- 9 - später nach der Justizreform beim Bezirksgericht Protokollantin gewesen. Nach dem Studium bat sie, an das gleiche Gericht als Richterin berufen zu werden. Und gerade sie sollte 'von der Pike auf* alles lernen, 'an die Basis'. Ihr Mund verzog sich zu einem schmalen Strich und gab ihrem Gesicht einen müden Zug. "Und wann soll ich - gehen?” Hermann Kreuzig atmete auf. Rasch sagte er: "Wir dachten ab 1. September. Kern vom Kreisgericht-Land kommt dafür in den 2. Strafsenat." An die Stelle, die ich mir erträumte, dachte Eva. Sie sagte nichts mehr und erhob sich. In vier Wochen mußte sie also gehen. Wie schnell ehrgeizige Pläne zerstoben. Sie blickte nach der Uhr. Die Unterredung hatte eine knappe viertel Stunde ge dauert. In fünfzehn Minuten also waren Träume und Wünsche, ein Jahrzehnt lang gehegt, mit ein paar dürren Worten hinweg- ger^edet worden. Ihr Wunsch war, in dem Senat, in dem sie als Protokollantin gearbeitet hatte, einmal am Richtertisch zu sitzen. War das so schlimm? Und wie hartnäckig verteidigte sie an der Univer sität ihren Traum, wenn man sie überreden wollte, einen anderen Beruf in der Justiz anzunehmen; als Justitiar in einem volks eigenen Großbetrieb oder als Rechtsanwalt, vielleicht auch als Staatsanwalt. Sie blieb fest und studierte mit einem Eifer Strafrecht, daß ihr theoretisch keiner etwas vormachen konnte. Und jetzt? Kreisgericht! Einfacher Diebstäb 1, Mietsstreitig keiten, Beleidigungen! Wortlos verließ sie das Zimmer des Leiters. Warum hatte ich nicht den Mut, mich zu wehren? dachte sie. Alle Argumente, die sie zur Verteidigung ihres Standpunktes hätte vorbringen müssen,