten beiden Sätze des Konzertes durch eine breite Ent wicklung der Melodik gekennzeichnet sind, gewinnt das mitreißende Finale (Allegro scherzando) seine Überzeugungskraft vor allem aus seinen rhythmischen Energien. Der Kraftstrom, der von dieser Musik ausgeht, ist bezwingend. Rach maninow hat übrigens das klavieristisch ungemein dankbare Werk selbst verschie dentlich in Deutschland gespielt. Neben Maurice Ravels wohl volkstümlichstem Werk, dem „Bolero", errang auch die brillante, betörende und farbige Orchesterkomposition La Valse (Der Walzer) einen dauernden Publikumserfolg. Das ursprünglich für Sergej Djagilews „Russisches Ballett" geschriebene, jedoch von diesem abgelehnte Werk nannte der Komponist "Poeme choreographique" — choreographische Dich tung; es erlebte 1921 in Paris seine Uraufführung. In Ravels autobiographischer Skizze ist darüber zu lesen: „Ich habe dieses Werk als eine Art Apotheose des Wiener Walzers aufgefaßt, mit dem sich in meinem Geiste die Vorstellung eines phantastischen Wirbels verbindet. Ich stelle diesen Walzer in den Rahmen eines kaiserlichen Hofes um 1855", d. h. in die Zeit üppigster Prachtentfaltung im fran zösischen Kaiserreich Napoleons III. und der Welterfolge des Wiener Walzers. In der Partitur ist außerdem noch folgendes vermerkt: „Wirbelnde Wolken schwärme lassen in Durchblicken Walzerpaare flüchtig erkennen. Allmählich zer streuen sich die Wolken, man gewahrt einen ungeheuren, von einer sich drehen den Menge bevölkerten Saal". Dem phantastischen Wirbel, diesem Rausch der Klänge, der Melodien und Wal zerrhythmen, den die Komposition entfaltet, vermag sich niemand zu entziehen. Es ist ein sinnlich leuchtendes Tongemälde von genießerischer Lebenslust, in dem Elemente des klassischen Wiener Walzers mit französischem Esprit serviert wer den. In den drei Abschnitten der Komposition erlebt man zunächst gleichsam die Geburt des Walzers, der sich aus verschwimmenden, ungewissen Klängen formt; dann wird man in die Atmosphäre eines Ballsaales versetzt. Die Klänge werden immer betörender, anmutiger, graziöser, immer unentrinnbarer. Schließlich, im letzten Abschnitt, ereignet sich ekstatisch, bis zur Raserei gesteigert, was Ravel einen phantastischen Wirbel nannte. Noch einmal peitscht der Walzerrhythmus die Ballgäste auf; dann bricht die Erregung in keuchender Hast jäh ab — „der Walzer als Zerrbild einer Welt, deren brutale Widersprüche sich dem Komponisten seit dem ersten Weltkrieg immer beunruhigender offenbarten" (M. Pommer). Dr. habil. Dieter Härtwig VORANKÜNDIGUNG: Sonnabend, den 2. Juli 1977, 18.00 Uhr Sonntag, den 3. Juli 1977, 18.00 Uhr 1. SERENADE im Schloßpark Pillnitz Dirigent: Gerhard Rolf Bauer, Gotha Solist: Helmut Rucker, Dresden, Flöte Werke von Beethoven, Mozart und Schubert Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit — Chefdirigent: Günther Herbig Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Druck: GGV, Produktionsstätte Pirna - 111-25-12 ItG 009-46-77 EVP -,25 M »hiharmoni 9. AUSSERORDENTLICHES KONZERT 1976/77